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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 26.08.2015
Totenhaus / Totenfrau-Trilogie Bd.2
Aichner, Bernhard

Totenhaus / Totenfrau-Trilogie Bd.2


gut

Bernhard Aichner, österreichischer Autor der Blum-Trilogie, hat umfassend für seine Reihe um die Bestatterin Brünhilde, genannt „Blum“ recherchiert und im Vorfeld des ersten Bandes „Totenfrau“ über einen längeren Zeitraum in einem Bestattungsinstitut gearbeitet. Neben der spannenden Geschichte ist mit Sicherheit auch die Authentizität der Schilderungen des Bestatteralltags für den großen Erfolg dieses Thrillers verantwortlich, dessen Verfilmung in Vorbereitung ist.

Nun ist der zweite Band der Reihe erschienen. „Totenhaus“ setzt da ein, wo „Totenfrau“ endet: Brünhilde Blum, Bestatterin, Mutter zweier Kinder, verheiratet, glücklich. Aber von heute auf morgen ändert sich alles, denn ihr Mann wird vor ihren Augen überfahren und stirbt. Der Täter flüchtet, und Blum schwört Rache…

Zwei Jahre später verläuft ihr Leben wieder in ruhigen Bahnen. Bis zu dem Tag, an dem anlässlich einer Exhumierung auf dem Innsbrucker Friedhof ein Sarg geöffnet wird. Dessen Inhalt wirft Fragen auf, finden sich darin doch zwei Schädel und vier Beinknochen. Es stellt sich nun die Frage danach, wer Zugang zu dem Sarg hatte, und so geraten zwangsläufig die Mitarbeiter des Bestattungsinstituts in den Fokus der Ermittlungen. Natürlich ist Blum dafür verantwortlich, die die zusätzlichen Leichenteile auf diesem Wege entsorgt hatte. Aber sie hat momentan andere Probleme, ist sie doch auf der Suche nach ihrer verschollenen Zwillingsschwester, die wie sie als Kleinkind in einer Pflegefamilie untergebracht wurde. Doch es stellt sich heraus, dass das Wühlen in der Vergangenheit Gefahren mit sich bringt und ungeahnte Folgen hat.

Aichners Stil ist kurz und knackig, die Sprache schnörkellos und direkt.
Wie bereits der Vorgänger zeichnet sich „Totenhaus“ durch ein immens hohes Tempo aus, das den Leser förmlich durch die Seiten fliegen lässt. Der Bezug zur Vergangenheit der Protagonistin füllt wieder einige weiße Stellen in deren Charakteristik, macht sie aber mir nicht unbedingt sympathischer. Im Übrigen scheint das gesamte Personal dieses Thrillers aus mehr oder weniger heftigen Psychopathen zu bestehen, die allesamt abseits gesellschaftlicher Normen und Wertesystemen agieren. Man beobachtet deren Verhalten, entwickelt aber wenig bis keine Sympathie für die Personen.

Das offene Ende macht auf jeden Fall neugierig auf den Abschlussband der Trilogie – wir dürfen gespannt sein!

Bewertung vom 26.08.2015
Extinction
Takano, Kazuaki

Extinction


sehr gut

Japanische Autoren sind hierzulande eher unbekannt, das könnte sich aber nach dem Wissenschaftsthrillers „Extinction“ ändern. Kazuaki Takano, erfolgreicher Drehbuch- und in seinem Heimatland mehrfach ausgezeichneter Romanautor, hat es mittlerweile auch in Deutschland mit seinem Wissenschaftsthriller „Extinction“ auf einen der vorderen Plätze auf der Bestsellerliste geschafft.

Die CIA setzt US-Präsident Burns über die Entdeckung einer neuen Lebensform im Kongo in Kenntnis. Kein Grund zur Freude, denn dadurch sind nicht nur die Vereinigten Staaten sondern die gesamte Menschheit in Gefahr. Eine vierköpfige Truppe wird zusammengestellt, deren Einsatz im kongolesischen Regenwald mit dem Ausbruch eines gefährlichen Virus bei den Pygmäen begründet wird.

