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Bibliomarie

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Insgesamt 1032 Bewertungen
Bewertung vom 31.10.2016
Speyerer Geheimnisse
Lange, Kerstin

Speyerer Geheimnisse


ausgezeichnet

Der pensionierte Kriminalrat Ferdinand Weber nimmt an einer Demonstration zum Erhalt der historischen Reithalle im Quartier Normand teil. Federführend ist Ingeborg Schindler, eine Industriellengattin mit vielen Verbindungen und Ambitionen, die sich die Bewahrung des historischen Baus auf die Fahnen geschrieben hat. Bei der Demo lernt Weber Clèment Aust kennen, einen ehemaligen französischen Soldaten, der in Speyer geblieben ist und am Ende der Demonstration nur durch einen beherzten Griff von Weber vor einem Sturz vor ein Auto bewahrt wurde. Aust ist sich aber sicher, dass er gestoßen wurde.
Als Aust einige Tage später tatsächlich überfahren wird und stirbt, ist Weber skeptisch und hält einen vorsätzlichen Anschlag für möglich, ganz im Gegensatz zu aktiven Polizei, die ihn abwimmelt. Ein pensionierter Beamter, der halt nicht loslassen kann und sich langweilt, so stellt Polizeichef Maulbeer fest und verbietet seinen Mitarbeitern mit Weber Kontakt zu halten. Was Weber aber nicht abhält, weiter in der Sache zu ermitteln.
Die Konstellation – pensionierter Kriminalist gegen aktive Dienststelle – hat mir gut gefallen. Die Verwicklungen und Verdächtigungen, die sie dadurch ergeben, geben dem Buch einen eigenen Reiz. So auch der Loyalitätskonflikt der ehemaligen Kollegen, die sehr menschlich geschildert sind. Aber ganz besonders gut fand ich den historischen Hintergrund des Kriminalromans. Der Kampf um die historischen Bauten und die Aufklärung des Todesfalls – auch die Polizei muss allmählich erkennen, dass Weber richtig lag – haben eine Schnittstelle und das fand ich sehr spannend inszeniert. Wie ein roter Faden zieht sich der Papstbesuch 1987 in Speyer durch die Handlung. Der pensionierte Weber, der jede menschliche Schwäche kennt und sich nicht beirren lässt, ist eine durch und durch gelungene Figur. Mir gefielen auch die Dialoge, sie lassen die Figuren sehr lebensecht werden und passen zu den einzelnen Charakteren.
Ein vielschichtiger und spannender Krimi mit einem sympathischen Ermittler. Ich hoffe Ferdinand Weber findet noch viele Rätsel, die er lösen kann.

Bewertung vom 31.10.2016
Das Marillenmädchen
Hanika, Beate T.

Das Marillenmädchen


ausgezeichnet

Es gibt eine Konstante in Elisabettas Leben: der Marillenbaum im Garten des Wiener Elternhauses. Noch in der Kriegszeit vom Vater gepflanzt, ist er Elisabettas Halt und Erinnerung an ihre Familie. Nur durch einen Zufall war sie nicht im Haus, als ihre Familie deportiert wurde. Jedes Jahr nun kocht sie Marillenmarmelade ein und ihr Regal im Keller füllt sich mit den Gläsern, wie der Baum jedes Jahr um einen neuen Jahresring älter wird. Und jedes Jahr erinnern sie die Gläser im Regal an die Geschehnisse, die ihr widerfuhren. An ihre Schwestern Rahel und Judith, mit denen sie stumme Zwiesprache führt, an ihre Tochter Esther und ihre Enkelin.
Doch da kommt eines Tages Pola als Untermieterin ins Haus, eine junge deutsche Tänzerin, die Elisabetta verstört und aus ihrer Ruhe reißt. Es ist kein Zufall, der Pola zu Elisabetta führt.
Das Buch ist auf mehreren Zeitebenen geschrieben und manche Ereignisse werden nur angedeutet; kleine Gedanken- und Erinnerungssplitter die mich als Leserin sofort in das Leben Elisabettas und Polas hineinzogen. Rückblenden zeigen allmählich die Verbindung der beiden Frauen auf und ziehen sich wie eine dunkle Ahnung durch das Buch. Gerade, weil manches nicht ausgesprochen wird und es dem Leser überlassen ist, Schlüsse und Verbindungen zu ziehen und zwischen den Zeilen zu lesen, ist der Roman so überzeugend und hat mich tief berührt.
Ich konnte mich der sensiblen Sprache nicht entziehen, eine melancholische Sprache und trotzdem behält der Roman einen lebensbejahenden Grundton. Es ist ein emotionales Buch, das sicher kein Leser ohne innere Anteilnahme zur Seite legen kann. Ein wirkliches Leseerlebnis, das noch lange nachwirkt und im Kopf und im Herzen bleibt. Ich kann das Buch nur wärmstens empfehlen.

