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Bibliomarie

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Insgesamt 1032 Bewertungen
Bewertung vom 22.08.2016
Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens  (Restauflage)
Stradal, J. Ryan

Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens (Restauflage)


gut

Eva Thorwalds erste Lebenswochen sind von Katastrophen überschattet, auch wenn sie selbst nichts davon ahnt. Ihre Mutter verlässt das Neugeborene und ihren Mann Lars, weil sie sich ein anderes Leben erhoffte. Ihr Vater stirbt nur wenige Wochen später an einem Herzinfarkt. Eva wächst bei Onkel und Tante auf, liebevoll aufgenommen, ahnt sie nicht, dass sie nicht das leibliche Kind der Eltern ist.
Zwar ist Eva die Hauptperson dieses Buches, aber sie ist nicht immer präsent. Nachdem wir in den ersten Kapiteln Eva schlimme Schulzeit und ihre beginnende Leidenschaft für Geschmack, Gerüche und alles was mit Kochen zu tun hat, miterlebt haben, wendet sich die Geschichte anderen Menschen zu.
Vielleicht passt der Vergleich mit einem Baum, Eva bleibt der Stamm, während der Autor kleinere Äste, Zweige und Blätter erkundet. Aber alles ist mit dem Baum, mit Eva, verbunden. Eva bleibt so immer präsent, auch wenn wir sie oft aus anderen Blickwinkeln sehen.
Die Geschichte ist vielschichtig, der Autor ein Erzähler, der ganz in die Rollen seiner Protagonisten schlüpft und darin aufgeht. Man muss sich auf dieses überbordende Erzählen einlassen, nicht nach einer stringenten Handlung suchen, nur dann kann man das Buch mit allen Sinnen genießen.
Ich weiß nicht, ob es mir ganz gelungen ist. Mir hat der Stil, die Sprache und die Idee des Handlungsgerüsts gefallen, trotzdem hatte ich immer das Gefühl: mir fehlt hier etwas, ohne das ich es genau benennen könnte.

Das offene Ende dagegen hat mir gefallen, so bleibt noch Platz für das Weiterspinnen der Geschichte.

Das typische Diogenes Cover ist ein gelungen und passt wunderbar zum Buch

Bewertung vom 14.08.2016
Ab heute seh ich bunt
Szillat, Antje

Ab heute seh ich bunt


sehr gut

Charlotte lebt ein gutsituiertes Leben in Bremen, Sohn Jonas steht kurz vor dem Abitur und möchte dann einen längeren Auslandsaufenthalt machen. Das wäre doch die Gelegenheit, dass sie auch eine kleine Auszeit vom Alltag nimmt. Ihre Freundin hat in der Toskana ein Gästehaus übernommen und Charlotte will ihr nur allzu gern in der Anfangsphase unter die Arme greifen.

Ihr Ehemann Peter sieht das naturgemäß anders, er ist an Charlotte gewöhnt, die ihm alles abnimmt und die Bequemlichkeit möchte er nicht missen. Die Familie sieht alles als Selbstverständlichkeit an und die eigenen Wünsche und Träume werden so oft zurückgestellt, bis sie nicht mehr wahrgenommen werden. Das er schon lange nicht mehr über ihre Bedürfnisse nachdenkt, zeigt nur in welche Gleichgültigkeit in der Ehe herrscht.

Aber es sollte alles etwas anders kommen. In der Toskana steht längst nicht alles zum Besten, Sohn Jonas schmeißt seine Pläne um und der tyrannische Schwiegervater braucht plötzlich Pflege. Und da ist dann auch noch Ben, Charlottes große erste Liebe, der plötzlich wieder auftaucht und Charlotte ganz schön durcheinander wirbelt.

Das Buch ist köstlich zu lesen, beste Unterhaltung, leicht, aber immer auch mit viel Lebenserfahrung. Das manchmal die typischen Klischees zitiert werden, tut dem Roman keinen Abbruch. Mit Charlotte kann man sich identifizieren, grade wenn man der gleichen Altersgruppe angehört. Die Liebeswirren machen Laune, vor allem da man sicher ist, dass sich alles im Happy End auflöst. Dazu ein Landhaus in der Toskana, italienisches Lebensgefühl, Romantik pur, was möchte die Leserin mehr.

