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miss.mesmerized
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Deutschland
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https://missmesmerized.wordpress.com/

Bewertungen

Insgesamt 1245 Bewertungen
Bewertung vom 14.11.2017
Böses Kind
Krist, Martin

Böses Kind


sehr gut

Eine Art Ritualmors an einem Hund. Kriminalkommissar Henry Frei schüttelt den Kopf über den neuen Kollegen, sie sind die Mordkommission, aber nur bei Mord an Menschen, nicht an Tieren. Als am darauffolgenden Tag an derselben Stelle ein junger Mann böse zugerichtet gefunden wird, sind Frei und sein Team aber zuständig und dass es kein Zufall war, sondern einen Zusammenhang gibt, ist ebenfalls recht schnell klar. Doch etwas Anderes ergibt sich auch zwingend aus den ersten Erkenntnissen: wenn ihre Annahmen stimmen, schwebt ein junges Mädchen in Lebensgefahr: Jacqueline wird seit zwei Tagen vermisst und war scheinbar die Freundin des Ermordeten. Ihre Mutter ist völlig durch den Wind, der Vater auf Geschäftsreise und die Presse bereits aufgescheucht. Ein entführtes Mädchen? Gab es so etwas nicht schon einmal?

Seit Jahren bereits ist Martin Krist eine feste Größe in der deutschen Thriller Landschaft. Mit seinen Romanen z.B. um Kommissar Kalbrenner konnte er viele Leser für sich gewinnen. Mit Henry Frei hat er nun einen neuen Protagonisten geschaffen, dem offenbar noch weitere Fälle folgen werden.

Der Ermittler hat ein recht eigenes Profil. Seine Familie ist – eher untypisch für den durchschnittlichen Kommissar – noch intakt und mit geradezu idealtypischer Konstellation: Vater, Mutter, Tochter, Sohn. Allerdings kommt eine eher außergewöhnliche Facette ins Spiel: Freis 8-jähriger Sohn ist Autist und auch bei dem Ermittler sind eindeutig autistische Züge erkennbar. Sein Ordnungsdrang oder der Zwang, immer wieder den Anzug glattzustreichen sind nur zwei Facetten, die recht deutlich in diese Richtung weisen. Daneben wirkt seine Kollegin fast etwas blass, auch wenn sie als frischgebackener Mutter sicherlich auch einiges an Potenzial hat.

Der Fall lebt von der Doppeldeutigkeit der immer wieder eingeschobenen Intermezzi um eine Frau, die in einem Verlies gefangen gehalten wird. Recht schnell entwickelt man eine Vorstellung davon, um wen es sich handeln muss und man erwartet, dass die Befreiung der Höhepunkt der Handlung sein wird. Doch man muss seine Erklärungen anpassen und schnelle Schlüsse erweisen sich bisweilen als Trugschlüsse. Hier bietet Martin Krist wirklich gute Unterhaltung, da er nicht nach Schema F die Erwartungen erfüllt. Viele Spuren weisen in unterschiedliche Richtungen und erlauben dem Leser eine ganze Reihe von Spekulationen. Die Figuren erscheinen dabei glaubwürdig und authentisch, wenn auch nicht unbedingt sympathisch – aber das müssen sie nicht sein. Viel eher hat es eine eigene Note, wenn man sie nicht ganz so sehr mag und doch ihr Schicksal einem berührt.

Alles in allem ein überzeugender Thriller, der sich rasant liest und die Spannung so geschickt dosiert, dass man ihn nur ungern weglegen mag.

Bewertung vom 10.11.2017
Leere Herzen
Zeh, Juli

Leere Herzen


sehr gut

Terrorismus als buchbare Dienstleistung. Kann es so etwas geben? Natürlich, denn wie „Brücke“, das Projekt von Britta Söldner und ihrem Geschäftspartner Babak beweist, ist dies eine Marktlücke, mit der man sehr viel Geld verdienen kann. Was umfasst das Angebot der beiden? Rekrutierung und Training der Anwärter. Gezielte Auswahl und Überprüfung in einem 12-stufigen Verfahren. Garantierte Dienstleistung mit 100%-iger Erfolgsquote. Davon lässt sich gut leben, auch wenn weder Brittas Mann noch ihre Freunde genau wissen, was sie tut. Expandieren wäre zu gefährlich, den Ball flach halten und nicht auffallen ist die Devise. Doch irgendjemand hat ein Auge auf das erfolgreiche Geschäft mit den Attentaten geworfen und mischt sich ein. Britta und Babak bekommen Angst. Wer ist ihr Gegner, der offenbar nicht nur mächtig, sondern vor allem skrupellos ist?

