Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
hasirasi2
Wohnort: 
Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1128 Bewertungen
Bewertung vom 23.08.2017
Die Tänzerin von Paris / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.3
Abbs, Annabel

Die Tänzerin von Paris / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.3


ausgezeichnet

Aschenputtel in Paris

„Es geht um mich – mein Leben. Meine ... meine ... Unabhängigkeit. Ich will tanzen.“ (S. 268)
Paris 1928: Lucia wird in der Paris Times gelobt, sie ist der kommende Star am Modern Dance Himmel und ihr Vater ist stolz auf sie. Aber kann er, der berühmte James Joyce, Verfasser von Ulysses, dulden, dass sie aus seinem Schatten tritt? Dass sie ihr eigenes Leben lebt und nicht nur sein Laufbursche, seine Vorleserin (er ist fast blind) und Vortänzerin ist? Denn für ihn darf sie natürlich weitertanzen, schließlich ist sie seine Anima („Personifikationen einer weiblichen Natur im Unbewussten des Mannes“ - nach Carl Gustav Jung). Er braucht sie wie die Luft zum Atmen. Sie ist seine Muse, wird auf jeder Seite des neuen Buches stehen ... Das muss sie sich natürlich „verdienen“.

Annabell Abbs zeigt in „Die Tänzerin von Paris“ das schreckliche und sehr bewegende Schicksal von Lucia James auf. Ihr Vater vergöttert sie geradezu, scheint auf jeden anderen Mann eifersüchtig zu sein, ihre Mutter hasst sie aus dem gleichen Grund. Ihren Bruder, mit dem sie in der Kindheit unzertrennlich war, interessiert nur, dass sie – wenn sie schon heiraten muss – wenigstens einen reichen Mann nimmt. Und er ist sauer, als sie einen entsprechenden Antrag ablehnt: „Denk nur, wie die Familie Fernandez Vater helfen könnte! Èmiles Familie könnte uns allen auf so vielerlei Weise helfen.“ (S. 102) Lucia steht immer an letzter Stelle, hat sich dem Wohl der Familie unterzuordnen.

James scheint kein leichter Charakter gewesen zu sein, er verlangte unbedingte Bewunderung. Seine Frau Nora interessierte vor allem ihr Aus- und ihr Ansehen – schließlich war ihr Mann berühmt. Lucia nimmt die Stelle des Aschenputtels der Familie ein. Da ihre Eltern streng katholisch waren, kam ein Auszug auch mit Mitte 20 nur in Frage, wenn sie zu ihrem Ehemann zog – kein Wunder also, dass sie sich in Wunschvorstellungen bzw. Phantasie-Ehen mit z.B. James Beckett flüchtet, welcher für ihren Vater arbeitet. „Ich will mein eigenes Leben. Ich will unabhängiger werden.“ (S. 83)
Als diese Seifenblase platzt, bricht Lucia zusammen. Später wird sie auch noch von Alexander Calder und Alex Ponisowski verlassen – sie verfällt, nach Ansicht ihres Bruders, dem Wahnsinn. Seine Lösung dafür ist die Unterbringung in einer Anstalt.

Küsnacht 1934: Seit ihrem Zusammenbruch ist Lucia bei diversen Psychologen in Behandlung gewesen, C. G. Jung ist bereits der 20.! Lucia hat sich in sich zurückgezogen, redet nicht, interessiert sich nur noch dafür, wann sie endlich wieder frei ist. „Das Tanzen erlaubte mir, ohne Worte zu sprechen. ... es war mein Rettungsring.“ (S. 409) Jung will ihr helfen, vermutet die Ursache ihrer Probleme in der Kindheit und dringt auch zu ihr durch. Doch als sie sich an das Geschehen aus ihrer Kindheit erinnert, welches sie so lange vor sich selbst verleugnet hat, verliert sie endgültig den Verstand. „War mein Vater wirklich ein perverser Irrer?“ (S. 11)

