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Mit seinen außergewöhnlich poetischen Konstruktionen,hintergründigen Wort- und Sprachschöpfungen,die er hoch konzentriert und mit großerVortragslust zum Hören brachte, hat sich OskarPastior nach seiner Flucht 1968 aus Rumänien nichtnur hierzulande in die Köpfe der Freunde experimentellerPoesie hinein gedichtet und hineingelesen. Hinter der großen Wertschätzung für denDichter Oskar Pastior - er wurde mit zwanzigLiteraturpreisen für sein poetisches Werk geehrt,darunter der ihm im Oktober 2006 posthum verlieheneGeorg-Büchner-Preis - sind seine Zeichnungennahezu in Vergessenheit geraten. Mit…mehr

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Produktbeschreibung
Mit seinen außergewöhnlich poetischen Konstruktionen,hintergründigen Wort- und Sprachschöpfungen,die er hoch konzentriert und mit großerVortragslust zum Hören brachte, hat sich OskarPastior nach seiner Flucht 1968 aus Rumänien nichtnur hierzulande in die Köpfe der Freunde experimentellerPoesie hinein gedichtet und hineingelesen. Hinter der großen Wertschätzung für denDichter Oskar Pastior - er wurde mit zwanzigLiteraturpreisen für sein poetisches Werk geehrt,darunter der ihm im Oktober 2006 posthum verlieheneGeorg-Büchner-Preis - sind seine Zeichnungennahezu in Vergessenheit geraten. Mit diesem Buchüber sein graphisches Werk verbindet die Autorinzugleich das Anliegen, seine »Zeichengebilde«wieder ins Blickfeld zu rücken und zu fragen, wie siemit seinen »Wortgebilden« verbunden sind. OskarPastior verstand seine Zeichnungen immer als vonseiner Dichtung nicht lösbares Werksegment. Seinüberraschend umfangreiches graphisches Werk mitvielfältigem Repertoire wirkt beim Betrachten wieeine Entdeckungsreise mit unbekanntem Ziel. Seine»vertrackt klaren rätselhaften Zeichnungen« (KlausRamm) beflügeln die Phantasie und verführen zumTagträumen in imaginierten Eigenwelten. Sinnkommt und geht durch die Hintertür, Bedeutungbleibt im Schwebezustand.Die Stadtplanerin und Stadtforscherin HeidedeBecker, die mit Oskar Pastior von 1973 bis 1985 in derClausewitzstraße 2 in Berlin in einer fünfköpfigenWohngemeinschaft lebte und mit Oskar Pastior biszu seinem Tod im Oktober 2006 in freundschaftlichemKontakt stand, gibt Einblicke in die PastiorscheBiographie, erläutert instruktiv und detailliert dieunterschiedlichen Phasen und Stationen in OskarPastiors graphischem Werk an Hand von 150 Abbildungenim laufenden Text, und präsentiert die mehrals 650 Zeichnungen, von denen die meisten Blätterim Deutschen Literaturarchiv Marbach aufbewahrtwerden, als Katalog samt Quellenangaben imAnhang. Mit umfangreicher Bibliographie undPersonenregister.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Oskar Pastior (1927-2006) war - so Thomas Kling - ein»Dichter und Sprachperformer«, der »Bild und Ton alsvereinigte Medien versteht und sie zu inszenieren weiß«.Geboren 1927 als Angehöriger der Deutschen Minderheit imsiebenbürgischen Hermannstadt (rumänisch Sibiu), wurdeOskar Pastior als siebzehnjähriger 1945 fur vier Jahre von denRussen zur Zwangsarbeit im Donbass deportiert. SeinSchicksal ist Thema des gemeinsam mit Herta Müller begonnenenRomans Atemschaukel. Pastiors erster Gedichtbanderschien 1964 in Bukarest. 1968 blieb er im Westen und lebteab 1969 als Lyriker und Übersetzer in Berlin. Zunehmendberühmt fur seine Sprachlust sowie seinen souveränen undeigensinnigen Umgang mit poetischen Regelwerken wurde er1993 als einziges deutsches Mitglied in die legendäre DichtergruppeOulipo berufen. Die Werkausgabe Oskar Pastiors istinzwischen auf sechs Bände angewachsen.