Juli Zehs aktueller Roman ist eine Art dystopische Gesellschaftskritik. Die Handlung ist in der nahen Zukunft angesiedelt, jedoch in der Post-Merkelschen Ära, wenn eine neue Partei das Ruder übernommen hat und langsam die Demokratie und den Glauben an Europa zerstört. Mehr und mehr werden die Freiheiten der Bürger beschnitten, die dies jedoch als träge Masse hinnehmen und sich in ihrem Wohlstand ausruhen. Das Refugium des Privaten, wo man möglichst wenig Gedanken an die Politik verschwendet, ist das neue Lieblingsziel der Mittelschicht. Gestört wird dieses Idyll nur durch gelegentliche wohl platzierte und kontrollierte Anschläge, die kurz aufpoppen, dank geringer Personen- und Sachschäden jedoch genauso schnell wieder verpuffen.

Auch wenn ich das Grundkonzept mit einer Agentur für Attentäter eine recht innovative Idee finde, bleibt vieles doch so abgehoben unrealistisch, dass es mir nicht authentisch genug erscheint, um mich gänzlich zu überzeugen. Vor allem die Bekämpfung des politischen Systems, an sich spannend und interessant, verliert an Brisanz durch die geringe Konkretheit der politischen Verhältnisse. Das Private der Figuren dominiert so stark, dass man sich nur schemenhaft ein Bild der Gesamtgesellschaft machen kann. Die einzelnen Aspekte sind zu vage, um wirklich eine angreifbare Vorstellung zu schaffen.

Wo das personenübergreifende, gesellschaftliche Ganze zu schemenhaft bleibt, bekommt man einen sehr intensiven Eindruck der Figuren. Diese, allen voran Britta und Janina, sind vielschichtig gezeichnet und wirken lebendig und authentisch. Für mich war Juli Zeh auch vor allem in der Eingangsszene mit dem Abendessen der befreundeten Familien am stärksten, sie ist eine begnadete Erzählerin, der es immer wieder gelingt Atmosphären zu schaffen und den Leser in die Handlung eintauchen zu lassen. Je kritischer die Situation für die Agentur wird, desto höher wird das Tempo und desto passender verlieren die Figuren ihre Selbstsicherheit und Ruhe. Das ist alles sehr stimmig, auch die Spannung steigt kontinuierlich Richtung Ende. Hier wiederum war ich etwas irritiert, so ganz passend und überzeugend war die Lösung für mich nicht. Auch waren mir die Namen eher zu platt – die Söldnerin für das Heer der Attentäter und Babak, der kleine Vater des Supercomputers – hier hätte man kreativer sein können.

Alles in allem daher eine unterhaltsame Geschichte, die zwar erzählerisch gelungen ist, bei der sich aber auch gewisse Schwächen nicht verleugnen lassen.

Bewertung vom 07.11.2017
Spring Garden
Shibasaki, Tomoka

Spring Garden


sehr gut

Taro lives alone in one of Tokyo’s anonymous block of flats. His family is far away and they are hardly in contact, his father died already ten years ago, yet the memories of him are still alive. His neighbours, he only knows the names that were given to the flats they inhabit, but not who is living close to him. Since the flats are going to be destroyed soon, they will have to leave anyway. One day, he observes a woman walking around the sky-blue house neighbouring their block. She seems to try to look into it through the window. When she realises that she is spotted, they make contact and Nishi explains Taro why she is behaving this strangely: the house is actually quite famous, she even possesses a book about its interior and her greatest wish is to enter and have a look herself. A singular friendship forms between the two neighbours, centred around a building close but far away for them.

Tomoka Shibasaki’s novel “Spring Garden” has many typical features of what I expect from Japanese literature. First of all, the characters. We have two protagonists who seem to live a life without close connection to other people, loneliness and isolation are reoccurring themes in Japan’s novels and from the news I read about the country this really seems to be a major topic. Yet, it is not the suffering from being alone that is central, they seem to have accepted that this is just how it is for them. When they finally bond with somebody - even if it is just a weak connection like the one of neighbours – there are many societal rules which prevent an honest friendship in my opinion. E.g. when Taro is given a present he does not like, it is not easy for him and he nevertheless feels obliged to behave in a certain manner. Even to eat things he doesn’t like in order not to appear impolite.

