»Wir sehen in die Köpfe, wir sehen in die Herzen. [...] Man will teilhaben, mitleiden, mitlachen, [...] so poetisch und lebensklug sein wie die beiden Heldinnen.«
Neue Presse
Was fangen wir noch an mit diesem Leben, jetzt, nachdem wir die halbe Strecke schon gegangen sind?
Die Schriftstellerin Márta lebt mit Mann und drei Kindern in einer deutschen Großstadt, die Lehrerin Johanna lebt allein in einem kleinen Ort im Schwarzwald. Eine lange Freundschaft verbindet sie, in E-Mails von großer Tiefe, Offenheit und Emotionalität halten sie engen Kontakt. Was ist gewesen in ihrem Leben - und was wird noch kommen?
Zuszsa Bánks neuer Roman ist eine Feier der Freundschaft und des Lebens.
Neue Presse
Was fangen wir noch an mit diesem Leben, jetzt, nachdem wir die halbe Strecke schon gegangen sind?
Die Schriftstellerin Márta lebt mit Mann und drei Kindern in einer deutschen Großstadt, die Lehrerin Johanna lebt allein in einem kleinen Ort im Schwarzwald. Eine lange Freundschaft verbindet sie, in E-Mails von großer Tiefe, Offenheit und Emotionalität halten sie engen Kontakt. Was ist gewesen in ihrem Leben - und was wird noch kommen?
Zuszsa Bánks neuer Roman ist eine Feier der Freundschaft und des Lebens.
buecher-magazin.de"Ich dachte, ich sei im Schreiben besser als im Leben, aber gerade weiß ich gar nicht, was ich damit noch soll - es klingt lächerlich, Worte auf leere Blätter schreiben, die Welt nach Bildern abtasten, (…), um Sätze zu knüpfen und Menschen hineinzuweben, die man in der Wirklichkeit vergeblich sucht", schreibt Márta an Jo. Zwei Frauen in der Mitte ihres Lebens, räumlich getrennt - in Gedanken immer beieinander. Bánks moderner Briefroman erzählt ihr Leben über gut drei Jahre in Form ihrer Mailkorrespondenz. Die Schriftstellerin Márta lebt mit Simon und den drei kleinen Kindern in Frankfurt, Johanna hat es als Lehrerin in den Schwarzwald verschlagen. Während Márta versucht, ihren Erzählband im alltäglichen Familienchaos zu vollenden, hat Johanna zwar den Brustkrebs besiegt, aber ihre große Liebe verloren und flüchtet sich in ihre Doktorarbeit über Annette von Droste-Hülshoff. Bánks gelingt es, die Frauen allein durch ihre Gedankengänge, die im Dialog immer weiter fortschreiten, zum Leben zu erwecken. Das ist beeindruckend, doch manchmal ist es einfach zu viel der Wortgirlanden und literarischen Versatzstücke, die die Mails kursiv gedruckt durchziehen. Und doch ist da dieser Sog der schlaflos-verwobenen Sätze, die von Freundschaft erzählen, die dem wortgewandten Leben Halt gibt.
© BÜCHERmagazin, Tina Schraml (ts)
© BÜCHERmagazin, Tina Schraml (ts)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.2017Und Du, meine Schönste?
Zsuzsa Bánks E-Mail-Roman "Schlafen werden wir später" erzählt von einer Frauenfreundschaft
Eigentlich müsste jede einzelne Seite dieses Briefromans laminiert sein. Denn es wird reichlich geweint. Zum Beispiel am Eschenheimer Turm: "Ich habe geweint über mein Leben, geweint über Deine Narbe auf Deiner halbierten Brust, geweint über Claus, über dumme Rehe, die auf die Straße laufen und in einem Lichtkegel stehen bleiben, über Johannes, der im schwarzen Wald ohne Vater aufwachsen wird, über Simon, über unsere Kinder, traumversunken in ihren Betten, geweint über meinen ausgelehrten Kopf, der nicht zurück an den Schreibtisch kann, über meine Müdigkeit und Erschöpfung, mein ständiges Schlafen später, mit dem ich mich seit Jahren am Laufen halte, und auch vor Ekel und Angst, eine Maus könnte mir über die nackten, frisch lackierten Sandalenfüße springen." Das ist allerhand! Wer kennt ihn nicht, diesen Zustand totaler Weltverlassenheit, in dem Selbstmitleid und Übertreibung regieren.