Jonathan Yeager, gerade auf Heimaturlaub, um seinen todkranken Sohn zu besuchen, ist einer der Söldner. Und er ist auch der erste, der erkennt, worum es bei dem Einsatz wirklich geht. Das eigentliche Ziel ist Akili, ein Pygmäenjunge von außerordentlicher Intelligenz, der die Geheimdienste der Welt zukünftig das Fürchten lernen könnte. Ihm gilt der Einsatz, denn er soll getötet werden. Yeager, selbst Vater, kann und will dies nicht zulassen, und so setzt er alles daran, das Leben Akilis zu beschützen.

Den dritten Handlungsstrang besetzt der japanische Student Kento, der im Geheimen das Vermächtnis seines Vaters erfüllen soll. Es geht um die Entwicklung eines Medikaments gegen genau die Krankheit, die Yeagers Sohn das Leben kosten wird.

„Extinction“ ist ein Genre-Mix aus Wissenschaft, Science Fiction, Politik und jeder Menge Action, alles verpackt in einen spannenden Thriller. Gut, die Charakterisierung der Personen ist eher simpel und oberflächlich und durch die Einarbeitung vieler wissenschaftlicher „Fakten“ entstehen Längen, was sich aber bei der Komplexität des Stoffes kaum vermeiden lässt.

Das Hörbuch liegt mit fast 20 Stunden Spielzeit in ungekürzter Fassung vor und wird von Sascha Rotermund, der deutschen Stimme von Benedict Cumberbatch, routiniert gelesen. Problemlos werden die verschiedenen Handlungsstränge kenntlich gemacht und gegeneinander abgegrenzt. Aber auch dort, wo es gewünscht ist, wird für die entsprechenden Überschneidungen gesorgt.

Eine spannende Geschichte, die viele Informationen transportiert und zum Nachdenken anregt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.08.2015
Mörderische Angst / Kate Burkholder Bd.6
Castillo, Linda

Mörderische Angst / Kate Burkholder Bd.6


ausgezeichnet

Kate Burkholder ist zurück. Die Polizeichefin mit den amischen Wurzeln ermittelt wieder in der fiktiven Kleinstadt Painters Mill, Ohio, mitten im Herz des Amisch-Country. Und offenbar findet die amerikanische Autorin Linda Castillo im nunmehr sechsten Band der Reihe „Mörderische Angst“ zu alter Stärke zurück, denn sie liefert nicht nur einen spannenden Kriminalroman sondern auch das atmosphärisch dichte Porträt einer Amisch-Gemeinde ab, in der ein lange zurückliegendes Verbrechen seine Auswirkungen bis in die Gegenwart zeigt.

Ende der siebziger Jahre läuft ein Raubüberfall auf der Farm des Kunstschreiners William Hochstetler völlig aus dem Ruder. Drei maskierte Männer dringen nachts in das Haus ein, und als sie die vermuteten Reichtümer nicht finden, drehen sie komplett durch. Der Vater wird erschossen, die Mutter verschleppt und die Kinder im Keller eingesperrt. Einzig Billy, der älteste Sohn der Hochstetlers, kann aus dem Keller entkommen, um Hilfe zu holen. Aber kaum ist er ein paar Meter von dem Haus entfernt, geht dies in Flammen auf und brennt bis auf die Grundmauern nieder. Jede Hilfe kommt zu spät, und Billys drei Geschwister kommen in dem Feuer um.

Fünfunddreißig Jahre später sind die Schuldigen noch immer nicht gefunden. Aber es scheint, als ob jemand genau über die Ereignisse der besagten Nacht Bescheid weiß und auch die Täter kennt, denn wohlangesehene Bürger der Gemeinde erhalten plötzlich Drohbriefe, die sie mit dem Verbrechen in Zusammenhang bringen. Als der erste Tote auftaucht, beginnt Kate Burkholder zu ermitteln.