Bewertung vom 26.10.2016
Ein Lied für die Geister
Erdrich, Louise

Ein Lied für die Geister


ausgezeichnet

Es war ein im Nachhinein unerklärlicher Jagdunfall bei dem Landreaux Iron den kleinen Sohn der benachbarten und verwandten Familie Ravich tötet. Nach einer Schwitzhüttenzeremonie folgen er und seine Frau Emmeline einer alten indianischen Tradition und geben ihren jüngsten Sohn LaRose in Obhut der trauernden Familie Ravich. Kann der Verlust des Kindes durch einen weiteren Verlust gesühnt werden?
Louise Erdrich gelingt es, den Spagat der Familien der amerikanischen Ureinwohner zwischen Tradition und Moderne aufzuzeigen. Dazu geht sie mehrere Generationen zurück und erzählt in einer Parallelhandlung die Geschichte der Familie, von der ersten LaRose, der direkten Vorfahrin, bis hin zu Emmeline Iron, der Mutter des kleinen LaRose. Die Überlieferungen, das Wissen um die spirituelle Kraft der Lieder, das alles ist in dem kleinen Jungen vereint. Wenn es die Möglichkeit zur Aussöhnung gibt, dann liegt sie bei ihm.
Der Autorin gelingt es, die Zerrissenheit der amerikanischen Ureinwohner aufzuzeigen. Die an ihre Traditionen und Werten festhalten wollen, ohne sie zur Folklore verkommen zu lassen, die aber auch ein Teil des heutigen Amerikas sind, und immer noch zu selten ihren angestammten Platz in der Gesellschaft bekommen.
Ein Buch, das mich tief berührt hat, das menschliche Schwäche und Größe beschreibt, ohne zu werten oder anzuklagen. Gerade das macht diesen Roman so lesenswert. Die Autorin ist für mich eine große Stimme der amerikanischen Literatur.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.10.2016
Das Café der kleinen Wunder
Barreau, Nicolas