Das Buch ist sehr fesselnd geschrieben. Mir gefiel, wie der Flair dieser Zeit, die diversen Künstler und die Kunstszene im Allgemeinen in die Handlung integriert wurde. Dadurch ist es sehr anschaulich und lebendig.
Am Anfang hab ich Lucia noch für eine etwas überspitzte, extrovertierte und egozentrische Persönlichkeit gehalten und gedacht, dass sie sich vieles selbst zuzuschreiben hatte. Aber je tiefer Dr. Jung (und der Leser) in ihre Vergangenheit eindringt, desto bemitleidenswerter wurde sie.
Lucias Geschichte hat mich sehr bewegt. Es war erschreckend mit zu verfolgen, wie aus einer lebendigen talentierten jungen Frau nach und nach ein psychisches Wrack wird.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.08.2017
Liebe zwischen den Zeilen
Henry, Veronica

Liebe zwischen den Zeilen


ausgezeichnet

Schicksalsbücher

Emilia ist erst Anfang 30, als ihr Vater Julius stirbt und ihr den Buchladen „Nightingale Books“ hinterlässt. Da ihre Mutter bei Emilias Geburt starb, waren Julius und sein Laden die Konstante, der Mittelpunkt und Rückzugsort in Emilias Leben. Und nicht nur in ihrem. Die Bewohner der Kleinstadt Peasebrock in den Cotswolds sind immer gern ins „Nightingale Books“ gekommen. Es gab Tee, nette Gespräche und gute Buchtipps.
Wie soll es jetzt weitergehen? Emilia war zwar klar, dass sie den Laden – den Traum ihres Vaters – eines Tages übernehmen würde, aber bis dahin wollte sie ihr eigenes Leben gestalten und genießen. Dazu kommt, dass ihr Vater zwar ein Buchliebhaber „Bücher sind wertvoller als Juwelen“. (S. 16), aber eben kein Buchhalter war. Der Laden schreibt rote Zahlen ...

Ich habe in letzter Zeit einige Bücher über Buchläden und ihre Besitzer gelesen und hier ein Buch a la „Der kleine Laden der einsamen Herzen“ erwartet – trotz der Trauer locker, leicht, sehr amüsant und mit viel Liebe.
Doch „Liebe zwischen den Zeilen“ ist dramatischer. Emilias Verlust ist größer, die Trauer tiefer. Und nicht nur ihre, aber das weiß sie (noch) nicht. Denn ihr Vater hatte wieder eine Partnerin gefunden.
Auch die anderen Einwohner von Peasebrock vermissen ihn fast schmerzlich: Thomasina, die jeden Dienstag ein neues Kochbuch kauft und zu introvertiert ist, um Jem vom Käseladen anzusprechen; Sarah, die Herrin von Peasbrook Manor, die leidenschaftlich gern liest und Weihnachten an die halbe Stadt Bücher aus Julius Laden verschenkt; oder Marlow, in dessen Quartett Julius Cello spielte – der Laden war ein kulturelles Zentrum der Kleinstadt, hier spiel(t)en sich Liebesgeschichten und Dramen ab. Julius war ein guter und verschwiegener Zuhörer, für viele der Beichtvater. Er kannte für jede Herz- und Lebenslage das passende Buch und hat diese Fähigkeit an Emilia vererbt. Doch kann und will sie dieses Erbe, den Laden, fortführen?

Emilia ist eine selbstständige Weltenbummlerin und wollte so jung noch keine Verantwortung übernehmen. Aber an dem Laden hängen auch Arbeitsplätz, außerdem hat ihr Vater sie immer rückhaltlos unterstützt – sollte sie das nicht zurückgeben, indem sie „Nightingale Books“ in seinem Sinne weiterführt? Ich hätte sie gern immer dann in den Arm genommen, wenn die sie Trauer wieder übermannt. Aber zum Glück wird sie von ihren Freunden, Kunden oder auch mal (noch) völlig Fremden aufgefangen und getröstet. Am Ende ist es genau der Zusammenhalt und Rückhalt, der ihr die Entscheidung erleichtert ...
Julius Geschichte hat übrigens einen eigenen, zweiten Handlungsstrang, in dem die berührende Liebesgeschichte mit Emilias Mutter und sein Leben danach retrospektiv erzählt wird. Ich habe ihn für seine Stärke sehr bewundert. Er hat sein Leben von heute auf morgen umgekrempelt, um allein für seien Tochter Sorgen zu könne.