Schuld und Sühne, Rache und Vergeltung, das sind die Triebfedern, die Täter und Opfer in Linda Castillos „Mörderische Angst“ antreiben. Und dabei geht es nicht nur um die Beteiligten an der Ermordung der Hochstetlers. Auch Tomasetti, Chief Burkholders Lebensgefährte, kämpft mit Dämonen aus seiner Vergangenheit und bewegt sich, blind vor Rachegedanken, auf einem schmalen Grat. Und auch das Wertesystem und die Moralvorstellungen der Amisch geraten auf den Prüfstand.

„Mörderische Angst“ ist von Anfang bis Ende ein hochspannender Kriminalroman, auch wenn der erfahrene Krimileser recht bald vermuten kann, wohin der Hase läuft. Die Auflösung des Falles ist eher nebensächlich, wesentlich interessanter ist die Art und Weise, wie der Wunsch nach Rache Einfluss auf die Moral der Beteiligten nimmt und schlussendlich Persönlichkeiten zerstört.

Wir dürfen uns auf weitere Fälle mit Kate Burkholder in Painters Mill freuen, denn Band 7 der Reihe „After the Storm“ ist im Original bereits erschienen.

Bewertung vom 25.08.2015
Drive-In
Lansdale, Joe R

Drive-In


sehr gut

Der Amerikaner Joe R. Lansdale ist ein vielseitiger Autor. Neben seinen Coming-of-Age Romanen hat er sowohl Krimis als auch Western, Fantasy, Sciene Fiction und Horrorromane geschrieben. Zu letzterer Gattung kann man auch die Ende der Neunziger erschienenen Romane der Drive-In Trilogie zählen, bei denen er ohne Frage dystopische Elemente mit einer gehörigen Portion Pulp und Splatter vermischt. Dazu kommt noch wie immer die typische Portion trockener Lansdale-Humor. Neugierig geworden? Wer einen Überblick über die verschiedenen Schaffensgebiete des Autors bekommen möchte, sollte die Drive-In Trilogie unbedingt lesen, wer Lansdale wegen seiner Thriller schätzt, wird hier nur bedingt bedient.

Handlungsort ist Texas, wie üblich für Lansdale, und dort ein riesiges Autokino, das Platz für die gesamte Bevölkerung einer Kleinstadt bietet. Jeden Freitag „from dusk til dawn“ gibt es dort einen Horrorfilm-Marathon, der zahlreiche Besucher anzieht. Aber als bei einer dieser Aufführungen plötzlich ein roter Komet am Himmel auftaucht, wird eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, die die wildesten Phantasien der Kinogänger bei weitem übertreffen. Schwärze legt sich über die Menschen, es gibt kein Entkommen, und bald wird die Verunsicherung von Gewalt in ihren schlimmsten Formen abgelöst. Und über allem wacht der Popcorn-King…

Wege gaukeln die Möglichkeit des Entkommens vor, führen aber nur scheinbar in die Freiheit. Das muss zu seinem Entsetzen auch Jack, der Chronist der Ereignisse feststellen, der mit zwei Freunden einen Ausweg sucht, aber am Ende des Roadtrips feststellen muss, dass er wieder am Ausgangspunkt angelangt ist. Und auch die Welt außerhalb des Drive-In ist gefährlich und bevölkert von grausigen Kreaturen, wobei es fast schon vermessen ist, diese Postapokalypse als Lebensraum zu bezeichnen, denn
Anarchie und Gewalt herrscht allenthalben.

Lansdales Drive-In ist die Hommage an das Autokino, ein Freizeitvergnügen, das mit Sicherheit Generationen seiner Landsleute durch die Jahre begleitet hat, die typische Plattform für B-Movie Vorführungen. Und genau diese Inhalte transportiert die Trilogie mit ihren Gewaltexzessen und dem Blut, das aus jeder Seite tropft. Pulp und Popcorn at it’s best, aber mit Sicherheit nicht für jeden Leser.