Some aspects I found really strange and I do not know if this is the case because the character of Taro is a bit bizarre or if this is just a cultural matter which is quite far from the world I life in. Taro keeps the mortar and pestle in his kitchen cupboard with which he turned the remains of his father’s bones into powder to distribute them. They remind him of the father and he frequently thinks about him when he comes across the two utensils. Both, first the idea of working on a deceased’s bones and keeping the utensils close to pots and pans is very astonishing to me to put it politely.

The most interesting part of the novel for me was the house that Taro and Nishi go to explore, first through the book and the outside, later also from the inside. It is not only the poetical language, especially about the lighting of the colourful windows, which makes it quite impressive, but also how human boing have an impact on the outer world. Even though the walls and windows are the same, with the change of the inhabitants, the whole ambiance can change and everybody leaves his mark on his surroundings.

Bewertung vom 03.11.2017
Die Attentäterin / Gabriel Allon Bd.16 (eBook, ePUB)
Silva, Daniel

Die Attentäterin / Gabriel Allon Bd.16 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Eigentlich wollte Gabriel Allon ja seine Freizeit nach dem vorgeblichen Tod hauptsächlich mit seiner Frau und den beiden kleinen Zwillingen verbringen und dann bei gegebener Zeit die Leitung des Dienstes übernehmen. Ein verheerendes Attentat in Paris, bei dem auch zahlreiche jüdische Opfer zu beklagen waren, zwingt ihn jedoch wieder aktiv in die Spionagearbeit zurückzukehren. Der IS ist unter seinem neuen Führer Saladin offenbar nicht nur erstarkt, sondern auch so potent geworden, dass es ihnen leicht gelingt in Europa Mitstreiter zu finden, die die westliche Welt angreifen und damit auch Israel unmittelbar bedrohen. Sie müssen jemanden in das Netzwerk einschleusen und den IS direkt von innen heraus angreifen. Mit der Ärztin Natalie Mizrahi haben sie auch eine geeignete Kandidatin – diese weiß nur noch nichts von der Aufgabe, für die man sie vorgesehen hat und muss erst noch davon überzeugt werden, diesen lebensgefährlichen Schritt zu gehen.

Band 16 in Daniel Silvas Reihe um den israelischen Superagenten Gabriel Allon erfüllt die Erwartungen völlig. Das Thema wurde zum Erschrecken des Autors von der Realität überholt, sein bereits aufgebautes Szenario dieses Romans hat ihn schier fassungslos gemacht, als in Paris im November 2015 einer der bisher verheerendsten Angriffe aus den Reihen des IS auf europäischem Boden stattfand. Derart realitätsnah und aktuell wollte Silva offenbar gar nicht sein. Es hat dem Roman jedoch in keiner Weise geschadet, das Attentat ist etwas anders gelagert, aber man hat nach den Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre kaum mehr Schwierigkeiten, dieses nachzuvollziehen.

Überhaupt liegt hierin für mich die größte Stärke in „Die Attentäterin“ – die Aktualität ist eine Seite, aber die glaubwürdige und authentische Darstellung vor allem der IS Schergen konnte mich packen. Ich kann nicht beurteilen, ob dies wirklich genau so stattfinden könnte, aber die Beschreibungen Syriens und des Irak im Kriegszustand sind für mich plausibel, ebenso wie die Charakterzeichnungen und die Motive. Insbesondere die Absurdität, die sich in der enttäuschten Französin, die sich aus schlichtem Frust und ohne religiöse oder politische Überzeugung dem IS angeschlossen hat, wird sehr anschaulich geschildert.

Die Handlung ist passend variabel im Tempo, wird zum Höhepunkt hin immer rasanter und schließt letztlich mit einem echten Showdown, der in so einem Roman einen stimmigen Abschluss schafft. Von Silvas eigentlichem Protagonisten Allon sieht man dieses Mal recht wenig, ist aber mit der Geschichte stimmig.

Das Thema Geheimdienste wird gerne in Krimis und Thrillern aufgegriffen. Daniel Silva hat für mein Empfinden seinen eigenen Stil gefunden und mit Gabriel Allon einen Langzeit-tragfähigen Charakter geschaffen. Da meine Lektüre von John Le Carrés aktuellem Roman „Das Vermächtnis der Spione“ noch recht frisch ist, drängt sich der Vergleich auf, auch wenn ich die beiden Autoren grundverschieden sind. In Sachen Unterhaltung liegt dieses Mal Silva aber ganz klar vorne.