„Liebe zwischen den Zeilen“ ist ein wirklich tolles Buch. Es unterhält mit leisen Tönen, bewegenden Schicksalen, einer wundervollen Atmosphäre und viel Herz.
Es ist ein Buch voller Heimlichkeiten, mit geheimen Pärchen, unglücklich Verliebten von denen keiner wissen darf und die zum Teil dramatische Geschehnisse zur Folge haben, welche dem Leser zu Herzen gehen.

Bewertung vom 16.08.2017
Die Salbenmacherin und die Hure / Die Salbenmacherin Bd.3
Stolzenburg, Silvia

Die Salbenmacherin und die Hure / Die Salbenmacherin Bd.3


ausgezeichnet

Juli 1409, die Hitze hat Nürnberg fest im Griff. Die Felder verdorren, man befürchtet eine Missernte, die Einwohner können wegen der Temperauren kaum noch schlafen und werden immer überempfindlicher. Als dann ein ausgeweideter Leichnam ohne Kopf und Hände aus der Pegnitz geborgen wird, greift die Angst um sich: ein Werwolf geht um - das kann kein Mensch getan haben! Obwohl Olivera und der Henker anderer Meinung sind und das auch beweisen können, glaubt ihnen niemand. Eine Hatz auf Unschuldige beginnt.
Auch Oliveras Apothekerjunge Jona und sein Freund Casper streunen nachts heimlich durch Nürnbergs Gassen auf der Suche nach dem Werwolf. Was als Mutprobe beginnt, wird schon bald zum Kampf ums nackte Überleben.
Gerlin, eine junge Hübschlerin, träumt von einer Arbeit als Magd im Spital. Aber erst muss sie sich vom Hurenwirt freikaufen. Sie spart eisern jeden Pfennig und leistet sich nur das Mittel gegen Schwangerschaft, welches Olivera herstellt. Sie weiß nicht, dass sie bald eine wichtige Rolle im Spiel des Mörders spielen wird.

„Die Salbenmacherin und die Hure“ ist bereits der 3. Band um Olivera. Man muss die ersten Bände zwar nicht zwingend vorher lesen, aber es lohnt sich ;-).
Olivera und ihr Mann Götz, der Stadtapotheker, sind inzwischen in Nürnberg heimisch geworden und haben mir ihren Medikamenten und Oliveras morgenländischen Schönheitsmitten großen Erfolg. Diesen neidet ihnen der Stadtmedicus.

Olivera ist eine wunderbar menschliche Heldin. Nach ihrer ersten traumatischen Ehe hat sie nun endlich ihr Glück gefunden und fiebert der Geburt ihres ersten Kindes entgegen. Natürlich hat sie davor Angst, trotzdem kümmert sie sich liebevoll um die, denen es nicht so gut geht. Sie hilft regelmäßig im Spital und hat dem ehemals umherstreunenden Jona eine Heimat gegeben.
Der Stadtmedicus wird zu ihrem schlimmsten Albtraum, weil er immer wieder perfide versucht, ihren Ruf zu zerstören. Ihre Medizin tauge nichts, vielleicht ist sie sogar eine Hexe? Er gehört eindeutig der alten Garde an, glaubt an Dämonen und Werwölfe und lässt sich auch durch sachliche Beweise nicht überzeugen. Er schafft es, sie immer mehr einzuschüchtern, zerstört fast ihr Selbstvertrauen.
Jonas jugendlicher Leichtsinn und Forscherdrang sind trotz der bisher eher schlechten Erfahrungen ungebrochen. Sein Freund Casper und er handeln leider erst und denken nicht oder zu spät über die Konsequenzen nach. Das wird ihnen beinahe zum Verhängnis.
Auch mit der 16jährigen Gerlin habe ich sehr gelitten. Sie ist unverschuldet im Frauenhaus gelandet und ihre Arbeit als Hure wird sehr detailliert und grausam beschrieben. Wird sie es schaffen, sich freizukaufen?

Man merkt dem Buch an, dass Silvia Stolzenburg auch Thriller schreibt. Schon die Vorgängerbände waren extrem spannend, aber hier wird es noch packender, die Handlung noch gruseliger, außerdem legt sie ein unglaubliches Tempo vor. Ich konnte die immer mehr um sich ausweitende Angst und Panik förmlich mit den Händen greifen und habe den Krimi nur zum Schlafen aus der Hand gelegt.