Bewertung vom 13.08.2015
Südlich vom Himmel
Thompson, Jim

Südlich vom Himmel


ausgezeichnet

Der amerikanische Autor Jim Thompson stand Zeit seines Lebens auf Seiten der Verlierer, für die der „american dream“ nur eine schöne Illusion war. Geboren und aufgewachsen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, als die amerikanische Wirtschaft am Boden lag und die Menschen jeden Job annahmen, der ihnen ein Auskommen sicherte, verdingte er sich schon früh als Arbeiter auf den texanischen Ölfeldern, die auch den Hintergrund für seinen 1967 im Original erschienen Roman „South of heaven“ bilden, der dank Heyne Hardcore nun endlich in der gelungenen Übersetzung von Peter Torberg vorliegt.

Die Männer werden von den Ölgesellschaften bis zur völligen Erschöpfung ausgebeutet. Die Entlohnung ist schlecht, ein Menschenleben zählt nichts. Den Vorarbeitern völlig ausgeliefert, verrichtet jeder seinen Job bis zur völligen Erschöpfung und ist auf das eigene Überleben fokussiert, denn tödliche Unfälle sind auf der Tagesordnung. Mitgefühl gibt es nicht, Brutalität bestimmt den Alltag. Mit Himmel hat das nichts zu tun, es ist die Hölle auf Erden.

Das ist die Welt, in die der junge Tommy Burwell eintaucht, als er auf den Ölfeldern anheuert. Unterstützung findet er bei Four Trey Whitey, den er bereits aus anderen Camps kennt. Dieser ist ein Entwurzelter, hat er doch mit dem Tod seiner Frau das einzige verloren, das seinem Leben Sinn gab. Tommy hingegen bewahrt sich selbst unter diesen katastrophalen Lebensbedingungen seine Menschlichkeit und seine Gefühle. Und von diesen entwickelt er eine ganze Menge, als er Carol kennenlernt, die in ihrem Trailer am Rande des Camps haust, und zu der die Männer am Zahltag einen Großteil ihres Lohns tragen. Aber da sind auch noch Carols Brüder, und diese haben einen Plan…

Die Lebensbedingungen der Arbeiter, die der Autor in „Südlich vom Himmel“ beschreibt, könnten auch aus einer Sozialreportage stammen. Thompson ergreift mit seinen Schilderungen Partei für die Geschundenen, die Rechtlosen, zeigt aber auch völlig desillusioniert auf, dass es für sie kaum ein Entkommen aus diesem Leben gibt. Was bleibt, und das ist in diesem Roman untypisch für den Autor, ist die Hoffnung auf ein kleines Stückchen privates Glück.

Jim Thompsons „Südlich vom Himmel“ ist ein Buch, dem ich viele Leser wünsche. Nachdrücklich und uneingeschränkt empfohlen!

Bewertung vom 12.08.2015
Provokateure / Bruno, Chef de police Bd.7
Walker, Martin

Provokateure / Bruno, Chef de police Bd.7


gut

In Saint-Denis, dem malerischer Flecken im Vérzère-Tal, ist die Welt noch in Ordnung, zumindest solange niemand von außerhalb die dörfliche Idylle stört. Dort wacht Bruno Courreges, der Chef de Police, über die Sicherheit der Einwohner. Aber in seinem neuesten Fall muss er feststellen, dass die aktuelle Weltpolitik ihre Schatten auch auf diese Insel der Glückseligen wirft.

In „Provokateure“, dem siebten Band der Reihe, muss sich Bruno gleich mit drei Fällen auseinandersetzen. Zum einen ist da die männliche Leiche, die des Nachts in einem Waldstück nahe Saint-Denis aufgefunden wird. Zwar hat man diese in ein Auto verfrachtet, das anschließend in Brand gesetzt wurde, um alle Spuren zu beseitigen, aber bei der Obduktion stellt sich schnell heraus, dass das Opfer vor Eintritt des Todes massiv gefoltert wurde. Und auch die Identität klärt sich rasch, es ist ein Undercover-Agent, Bruno nicht unbekannt. Aber welche brisanten Geheimnisse gibt es schon in Saint-Denis zu entdecken?