Ab heute sehe ich bunt ist ein Roman, der von der ersten Seite an Lesespaß bietet und mit einem flotten, humorvollen Ton überzeugt und der das Thema „Neue Liebe in den besten Jahren“ nett variiert.

Bewertung vom 12.08.2016
Interview mit einem Mörder / Max Broll Krimi Bd.4
Aichner, Bernhard

Interview mit einem Mörder / Max Broll Krimi Bd.4


sehr gut

Es hätte ein entspannter Tag werden sollen. Baroni, der Ex-Fußballprofi, eröffnet seinen Würstelstand und alles läuft prima. Doch dann fällt ein Schuss, Baroni wird getroffen. Nur Max hat den Schützen gesehen, Konrad Maria Fink, ein älterer Tourist aus Deutschland, ist nach seiner Überzeugung der Schütze. Aber warum sollte er Baroni töten wollen, der biedere, ja schon spießige Mann. Niemand schenkt Max Broll glauben, er beschließt Fink nicht mehr aus den Augen zu lassen und folgt im Schritt auf Schritt. Die Reise geht mit dem Zug nach Italien und dort auf ein Kreuzfahrtschiff. Auch da gibt es Tote durch Finks Hand – oder bildet sich Max Broll das nur ein? Ein hohes Tempo, ein rasanter Plot, ein Psychoduell zwischen Verdächtigem und Spürhund bestimmt den Handlungsverlauf.
Der Roman ließ mich fast bis zum Schluss im Unklaren: Serienmörder oder Wahnvorstellung. Für beide Thesen gibt es schlüssige Hinweise, das machte für mich einen großen Teil der Spannung aus. Auch die Psychospielchen zwischen Fink und Broll und die inneren Dialoge die Broll mit dem komatösen Baroni führt, haben mich fasziniert. Diese sehr kurz und knapp gehaltenen Dialoge zwingen zu aufmerksamen lesen, denn sie geben viel vom Innenleben des Totengräber Max Broll preis. Ich denke, dass dieser Roman die Leser polarisiert. Mir haben diese Katz und Maus Spiele gut gefallen, aber ich kann mir auch vorstellen, dass manche die Geduld verlieren. Die eingebettete Liebesgeschichte brachte zusätzlich Dynamik in die Handlung, war für meinen Geschmack aber fast zu romantisch angelegt.
Ein nicht alltäglicher Krimi auf den man sich einlassen sollte. ich werde ihn sicher ein zweites Mal lesen.

Bewertung vom 09.08.2016
Bühlerhöhe
Glaser, Brigitte

Bühlerhöhe


ausgezeichnet

Brigitte Glaser kann nicht nur Krimi! Mit „Bühlerhöhe“ hat sie einen Roman geschrieben, der spannend und realistisch ist, dabei auch Zeitgeschichte kenntnisreich und gut recherchiert vermittelt.

„ Die Weltgeschichte klopft bei jedem an, doch als Torwächter herrscht immer der Zufall.“

Das renommierte Hotel im Schwarzwald war Anfang der 50iger Jahre Urlaubsdomizil für Kanzler Adenauer, dort erholte er sich, traf aber auch immer wieder mit Politikern und Wirtschaftsbossen zusammen. Jetzt will er auch die letzten Zweifel für das Wiedergutmachungsgesetz ausräumen, die dem jungen Staat Israel finanzielle Entschädigung zusichert. Das passt nicht jedem, weder in der jungen Bundesrepublik, in der die Anschauungen der Nazi noch sehr lebendig sind, noch in Israel. Zwar ist der neu gegründete Staat Israel dringend auf die deutschen Gelder angewiesen, aber es gibt genug Israelis, die auf keinen Fall Blutgeld annehmen wollen. Der Mossad fürchtet ein Attentat auf Adenauer und damit das Scheitern des Gesetzes. Deshalb schickt er die junge Rosa Silbermann in den Schwarzwald. Rosa , eine junge überzeugte Kibbuznik, stammt aus Deutschland, kennt die Bühlerhöhe aus Kinderzeiten, ist also prädestiniert undercover eine Auge auf die Vorgänge zu haben.

