Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Havers
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 28.10.2015
Freiheit muss weh tun
Söllner, Hans

Freiheit muss weh tun


ausgezeichnet

Hans Söllner feiert am 24. Dezember seinen sechzigsten Geburtstag, offenbar ein Ereignis, das ihn inspiriert hat, innezuhalten und auf sein ereignisreiches Leben zurückzublicken. Das Ergebnis gibt es in der Autobiografie „Freiheit muss weh tun: Mein Leben“ (erschienen im A. Knaus Verlag) nachzulesen, die er mit Hilfe des österreichischen Journalisten Christian Seiler erstellt hat.

Geboren und aufgewachsen in Bad Reichenhall in einer lieblosen Umgebung, heute würde man sagen, in einer dysfunktionalen Familie. Ein ungeliebtes Kind, um das man sich nicht weiter kümmert. Das schmerzt zwar, gerade im Rückblick, aber befreit auch, denn er ist niemandem Rechenschaft schuldig und muss auch keine Rücksicht auf die Gefühle der anderen nehmen. Das prägt.

Abgeschlossene Lehre als Koch, dann Umzug nach München, Arbeitslosigkeit und noch eine Lehre, diesmal KFZ-Mechaniker. 1979 dann der erste Bühnenauftritt, drei Jahre später der erste Plattenvertrag. Reichtümer verdient er keine mit seiner Musik, aber leben kann er davon. Er ist unbequem, die Lieder trägt er im Dialekt vor und seine Texte sind meist gesellschaftskritisch.

Söllner ist Bayer, ein Knorriger, ein Politischer, ein Rebell mit Gitarre. Der ohne Furcht vor Konsequenzen nicht nur sagt, was er denkt, sondern auch was er von Politikern, speziell von den Christlich Sozialen, und deren Aktionen hält. Das hat ihm in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Unterlassungsklagen und Gerichtsverfahren beschert, und die Kosten für Strafen und Anwälte, die er daraufhin zahlen musste, würden ohne weiteres für ein schönes Häuschen reichen.

Aber er lässt sich nicht verbiegen, steht für seine Überzeugungen ein, ganz gleich, was es ihn kostet. Gleichzeitig ist er ein sehr sozialer Mensch, der denen hilft, die die Hilfe am dringendsten benötigen, aber ohne publikumswirksam großes Aufhebens davon zu machen. Wenn er Flüchtlinge aufnimmt, muss kein Kamerateam vor Ort sein, um deren Einzug zu filmen und dann auf allen TV-Kanälen zu zeigen. Er macht ganz einfach.

Ehrlich und gerade heraus kommt die Autobiografie herüber, was mit Sicherheit auch der Tatsache geschuldet ist, dass Söllner so redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist und sein Co-Autor diesen Originalton beibehält. Als Mensch ein Aufrechter, als Künstler ein Original, von denen es leider nicht mehr viele gibt.

Bewertung vom 27.10.2015
Gun Street Girl / Sean Duffy Bd.4
McKinty, Adrian

Gun Street Girl / Sean Duffy Bd.4


ausgezeichnet

Adrian McKinty, in Belfast, Nordirland geboren und dort auch aufgewachsen. Sein Metier sind die Hardboiled-Thriller, ob das nun die Dead-Trilogie mit Michael Forsythe oder Sean Duffy-Reihe ist, immer steht ein Ire im Mittelpunkt, der sich auf feindlichem Terrain behaupten muss.

Im Falle von Sean Duffy ist es die Royal Ulster Constabulary in Belfast – und Duffy ist der einzige Katholik in dieser Polizeitruppe. Wenn man sich die zeitliche Einordnung anschaut, in der die Bücher dieser Reihe angesiedelt sind, weiß man sofort, dass er keinen leichten Stand hat. Es ist die Zeit der IRA, Kämpfe zwischen Katholiken und Protestanten sind in Nordirland an der Tagesordnung, dazu dann noch die ganz gewöhnlichen Kriminellen - Gewalt in allen Facetten prägt den Alltag. Thriller, die in diesen Jahren spielen, kommen nicht umhin, auch die politische Komponente zu thematisieren, was gerade in der Duffy-Reihe ein wesentlicher Faktor ist, werden doch immer wieder reale politische Ereignisse in die Handlung verwoben. Und das macht auch für mich einen großen Teil des Reizes dieser Serie aus, auch wenn mir die Kriminalisierung mancher politischen Aktionen nicht immer zutreffend erscheint.