Dann ist da noch Sami, der verschwundene muslimische Junge aus dem Städtchen, der fern der Heimat auf einem französischen Stützpunkt am Hindukusch auftaucht, desorientiert und offenbar misshandelt, der sich eigentlich in Toulouse aufhalten sollte. Da er seine Bekanntschaft mit Bruno erwähnt, setzt diesen ein ehemaliger Kamerad, der dort seinen Dienst ableistet, davon per Mail in Kenntnis. Was bringt einen autistischen Jugendlichen nach Afghanistan?

Und wenn das alles noch nicht genug wäre, ist da noch der Anwaltsbrief aus Paris, der der Gemeinde einen stattlichen Geldbetrag in Aussicht stellt. Jüdische Überlebende, die während des Zweiten Weltkriegs in Saint-Denis vor den Nazi-Schergen versteckt wurden, haben aus Dankbarkeit den Ort mit einer größeren Summe bedacht. Allerdings mit der Auflage, dort ein Gedenkzentrum einzurichten, und natürlich muss der wackere Dorfpolizist die Richtigkeit dessen Angaben zuerst überprüfen.

Eine Menge Stoff für einen einzigen Kriminalroman, viel zu viel. Vor allem dann, wenn auch das Privatleben des Protagonisten d.h. seine Frauengeschichten noch beträchtlichen Raum einnehmen. Und gerade letzteres Thema ist mittlerweile nach sieben Bänden dann doch etwas überstrapaziert. Über diese Verwicklungen im privaten Bereich, dieses ewige Hin und her, möchte man nun wirklich nichts mehr lesen. Wenn dann noch der Dorfpolizist, mit einer natürlich wunderschönen FBI-Agentin an seiner Seite, zum Superagenten à la James Bond mutiert, wird es dann völlig unglaubwürdig.

Wenn ein englischer Historiker und Wahlfranzose sich Themen wie die Radikalisierung junger Muslime in Frankreich vornimmt, hätte ich mir doch eine etwas differenziertere Betrachtungsweise gewünscht. Hier hat sich der Autor eindeutig verhoben, zumal seine Aussagen, gerade unter dem Eindruck der aktuellen politischen Ereignisse in Frankreich, sehr simpel schwarz-weiß gemalt daherkommen.

Zumindest in Ansätzen wird die Geschichte wie immer durch Walkers‘ Beschreibungen des französischen Savoir-Vivre gerettet, die diesen Landstrich und seine Bewohner in gewohnt liebenswürdiger Weise darstellen.

Bewertung vom 12.08.2015
Tod zwischen den Zeilen / Commissario Brunetti Bd.23  (Restauflage)
Leon, Donna

Tod zwischen den Zeilen / Commissario Brunetti Bd.23 (Restauflage)


weniger gut

Donna Leon, in Venedig heimische Amerikanerin, scheint offenbar altersmilde zu werden. Wie sonst lässt es sich erklären, dass sich nicht nur „Tod zwischen den Zeilen“ (Nr. 23 in der Brunetti-Reihe, kürzlich in der deutschen Übersetzung erschienen) sondern auch „Falling in Love“ (Nr. 24 im Original) im Wesentlichen, neben dem für einen Kriminalroman natürlich unvermeidlichen Mordfall, mit den „Schönen Künsten“ beschäftigt. Kritisches zu den gesellschaftlichen und politischen Zuständen in ihrer Wahlheimat, wie wir es aus den früheren Werken der Autorin kennen, fehlt völlig. Stattdessen widmet sie sich unbezahlbaren Erstausgaben und Opernpartituren. Und auch das Familienleben des Commissario birgt keinerlei Überraschungen mehr, die Kinder gehen ihrer eigenen Wege und Paolo liest, wie hinlänglich bekannt, in jeder freien Minute Henry James. Auch beruflich ist alles gesagt: Patta ist und bleibt der unfähige Vorgesetzte, der sich lediglich um seine gesellschaftliche Reputation kümmert, Signora Elettra beschafft auf nicht immer legalem Weg Informationen und Vianello bleibt der treue Knappe, der seinen Vorgesetzten mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bei den Ermittlungen im aktuellen Fall unterstützt. Also auf breiter Front keine Weiterentwicklung der Personen.