Dr. Ing. Heidede Becker, langjährigeMitarbeiterin am Deutschen Institut fürUrbanistik in Berlin, Mitherausgeberinder Zeitschrift Stadtbauwelt, Mitgliedder Deutschen Akademie für Städtebauund Landesplanung, ist heute freiberuflichtätig und lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Wie lange dauert für immer?
Sein Zeichnen war Hausaufgabe gegen die Selbstaufgabe. Über "Aubergine mit Scheibenwischer", den Band mit den Zeichnungen meines Freundes Oskar Pastior

Von Herta Müller

Das Gesagte ist nicht das Gezeigte. Das Gesagte umschreibt seinen Gegenstand, das Gezeigte nimmt ihn in die Hand? Wieweit es stimmt, weiß ich nicht. Oskar Pastior hat es gewusst. Ich habe ihn vieles gefragt, und wenn er darauf geantwortet hat, kamen ganze, lange Versuchsantworten, "Versuchsanordnungen" würde er sagen. Und diese trafen die Sachen zögerlich, aber genauer als jede kurze Sicherheit. Er ging, wie einer seiner Gedichtbände heißt, "Vom Sichersten ins Tausendste".

Wenn er zu seinem Schreiben befragt wurde, sagte er: "Etwas schwebt mir vor, das kommt aus der Physik: Die Holographie . . . Einen Text möglichst so zu machen, dass jeder Teil das Ganze enthält. Dort (auf der holographischen Bildplatte) ist ein Pferd zu sehen. Und dann nimmt man den Hammer und zerschlägt diese Platte, und plötzlich ist das Pferd auf jedem Splitter zu sehen. Also: Jeder Splitter enthält dann wieder das ganze Pferd."

Oskar Pastior redet hier vom Schreiben. Aber er bezieht sich nicht auf das Hintereinander der Wörter beim Schreiben, diese aufgefädelte Geduld des Klangs. Er benutzt das Wort "plötzlich" und das Wort "Hammer". Ein Werkzeug, ein Schlag und ein Tier. Ist das nicht schön, das Pferd wird nicht erschlagen, es zerbricht, bleibt aber auf jedem Splitter ganz.

Statt "holographische Bildplatte" könnte man biographische Bildplatte sagen. Denn Pastiors biographische Bildplatte wurde wahrlich mit dem Hammer zerschlagen: Im Januar 1945 wurde er, damals 17 Jahre alt, bei Dunkelheit und klirrendem Frost von einer Patrouille aus dem Elternhaus abgeholt. 80 000 Rumäniendeutsche wurden wegen der Kollektivschuld an Hitlers Verbrechen in sowjetische Arbeitslager deportiert. Die befanden sich im Kohlegebiet des Donezbeckens, in der heutigen Ukraine, da wo die Russen jetzt ihren Krieg führen. Der offizielle Auftrag der Deportierten hieß "Wiederaufbau".

Der Krieg war im Januar noch gar nicht zu Ende, die Soldaten noch gar nicht aus dem Krieg zurück. Die Deportierten waren allesamt in keinem Krieg, sondern griffbereit zu Hause, weil sie als Soldaten nicht in Frage kamen. Es waren Frauen oder Männer mit 17 zu jung, mit 45 zu alt für den Krieg. Fünf Jahre dauerte die Zwangsarbeit in der Deportation. Fünf Jahre "Haut-und-Knochen-Zeit", und "Nullpunkt der Existenz" wie Pastior sie nannte. Es war tägliche stundenlange Qual auf dem Appellplatz, Stillstehen mit dem Schaukeln des leeren Magens bis hinauf in den Kopf, mit Wasser im Bauch und in den Beinen wegen der Unterernährung, mit zwei müden Händen und einer sowohl geliebten als auch verhassten Schaufel. Jeder kannte das Zusammenbrechen vor den Augen der gutgenährten Kapos, die sadistischen Strafen, wenn der Körper kapitulierte. Die Stapel der Zementsäcke reichten bis über den Kopf, die Kohlehaufen bis in den Himmel, die Sandgrube war ein Riesentrichter, ein Amphitheater.