In bin in unsere jüngere Vergangenheit eingetaucht, als ob ich dabei gewesen wäre. So lebendig und so nah ist mir Geschichte nicht oft gekommen. Sicher liegt es an am erzählerischen Talent von Brigitte Glaser und wie sie ihre Figuren entwickelt. Von der traumatisierten Schwarzwälder Bauerntochter, die die französischen Besatzer von ihrer übelsten Seite kennengelernt hat, bis hin zu Sophie Reisacher, die hartherzig und nur auf ihren Vorteil bedacht, jederzeit ihre Anschauung den Gegebenheiten anpasst. Dann Rosa Silbermann, Holocaustüberlebende, die in Israel ein neues Zuhause gefunden hat. Besonders die Frauenfiguren sind interessant und großartig dargestellt. Jede Figur ist plastisch und psychologisch vielschichtig beschrieben, fast bin ich versucht an echte Vorbilder zu glauben.
Ich bin begeistert, wie die Autorin die wahren Geschichten mit dem (fiktiven) Attentatsplan auf der Bühler Höhe verbindet und wie es ihr gelingt, die bundesdeutsche Stimmung der frühen Fünfziger Jahre einzufangen. Genau so lebendig wie sie die Aufbruchsstimmung des jungen Staates Israel schildert.

Dieses Buch habe ich in einem Zug gelesen und meine Fantasie lieferte mir fast kinoreife Bilder dazu, was sicher auch an der Sprache und dem Können von Brigitte Glaser liegt.

Bewertung vom 30.07.2016
Glitzer, Glamour, Wasserleiche
Kruse, Tatjana

Glitzer, Glamour, Wasserleiche


gut

Krimis – Opern – Tatjana Kruse.

Mit diesen drei Zutaten bin ich schon neugierig geworden. Ich liebe die Seifferheld-Serie und hatte wohl den ersten Band mit Pauline verpasst. Aber egal, auch ohne Vorkenntnisse wird man augenblicklich in das turbulente Geschehen hineingezogen.


Pauline Miller, die Opernsängerin mit fülliger Figur und blitzenden Augen ist eine Diva! Aber eine sympathische, auch wenn ihr Leben und ihre Umgebung recht chaotisch sind. Sie ist mit ihrer Entourage, bestehend aus einem Hippie-Papa, einem Chauffeur mit übergroßer Libido, einer kleinwüchsigen Agentin, einem Hundeenergetiker und seine Schwester und natürlich ihrem Hund Radames unterwegs. Dass es in diesem Haushalt manchmal drunter und drüber geht, versteht sich von selbst.

Aber dann ist Radames verschwunden, eine Lösegeldforderung trudelt ein und egal wie wichtig die Vorbereitung auf ihre Turandot bei den Bregenzer Opernfestspielen ist, ihr Hund ist wichtiger und so stürzt sich Pauline in den Fall. Pauline stolpert in ihre Ermittlungen und da sie meist erst handelt und dann denkt, sind die Resultate für den Leser immer sehr kurzweilig.
Dieses Buch ist weniger ein Krimi, auch wenn es eine Leiche gibt, über deren Auftauchen auch sehr witzig und anschaulich erzählt wird. (ich finde, es sind fast die besten Szenen im Buch) Es überwiegt der Komödienanteil. Situationskomik und unglaubliche viele absurd-witzige Einfälle jagen den Leser durch die Seiten. Auch wenn der Krimi in Akte eingeteilt ist, ein bisschen mehr Oper und etwas weniger Klamauk hätte es für mich schon sein dürfen.

Glitzer, Glamour, Wasserleiche ist eine spritzig – leichte Krimikomödie, genau die richtige frische Sommerunterhaltung mit vielen Einfällen und komischen Personen, dazu eine Hundepersönlichkeit, die jeder Hundefreund ganz schnell ins Herz schließt.