Bewertung vom 01.11.2017
Der Fall Kallmann
Nesser, Hakan

Der Fall Kallmann


ausgezeichnet

Nach dem Verlust seiner Frau und seiner Tochter zieht Leon Berger in eine schwedische Kleinstadt, um an der dortigen Schule als Lehrer neu anzufangen. Er übernimmt den Job eines gewissen Eugen Kallmann, der wenige Monate zuvor unter ungeklärten Umständen ums Leben kam. Für die Polizei war es ein natürlicher Tod, aber nachdem Leon in seinem Schreitisch Tagebücher gefunden hat, wachsen langsam Zweifel an dieser Version. Zusammen mit seinen Kollegen Ludmilla und Igor beginnt er nachzuforschen und will vor allem herausfinden, was an den Tagebüchern der Wahrheit entspricht und was Fiktion ist, denn dort berichtet Kallmann von einem Mord, den er begangen habe. Weitere Zwischenfälle in der Schule, zunächst antisemitische Briefe, dann aber auch ein Mord an einem Schüler scheinen im Zusammenhang mit dem undurchsichtigen Lehrer zu stehen, der in all den Jahren an der Schule trotzdem für alle Kollegen unbekannt und ein Rätsel blieb.

Schätzungsweise war dies mein fünfzehnter Roman von Håkan Nesser und immer wieder bin ich begeistert davon, wie es ihm gelingt einen ganz eigenen, ruhigen Erzählton zu entwickeln, obwohl die Geschichte gerade eine dramatische Wendung nimmt und das Leben seiner Figuren tiefgreifend verändert. Der etwas langsamere Rhythmus der schwedischen Provinz wird so überzeugend umgesetzt und macht das Lesen seiner Krimis zu einem großen Spaß.

Der aktuelle Fall um Eugen Kallmann kann mich ebenso überzeugen wie viele Vorgänger. Nesser verzichtet auf unnötige Komplikationen durch ein riesiges Figurenensemble, im Wesentlichen beschränkt er sich auf die beiden Lehrer Leon und Igor und die Schulpsychologin Ludmilla. Hinzu kommt eine Schülerin, deren Familiengeschichte in den Fall verwickelt zu sein scheint. Das Privatleben verleiht den Figuren mehr Tiefe, lenkt jedoch nicht von den Nachforschungen ab, sondern ist genau richtig dosiert. Auch setzt Nesser nicht auf unerwartete Zufälle, um seinen clever konstruierten Plot zu lösen, sondern dröselt langsam und zielgerichtet jeden Knoten auf, so dass nicht nur alle Fragen beantwortet werden, sondern auch die Motivationen der Figuren glaubwürdig bleiben und die Handlung in sich stimmig wirkt.

Es sind einmal mehr urmenschliche Beweggründe, die die Figuren zu ihrem Handeln veranlassen. Wie nur wenigen anderen Autoren beweist Håkan Nesser eine hervorragende Beobachtungsgabe der menschlichen Natur und kann dies gekonnt in einen Roman umsetzen. Die perfekte Unterhaltung für lange Herbstabende.

Bewertung vom 29.10.2017
Im Traum kannst du nicht lügen
Persson Giolito, Malin

Im Traum kannst du nicht lügen


ausgezeichnet

Ein Schulmassaker, der schlimmste Albtraum, Stockholm unter Schock. Doch es gibt eine Person, auf die sich der ganze Hass fokussieren kann: Maria Norberg, genannt Maja, 18 Jahre alt, Haupttäterin gemeinsam mit ihrem Freund Sebastian Fagerman, Sohn eines der reichsten Schweden. Zusammen haben sie erst Claes Fagerman getötet, bevor sie in die Schule gefahren sind, um dort Lehrer und Mitschüler umzubringen. Der Fall schein glasklar und einfach. Aber war es wirklich so? Maja sitzt in Isolationshaft im Gefängnis und lässt ihre Gedanken zurückschweifen, sie geht gedanklich nochmal alles durch, von dem Moment an, als sie Sebastian kennenlernte und die ein Paar wurden, bis zu den unheilvollen Monaten vor der Tat und den Abend bevor ihr Leben eine schreckliche Wendung nahm. Sie hat den Tod von mindestens einem Menschen verschuldet, aber hätte sie alles verhindern können? Der Prozess muss Klarheit bringen.

Malin Persson Giolitos Roman wurde in ihrem Heimatland Schweden zum besten Kriminalroman des Jahres 2016 gewählt. Eigentlich ist es kein wirklicher Krimi, schon zu Beginn weiß man, wer die Toten sind und letztlich auch, wer für ihren Tod verantwortlich ist. Für mein Empfinden ist der Roman viel mehr eine psychologische Studie über Familienbeziehungen und Abhängigkeiten. Auf jeden Fall eine emotional schwerwiegende Geschichte, die einem nicht kalt lässt.