In der Biblioteca Merula stellen die Angestellten fest, dass aus wertvollen antiquarischen Büchern fein säuberlich Seiten herausgetrennt wurden. Bei der Überprüfung des Bestandes stellen sie außerdem fest, dass diverse unbezahlbare Folianten spurlos verschwunden sind. In Verdacht gerät ein Amerikaner, der sich über einen längeren Zeitraum täglich in der Bibliothek aufhielt, nun aber nicht mehr auffindbar ist. Dann wird ein Geistlicher, der ebenfalls regelmäßig zu Studienzwecken in den Leseräumen anzutreffen war, ermordet aufgefunden. Brunettis Nachforschungen ergeben, dass dieser Priester kein unbeschriebenes Blatt war. Im Wesentlichen stützt er sich auf die Aussagen dessen nächsten Angehörigen, der seinen Bruder als Lügner, Dieb und Verführer bezeichnet. Soweit, so gut – das war es dann auch schon. Noch etwas hin und her, und schon ist der Fall aufgeklärt, dessen Lösung sich dem erfahrenen Leser bereits von Beginn an aufdrängt.

So bleibt „Tod zwischen den Zeilen“ nur eine einfache Geschichte ohne Biss, die keinerlei Überraschungsmomente bereithält. Enttäuschend, weil man weiß, dass Donna Leon durchaus in der Lage ist bzw. war, raffinierte Kriminalromane mit Seitenhieben auf ihre italienische Wahlheimat zu schreiben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.08.2015
Das weiße Krokodil
Medina, K. T.

Das weiße Krokodil


ausgezeichnet

Die englische Autorin K. T. Medina kennt Kambodscha, den Handlungsort ihres ersten Thrillers, aus eigener Anschauung, da sie dort nach ihrem Abschied aus der britischen Armee für diverse Hilfsorganisationen tätig war. Deshalb darf man davon ausgehen, dass sich ihre Schilderungen von Land und Leuten nahe an der Realität bewegen. Und diese mögen für den einen oder anderen Leser ein gewisses exotisches Flair haben, was aber den vorherrschenden Eindruck eines geschundenen Landes, das sich noch immer nicht von der Terrorherrschaft der Roten Khmer in den Neunzigern erholt hat, nicht zu überdecken vermag. Noch immer erinnern die „Killing Fields“ an die Ermordung von abertausend Unschuldigen, und in den Straßen erkennt man an den fehlenden Gliedmaßen diejenigen, die die Explosion einer Landmine überlebt haben. Und noch immer sind internationale, gemeinnützige Bomben-Räumkommandos im Einsatz, um die verminten Landstriche sicher zu machen. Eine lebensgefährliche Arbeit, die immer wieder Todesopfer fordert.

Das muss auch Tess Hardy erfahren, Hauptfigur in Medinas Thriller „Das weiße Krokodil“, die sich von ihrem gewalttätigen Ehemann Luke trennt. Abstand tut not, und so macht sich Luke auf den Weg nach Kambodscha. Hin und wieder meldet er sich bei seiner Ex-Frau, die in England geblieben ist und sich trotz Trennung um ihn sorgt. Ein Telefonat, das Tess kurz vor seinem Tode mit ihm führt, macht sie misstrauisch. Angst ist in seiner Stimme zu hören, etwas gänzlich Untypisches für Luke. Ihre Sorge ist berechtigt, denn kurz darauf wird er bei einem Einsatz von einer Mine in Stücke gerissen.

Um Licht ins Dunkel zu bringen reist Tess nach Battambang, setzt aber ihre Teamkollegen nicht davon in Kenntnis, dass sie Einzelheiten zu Lukes Tod erfahren möchte, was sich allerdings als äußerst schwierig erweist. Für die einen war es ein unglückseliger Unfall, für die anderen, die Einheimischen, hat ihn das weiße Krokodil geholt, dieses mysteriöse Wesen, das den Tod bringt.