Das Café der kleinen Wunder


gut

Nelly ist junge, sehr hübsche, aber auch zurückhaltende und stille Frau. Nach ihrem Philosophiestudium schreibt sie an ihrer Masterarbeit über Paul Virilio und der Professor, der ihre Arbeit betreut, ist ihre große und heimliche Liebe. Jedes Lächeln und jede freundliche Geste steigern ihr Gefühl, doch sie traut sich nicht, sich zu offenbaren. Und so kommt es, wie es kommen muss: der Professor gibt die Verlobung mit einer Kollegin bekannt. Für Nelly bricht eine Welt zusammen, gerade als sie allen ihren Mut zusammengenommen hat und ihm ein Liebesgeständnis machen wollte. Verzweifelt und tief enttäuscht zieht sie sich in ihre Wohnung zurück und findet eine alte Bücherkiste ihrer verstorbenen Großmutter. Darin in Buch mit einer ganz besonderen Widmung, die sich in einem anderen Erbstück, als Gravur wiederfindet: Amor vincit omnia.
Zum ersten Mal in ihrem Leben handelt Nelly spontan und will den Spuren des Buches und der Widmung nachgehen und das Geheimnis ihrer Großmutter lösen. Sie führen sie ins winterliche Venedig. Und dort warten viele Überraschungen auf sie, die ihr Leben nachhaltig verändern werden.
Nicolas Barreau ist ein sehr erfolgreicher Autor, der genau weiß, was seine Leserinnen erwarten. Diese Erwartungen werden auch erfüllt. Die Geschichte ist überaus romantisch, die schicksalshaften Wendungen geheimnisvoll und immer wieder bringt der Zufall den entscheidenden Anstoß. Nach Paris ist ein Teil der Handlung in ein stilles, fast verzaubertes Venedig gelegt. Die Stadtbeschreibungen sind schön, romantisch und fast wie aus der Zeit gefallen, natürlich steuert alles nach vielen Verwicklungen auf ein Happyend, das so zuckersüß wie die Cornettos im Café ausfällt.
Ich konnte mich nur leider dieses Mal nicht ganz so gut unterhalten, ich weiß nicht – lag es an der doch schon sehr vorhersehbaren Geschichte, oder vielleicht daran, dass Barreau immer das gleiche Thema variiert?
Nichts desto trotz, es ist eine schöne, gefühlvolle Liebesgeschichte, ein bisschen kitschig, die raue Wirklichkeit wird ausgeblendet und was bleibt ist eine charmante Geschichte für kalte Herbst- und Wintertage.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.10.2016
Rabenschwarzer Winter / Inspecteur Sebag Bd.3
Georget, Philippe

Rabenschwarzer Winter / Inspecteur Sebag Bd.3


sehr gut

Die Vorweihnachtszeit beginnt nicht sehr gut für Gilles Sebag, den Polizeiinspektor aus Perpignan. Schon länger vermutet er, dass seine Frau Claire ihn betrügt, nun hat er Gewissheit. Das führt in an den Rand einer existentiellen Krise, er liebt seine Frau noch immer, er kann ihr vielleicht verzeihen, aber die Wut und die Enttäuschung bleibt.
Ausgerechnet in dieser Situation ermittelt er in einem Mord an einer untreuen Ehefrau. Der Ehemann ist geständig, auch er hat die Demütigung nicht ertragen und Sebag fühlt sich unangenehm an seine Situation erinnert. Aber trotzdem, wenn auch gebremst durch zu viel Whiskey, sein Verstand bleibt wach. Etwas stimmt nicht am Geständnis des Ehemanns, als eine weitere Verzweiflungstat eines gehörnten Ehemanns über die Weihnachtstage die Polizei beschäftigt, treten seine persönlichen Schwierigkeiten in den Hintergrund.
Im Gegensatz zu manchen Frankreichkrimis, die die jeweilige Landschaft im Untertitel tragen, ist der „Roussillon-Krimi“ von Philippe Georget kein Urlaubskrimi. Sicher spielt die Landschaft und ihre typischen Bewohner eine Rolle, aber nie hat man das Gefühl einen Urlaubskrimi zu lesen. Die Idee, den ermittelnden Sebag in die gleiche Situation zu bringen, wie die des Mörders, ergibt eine interessante Konstellation. Sebag muss sich immer wieder hinterfragen, seine Handlungen auf den Prüfstand stellen. Die persönliche Verwicklung wird zu einem prägenden Teil des Buches und der Protagonist zur Leitfigur. Mir war es stellenweise zu viel, die Krimihandlung geriet fast in den Hintergrund, wenn Sebag seine Eheprobleme wälzt und über Ehebruch und Versöhnung philosophiert. Trotzdem laufen er und sein Team zu Höchstform auf um diese ungewöhnliche Serie von Mord und Selbstmord aufzuklären.
Auch wenn ich das Buch nicht ganz so spannend fand, die die beiden vorangegangen Bücher, sind die Krimis von Philippe Georget immer eine Empfehlung für Krimifans.