Bewertung vom 29.07.2016
Mit Flipflops ins Glück
Sachau, Matthias

Mit Flipflops ins Glück


sehr gut

Nina und Samy sind schon lange ein Paar. Seit der Schulzeit sind sie zusammen, sie leben anscheinend glücklich im Reihenhäuschen und das Leben geht seinen Gang und dass sie zusammen bleiben, scheint ausgemacht.
Bis ein ganz besonderes Jobangebot für Samy, den ausgewiesenen Computerexperten, eintrudelt. Eine Herausforderung in Sao Paulo. Aber möchte Nina wirklich mit? Ein fremdes Land dessen Sprache sie nicht spricht, was soll sie dort tun? Ein Probeaufenthalt soll es entscheiden. Während Samy die neue Firma besucht, sich mit Kollegen trifft, begeistert von der Herausforderung ist, läuft Nina verloren durch die Stadt, fühlt sich einsam und fast krank vor Zukunftsangst. Eine Begegnung mit einem Hotelgast und viele Bahnen im Hotelschwimmbad braucht sie, um ihre eigenen Wünsche und Sehnsüchte zu erkennen.
Nina und Samy in Sao Paulo und zwölf Jahre früher eine Klassenfahrt nach Sylt, wo Nina Gero aus Hamburg kennenlernt und sich verliebt. Doch Gero ist nach 3 Tagen abgereist und für Nina bleibt nur ein Zettel mit einer Telefonnummer und Samy, der sich liebevoll um sie kümmert, als sich die Nummer als falsch erweist. Aber Gero und Nina werden sich wieder begegnen.
Die Idee des Romans ist reizvoll, die Geschichte besteht aus zwei parallelen Handlungen die sich aufeinander zubewegen. Das ist wunderbar geschrieben, leicht wie eine Urlaubslektüre, aber nie flach oder zu vordergründig. Ich konnte mich immer wieder in beide, in Samy und Nina, hineinversetzen und ihre Sicht der Beziehung nachvollziehen. Was ist Liebe und was ist Glück? Reicht schon Geborgenheit, eine gemeinsames Haus und sichere Zukunft? Das sind elementare Fragen des Lebens, oder gibt es vielleicht noch etwas mehr, was man sich vom Leben wünscht und das nicht nur ein Satz zwischen Formeln im Moleskine-Notizbuch ist?
Mir gefällt der Stil, mir gefallen die Personen, auch die Beschreibung Sao Paulos lässt Fernweh aufkommen. Es ist ein amüsantes Buch mit Tiefgang, das man kaum aus der Hand legen mag, so sehr fiebert man Ninas Entscheidung entgegen.

Bewertung vom 25.07.2016
Die Nussknacker-Bande
Perkins, Lynne Rae

Die Nussknacker-Bande


sehr gut

Ein sehr schön gestaltetes Buch mit liebevoll, detailreichen kleinen Zeichnungen von Philip Waechter, das sich zum Selberlesen für 8-9jährige genauso eignet, wie zum Vorlesen in kleinen Gruppen.

DieEichhörnchen Jed, Chai und Tschk Tschk sind eine verschworene Gemeinschaft, als dann Jed von einem Habicht gepackt und weggetragen wird, zögern sie nicht, ihn zu suchen. Antreiberin ist die mutige Tschk Tschk. Auf ihrem Weg begegnen sie nicht nur anderen Eichhörnchen, großen Tieren wie dem Luchs, auch Menschenkinder kreuzen ihren Weg. Es ist ein großes Abenteuer, das sie zum Schluss zu Jed führt. Sie erkennen den Wert von Freundschaft, Treue, und dass eine Gemeinschaft auch stark machen kann um Ziele zu erreichen.

Das ist eine rundum gelungene Geschichte, die ich gern laut vorgelesen habe und nun im Kinderkreis reihum geht.
Auch als Erwachsene hatte ich an diesem - mit leichter Ironie - gespicktem Text Spaß. Die Kinder haben die Ironie nicht immer erkannt, aber amüsiert haben sie sich alle.
Sehr schön waren die kursiv gedruckten Erklärungen, wenn Chai oder Tschk Tschk über über Summpfade (Stromleitungen) erzählen. Diese Erklärungen wenden sich, genau wie die Fußnoten direkt an die Leser.

Einen Stern habe ich allerdings abgezogen, ich finde die umgangssprachlichen Einschübe nicht so gut, auch wenn sie hier ein Tier charakterisieren sollen. (Tschuldige, ne, nich, abern echt breiter Spalt.., was fürn Haufen.., wir sin nur...)
Gut, dass sie nicht so oft verwendet werden.

Mein Fazit: ein sehr schön gestaltetes Vor- und Selbstlesebuch, das ich gern im Kollegenkreis empfehle.