Aber Luke soll nicht der einzige Tote bleiben, denn auch aus den umliegenden Dörfern verschwinden immer wieder blutjunge Frauen, die vor kurzem entbunden haben. Und es dauert nicht lange, bis man ihre grässlich misshandelten Leichname findet, aber die Säuglinge sind und bleiben verschwunden…

Es ist eine bemerkenswerte Frauenfigur, die K. T. Medina ins Zentrum ihres Thrillers stellt: sie ist klug, mental stark und unabhängig. Und obwohl sie auch mit Dämonen aus der Vergangenheit zu kämpfen hat, lässt sie sich in ihrem Vorhaben nicht beirren, die Wahrheit herauszufinden.

Eine tolle Hauptfigur, ein außergewöhnliches Setting und eine spannende Story – kurz und gut: ein gelungenes Debüt!

Bewertung vom 02.08.2015
Reise ohne Landkarten
Greene, Graham

Reise ohne Landkarten


ausgezeichnet

In den Zeiten von Navigationsgeräten, GPS und entsprechenden Smartphone-Apps kann man es sich kaum vorstellen, eine Reise ohne diese Hilfsmittel zu unternehmen. Und wenn diese schon nicht verfügbar sind, gibt es ja immer noch Landkarten, mit deren Hilfe man sich orientieren kann. All dies hatte der englische Romancier Graham Greene nicht zur Verfügung, als er im Jahr 1935 gemeinsam mit seiner Cousine Barbara aufbricht, um Liberia zu Fuß zu durchqueren. Westafrika ist zu diesem Zeitpunkt höchst unzureichend kartographiert, sodass diese Reise ein höchst abenteuerliches Unterfangen darstellt, zumal es auf einer der beiden verfügbaren Karten als weißer Fleck gekennzeichnet, auf der anderen quer mit „Kannibalen“ beschriftet ist.

Über die Motivation für diesen Trip ins Unbekannte mag man spekulieren. Einerseits ist es sicher die Faszination einer Reise zu den Ursprüngen der Zivilisation, wie bereits Jahrzehnte zuvor von Joseph Conrad beschrieben, denen Greene erliegt. Es ist die Frage nach dem „Woher?“ und „Wohin?“ der westlichen Gesellschaften, und somit schlussendlich auch eine Pilgerreise zum Innersten, zum Unbewussten des Menschen.

Das Reisetempo ist verglichen mit heutiger Zeit eher gemächlich, die Anfahrt per Schiff bietet einen sanften Übergang, und nach der Ankunft in Sierra Leone gilt es zuerst einmal eine größere Anzahl Träger zu verpflichten. Diese schultern nicht nur das Gepäck, sondern ab und an auch Greene und seine Cousine, ein Umstand, der im Hinterkopf des Lesers „Kolonialismus“ aufblinken lässt. Aber man muss diesen Reisebericht natürlich im zeitlichen Kontext sehen, und damals war dies natürlich absolut üblich (heutzutage gibt es das bei Everest-Expeditionen schließlich auch noch).

Greene gibt im Wesentlichen seine persönlichen Eindrücke und Erlebnisse wider, beschreibt die Natur, aber auch die Menschen, die ihm auf seinen Wegen begegnen. Politische Kommentare sind eher selten, aber wenn er diese dann einflicht, schimmern schon das eine oder andere Mal Töne durch, die man so heute nicht mehr lesen möchte. Man muss sich bei der Lektüre immer vor Augen halten, dass Greenes „Reise ohne Landkarten“ nicht nur ein autobiographischer Reisebericht sondern auch ein Zeitzeugnis ist, und als solches ist es natürlich äußerst interessant und spannend.