Aushalten konnte man das alles nur, wenn man sich damit arrangierte, dass alles, worin man hier gefangen ist, notgedrungen zu einem gehört. Körperliche Kraft sparen bei Schwerstarbeit hieß, das Lager nicht nur zu hassen, sondern aus dem Hass eine Art Einverständnis zu machen, den Hunger so zu zähmen, dass er einem zwar den Körper ausplündert, aber dabei nicht auch noch die ganze Seele frisst. Diese Art Einverständnis konstruierte sich der erst 17-jährige Pastior, indem er den Hungerengel für sich erfand, ein Gegenüber aus Mordlust und Charisma, Kanaille und Schutzengel in einem. Eigentlich ist das Gespenst des Hungerengels in diesem jungen Alter die pure Beschäftigung mit dem Tod. Aber der Tod führt nicht mehr Regie. Der Tod ist ab nun ein Angestellter. Er, der Hungernde, ist der Chef. Als Chef stellt er dem Angestellten seinen Körper wie einen Gegenstand zur Verfügung. Das heißt aber auch, der Hungerengel ist ab jetzt verantwortlich für das Geschenk. Und nicht nur er, das ganze Lager wird in die Verantwortung einbezogen. Es hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Abschiedssatz der Großmutter "ICH WEISS, DU KOMMST WIEDER" gültig bleibt. Tausende kamen nicht mehr, sind verhungert oder erfroren. Jeder hat jemanden sterben sehen. Der Nullpunkt des anderen war jedes Mal auch der eigene. "Hausaufgabe gegen Selbstaufgabe. Mathematisches Tüfteln gegen unmathematischen Tod", sagt Pastior dazu. Er lernte fünf Jahre lang die Mathematik der Existenz. Sein Einmaleins des Überlebens lautet:

1 Schaufelhub = 1 Gramm Brot.

Mit dem Schaufelhub als Brot, mit den beiden Zahlen eins und dem Ist-Zeichen dazwischen wird nicht mehr beschrieben. Es wird definiert. Die Geduld der Wörter hat sich selbst geschluckt. Der Sinn ist weg, die Sprache zerbrochen. Geblieben ist eine knappe Rechnung. Statt Beschreiben wird gezeigt, wie beim Zeichnen - es ist Zeichenstarre gegen die Leichenstarre. Im Lager war Papier streng verboten. Pastior hat klandestin auf Zementsackpapier gekritzelt, wie er es nannte. Auch Jahre danach hat er für die Zeichnungen oft Gebrauchspapier benutzt. Die Rückseite war von Zufälligem besetzt. Erst später nahm er rückenfreies Papier und sagte, "gutes Papier" sei ihm wichtig. Schon im frühen Band "Krimgotischer Fächer" ergänzen sich Zeichnungen und Text. Das wurde erst möglich, nachdem Pastior Rumänien verlassen konnte.

1969, beim ersten Besuch im Westen, weiß er sofort, dass er keinesfalls nach Rumänien in die Diktatur zurückkehren wird. Die dort erlaubten, konventionell gestanzten Verse hängen ihm, so wie der ganze Stalinismus, zum Hals heraus. Er ist zum ersten Mal frei, die Sprache desertiert aus der Norm. Er nennt das einen "polyglotten Ausbruch". Jetzt darf die Sprache endlich so sein wie er seit dem Lager ist: zerbrochen. Die Texte und die Zeichnungen, "die gelblichen Stiefkinder", wie er sagt, brauchen einander.

Im Marbacher Literaturarchiv gibt es an die 650 Zeichnungen. Pastior nennt sie "Gebilde". Dieses Wort ist schön. So filigran und apart wie es klingt, sind die Gebilde auch. Und sie brauchen Begleitung durch Wörter. Viele sind mit Wörtern gefüllt, manchmal klein ineinander gekringelte Zeilen. Er nennt Buchstaben einmal "fortlaufende Mannequins" mit einem "Adieu-Effekt". Aber zwischen ihnen sind andere riesige Großbuchstaben. Diese Gebilde könnten ein Lagergelände oder auch ein Brustkorb sein oder eine Bauchhöhle. Unser Körper voller winzig kleiner und dominierend großer Organe. An den dominanten Großbuchstaben bleibt das Auge hängen, und man zuckt zusammen, denn die mächtigen Wörter in den Gebilden heißen "DEMUT" oder "EIGENBROT" oder "HAM-HAM". Die Zeichnungen müssen es nicht wissen, aber Pastior wusste es, und ich weiß es von ihm:

Es gab den Brottausch in der Lagerkantine. Bei der Verteilung war jedes Stück Brot auf der Waage gleich. Doch keine Waage auf der Welt weiß, was der Hunger weiß. Das Brot in der eigenen Hand, das Eigenbrot schien immer kleiner als das Brot in der Hand des anderen. Weil jeder meinte, er habe das kleinste Stück bekommen, wurde getauscht. Die Brotstücke gingen von einem zum andern, minutenlang - bis auch die letzte Geduld vergeudet war. Oft hatte man zuletzt sein "EIGENBROT" wieder, weil es immer größer wurde, je länger es in den Händen der anderen war. Der Kreis des Brottauschs war ein Delirium, und jeder fühlte sich von jedem und allem betrogen. Von sich selbst, vom Brot. Vielleicht weist auch die Zeichnung mit dem Titel "Teigmännlein" auf den Brottausch hin.