Márta Horváth und Johanna Messner, aufgewachsen in Frankfurt-Höchst, Freundinnen von Kindesbeinen an mit einer Rollenverteilung à la Elena Ferrante: die eine scheu, wohnhaft im Schwarzwald, über das Naturverhältnis der Annette von Droste-Hülshoff promovierend, mit dem Profil "einer biestigen, vom Leben gebeugten Deutschlehrerin". Die andere: Poetin aus Frankfurt ("frei, kopffrei, frei im Kopf"), Mutter dreier Kinder und Frau eines Cholerikers, der ebenfalls brotlos schreibt - man ahnt hier die Konflikte. Beide Frauen sind sich die engsten, treuesten Menschen. Weswegen das Buch ihren Schriftverkehr abbildet. Geschrieben von März 2009 bis Juni 2012 im jeweils von der anderen beschwärmten "Johanna-" oder "Márta-Ton", wobei die Töne bis in ihre sprachlichen Marotten hinein nicht wirklich voneinander zu unterscheiden sind. Ein Beispiel: Beide Schreiberinnern setzen recht exzessiv auf emphatisierende Wiederholung: "Du weißt, weißt, weißt es, dreimal hintereinander weißt Du es."
Inhaltlich verhält es sich so: Johanna ist soeben dem Krebs entronnen und trägt nicht nur eine Narbe in ihrem Herzen (Markus ist weg!), sondern eben auch auf ihrer Brust. Zum Trost schreibt sie an einer Doktorarbeit über "die Droste". Márta wiederum hat Kinder und Mann, genau das, wonach ihre alleinstehende Freundin sich sehnt. Dennoch ist sie unglücklich. Ihre Familie, echauffiert sie sich in annähernd jedem Brief, sei ihr - "ich wurde gelöscht" - Sargnagel: "Das Wenige, Spärliche sage ich ab, weil ich ja jeden Vormittag in die Kita muss, um eine Stunde im Schneidersitz zuzusehen, wie Henri Spielzeugautos und Miniverkehrsschilder aus Kisten auf den Teppich schüttet. Eine Einladung in die Schweiz habe ich abgesagt, in ein Poetenzimmer bei Zürich, letzte Woche eine Reise an den Comer See, ein Sommerzimmer, das mir zehn Tage lang hätte gehören können, und da habe ich geblutet, Johanna, Blutströme sind aus mir gesickert und haben unsere Dielen rot getränkt . . ." - bildlich gesprochen jetzt. Was den Flüssigkeitshaushalt angeht, gehören beide Frauen zur verschwenderischen Sorte, auch wenn Johanna einmal behauptet: "Meine Tränen fließen ja nicht so überall. Nicht so inflationär."
Spannung will der Roman über folgenden Grundwiderspruch gewinnen: Eine Freundin begehrt, was die je andere hat. Die implizite Eifersucht wird in einer romantischen Überhöhung der Frauenfreundschaft sublimiert. Ab und zu gibt es unterschwelligen Zickenkrieg, und das sind, Hand aufs Herz, die entlastenden Momente dieser schwülen Gedankenwelt: "Du hättest auf meiner Küchenbank weinen können", beschwert sich Márta einmal über einen ausgebliebenen Besuch der Freundin, "Mia, Franz und Henri hätten sich mit Fäusten um Deinen Schoß gestritten, und Du hättest Dir unendlich begehrt und geliebt vorkommen können."
Hätte, hätte, Fahrradkette. Auch, wenn man es noch so oft betonte, so änderte sich doch nichts an der Tatsache, dass hier auf siebenhundert Seiten nichts passiert. Ja, könnte man einwenden, muss denn immer etwas passieren? Natürlich nicht! Die Literatur ist voll von Beispielen, in denen die Ereignislosigkeit im Mittelpunkt steht. Doch dieser Roman will den diffusen Alltag gar nicht reduzieren zu einer prononcierten Essenz. Er will seine Figuren nur ein bisschen daherreden lassen - meistens so: "Und Du, meine Schönste? Wirst im Schatten eines schneebedeckten Bergs wandern, umtost von Meereswellen und Schaumkronen, unter all den Gehilfen Poseidons Schritt für Schritt Lebensschiefheit abbauen?"
Angereichert wird das Experiment mit der Lebensschiefheit durch kursiv gesetzte Literaturzitate, die wohl dem Poesieautomaten im Keller des Literaturarchivs Marbach entstammen. Der hat im Roman einen kurzen Auftritt, da Johanna am Neckar Material für ihre Doktorarbeit sammelt. Ausgerechnet über dieses Lebenswerk schweigen sich die allerbesten Freundinnen im Roman aus. Man erfährt lediglich das Thema: "Einen Blick auf die nahen Weinberge hinter den Fenstern geworfen. Natur in der Lyrik. Über den Bezug Natur - Ich - Werk. Am Beispiel der Droste." Dass man die arme Mehrfachbegabte so stark strapazieren muss für ein Buch, das sich kaum um seine Gewährsfrau in Sachen Episteln schert?