Bewertung vom 02.08.2015
Unter Brüdern
Dexter, Pete

Unter Brüdern


ausgezeichnet

Handlungsort von Pete Dexters neuem Roman „Unter Brüdern“ ist Philadelphia, die Metropole im amerikanischen Osten, die den Beinamen „City of Brotherly Love“ trägt. Und „Brotherly Love“ ist auch der amerikanische Titel dieses Buches, das im Original bereits 1991 erschienen ist, aber erst jetzt in der deutschen Ausgabe vorliegt. An dieser Stelle muss ausdrücklich der Übersetzer Götz Pommer erwähnt werden, der hier sehr gute Arbeit abliefert.

Es sind zwei große Themen, die der Autor im Visier hat und die den Roman bestimmen: einerseits werden individuelle Schicksale betrachtet, andererseits aber auch die Seilschaften und kriminellen Organisationen rund um die amerikanische Gewerkschaftsbewegung in Philadelphia. Der Handlungszeitraum liegt zwischen 1961 und 1986, die Hauptfigur ist Peter Flood, Sohn eines irischen Gewerkschaftlers.

Ein kurzer Einschub zu den Themen „Iren“ und „Gewerkschaften“ in den sechziger Jahren in Philadelphia, wahrscheinlich auf jede amerikanische Großstadt an der Ostküste anwendbar. Italiener und Iren haben die Stadt unter sich aufgeteilt, wobei der Einflussbereich der ersteren die Straßen sind. Die Iren hingegen kontrollieren die Gewerkschaften und deren Mitglieder, und hier ist jede Menge Geld im Spiel. Rivalitäten und Machtkämpfe sind an der Tagesordnung, und manchmal verschwindet jemand, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Diese Erfahrung muss Peter machen, dessen Familie nach einem Unfall, der den Tod seiner kleinen Schwester zur Folge hat, auseinanderbricht. Seine Mutter verfällt zunehmend in Depressionen und verschwindet, ebenso sein Vater, nachdem er den Unfallverursacher zur Rede gestellt und getötet hat. Allein auf sich gestellt, nimmt die Familie seines Onkels Phil ihn auf. Deren Sohn Michael ist im gleichen Alter, und so wachsen die beiden Jungen wie Brüder auf, was der Onkel immer wieder betont.

Mit der Familie ist das so eine Sache, einerseits ist Peter natürlich froh, dass sich jemand um ihn kümmert, andererseits hegt er aber den Verdacht, dass sein Onkel nicht ganz unschuldig an dem Tod seines Vaters ist. Und seinen großmäuligen Cousin mag er überhaupt nicht. Nach außen hin gibt Peters Verhalten keinen Grund zur Klage, aber er fühlt sich noch immer für den Tod seiner Schwester verantwortlich, auf die er hätte achten müssen. Die Bilder des Unfalls verfolgen ihn, ihr Schweben durch die Luft, und schließlich der tödliche Aufprall. Durch Sprünge in Basejumper-Manier, ohne Netz und doppelten Boden, stellt er für sich die Situation immer wieder nach. Ihm geschieht nichts, es gibt keine ernsthaften Verletzungen. Diese lauern in seinem Innersten, und so zieht er sich immer mehr in sich zurück, fühlt sich einsam und verloren. Und daran ändert auch der Lauf der Jahre nichts.

Natürlich unterstützt er seinen Onkel bei dessen Geschäften, und als dieser schließlich gewaltsam ums Leben kommt, gilt seine Loyalität seinem Cousin Michael. Obwohl er ein zutiefst moralischer Mensch mit einem ausgeprägten Gefühl für Richtig und Falsch ist, macht er sich die Hände schmutzig. Und ahnt, dass es ein böses Ende nehmen wird – was so auch eintrifft, wie man bereits aus der Anfangssequenz weiß.

Pete Dexter schildert Peters Geschichte vom Erwachsenwerden. Die Sprache ist nüchtern, der Stil klar und die Ereignisse werden sachlich geschildert. Aber unter der Oberfläche toben die Emotionen, sowohl bei Dexters Protagonisten als auch bei dem Leser. „Unter Brüdern“ ist ein aufwühlender, ein gnadenlos guter Roman, der mitten ins Herz trifft.