Eine andere Zeichnung heißt "Abgesteppter Engel". Im zweiten oder dritten Lagerjahr bekam Pastior die erste und einzige Post von zu Hause. Es war eine Karte mit der Handschrift der Mutter. An ihren Rand war mit der Nähmaschine mit weißem Zwirn ein kleines Foto drangesteppt - der neugeborene Bruder. Darunter Name und Geburtsdatum des Bruders. Sonst kein Wort. Geboren war abgekürzt als "geb." Pastior selbst kam auf der Karte nicht vor und dachte, die Mutter würde genauso platzsparend für ihn gestorben mit "gest." abkürzen. Es war, als teile ihm die Mutter mit, er müsse nicht wiederkommen, es gäbe zu Hause Ersatz. Diese Verletzung hat Pastior nie vergessen.

Die Zeichnung weiß das nicht, sie ist frei, sie ist offen. Sie zeigt jedem Auge etwas anderes. So wie Pastiors Texte offen sind. Du liest das Gedicht, sagt er, indem das Gedicht dich liest. Auch die Gebilde lesen dich, wir sind frei, mit ihnen das zu machen, was unser Leben mit uns macht.

Es gibt eine Reihe von Brief-Zeichnungen: "Brief mit deutlicher Anspielung", "Illuminierter Brief", "Abschiedsbrief", "Gehbehinderter Brief", "Herzlich Ihr Unzustellbarer", "Brief mit höflicher Absage". All die Briefe verschicken sich selbst einer zum andern Gebilde und in die Texte hinein und hinaus. Eine Zeichnung heißt sogar "Vom bösen Einfluss der Träume auf einen fünfjährigen Brief". Der Brief, von dem so viel abhängt, ist immer wieder Thema auch in den Texten.

Das Universum der pastiorschen Zeichengebilde ist immens. In jeden Gegenstand schleicht sich ein Zustand, eine Mischung aus Zeigen und Ahnen - in jeden, sei es Sandfloh, Zikade, Qualle, Hase. Selbst in die Werkzeuge wie Säge, Schere, in die Nähmaschine, Schreibmaschine. Selbst in den Kühlturm, in den Sarkophagen. Man könnte immer weiter aufzählen - Pastior würde sagen, mehr als aufzählen kann man nicht. In jedes Material schleicht sich bei ihm das menschliche Gemüt. Mir kommen die Zeichnungen vor, als wäre jedes Mal ein aufgewickelter seidiger Faden von ein-und derselben Spule abgeschnitten geworden. Er legt sich zwar als Labyrinth aufs Papier - zeigt dennoch die Richtung zum Ausweg.

War das Zeichnen für Oskar Pastior mehr als Schreiben, ein körperliches Glück, das Glück der Hände? Brachte es sogar die Schwermut zum Schweben? Wenn er mir das Lager erklärte und alle Wörter nicht mehr reichten, fing er an zu zeichnen. Und seine Hände wurden flink. Ich dachte, es ist wie seinerzeit, gleich nach der Rückkehr aus dem Lager, beim Kistennageln. Er mochte das Wort "Kistennagler" und war einer der Besten in diesem Beruf und stolz, dass er es auf 800 Nägel pro Stunde gebracht hatte. In seinem "Autobiographischen Text" lässt er sich zu dem Satz hinreißen: "Es lebe die Auberginenkiste, sie ist eine Naturschönheit." Und das ist nicht nur ironisch.

Er weiß auch um die Zwiespältigkeit des Buchstabens O: Jedes O kann eine Null sein, und jede Null ein O. Sein Name, Oskar, fängt mit O oder Null an, er musste die Null - diese Buchstabenzahl akzeptieren. Er mochte und veränderte sie. Er lässt sie nicht geschlossen, verpasst ihr einen Strich nach oben, einen Faden aus sich hinaus. Er baut einen Ausweg. Denn sein Leben hat von der Null mehr als genug bekommen: fünf ganze Nullerjahre, den Nullpunkt der Existenz, die Nullerschere, mit der er wegen der Läuse oder zur Strafe kahlgeschoren wurde. Durchs Ausweg-Strichlein hindert Pastior das O daran, eine Null zu sein. Auch im Wort "TEXt" ist er auf den Ausweg bedacht. Pastior malt das "EX" mitten im Wort mit Großbuchstaben. Auch im Wort Keks, das er mit "X" zeichnet. Und so, mit dem "Exit", darf der "Kex", der gezackte Leibniz-Butterkeks, in wundersamen Zusammenhängen immer wieder in die Gebilde. Der Butterkeks kennt auch das Lager, weiß, die Ferne kann blind und die Nähe unerträglich sein. Deshalb kann der "Kex" sogar als Wolke im Himmel stehen.