Bewertung vom 14.08.2017
Mein Gartenkochbuch
Schmelzle, Katrin

Mein Gartenkochbuch


sehr gut

Für Einsteigerköche und Gartenneulinge

In „Mein Gartenkochbuch – saisonale Rezepte Querbeet“ ist der Name Programm. Nach einer kurzen Einleitung geht’s gleich in die Vollen. Die Rezepte sind in die 4 Jahreszeiten Frühling, Sommer Herbst und Winter gegliedert. Vor jedem Kapitel gibt es eine doppelseitige wunderschön bebilderte Einleitung. Naturgemäß gibt es im Sommer und Herbst viel mehr frisches Obst und Gemüse, also gibt es auch mehr Rezepte. Die Frühlingsküche wartet vor allem mit frischen Kräutern auf, der Winter leider überwiegend mit Kohlgerichten. Dazu gibt es kurze Special, z.B. zu Früh- oder Hochbeeten, Kürbissen oder Weinreben im Garten. Bei letzterem hab ich mich etwas geärgert, wir haben uns nämlich nicht an echten Wein herangewagt sondern nur wilden gepflanzt. Aufgrund des Buches würde ich es beim nächsten Mal unbedingt mit echtem probieren.

Passend zur Jahreszeit und zum Wetter haben wir vor allem Rezepte der Sommer- und Herbstküche getestet. Unsere Highlights waren dabei die „Möhren-Thymian-Quiche“ und der „Kaiserschmarrn mit Zimtpflaumen“. Aber auch die „Asiatische Kürbissuppe“, das „Basilikumpesto“ und der „Stachelbeer-Baiser-Kuchen“ haben uns voll überzeugt. Die Gerichte sind alle auch für Kochanfänger geeignet und jeweils für 4 Personen ausgelegt – mit der Suppe hätten wir allerdings auch 8 Leute locker satt bekommen, dafür war die Quiche etwas knapp bemessen.

Das Buch an sich ist anders als erwartet – eben kein reines Kochbuch. Vom Schwierigkeitsgrad für Einsteigerköche und Gartenneulinge konzipiert denke ich. Es enthält keine grundlegend neuen Rezepte, aber eine gute solide Auswahl mit ein paar schönen Überraschungen. Übrigens kommen nicht nur fleischlose Rezepte vor.

Ein kleines Manko gibt es leider auch: es fehlen die Nährwertangaben und die Zubereitungszeit. Dazu kommt ab und an eine ungenaue Mengenangabe.

Das Cover wirkt sehr fröhlich und appetitanregend. Die Farben sind wunderbar satt und harmonieren gut (auch bei den anderen Fotos im Buch). Besonders die Möhren haben es mir angetan, sie sehen so knackig aus, dass man gleich reinbeißen möchte.

Bewertung vom 13.08.2017
Das Café unter den Linden
Weng, Joan

Das Café unter den Linden


ausgezeichnet

Der diskrete Charme der Bourgeoisie

„Wenn man alles verloren hat, dann kann man gefahrlos alles riskieren.“ (S. 177) – dieses Zitat passt perfekt zu Fritzis Neuanfang in Berlin 1925.
Sie stammt aus der schwäbischen Provinz, ihr Verlobter hat sie verlassen und ihr Vater ist vor kurzem verstorben. Fritzi ist nichts geblieben außer ihrer Reiseschreibmaschine, einer fundierten Ausbildung als Tippfräulein und dem Traum, Drehbücher zu schreiben. Ihren Unterhalt allerdings will sie sich mit dem Schreiben der Memoiren des Grafen Hans von Keller verdienen. Doch der kann sie kaum bezahlen und hat aus seinen Anwesen eine Künstlerkolonie gemacht, aber er ist auch sehr süß.
Fritzi landet in einem wahren Sündenpfuhl – nach Ansicht ihrer schwäbischen Verwandtschaft. In Kellers heruntergekommener Villa leben Dichter, Maler, Sänger, Musiker – verkrachte Existenzen eben. Und sie alle wohnen kostenlos hier, denn kaum einer verdient bei der Erfüllung seines Traumes genügend Geld, nicht mal der Graf, der Zeitungskolumnen schreiben muss, um zu überleben.