"Ich tue mir leid, du tust dir leid, er, sie, es tut sich leid, wir tun uns leid, ihr tut euch leid, sie tun sich leid", so konjugiert Johanna einmal das Thema ihres Briefwechsels. Und es wäre noch hinnehmbar, wenn daraus etwas folgte. Tatsächlich wuchern wild nur die Neokomposita, die "nachtkalte Zimmer" in "novemberkalter Luft" hervorbringen und eine expressionistische Farbenlehre von "mokkabraunem Haar" bis hin zu "nordmeerbleiblauen Augen".
Zsuzsa Bánk hat mit ihrem Romandebüt "Der Schwimmer" viele Nachwuchspreise gewonnen. Sie galt, trotz wiederkehrender Vorbehalte gegen ihren elegischen Stil, durchaus als literarische Hoffnung. In ihrem jüngsten Werk aber laufen ihr die Herzensergießungen aus dem Ruder, "weil ich über meine eigenen Sätzen weine, die ich selbst geschrieben habe, das hätte ich doch abwenden, davor hätte ich mich doch sehr einfach schützen können". Ja, hätte, hätte, dreimal hätte!
KATHARINA TEUTSCH
Zsuzsa Bánk: "Schlafen werden wir später". Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017. 688 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zsuzsa Bánks E-Mail-Roman "Schlafen werden wir später" erzählt von einer Frauenfreundschaft
Eigentlich müsste jede einzelne Seite dieses Briefromans laminiert sein. Denn es wird reichlich geweint. Zum Beispiel am Eschenheimer Turm: "Ich habe geweint über mein Leben, geweint über Deine Narbe auf Deiner halbierten Brust, geweint über Claus, über dumme Rehe, die auf die Straße laufen und in einem Lichtkegel stehen bleiben, über Johannes, der im schwarzen Wald ohne Vater aufwachsen wird, über Simon, über unsere Kinder, traumversunken in ihren Betten, geweint über meinen ausgelehrten Kopf, der nicht zurück an den Schreibtisch kann, über meine Müdigkeit und Erschöpfung, mein ständiges Schlafen später, mit dem ich mich seit Jahren am Laufen halte, und auch vor Ekel und Angst, eine Maus könnte mir über die nackten, frisch lackierten Sandalenfüße springen." Das ist allerhand! Wer kennt ihn nicht, diesen Zustand totaler Weltverlassenheit, in dem Selbstmitleid und Übertreibung regieren.
Márta Horváth und Johanna Messner, aufgewachsen in Frankfurt-Höchst, Freundinnen von Kindesbeinen an mit einer Rollenverteilung à la Elena Ferrante: die eine scheu, wohnhaft im Schwarzwald, über das Naturverhältnis der Annette von Droste-Hülshoff promovierend, mit dem Profil "einer biestigen, vom Leben gebeugten Deutschlehrerin". Die andere: Poetin aus Frankfurt ("frei, kopffrei, frei im Kopf"), Mutter dreier Kinder und Frau eines Cholerikers, der ebenfalls brotlos schreibt - man ahnt hier die Konflikte. Beide Frauen sind sich die engsten, treuesten Menschen. Weswegen das Buch ihren Schriftverkehr abbildet. Geschrieben von März 2009 bis Juni 2012 im jeweils von der anderen beschwärmten "Johanna-" oder "Márta-Ton", wobei die Töne bis in ihre sprachlichen Marotten hinein nicht wirklich voneinander zu unterscheiden sind. Ein Beispiel: Beide Schreiberinnern setzen recht exzessiv auf emphatisierende Wiederholung: "Du weißt, weißt, weißt es, dreimal hintereinander weißt Du es."