Bewertung vom 22.10.2016
Altherrenjagd / Der Sanktus muss ermitteln Bd.2
Schröfl, Andreas

Altherrenjagd / Der Sanktus muss ermitteln Bd.2


sehr gut

Für Alfred Sanktjohanser, kurz der Sanktus, sind die Treffen mit Dr. Engler und seiner Familie immer ein Graus. Aber was soll er machen, wenn seine Kathi und die Frau Engler so gut miteinander können. Als dann Kübrich, der Kollege aus Englers Kanzlei spurlos verschwindet und rätselhafte Mails auftauchen, ist klar, dass Sanktus zusammen mit seinen Spezln aus der Sternbrauerei sich wieder einmischen. Schließlich hat er schon Erfahrung und als Expolizist immer noch einen guten Draht zu Kommissar Birbichler. Bald wird sein Spürsinn auf eine harte Probe gestellt, wie bei einer Schnitzeljagd, oder besser, einem High Core Geocaching, tauchen immer neue Hinweise auf. Als es einen zweiten Vermissten gibt, deutet alles auf eine Studentenverbindung hin und Dr. Engler führt Sanktus in die Geheimnisse der Burschenschaften ein, deren Trinkfestigkeit sogar den Sanktus fast an seine Grenzen führen.

Auch das zweite Buch von Andreas Schröfl ist eine gelungene Krimikomödie. Burschenschaften und Münchner Bierseligkeit ergeben eine gute Mischung. Die verschiedenen Dialekte, Sanktus‘ Spezln kommen aus Schwaben, Italien, Preußen und einen Inder gibt es auch noch, machen spürbar dem Autor und auch dem Leser Spaß. Dann gibt es noch einen überkorrekten Franken als Polizisten, damit ist das Dialektspektrum fast abgedeckt.

Wenn Sanktus sinniert und der Erzähler aus dem Off in lakonischen Halbsätzen die Handlung vorantreibt, kommt mir gleich der legendäre Brenner von W. Haas in den Sinn. Das sind dann für mich die stärksten Abschnitte, denn manche Erklärungen, zum Beispiel zu den Burschenschaften, sind mir dagegen fast zu lang geraten.

Altherrenjagd“ ist ein Regionalkrimi in Bestform, humorvoll, hintersinnig und spannend. Mir hat dieses Buch viel Spaß gemacht und ich musste mehrmals laut lachen. Mit dem Sanktus hat Autor Andreas Schröfl ein uriges Münchner Original geschaffen, dem man noch viele ungelöste Fälle wünscht

Bewertung vom 13.10.2016
Die Stille der Lärchen / Commissario Grauner Bd.2
Koppelstätter, Lenz