„Gun Street Girl“ nun ist das vierte Buch in der Reihe mit dem sympathischen Protagonisten Sean Duffy, Inspector bei der RUC, clever und tough, ein cooler Typ mit einem ausgeprägten Musikgeschmack. Wir schreiben das Jahr 1985 und Duffy ist mit Kollegen von der RUC, Ermittlern von Interpol, Gardai, FBI und Agenten des Geheimdienstes MI5 an der Küste in der Nähe von Derry im Einsatz. Sie wollen eine Bande von Waffenschmugglern hochnehmen, die ihre brisante Fracht aus den USA über den Ozean bis nach Nordirland gebracht haben. Der Einsatz geht in die Hose, und Duffy verlässt unerlaubt den Einsatzort. Am nächsten Tag wird er auf einen Doppelmord in Whitehead angesetzt. Ein Ehepaar wurde in seiner Villa mit Kopfschüssen getötet. Sein Sergeant erwartet ihn vor Ort und versorgt ihn mit Hintergrundinformationen zu den Getöteten. Die Haushälterin erzählt von Streitereien zwischen Vater und Sohn, der samt seinem Mercedes spurlos verschwunden ist. Hat er seine Eltern ins Jenseits befördert?

Aber anstatt sich den Ermittlungen widmen können, muss sich Duffy mit dem RUC Polizeirevier Larne über die Zuständigkeiten auseinandersetzen. Mit wüsten Drohungen will dieser den Fall an sich reißen, wobei aber unser Inspector ganz cool und souverän reagiert: er lässt dessen Schimpftiraden teilnahmslos über sich ergehen, bis Kennedy das Feld räumt. Daraufhin überträgt den Fall McCrabban – ob sich Larne RUC das so einfach gefallen lassen wird?

Das ist die Ausgangssituation im Jahr 1985, aber Adrian McKinty wäre nicht der Autor der er ist, wenn da nicht noch wesentlich größere Schweinereien im Hintergrund auf Aufklärung warten würden. Es gilt den Tod von vier Mordopfern zu klären und Missile-Raketen verschwinden spurlos aus einer Fabrik in Belfast. Und natürlich klingelt es dann gleich im Hinterkopf, war dies doch noch die Zeit, in der die Vereinigten Staaten frisch, fromm, fröhlich, frei den späteren Erzfeind Iran fleißig und ohne Skrupel mit Waffen versorgten.

Rotzig wie immer, fast in jeder Zeile mit ironischen Kommentaren gespickt, und die zahlreichen Verweise zu Musikern und deren Titeln – das ist McKinty, wie wir ihn kennen und lieben. Und nachdem ich bereits die drei Vorgänger der Reihe gelesen habe, ist auch „Gun Street Girl“ ein absolutes Muss. Clevere Dialoge und kurze Sätze bringen Tempo in die spannende Story und machen aus dem Buch ein kurzweiliges Lesevergnügen - "Gun Street Girl" ist für mich bisher der beste Band der Reihe. Und noch eine kurze Info, die vielleicht für einige Leser interessant ist: der Titel bezieht sich, wie auch die anderen drei Originaltitel der Duffy-Reihe, auf einen Song des genialen Musikers Tom Waits, und mit dem "Girl" ist die an dem Fall beteiligte Kate, Agentin des MI5, gemeint.