Auch wenn der Amoklauf in der Schule das zentrale Element ist, spielt dies für den Roman nur eine untergeordnete Rolle. Es ist das Ergebnis all dessen, was sich zuvor zugetragen hat. Da wir nur Majas Perspektive haben und sie sehr lange nicht zu dem Leser spricht über die unmittelbaren Ereignisse, weiß man auch lange Zeit nicht, ob man ihr trauen kann und wohin ihre Gedanken einem führen werden. Interessant fand ihre fast emotionslose Reaktion auf all das, was geschehen ist. Sie wirkt geradezu ausgelaugt und leer, als wenn sie keine Gefühle mehr haben könnte und teilnahmslos auf ihr Leben und die Vorgänge blicken würde. Erst spät erklärt sich, weshalb sie wirklich in diesem Zustand ist und dass sie durch die Erlebnisse vorher weit über ihre Grenzen hinausgegangen war.

Immer wieder lenkt uns die Autorin auch auf falsche Fährten, plötzlich wird der soziale Hintergrund der Clique relevant; konnte alles nur passieren, weil den Oberschichtenkindern langweilig war und sie schon lange den Bezug zur Realität verloren hatten? Oder will sie auf das Thema Drogen und deren zerstörerische Wirkung hinaus? Womöglich sind es aber doch sogar politisch Motive; weshalb war der syrische Mitschüler nicht akzeptiert und wurde vorgeführt, nur geduldet, weil er intelligent war, aber niemals als Gleicher behandelt? Auf komplexe Vorgänge gibt es keine einfachen Antworten oder simple Erklärungen, das macht die Autorin klar. Das Leben, die Menschen sind vielschichtig und die von außen so naheliegende Deutung greift oftmals zu kurz.

Eine schwierige Thematik, die hinter der Geschichte steckt, die jedoch clever aufgebaut und geschickt entfaltet wird. Ein bemerkenswerter Roman, der unerwartete Tiefe bietet und eine detaillierte Charakterstudie darstellt.

Bewertung vom 26.10.2017
Das Vermächtnis der Spione / George Smiley Bd.9
le Carré, John

Das Vermächtnis der Spione / George Smiley Bd.9


gut

Viele Jahrzehnte hat Peter Guillam gehofft, dass er niemals wieder etwas hört. Doch dann kommt der unheilvolle Brief, der ihn von seinem bretonischen Bauernhof in die britische Hauptstadt und das Herz des Geheimdienstes beordert. Es sind Fragen aufgetaucht zur Operation Windfall. Anfang der 1960er Jahre kamen zwei Personen an der Berliner Mauer um, Alec Leamas, ein englischer Spion, und Elizabeth Gold, seine Freundin. Deren Kinder haben Zweifel an der Darstellung der Ereignisse. Peter soll aussagen, was damals geschah und Licht in das Verwirrspiel um Agenten, Doppelagenten und den Kalten Krieg bringen.

Als Fan von John Le Carrés Romanen habe ich mich sehr auf diesen neuen Krimi, in dem auch ein Wiedersehen mit George Smiley angekündigt war, gefreut. Allerdings bin ich am Ende doch reichlich enttäuscht, denn in keiner Weise kann „Das Vermächtnis der Spione“ in puncto Qualität und Spannung an die Vorgänger anknüpfen. Zu viele Längen lassen keinen richtigen Lesefluss aufkommen, letztlich irrelevante langatmige Beschreibungen lenken von den eigentlichen Fragen ab.

Die Grundkonstruktion ist durchaus clever gestaltet. Der Spion, der nach so vielen Jahrzehnten gedanklich zurückgeholt wird und für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wird. Hier bin völlig bei dem Autor, das ist ein überzeugender Ansatz. Ob es jedoch dazu so ausführlich Peters familiären Hintergrund gebraucht hätte – eher nicht. Am ärgerlichsten war für mich jedoch der Aspekt der Werbung mit der Figur George Smiley – nein, das ist schlichtweg Irreführung des Lesers und Marketing mit bekannten Namen, das hat Le Carré nicht nötig.

So richtig hat mich das Drama um die beiden Toten nicht packen können, am ehesten noch die Nebenhandlung um die Agentin Tulip, die wenigstens etwas Persönlichkeit erhalten hat. Alles in allem zu oberflächlich, ohne jede Spannung und damit als Krimi für mich nicht überzeugend.