Die Stille der Lärchen / Commissario Grauner Bd.2


ausgezeichnet

Ein kleines Dorf am Ende eines Tales, die Dorfgemeinschaft verschworen, die Familien seit Generationen auf ihren Höfen ansässig, da kommt eine fremde Familie, baut sich einen Glaskubus in die Berge und wird sofort zu Außenseitern stigmatisiert.
Ein junges schönes Mädchen wird erschossen und bei den alten Lärchen in Sichtweise des Hauses der „Eindringlinge“ abgelegt, für die Dorfgemeinschaft, aufgehetzt und geführt vom Pfarrer, ist der Fall klar. Der Sohn des Fremden war‘s, sie wollen Rache und Selbstjustiz. Hier werden die Probleme noch nach alter Art gelöst, diesen Eindruck gewinnt der Kommissar Johann Grauner.
Grauner ist selbst Südtiroler, einer geerdeter Mann, der lieber seinen Hof und seine Kühe versorgen möchte, aber so ein kleiner Bauernhof allein versorgt keine Familie mehr. Ihm zur Seite steht sein Kollege Saltapepe, aus Neapel zur Bozener Polizei versetzt, fühlt er sich weder heimisch, noch glücklich in den Bergen.
Ein großartiger Kriminalroman, den ich nicht mehr aus der Hand legen konnte. Die Suche nach dem Täter und vor allem nach den Motiven ist stark in Szene gesetzt. Die Atmosphäre hat mir ausgesprochen gut gefallen, gleich nach wenigen Seiten hatte ich die Menschen und Orte vor Augen. Besonders gelungen fand ich die Charakterisierung der einzelnen Personen. Die knorrigen Ultener Bauern genauso, wie den schneidigen Süditaliener Saltapepe, für jede Figur findet der Autor eine eigene Stimme. Am besten gefiel mir wieder Johann Grauner, ein nachdenklicher Mensch, der sich tief in Opfer, wie Täter einfühlen kann. Er ist kein Freund von schnellen Urteilen und schnell gefundenen Wahrheiten: „Zweifel, sprach der Commissario leise, nur der Zweifel führt zur Wahrheit“
Waren meine Erwartungen nach dem ersten Kriminalroman von Lenz Koppelstätter schon hoch, sie wurden noch übertroffen!

Bewertung vom 10.10.2016
Killer-Tschick
Loibelsberger, Gerhard

Killer-Tschick


gut

Die Soko Donau wird zu einem Leichenfund gerufen, eine alte alleinstehende Dame, die Obduktion ergibt eine Vergiftung durch Arsen und Rattengift. Die Frau war eine starke Raucherin und konsumierte meistens Schmuggelware. In der Wohnung finden sie noch „Tschicks“ – österreichisch für Kippe – die einen hohen Giftgehalt aufweisen. Es wird nicht das einzige Opfer bleiben. Gleichzeitig ermitteln die Beamten bei einer Leiche, die gefoltert und mit hunderten Brandmalen im Prater gefunden wurde. Die Spuren führen zu Lu Dong, einem chinesischen Geschäftsmann, der nicht nur Restaurants betreibt, aber die Politik hält die Hand über ihn, vor allem in der Person von Kommerzialrat Danzenberger.
Penny Lanz und ihre Kollegen kommen üblen Machenschaften auf die Spur, aber noch übler scheint, dass der Gegner wohl immer einen Schritt voraus ist. Wem können sie noch trauen?
Der Krimi hat ein ordentliches Tempo und trickreiche Wendungen, die Handlung steigert sich in Rasanz und Spannung bis zum Schluss. Der Krimi ist lakonisch und witzig durch den Wiener Dialekt. Für alle, die dabei Hilfe brauchen: es gibt jede Menge Fußnoten und ein Glossar. Das Buch ist wirklich flott geschrieben und die Geschichte absolut realistisch, Wirtschaftskriminalität und Bandenkriege spielen auch in der Wirklichkeit eine große Rolle. Besonders in Wien, die Stadt ist schon traditionell ein Schmelztiegel und Einfallstor aus dem Osten. Es macht wirklich Spaß, diesen Roman zu lesen, der von den Figuren an eine bekannte österreichische TV-Serie angelehnt ist.
Lediglich das Coverbild hat mir persönlich nicht so gut gefallen, aber es soll wohl an die Fernsehserie erinnern.