Bewertung vom 26.10.2015
Unschuld
Franzen, Jonathan

Unschuld


ausgezeichnet

Wie bereits in dem 2001 erschienenen Roman „Die Korrekturen“ und dem Nachfolger aus 2010 „Freiheit“, dreht sich auch in „Unschuld“, dem neuestens Werk des amerikanischen Autors Jonathan Franzen, vieles um das Thema Familie im weitesten Sinn, wobei ihm aber nicht daran gelegen ist, das harmonische Miteinander zu beschreiben. Familien sind bei Franzen per se dysfunktional, und sein Fokus liegt im Analysieren der Prozesse, die zu deren Auseinanderbrechen führen.

Aber man sollte sich keine falschen Vorstellungen machen, denn „Unschuld“ ist kein reiner Familienroman, eher ein Gesellschaftsroman, denn er umspannt wesentlich mehr Themen. Politik, Geheimnisverrat und Rache sind wesentliche Bestandteile der Geschichte, aber die zentralen Punkte der Handlung werden durch persönliche Beziehungen, das Sehnen nach Liebe und die Suche nach der Wahrheit bestimmt. Aber was ist Wahrheit?

Es sind zwei Hauptfiguren, um die sich das gesamte Panorama Franzenscher Erzählkunst entfaltet: Purity, die ihren Namen verabscheut und sich in Anlehnung an Charles Dickens „Pip“ nennt, und Andreas Wolf, der Internet-Freak und Whistleblower in der Tradition eines Assange, der nicht nur eine Leiche im Keller hat und in fast allen Ländern auf der Fahndungsliste steht. Die beiden kommen über Umwege in Kontakt, denn Pip ist auf der Suche: nach dem Sinn des Lebens, aber vor allem nach ihrem Vater, dessen Identität ihre Mutter geheim hält. Wolf hat seine Operationsbasis mittlerweile in Bolivien und bietet ihr nicht nur ein Praktikum an, sondern möchte sie auch bei ihren Nachforschungen unterstützen. So sagt er zumindest…

Ausgehend von diesen beiden Einzelschicksalen entwickelt der Autor einen äußerst detaillierten und fein gezeichneten thematischen Rundumschlag, der ausgehend von persönlichen Beziehungen auch die jüngere Zeitgeschichte, und hier speziell die deutsch/deutsche Wiedervereinigung, abarbeitet.

Das Audiobuch ist glücklicherweise die ungekürzte Fassung dieses großartigen Romans. Auf 4 mp3-CDs mit einer Gesamtlaufzeit von über 25 Stunden lesen in bewährter Weise Sascha Rotermund (Synchronsprecher u.a. Benedict Cumberbatch und Christian Bale) sowie Walter Kreye Jonathan Franzens neuen Roman, der neben jeder Menge positiver und negativer Gefühle durchaus auch Spannung zu bieten hat.

Bewertung vom 25.10.2015
Partyminis aus dem Glas
Beilharz, Ulrike

Partyminis aus dem Glas


ausgezeichnet

Wollen Sie Ihren Gästen etwas Besonderes bieten und dennoch Zeit für sie haben? Dann kann ich Ihnen das wunderbare neue Kochbuch „Partyminis aus dem Glas. Süß und pikant“ von Ulrike Beilharz wärmstens empfehlen. Es ist die erste Veröffentlichung der Autorin und ambitionierten Gastgeberin, die hier gleichermaßen ihre dekorativen und äußerst leckeren Gläschen-Ideen vorstellt – ein Hingucker nicht nur für große Büffets, sondern auch für den kleineren Gästekreis. Ja sogar dann einsetzbar, wenn es „nur“ ein Essen für zwei Personen ist.