Berlin beeindruckt Fritzi – es ist groß, modern, schnelllebig. Eine Stadt der Emporkömmlinge und Selbstdarsteller, denn hinter den Kulissen ist kaum jemand so, wie er scheint.
Inge, Ihre Vorgängerin beim Grafen, wirkt auf sie geradezu mondän. Sie arbeitet als Vorführfräulein im KaDeWe, immer en Mode. Insgeheim jedoch hofft sie auf den großen Durchbruch beim Film, eine Hauptrolle.
Man trifft sich abends im Café unter den Linden, um zu feiern und sich aushalten zu lassen, trinkt Champagner, raucht und tanzt Charleston. Und man lauscht dem Jazz-Sänger Jonny Gable (das ist natürlich nur ein Künstlername). Gable wohnt auch im Haus des Grafen. Er ist wunderschön, aber eiskalt, man sagt ihm Affären mit diversen Frauen und Männern nach. Doch dann scheint er sich ausgerechnet in die Landpflanze Fritzi zu vergucken. Die muss sich bald entscheiden, was und wen sie wirklich will. „Mit der Liebe ist es wie mit der Kunst, wenn man es halbherzig macht, dann sollte man es besser lassen.“ (S. 162)

Die Bewohner der Keller’chen Villa sind skurril und liebenswert. Sei es das schwule Pärchen Rosa und Wlad, der barfüßiger Maler oder die fette Bildhauerin, welche die Leute mit dem Nudelholz aus der Küche jagt. Und über allem liegt der diskrete Charme der Bourgeoisie. Ein persönliches Drama jagt das nächste, auf der Terrasse werden nächtliche Partys gefeiert – man lebt schließlich nur einmal.

Ich habe Joan Wengs Buch an nur einem Sonntagnachmittag verschlungen und mich nach den goldenen 20ern in Berlin gesehnt. Ich habe mit Fritzi gelebt, geliebt, geweint und gelacht. Das Buch ist unglaublich farbenfroh, sinnlich und abwechslungsreich. Es zeigt Berlin in seiner Blütezeit und das damalige Lebensgefühl sehr anschaulich und der verwendete damalige Slang macht es extrem lebendig.

Bewertung vom 09.08.2017
Schampus, Küsschen, Räuberjagd
Kruse, Tatjana

Schampus, Küsschen, Räuberjagd


ausgezeichnet

„Dauerkichersyndrom - tritt typischerweise beim Lesen eines Krusekrimis ein und kann zu Wangen- sowie Zwerchfellmuskelkater führen.“ (Zitat der Autorin) - auch „Schampus, Küsschen, Räuberjagd“ hat dieses Syndrom wieder bei mir ausgelöst.

Endlich hat es Pauline (für ihre Freunde Pauly) geschafft: Sie singt bei den Bayreuther Festspielen die Isolde. Leider ist auch ihre größte Konkurrentin und Zweitbesetzung, dass Hermännchen, mit von der Party und will Paulys Rolle unbedingt abgreifen. Während diese sich noch gegen Silke von Hermanns Attacken währt, wird plötzlich ein berühmter Diamant gestohlen und Pauly verdächtigt. Unterstützt von ihrem narkoleptischen Boston Terrier Radames, ihrem unerbittlichen Wachhund – äh ihrer Managerin – Bröcki und Yves, ihrem unqualifizierten „Mädchen für alles“ (eigentlich ist er Opernsänger, aber zur Zeit ohne Anstellung) ermittelt sie also wieder auf eigene Faust.

So wie Pauly stelle ich mir eine Operndiva vor: exzentrisch, leicht überkandidelt, leidenschaftlich und rubensfigürlich („Hungerhaken sind nicht so meins. Wie heißt es so trefflich? Ich möchte mich morgens beim Frühstück mit meiner Liebhaberin ums Nutella prügeln.“ (S. 34)). Sie lässt sich die Designerkleidung auf den weiblich runden Leib schneidern (in Anlehnung an Beth Dito?), hat ein Herz aus Gold und kann ihre Neugier nicht zügeln.
Auch Managerin Bröcki ist außergewöhnlich: nur 128,5 m groß, aber nicht zu übersehen oder -hören. Sie peitscht Pauly unerbittlich und konsequent durch alle Termine, wacht eisern über deren Alkoholkonsum und ist gleichzeitig die beste Freundin, die sich eine Frau nur wünschen kann.
Yves hingegen: Liebhaber aller Frauen, Lebemann, chronisch pleite und irgendwie immer gerade dann unpässlich, wenn´s drauf ankommt und mit nicht nur einem dunklen Geheimnis. „Ja ich mache Fehler – das Leben kommt ja auch ohne Gebrauchsanweisung!“ (S. 82) und „Ich kann nicht in den Knast. Ich bin zu schön.“ (S. 90)
Und dann ist da noch Arnaldur: isländischer Dirigent mit Sprachfehler und Paulys eifersüchtige Fernbeziehung. Ein Bär von einem Mann mit ganz besonderen Plänen ...