Es gibt in den Zeichnungen auch die Wiederkehr der Stühle. Graphisch ist das H im Stuhl selbst ein Stuhl. Eine Zeichnung heißt: "cafeteria von tischbein". Tischbein heißt der Maler Goethes, Pastior hat das gewusst und bestimmt geschmunzelt. Aber mir erzählt diese Zeichnung eine Geschichte, von der ich weiß, dass Pastior sie oft im Lager erzählte, erzählen musste:

Je größer der Hunger im Lager wuchs, desto mehr wurde vom Essen geredet. Kochrezepte fingen an mit der Pointe: "Man nehme . . ." - und das war sarkastisch, weil man nichts hatte - irr vor Hunger aß man die Wörter. Hungerwörter, das erzählte Essen. Es war Gnade und Qual in einem. In Pastiors erzähltem Essen ging es um das "Café Martini" in Schäßburg:

"Wir gingen jedes Mal gleich auf den Marktplatz ins elegante ,Café Martini'. Unter den Gästen fielen wir ein bisschen auf, weil wir zu leger gekleidet waren - die Mutter im Hosenrock und ich in kurzen Hosen (. . .) Ich durfte an diesem Tag alles essen, was ich wollte und soviel ich konnte. Ich durfte wählen zwischen Marzipantrüffeln, Mohrenköpfen und Savarins, Cremeschnitten, Nussroulade, Faumrollen und Ischler, Haselnusskroketten, Rumtorte, Napoleonschnitten, Nougat und Dobosch. Dann auch noch Eis, Erdbeereis im Silberbecher oder Schokoladeeis im Porzellanschälchen, immer mit Schlagsahne. Und als Abschluss, wenn ich dann noch konnte, Weichselkuchen mit Gelee."

Bestimmt schmückte niemand das erzählte Essen so ergreifend aus wie Pastior, weder im Lager noch danach. Denn die Geschichte geht weiter:

"Ich spürte an den Armen den kühlen Marmor der Tischplatte und in den Kniekehlen den weichen Plüsch vom Stuhl. Und oben auf dem schwarzen Buffet, im Wind des Ventilators, schaukelte in einem langen roten Kleid und mit der Zehenspitze auf einem sehr, sehr schmalen Mond die Mondsichelmadonna."

Ich krieg jetzt noch Gänsehaut, beim Nacherzählen.

In ihrem schönen Buch "Aubergine mit Scheibenwischer" hat Heidede Becker alle Zeichnungen von Oskar Pastior an seiner Biographie entlang zusammengeführt, somit inhaltlich und zeitlich gegliedert. So hab ich viele Zusammenhänge zum ersten Mal verstanden. Das Buch zeigt, ". . . das opulente Sprachwissen und die biographischen Erfahrungen sowie die Beschädigungen in den Jahren der Zwangsarbeit sind das Reservoir für seine Poesie".

Soll man sagen, Pastior war gezeichnet - was für ein Wort. Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Wort übertreibt oder verharmlost. Oskar Pastior träumte bis ins hohe Alter fast jede Nacht von der Deportation. Und er bedauerte, wenn er einen der Träume erzählte, dass es nie zur Rückkehr komme, weil er vorher aufwache. Einmal sagte er:

Siehst du, ich bin für immer deportiert. Was glaubst du, wie lange dauert für immer?

Keine Ahnung, sagte ich.

Heidede Becker: "Aubergine mit Scheibenwischer - Die Zeichnungen von Oskar Pastior". Wunderhorn-Verlag, 250 Seiten, 29,80 Euro

Die Schriftstellerin Herta Müller wuchs im rumänischen Banat auf, reiste 1987 in die Bundesrepublik aus und lebt in Berlin. 2009 erhielt sie den Literaturnobelpreis. Zuletzt erschien "Im Heimweh ist ein blauer Saal" (Hanser-Verlag, 22 Euro).

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