Hierbei kann man auf jegliche Gläser zurückgreifen, die man zur Hand hat. Ganz gleich, ob Likör-, Schnaps- oder ausrangierte Marmeladengläschchen, alles kommt zum Einsatz. Die Rezepte sind in drei Gruppen eingeteilt, wobei Dessertvariationen den Schwerpunkt bilden: „Süßes mit feinen Früchten“ (13 Rezepte), „Süß und edel gewürzt“ (12 Rezepte) sowie „Brillant pikant“ (12 Rezepte). Ob das nun das Apfel-Tiramisu, die Lebkuchenmousse oder Mozzarella-Tomate mit Pesto ist – alles ist gleichermaßen lecker und ohne stundenlang in der Küche zu stehen vorzubereiten. Bei einigen Rezepten ist dies sogar ein Muss, etwa wenn das Kalbssülzchen fest werden oder mit Fruchtpüree bedecktes Gebäck durchziehen sollte.

Und hierin liegt auch die Stärke dieses Kochbuchs, das ein Manual für den entspannten Gastgeber ist: alle Gläschen können bereits am Vortag entsprechend gefüllt und kühl gestellt werden, sodass man sich völlig relaxt mit den Gästen unterhalten kann und vor dem Servieren lediglich noch das Finish in Form der Garnitur anbringen muss.

Die Rezepte an sich sind gut aufgebaut, pro Rezept gibt es eine Doppelseite. Links abgesetzt findet man die Zutatenliste entsprechend der angegebenen Gläschenzahl samt einer ausführlichen Schritt für Schritt Anleitung, auf der rechten Seite gibt es jeweils optisch sehr dekorative Fotografien des Endprodukts, bei denen einem bereits beim Anschauen das Wasser im Mund zusammenläuft.

Die Zubereitung an sich ist in der Regel unaufwendig und mit einem überschaubaren Zeitaufwand zu bewältigen, die Zutaten kann man ohne Probleme in jedem gut sortierten Supermarkt beschaffen. Und das Ergebnis ist einfach nur genial, ein Fest für Gaumen und Augen!

Bewertung vom 23.10.2015
Der lange Atem der Vergangenheit / Karen Pirie Bd.3
McDermid, Val

Der lange Atem der Vergangenheit / Karen Pirie Bd.3


ausgezeichnet

Es sind verschiedene Handlungsstränge, die die schottische Erfolgsautorin Val McDermid in souveräner Weise in ihrem neuesten Roman/Thriller „Der lange Atem der Vergangenheit“ verarbeitet:

Alles beginnt in Edinburgh. Hier findet ein Bauarbeiter in der Turmspitze eines heruntergekommenen Hauses einen skelettierten Leichnam - ein Fall für DCI Karen Pirie und DC Jason Murray, die Spezialisten der Abteilung für ungelöste Fälle. Die Ermittlung der Todesursache ist kein Problem, da der Schädel ein Einschussloch aufweist. Ein größeres Problem ist die Feststellung der Identität, denn es gibt keine eindeutigen Hinweise. Ermittlung in kleinen Schritten unter Einbeziehung jeden Hinweises ist angesagt.

In der Universitätsstadt Oxford lebt die Professorin Maggie Blake, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Geopolitik. Während der Jugoslawien-Kriege in den neunziger Jahren ist sie längere Zeit vor Ort in Dubrovnik und hält dort im kleinen Rahmen Vorlesungen zu ihrem Spezialgebiet. Sie verliebt sich in „Mitja“ Petrovic, einen kroatischen General, der für den militärischen Geheimdienst arbeitet. Sie sind trotz der widrigen Umstände glücklich miteinander und kehren gemeinsam nach England zurück. Aber dann verschwindet Mitja plötzlich von heute auf morgen - ohne Ankündigung, ohne Nachricht, einfach weg. Maggie ist am Boden zerstört, aber glücklicherweise kümmert sich ihre alte Freundin Tessa, eine Anwältin für Menschenrechte, in dieser schweren Zeit um sie.

Alan Macanespie und Theo Proctor arbeiten für den Internationalen Gerichtshof in Den Haag und sorgen dafür, dass jugoslawischen Kriegsverbrechern der Prozess gemacht wird. Das ist aber zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht so einfach, da diese, noch bevor sie vor Gericht gestellt werden können, von einem Unbekannten ermordet werden.