Tatjana Kruse überzeugt auch bei dieser Krimödie wieder durch skurrile Figuren, extrem guten Humor, eine rasante Handlung mit pointierten Wendungen und interessante Einblicke hinter die Kulissen einer Opernproduktion. Ich habe von der ersten bis zur letzten Zeile u.a. über diverse Missgeschicke gelacht und mit Spannung die überraschende Aufklärung des Falls verfolgt.
Außerdem bin ich gespannt, ob und wie Pauly die Frage „Hund oder Mann? Die Frage ist doch, will man sich nur den Teppich versauen lassen oder das ganze Leben?“ (S. 247) im hoffentlich sehr bald erscheinenden nächsten Fall klärt.

Bewertung vom 07.08.2017
Wenn der Platzhirsch röhrt
Bleyer, Alexandra

Wenn der Platzhirsch röhrt


ausgezeichnet

Den Aufsichtsjäger Sepp Flattacher möchte man wirklich nicht zum Feind haben, er ist ja schon als Nachbar kein Sonnenschein findet Heinrich Belten. Und trotzdem verbünden sich die beiden Intimfeinde, um den ungeliebten Schwiegersohn Anton aus dem Haus und dem Mölltal zu vertreiben. Der hat nämlich ausgerechnet in Obervellach eine Gaststätte mit Spielbetrieb eröffnet und sich Heinrichs Haus als neuen Wohnsitz auserkoren – Sepp und Heinrich blasen zur Jagd auf ihn. Ihr Plan scheint aufzugehen. Bis es eine Leiche gibt. Wie konnte das nur passieren? Und vor allem – wer war es denn nun?!

Die „Beziehung “von Sepp und Heinrich erinnert mich an die Jack-Lemmon-und-Walter-Matthau-Filme (wie z.B. „Ein seltsames Paar“). Sie mögen sich zwar nicht, aber der Streit hält sie jung und zumindest kurz verbindet sie die Abneigung gegen Anton.
Dieser hat es faustdick hinter den Ohren. Er ist gewieft, extrem gerissen und geschäftstüchtig. Zu seiner Lokalität gehören zwei sehr gut gesicherte Hinterzimmer und es ist klar, dass da was Illegales laufen muss.
Der Meinung ist auch Polizist Martin – nur leider glauben ihm sein Chef und die Kollegen nicht. Und dann hat er ja noch sein eigenes Drama zu bewältigen. Endlich scheint er bei seiner Jugendliebe Bettina landen zu können, nachdem er sie groß ins Casino ausgeführt hat, da kommen ihm eine geladene Waffe und ein großes Missverständnis in die Quere ...

„Wenn der Platzhirsch röhrt“ ist der zweite Krimi von Alexandra Bleyer um den grantelnden Sepp Flattacher, aber man muss den Vorgängerband „Waidmannsdank“ nicht gelesen haben, um ihn zu verstehen. (Wobei Euch da aber wirklich etwas entgehen würde ;-)!)
Die Geschichte ist extrem unterhaltsam. Sie besticht durch herrlich schwarzen Humor, Kärntner Mundart und viiiiel Jägerlatein. Zum besseren Verständnis für alle Nicht-Kärntner und Nicht-Jäger verhilft ein Glossar am Ende des Buches.
Auch wenn es bis zum ersten Toten dieses Mal etwas gedauert hat, ist die Handlung von Beginn an spannend. Außerdem war das Finale dafür dann fast schon filmreif.
Obervellach ist eine typische Kleinstadt mit korruptem Bürgermeister und Ratschkathl – man kann sich super vorstellen, wie das Leben dort so läuft und das eine oder andere Vorurteil wird bestärkt.
Das Buch endet zwar nicht direkt mit einem Cliffhanger, aber in Sepps Jagdverein wird eine wichtige Position an eine untypische Person vergeben (mehr will ich hier nicht verraten). Deren Motto ist: Frischer Wind im Mölltal.“ Da stehen Sepp und uns Lesern sicher harte Zeiten bevor, zumal die Autorin in der Leserunde verraten hat, dass genau diese Person im nächsten Fall eine wichtige Rolle spielt. Ja, so hält man Leser bei der Stange ;-)!
5 Sterne und meine unbedingte Leseempfehlung für alle Liebhaber des Jägerlateins.