Bewertung vom 10.10.2016
Brüder für immer
Kromhout, Rindert

Brüder für immer


ausgezeichnet

„Wenn Du vor mir stirbst, werde ich ein Buch über Dich schreiben“ Mit diesen Worten verabschiedet Quentin seinen geliebten und bewunderten großen Bruder, der in den spanischen Bürgerkrieg zieht.
Julian und Quentin Bell wachsen in einer liebevollen und unkonventionellen Familie heran. Die Bindung zwischen den Brüdern ist eng, auch wenn sich der Altersunterschied im Lauf der Zeit immer deutlicher herausstellt. Mit 6 und 9 Jahren hat man viel mehr Gemeinsamkeiten, als mit 13 und 16, aber die tiefe Verbundenheit bleibt der beiden bleibt. Diese Geschichte ist viel mehr als eine Jugendgeschichte. Es geht ums Erwachsenwerden, Erfahrungen und Verletzungen. Wenn es sich bei der Familie um die Künstlerfamilie Vanessa und Clive Bell und Duncan Grant und Schwester und Schwager Virginia und Leonhard Woolf handelt, weiß man, dass es eine besondere Kindheit und Jugend war.
Es ist ein Roman, den Erwachsene mit genauso viel Gewinn lesen können, wie Jugendliche. Rindert Kromhout hat eine einfühlsame Stimme für Quentin Bell gefunden, dass ich fast meinte, Quentin selbst zuzuhören. Wer ein wenig über die Familien weiß, wird sich sofort heimisch fühlen. Mit Virginia Woolf als Tante ist der Lebensweg als Schriftsteller für Quentin vorgezeichnet, vor allem wenn man als Kind so liebevolle Förderung erfährt.
Es war allerdings mehr ein Familienroman über die bedeutenden Mitglieder der Bloomsbury Group, als nur über Julian und Quentin. Die Beziehungen der Erwachsenen untereinander, die künstlerische Entwicklung und Erfolge als Maler, Schriftsteller und Verleger nehmen einen großen Raum ein.
Ich habe das Buch einfach nur fasziniert gelesen, auch wenn es ein Roman ist, es spiegelt die künstlerische Aufbruchsstimmung der 20iger/30iger Jahre wieder und ist ein Leseerlebnis für junge Menschen und Erwachsene.
Ein wirklich besonderes Buch.

Bewertung vom 08.10.2016
Küstenbrut
Behn, Anja

Küstenbrut


ausgezeichnet

Im Kalender einer ermordeten Galeristin wird die Visitenkarte des Kunsthistorikers Professor Richard Gruben gefunden. Der örtliche Polizist Bert Mulsow kennt Gruben schon aus einer anderen Ermittlung und nutzt die Verbindung, Gruben an die Ostsee einzuladen um eine Einschätzung der Galerie und Kunstwerke vorzunehmen – auf dem kleinen Dienstweg sozusagen.

Gruben, der im Augenblick in einer persönlichen Krise steckt, nimmt dieses Angebot gerne wahr, vor allem, da er sich nicht erklären kann, wie die Tote in den Besitz seiner Karte mit einer recht persönlichen Mitteilung kam. Aber schneller als ihm lieb ist, wird er in den undurchsichtigen Fall hinein gezogen. Die Galerie eine Rumpelkammer mit wertlosem Touristenkitsch, ein Erdbeerbaron, der das Dorf Niederwiek fast völlig beherrscht, Intrigen und menschliche Abgründe tun sich auf.

Auch wenn dies der zweite Band um Richard Gruben ist, macht es überhaupt keine Schwierigkeiten, ohne Vorkenntnisse einzusteigen. Der Fall ist schlüssig aufgebaut, der clever konstruierte Plot lädt zum Spurensuchen und Miträtseln ein. Dabei wird die Geschichte umso spannender, je weiter Gruben in die Vergangenheit eintaucht.

Die tollen Charaktere und die ausbalancierte Biografien der Protagonisten haben mir besonders gefallen. Die Geschichte entwickelt einen besonderen emotionalen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte.

Angenehm dosiert war das Lokalkolorit, schöne Landschaftsbeschreibungen, die Ostseeküste mit ihrem besonderen Licht und ein paar Schrullen der Küstenbewohner rundeten das Buch ab.

Wieder einmal ein Krimi-Highlight aus dem Emons Verlag.