Bewertung vom 24.07.2016
Lügenmauer / Emma Vaughan Bd.1
Bierach, Barbara

Lügenmauer / Emma Vaughan Bd.1


sehr gut

Der Prolog spielt im Jahr 1964. Ein junges Mädchen wird vergewaltigt. Der Täter offensichtlich hochrangige Respektsperson. Der Leser erfährt keine Namen.
2004: ein Kleriker wird ermordet in seinem Haus gefunden. Man ist schnell mit politischen Schuldzuweisungen bei der Hand – politisch – Ira. Das passt bei ermordeten Katholiken meistens.
Emma, die ermittelnde Kommissarin hat kein so eingeengtes Weltbild, wie ihre machohaften, meist katholischen Kollegen. Geboren und aufgewachsen in den USA, Protestantin, alleinerziehend, ist sie nach der Trennung von ihrem irischen Ehemann im Land geblieben und verfolgt eisern ihre Karriere. Gegen alle Widerstände und Sticheleien. Für sie liegt der Fall nicht so eindeutig. Vor allem als sie Briefe findet, die eine persönliche Verwicklung nicht ausschließen. Es geht um gefallene Mädchen, ledige Mütter und deren Kinder.
Erst in diesem Jahrhundert wurde der üble, unmenschliche Umgang im katholisch-bigotten Irland mit diesen Fällen bekannt. In diesem Kreis bewegt sich auch dieser Kriminalroman. Bei dem Thema überkam mich öfters die blanke Wut und ich solidarisierte mich mit Emma.
Das Thema ist für einen Krimis ambitioniert, aber auch gut recherchiert und dargestellt. Der Sprache ist lebendig, gute Dialoge und treffende Charakterisierungen runden den Eindruck ab. Die Polizistin Emma ist die Hauptfigur, die das ganze Buch trägt und sehr sympathisch ist, ihre Handlungen wirken deshalb authentisch und nachvollziehbar. Die privat-persönlichen Probleme runden den Charakter ab und sind genau richtig dosiert.
Gut gefallen hat mir auch, wie das Land dargestellt wird. Die Atmosphäre, die durch den starken Einfluss der Kirche bestimmt ist, die immer noch überhöhte Wichtigkeit von Familie und Religion, auch wenn in den letzten Jahren sich das Land langsam ändert. Letztendlich zieht dieser Krimi aus dieser Konstellation seine Spannung und Brisanz.
Eine gute Unterhaltung mit Anspruch und einem Thema, das ganz besonders Leserinnen anspricht

Bewertung vom 22.07.2016
Baumgartner kann nicht vergessen
Kleindl, Reinhard

Baumgartner kann nicht vergessen


ausgezeichnet

Baumgartner kann nicht vergessen ist der dritte Band um den Kommissar. Aber keine Angst, auch ohne Vorkenntnisse findet man schnell ins Buch.
Baumgartner wurde nach seinem letzten Fall suspendiert, er hat sich nie regelkonform verhalten, aber der letzte Fall und sein Alkoholismus liefen vollends aus dem Ruder. Da rettete ihn nicht mal seine sensationelle Aufklärungsquote vor der Suspendierung.
Als nun in einer gefluteten Schottergrube ein Lieferwagen geborgen wird, in dessen Laderaum Tote gefunden wurden, wird dem Morddezernat schnell klar, wie wichtig jetzt ein Baumgartner wäre. Die Inspektorin Meier, eine sympathische Ermittlerin, hat es nicht leicht. Staatsanwalt Sonnleitner möchte ihr gern die Befugnisse beschneiden – er vertraut mehr auf alte männliche Seilschaften – und fordert eine politisch genehme schnelle Lösung.
Es liegt nahe, dass die Toten im Lieferwagen Flüchtlinge waren und von Schleppern abgeladen wurden, aber warum so spektakulär und was hat ein Einbruch in der Pathologie mit dem Fall zu tun?
Dieser Krimi ist nicht nur unglaublich spannend, er hat auch ein Thema, das aktueller und brisanter nicht sein könnte. Was passiert mit unserer Gesellschaft, wenn uns Not und Elend so nahe kommen und die breite Masse um ihren Wohlstand fürchtet. Schon längst hat der Zulauf zu den Rattenfänger-Parteien auch Auswirkungen auf den Staatsorgane. Wer auf seine Karriere oder Beförderung bedacht ist, wird seine Handlungen mehrmals überdenken. Es ist der gesellschaftspolitische Hintergrund, der diesen Krimi so besonders macht. Aber, und das ist wichtig, ohne erhobenen Zeigefinger und moralinsaure Einlassungen.
Die Gratwanderung einen spannenden Krimi zu schreiben und die Realität ungeschminkt darzustellen ist dem Autor Reinhard Kleindl bestens gelungen. Ich habe in letzter Zeit selten einen Krimi gelesen, dessen Plot mich so beeindruckt hat. Gelungene Charakterisierungen der Personen, treffende Dialoge und ein toller Schreibstil haben mir gefallen. Ich freue mich jedenfalls auf weitere Bücher des Autors mit den mir ans Herz gewachsenen Protagonisten und kann nur jedem Krimileser das Buch empfehlen.
Mit dem Cover und der angenehmen Haptik des Buches mit abgerundeten Buchecken rundet der Haymon Verlag den Gesamteindruck noch ab.