Bewertung vom 29.07.2017
Halali
Noll, Ingrid

Halali


sehr gut

Männerjagd

Holda ist 82 und erinnert sich gern an ihre Zeit in Bad Godesberg und Bonn zurück. Zum Glück hat sie in ihrer Enkelin Laura eine interessierte Zuhörerin, kann diese sich die Zeit damals ohne Telefon, Fernseher und Internet doch nicht wirklich vorstellen. Und ganz so brav, wie „Frau Holle“ (Holdas Spitzname) ihr erscheint, war sie auch nicht. Holda hat nämlich zusammen mit ihrer Freundin Karin im Innenministerium als Sekretärin gearbeitet und sich die wenige freie Zeit mit der Jagd auf Ehemänner und Spione vertrieben ...

Ingrid Noll zeichnet im ersten Teil von „Halali“ ein sehr gemütliches und buntes Bild vom damaligen Zeitgeschehen. Sei es Politik, Mode oder das Frauenbild (Mit Mitte 20 noch unverheiratet geht ja gar nicht! Oder: Wozu willst Du studieren Mädchen? Du heiratest doch hoffentlich bald und bekommst Kinder, um die Du Dich dann kümmern musst!) – man bekommt einen sehr guten Einblick in den damaligen Alltag. Zudem scheint die Autorin einige persönliche Erfahrungen verarbeitet zu haben.
Die Krimihandlung kommt dabei leider nur langsam in Fahrt. Es werden zwar schon erste Spuren und Hinweise gelegt, aber ich hatte mir mehr Spannung erhofft. Ein Krimi war das (noch) nicht!
Die zweite Hälfte wird endlich der erwartete Spionagethriller. Holda und Karin werden in einen Mordfall verwickelt und erledigen sich auch selbst des einen oder anderen überflüssigen Mannes oder bedrohlichen Gegners.

Holda und Karin verkörpern zwei sehr unterschiedliche Frauentypen der damaligen Zeit.
Holda kommt aus einer Handwerkerfamilie. Sie ist bodenständig und meistens grundehrlich. Ihr Vater ist Bäcker und träumt von einem Bäcker als Ehemann für sie – dann könnte er sich endlich zur Ruhe setzen. Für ihre Mutter dürfte es aber ruhig auch ein König oder Staatsführer sein. Für Holda hingegen muss er vor allem nett sein und sie lieben.
Karin entstammt einem alten, nach dem Krieg verarmten Grafengeschlecht. Das Trauma ihrer Flucht hat sie nie verarbeitet. Aber sie ist zäh und zupackend. Männern gegenüber zeigt sie sich extrem aufgeschlossen (soll heißen, sie hat nicht nur einen Freund ...), aber von ihren Zukunftsplänen weicht sie nicht ab: Sie will Botschaftergattin werden, darunter geht nichts! Die alten Standesdünkel hat eben sie nicht abgelegt. Sobald es ernst wird, versucht sie sich immer wieder zu drücken. Sie ist extrem selbstsüchtig. Das sorgt natürlich für Dynamit in der Freundschaft der beiden Frauen.