Inhaltlich verhält es sich so: Johanna ist soeben dem Krebs entronnen und trägt nicht nur eine Narbe in ihrem Herzen (Markus ist weg!), sondern eben auch auf ihrer Brust. Zum Trost schreibt sie an einer Doktorarbeit über "die Droste". Márta wiederum hat Kinder und Mann, genau das, wonach ihre alleinstehende Freundin sich sehnt. Dennoch ist sie unglücklich. Ihre Familie, echauffiert sie sich in annähernd jedem Brief, sei ihr - "ich wurde gelöscht" - Sargnagel: "Das Wenige, Spärliche sage ich ab, weil ich ja jeden Vormittag in die Kita muss, um eine Stunde im Schneidersitz zuzusehen, wie Henri Spielzeugautos und Miniverkehrsschilder aus Kisten auf den Teppich schüttet. Eine Einladung in die Schweiz habe ich abgesagt, in ein Poetenzimmer bei Zürich, letzte Woche eine Reise an den Comer See, ein Sommerzimmer, das mir zehn Tage lang hätte gehören können, und da habe ich geblutet, Johanna, Blutströme sind aus mir gesickert und haben unsere Dielen rot getränkt . . ." - bildlich gesprochen jetzt. Was den Flüssigkeitshaushalt angeht, gehören beide Frauen zur verschwenderischen Sorte, auch wenn Johanna einmal behauptet: "Meine Tränen fließen ja nicht so überall. Nicht so inflationär."
Spannung will der Roman über folgenden Grundwiderspruch gewinnen: Eine Freundin begehrt, was die je andere hat. Die implizite Eifersucht wird in einer romantischen Überhöhung der Frauenfreundschaft sublimiert. Ab und zu gibt es unterschwelligen Zickenkrieg, und das sind, Hand aufs Herz, die entlastenden Momente dieser schwülen Gedankenwelt: "Du hättest auf meiner Küchenbank weinen können", beschwert sich Márta einmal über einen ausgebliebenen Besuch der Freundin, "Mia, Franz und Henri hätten sich mit Fäusten um Deinen Schoß gestritten, und Du hättest Dir unendlich begehrt und geliebt vorkommen können."
Hätte, hätte, Fahrradkette. Auch, wenn man es noch so oft betonte, so änderte sich doch nichts an der Tatsache, dass hier auf siebenhundert Seiten nichts passiert. Ja, könnte man einwenden, muss denn immer etwas passieren? Natürlich nicht! Die Literatur ist voll von Beispielen, in denen die Ereignislosigkeit im Mittelpunkt steht. Doch dieser Roman will den diffusen Alltag gar nicht reduzieren zu einer prononcierten Essenz. Er will seine Figuren nur ein bisschen daherreden lassen - meistens so: "Und Du, meine Schönste? Wirst im Schatten eines schneebedeckten Bergs wandern, umtost von Meereswellen und Schaumkronen, unter all den Gehilfen Poseidons Schritt für Schritt Lebensschiefheit abbauen?"
Angereichert wird das Experiment mit der Lebensschiefheit durch kursiv gesetzte Literaturzitate, die wohl dem Poesieautomaten im Keller des Literaturarchivs Marbach entstammen. Der hat im Roman einen kurzen Auftritt, da Johanna am Neckar Material für ihre Doktorarbeit sammelt. Ausgerechnet über dieses Lebenswerk schweigen sich die allerbesten Freundinnen im Roman aus. Man erfährt lediglich das Thema: "Einen Blick auf die nahen Weinberge hinter den Fenstern geworfen. Natur in der Lyrik. Über den Bezug Natur - Ich - Werk. Am Beispiel der Droste." Dass man die arme Mehrfachbegabte so stark strapazieren muss für ein Buch, das sich kaum um seine Gewährsfrau in Sachen Episteln schert?
"Ich tue mir leid, du tust dir leid, er, sie, es tut sich leid, wir tun uns leid, ihr tut euch leid, sie tun sich leid", so konjugiert Johanna einmal das Thema ihres Briefwechsels. Und es wäre noch hinnehmbar, wenn daraus etwas folgte. Tatsächlich wuchern wild nur die Neokomposita, die "nachtkalte Zimmer" in "novemberkalter Luft" hervorbringen und eine expressionistische Farbenlehre von "mokkabraunem Haar" bis hin zu "nordmeerbleiblauen Augen".
Zsuzsa Bánk hat mit ihrem Romandebüt "Der Schwimmer" viele Nachwuchspreise gewonnen. Sie galt, trotz wiederkehrender Vorbehalte gegen ihren elegischen Stil, durchaus als literarische Hoffnung. In ihrem jüngsten Werk aber laufen ihr die Herzensergießungen aus dem Ruder, "weil ich über meine eigenen Sätzen weine, die ich selbst geschrieben habe, das hätte ich doch abwenden, davor hätte ich mich doch sehr einfach schützen können". Ja, hätte, hätte, dreimal hätte!
KATHARINA TEUTSCH
Zsuzsa Bánk: "Schlafen werden wir später". Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017. 688 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
So schön, so traurig, , dass wir froh sind, keine Antworten schreiben zu müssen, sondern nur mitlesen dürfen. Angela Wittmann Brigitte 20170215