Diese Handlungsstränge werden aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt und wechseln kontinuierlich durch. Unterbrechungen gibt es immer wieder durch Maggie Blakes Tagebucheinträge, in denen sie zum einen ihre Zeit und Beziehung mit Mitja, ihrem spurlos verschwundenen Geliebten, zum anderen ihre Erlebnisse während des jugoslawischen Bürgerkriegs schildert. Gerade diese Passagen sind sehr eindrucksvoll beschrieben und zeigen die persönlichen Verstrickungen aller Beteiligten in diesem ethnischen Konflikt, in dem Hass und Gewalt den Alltag bestimmen und ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht Unschuldige ihr Leben lassen müssen. Und hier stellt sich natürlich die Frage, ob erlittenes Leid, den Wunsch nach Rache und Vergeltung legitimiert.

Val McDermid zieht aber auch sehr geschickt Parallelen zu den Verhältnissen in Großbritannien. Ob das nun die Animositäten zwischen Schotten und Walisern (verkörpert durch Alan Macanespie und Theo Proctor), oder die Bestrebungen zur Souveränität Schottlands sind - demokratische Gesellschaften sollten immer wieder Mittel und Wege finden, um solche Konflikte friedlich und ohne Blutvergießen zu lösen.

DCI Karen Pirie und ihr Partner Jason Murray (die permanente Wiederholung seines Spitznamens “Minzdrops“ fand ich übrigens ausgesprochen nervig) halten die Story zusammen, denn ihre Ermittlungen beziehen nach und nach die verschiedenen Handlungsstränge ein und fügen sie am Ende zu einem Gesamtbild zusammen, das sämtliche offenen Fragen beantwortet.

„Der lange Atem der Vergangenheit“ ist nicht nur ein spannender Roman, sondern beeindruckt auch durch differenzierte Charakterzeichnungen sowie realistische Schilderungen der Auseinandersetzungen in Ex-Jugoslawien. Lesen!

Bewertung vom 23.10.2015
Der Arm des Kraken
Peters, Christoph

Der Arm des Kraken


sehr gut

Christoph Peters, der Rheinländer mit dem Faible für Japan (siehe auch „Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln“ und „Mitsukos Restaurant“), wagt sich in seinem neuen Roman „Der Arm des Kraken“ thematisch in Bereiche eines Thrillers vor. Handlungsort ist der Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, früher ein Arbeiterbezirk, mittlerweile aber ein gentrifiziertes Wohngebiet für Gutverdiener. Neben diesem wohlanständigen Bürgertum existiert dort aber auch noch eine Parallelgesellschaft, in der die vietnamesische Mafia das Sagen hat. Und gegen deren Treiben kann auch die Berliner Polizei mit ihrem Sonderdezernat nichts ausrichten.

Das muss auch Kommissarin Annegret Bartsch erkennen, die in dem Fall des Japaners Yuki ermittelt, dessen Leiche in einem Park aufgefunden wird. Er ist keines natürlichen Todes gestorben, sondern wurde erschossen. Ihre Nachforschungen gestalten sich schwierig, denn niemand gibt Informationen preis. So kann sie nur vermuten, dass sich kriminelle Elemente im Prenzlauer Berg einen tödlichen Kampf um die Vorherrschaft liefern. Dieser Verdacht erhärtet sich, als Fumio Onishi in Berlin eintrifft, ein Meister mit dem Schwert und Killer der Yakuza, der den Tod seines Landsmann aufklären und rächen möchte. Und schon bald pflastern Leichen seinen Weg…

Es sind zwei Welten, die in Christoph Peters „Der Arm des Kraken“ aufeinanderprallen, repräsentiert durch die beiden Hauptfiguren. Auf der einen Seite Annegret Bartsch, die chaotische Kommissarin des Vietnamdezernats, die weitgehend erfolglos vor sich hin ermittelt, und deren Privatleben ein einziger Scherbenhaufen ist. Sowohl das Verhältnis zu ihrem Mann als auch zu der halbwüchsigen Tochter ist problematisch und wird für sie zunehmend belastend. Auf der anderen Seite Onishi, die japanische Ein-Mann-Armee, hochdiszipliniert und organisiert, dem Kodex der Samurai verpflichtet, der ohne Rücksicht auf Verluste seinen Auftrag durchzieht.