Fazit: „Halali“ ist eine unterhaltsame Gesellschaftsstudie der 50er Jahre mit kriminellen Elementen und zeigt den beginnenden Wandel in der Gesellschaft.
Trotz etwas wenig Spannung hat mich das Hörbuch sehr gut unterhalten und uns eine schier endlose Autofahrt angenehm verkürzt. Mir gefiel auch Ingrid Nolls leiser, feinsinniger Humor.
Nina Petris Stimme passt hervorragend sowohl zur alten erfahrenen Holda als auch zur noch unbekümmerten und leicht naiven jugendlich frischen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.07.2017
Die Henkerstochter und der Rat der Zwölf / Die Henkerstochter-Saga Bd.7
Pötzsch, Oliver

Die Henkerstochter und der Rat der Zwölf / Die Henkerstochter-Saga Bd.7


ausgezeichnet

Ich bin ein Kuisl-Fan der ersten Stunde und fiebere jedem neuen Band entgegen. Doch inzwischen ist der Henker Jakob Kuisl schon an die 60 und ich habe genau wie seine Kinder Angst, dass er nicht ewig lebt. Dazu kommt, dass er das Ermitteln einfach nicht lassen kann und sich dabei immer wieder in Gefahr begibt. Leider hat er diese Wissbegier seinen Töchtern Magdalena und Barbara vererbt und auch Magdalenas Buben Peter und Paul treten schon in seine Fußstapfen. Und beim Treffen des Rat der 12, des höchsten Gremiums der bayrischen Scharfrichterzunft, 1672 in München, schaffen sie es alle gleichzeitig, in Lebensgefahr zu geraten ...

Denn das Treffen wird von einigen ungewöhnlichen Todesfällen überschattet: Mehrere junge Frauen werden nach verschiedenen Henkersarten hingerichtet – aber von wem? Bald werden Stimmen laut, dass nur einer der 12 Scharfrichter der Mörder sein kann.

Eine Spur führt in Bayerns erste Seidenmanufaktur. Mindestens 2 der Toten haben dort gearbeitet. Also schleicht sich Magdalena dort ein und findet heraus, dass die meisten Mädchen noch einen Nebenjob haben. Außerdem beherbergt die Manufaktur rätselhafte Venezianer. „Geheimnisse birgt dieses Haus wohl so einige.“ (S. 290)

Und auch Barbara hat ein Geheimnis, zumindest vor ihrem Vater, der sie unbedingt verheiraten will – sie ist ungewollt schwanger. Bleibt ihr wirklich nur die Heirat mit einem der Henker, die Kuisl ausgewählt hat, um der Schande zu entgehen?

Magdalenas Mann Simon, der Medicus, schwebt hingegen in völlig anderen Sphären. Er hat ein Traktat über Sauberkeit in der Medizin verfasst und will es mit unbedingt veröffentlichen. Darüber vergiss er leider ab und an seine Familie, was seine Frau sehr erzürnt: „Wie wäre es, wenn der Herr Doktor ihn sich wenigstens anschauen würde? Oder ist Dir der Arsch vom Seiler wichtiger als die Nase Deines Ältesten?“ (S. 24).

Oliver Pötzsch hat mit „Die Henkerstochter und der Rat der Zwölf“ wieder eine extrem spannende Fortsetzung geschaffen. Ich habe die knapp 700 Seiten an nur 3 Abenden gelesen, weil man das Buch, einmal angefangen, nicht mehr aus der Hand legen kenn. Er hat geschickt Hinweise und Spuren zum Täter gelegt und diesen gleichzeitig extrem gut verschleiert, so dass ich meine Vermutungen mehrfach redigieren musste.

Neben der sich stetig steigenden Spannung und dem atemberaubenden Tempo, das die Handlung vorantreibt, lebt das Buch vor allem von den sympathischen Figuren.
Jakob Kusil muss man einfach mögen. Er ist zwar stoffelig und dickköpfig, hat aber ein Herz aus Gold und würde alles für seine Familie tun.
Magdalena ist oft die einzige, die ihn zur Räson bringen kann und ihm (sowie ziemlich jedem anderen), offen die Meinung sagt, auch wenn ihr das nicht immer gut bekommt. Dabei hadert sie genau wie die sture Barbara mit ihrem Schicksal. „Keiner kann etwas dafür, wohin ihn Gott gestellt hat.“ (S. 471) Durch die Hochzeit mit dem Stadtarzt Simon ist sie zwar ehrlich gesprochen, aber sie und ihre Kinder werden nach wie vor als Henkersbälger beschimpft.

Wer auf richtig gute historische Krimis steht, kommt um „Die Henkerstochter und der Rat der Zwölf“ nicht herum. Sehr realistisch und anschaulich, vor einem realen historischen Hintergrund, gut recherchiert und extrem spannend mit einem ordentlichen Gruselfaktor.