Bewertung vom 19.07.2016
Und damit fing es an
Tremain, Rose

Und damit fing es an


ausgezeichnet

….. weil er er war, weil ich ich war. (Montaigne)
Jedes Buch von Rose Tremain ist für mich etwas Besonderes. Ihre Geschichten sind leise, oft von einer stillen Traurigkeit umhüllt, aber immer liebe-und hoffnungsvoll. Ich kenne kaum eine andere Autorin, die es schafft mit wenigen Sätzen ein Leben, einen Charakter oder eine Situation lebendig werden zu lassen. Hier nur ein Satz, der das bestätigt: „………zaubert ein verstecktes Lächeln in das Vogelgesicht des Managers. Er sieht es gern, wenn Frauen sich bei schwerer Arbeit abmühen, es macht sie begehrenswert und gleichzeitig erbärmlich“. Hier sieht man den Charakter des Mannes schon allein durch diesen Satz bloßgelegt. Bei Rose Tremain genügen nur wenige Abschnitte und man taucht in das Leben der Protagonisten, steht an ihrer Seite, ob in Sympathie oder Abneigung.
Sehr gelungen fand ich auch die Schilderung der Schweiz in den Kriegs-und Nachkriegsjahren, der Makel der undurchlässigen Grenzen und die unterschwelligen Vorurteile der Schweizer Bürger und Behörden und den latent vorhandenen Antisemitismus.
Gustav wächst in der Schweiz späten 40iger Jahre heran, vom beginnenden Wohlstand ist bei ihm und der verbitterten Mutter nicht viel angekommen. Liebe und Geborgenheit sucht er bei Mutter Emilie Perle vergeblich, aber wie könnte sie ihm diese Gefühle geben, sie hat sie doch selbst nie erfahren, auch wenn sie sich bei Gustavs Vater kurze Zeit sich dieser Täuschung hingibt.
Dann gibt es den einen Augenblick im Leben Gustavs, der alles ändert: in der Vorschule wird ein weinender Junge zu ihm gesetzt, zwei kleine Außenseiter sollen sich gegenseitig stützen. Mit der Begegnung wird sich beginnt eine lebenslange Freundschaft.
Der erste Teil, der Gustavs Kindheit beschreibt ist melancholisch, aber der zweite Teil, der seinen Eltern gewidmet ist, ist tragisch. Beide suchen sie Liebe, aber sie finden sie nicht. Im Gegenteil, die Selbsttäuschung schlägt bei beiden Ehepartnern in Verachtung und Mitleid um. Der letzte Teil, schildert Anton und Gustav als Erwachsene, die beide an den seelischen Verletzungen ihrer Kindheit gewachsen sind.
Rose Tremain schildert ihre Geschichte mit unglaublicher Empathie für ihre Figuren, sie verurteilt sie nicht, sie ergreift keine Partei. Sie akzeptiert sie mit ihren Schwächen und Fehlern. Ihre Sprache ist feinsinnig, sensibel, nuanciert und reif. Obwohl es keine großen Ereignisse sind, die das Leben ihrer Hauptfiguren prägen, ist ein ganzer Kosmos von Schicksalen und Sehnsüchten enthalten. Dieses Buch lege ich nur ungern zur Seite, es lässt mich nicht so schnell los und die Geschichte klingt lange nach.
Für mich ist Rose Tremain eine der wichtigsten Stimmen der englischen Literatur und ich wünsche dem Buch viele begeisterte Leser.