Der Autor arbeitet mit Perspektivwechsel und lässt uns das Geschehen abwechselnd durch die Augen der beiden Protagonisten betrachten, wobei die Passagen aus Sicht der Kommissarin sehr anstrengend zu lesen sind. Geschrieben in der Form eines inneren Monologs, ohne Punkt und Komma, werden Beobachtungen, Empfindungen und individuelle Interpretationen wild aneinandergereiht. Im Gegensatz dazu sind die klar strukturierten Kapitel Onishis eine erholsame Abwechslung. Auch dieser Kniff dient dazu, die beiden Personen klar gegeneinander abzugrenzen und deren Unterschiede deutlich zu machen. Und gerade in dieser präzisen Charakterisierung liegt die Stärke des Romans.

Bewertung vom 15.10.2015
Fingerhut-Sommer / Peter Grant Bd.5
Aaronovitch, Ben

Fingerhut-Sommer / Peter Grant Bd.5


ausgezeichnet

In „Fingerhut-Sommer“, dem fünften Band der Urban Fantasy-Reihe des englischen Autors Ben Aaronovitch, muss Peter Grant sein vertrautes Terrain, sprich London, verlassen. Mittlerweile hat er nämlich nicht nur seine übernatürlichen Fähigkeiten weiterentwickelt, sondern ist auch zu einem ernstzunehmenden Police Constable geworden, dem sein Vorgesetzter, DCI und Magier Thomas Nightingale zutraut, allein auf weiter Flur das mysteriöse Verschwinden zweier Mädchen aufzuklären. Und dafür geht es raus aufs Land, genauer gesagt nach Rushpool in Herefordshire, der geschichtsträchtigen Grafschaft an der Grenze zu Wales, einer Gegend, in der sich Fuchs und Hase ‚Gute Nacht‘ sagen. Aber glücklicherweise muss er nicht ohne Begleitung in die Provinz, denn Beverly Brook steht ihm zur Seite.

Ihre Ermittlungen zeigen recht bald, dass der ursprünglich der Schwarzen Magie Verdächtigte nur ein harmloser alter Mann ist, der keinesfalls die beiden Mädchen zur Praktizierung blutiger Rituale entführt hat. Aber vielleicht kann ja die örtliche Polizei mit Peters Hilfe etwas zur Aufklärung des Falls beitragen…

Aaronovitch entwickelt in gewohnter Manier diese Geschichte, indem er wie immer Fantasy-Elemente sowie „normale“ Polizeiarbeit kombiniert. Und dabei ist es nicht weiter störend, dass der Leser hier, bedingt durch die Wahl des Handlungsortes, auf die bekannten Personen weitgehend verzichten muss. Dafür werden in „Fingerhut-Sommer“ unklare Ereignisse aus den vorhergehenden Bänden aufgeklärt und die persönlichen Hintergründe von Personen weiter ausgearbeitet. Außerdem unterhält der Autor mit allerlei ironischen Beschreibungen des englischen Landlebens, die oft kurios, aber immer mit schwarzem Humor gespickt sind, und so die Lektüre zu einem äußerst unterhaltsamen vergnügen machen.

Warnung für Neueinsteiger: Zum besseren Verständnis sollte man die Peter Grant-Bücher zwingend in der richtigen Reihenfolge lesen, denn nur dann versteht man auch, worauf sich manche Schilderungen und Bemerkungen beziehen. Denn nur wenn man diese Informationen aus den Vorgängerbänden hat, kann man die Ereignisse richtig einordnen.

„Fingerhut-Sommer“ ist skurril, unterhaltsam, und spannend – so macht Urban Fantasy richtig Spaß!