Charlie ist ein sympathischer Lebenskünstler Anfang 30. Miranda eine clevere Studentin, die mit einem dunklen Geheimnis leben muss. Sie verlieben sich, gerade als Charlie seinen 'Adam' geliefert bekommt, einen der ersten lebensechten Androiden. In ihrer Liebesgeschichte gibt es also von Anfang an einen Dritten: Adam. Kann eine Maschine denken, leiden, lieben? Adams Gefühle und seine moralischen Prinzipien bringen Charlie und Miranda in ungeahnte - und verhängnisvolle - Situationen.
Sex können sie, Romane nicht
Wie Ian McEwan in „Maschinen wie ich“ die Literatur gegen künstliche Intelligenz verteidigt
Der Turing-Test hat eine gewisse Berühmtheit erlangt. Er dient dazu, herauszufinden, ob ein Gesprächspartner ein Mensch oder eine Maschine ist, meist reicht ein kurzer Dialog. Adam hätte den Test glorios bestanden, einmal debattiert er höchst gelehrt über Shakespeare, dabei ist er ein Roboter, einer von 25 aus einer nahezu perfekten Serie: Die 12 Adams und 13 Eves sehen aus wie Menschen (Adam „wie ein türkischer Hafenarbeiter“), sie gleichen uns in Mimik und Motorik, lernen rasend schnell und entwickeln sogar Gefühle. Guten Sex beherrschen sie übrigens auch.
Der Traum vom künstlichen Menschen hat Ian McEwan als Thema schon lange gereizt. In seinem Roman „Maschinen wie ich“ realisiert er ihn nun nicht als Science-Fiction, sondern im England des Jahres 1982, in einer Art Retro-Zukunft also. Dazu muss er die Geschichte umschreiben. Vor allem darf sich Alan Turing, „der bedeutendste lebende Engländer“, nicht 1954 umgebracht haben – nach Depressionen infolge einer Hormonbehandlung, die ihm ein englisches Gericht wegen Homosexualität aufgezwungen hatte. McEwan lässt ihn stattdessen die Haftstrafe wählen, im Gefängnis entscheidende Entdeckungen über künstliche neuronale Netze machen, außerdem das „P-NP-Problem lösen“ und mit der Schwarmintelligenz aller Forscher das Computerzeitalter schon in den 1970er-Jahren machtvoll einläuten.
In McEwans England 1982 sind die Straßen voller selbstfahrender Autos, Smartphones sind überall, Computer erobern auch anspruchsvolle Arbeitsplätze. Die Beatles (den Spaß leistet sich der Autor) haben noch ein Album aufgenommen, „Love and Lemons“, mit einem Sinfonieorchester, offenbar ziemlicher Kitsch.
Grau ist McEwans retrofuturistisches England aber doch. Den Falkland-Krieg hat es kontrafaktisch verloren, und Margaret Thatcher stellt sich so ungeschickt an, wie es ihre Nachfolgerin Theresa May getan hat. Premierminister wird der Labour-Politiker Denis Healey, und der kündigt die nukleare Abrüstung an, eine Börsen-Transaktionssteuer und den Brexit ohne Referendum: „Die Entscheidung treffe allein das Parlament. Nur das Dritte Reich und andere Tyranneien machten mittels Volksabstimmungen Politik, sie würden allgemein zu nichts Gutem führen.“ So schreibt McEwan, der über den Brexit verzweifelt und in einem Interview gesagt hat, ein Parlament von Fünfjährigen hätte sich besser geschlagen als das gegenwärtige.
Der Romancier ist Gott, in seiner Schöpfung darf er alles, solange das Ergebnis kohärent und plausibel ausfällt. Das tut es hier. McEwan geht es darum zu demonstrieren, dass „die Gegenwart ein unwahrscheinliches, unendlich fragiles Konstrukt ist. Es hätte anders kommen können. Etwas oder alles könnte auch ganz anders sein.“ Das ist eine der klügeren Erkenntnisse des ansonsten nicht sehr klugen Helden und Ich-Erzählers Charlie. Der ist 30, weiß nach einem Anthropologiestudium nichts mit sich anzufangen, tradet an der Börse und kauft von einer Erbschaft einen dieser neuen Wunder-Roboter, eben Adam. Zusammen mit seiner Freundin Miranda programmiert er dessen Persönlichkeit, jeder der „Eltern“ gibt ihm die Hälfte der Eigenschaften – ein digitaler Zeugungsakt.
Adam macht sich in Küche und Garten nützlich, übernimmt Charlies Börsenspielereien und einmal schläft er mit Miranda. Wie Charlie das, einen Stock tiefer, halb hört, halb imaginiert, ist eine der komischsten Szenen in diesem Roman (einen weiteren Höhepunkt bildet das Zusammentreffen mit Mirandas Vater, der Adam für den Liebhaber seiner Tochter und Charlie für den Roboter hält). Als Charlie Miranda wegen des Seitensprungs zur Rede stellt, hält sie dagegen: Würdest du dich bei einem Vibrator auch so aufregen?
Dass Adam eben kein Vibrator ist, dass aus Materie und Software so etwas wie ein Bewusstsein erwächst, ist das Problem für Charlie und McEwan, der moralisch-philosophische Kern seines Romans, der alle einschlägigen Aspekte – von der Herr-Knecht-Dialektik bis zum „Neuen Menschen“, den alle Utopien voraussetzen –, auf subtile Weise einbezieht. Und in einer packenden Handlung vorantreibt: „Maschinen wie ich“ ist etwas für Rote-Ohren Leser und Weiterdenker.
Adam erweist sich seinem „Herrn“ als haushoch überlegen. Er liest Fachliteratur über die Entwicklungen der Quantenphysik – und kommt zu dem Schluss, „dass er lebendig ist“. Er berauscht sich an den Werken der abendländischen Kulturgeschichte und hält Charlie, der sich „für Bücher nie erwärmen konnte“, vor: „Shakespeare, Dein kulturelles Erbe! Wie hältst du es nur aus, ohne einige seiner Zeilen durch die Welt zu gehen?“ Das hält Charlie gut aus. Weniger gut kommt er mit Adams moralischem Rigorismus zurecht. Prinzipien, die man ihm einprogrammiert hat, setzt er absolut, Wahrheit und Gerechtigkeit schließen für ihn die menschlichen Unsauberkeiten, das Notlügen oder Fünfe-gerade-sein-Lassen, aus. Kant, der ja postuliert hat, dass man nicht mal lügen dürfe, um Menschenleben zu retten, hätte seine Freude.
Letztlich, so das Fazit von McEwans retrofuturistischer Fantasie, sind Roboter die besseren Menschen, aber für die Welt, wie sie ist, nicht geeignet. „Millionen leben in Armut, obwohl es genug für alle gibt. Wir zerstören unsere Biosphäre, obwohl wir wissen, dass sie unsere einzige Heimat ist. Wir lieben Lebendiges, lassen aber massenhaftes Artensterben zu“, lässt McEwan seinen Alan Turing dozieren. Roboter wie Adam werden von diesem „Hurrikan von Widersprüchen“ überfordert. Etliche aus der Serie wählen eine ihnen eigene Form des Selbstmords – sie schalten sich langsam ab.
Ian McEwan, der einstige Immoralist und „Ian Macabre“ der frühen Werke, ist längst zu einem melancholischen Moralisten geworden. Mit Adam hat er nicht nur eine für eine Maschine geradezu blutvoll präsente Romanpersönlichkeit geschaffen, gegen die seine menschlichen Besitzer, Partner, Widersacher deutlich abfallen, der neue hält den alten Adams und Evas auch einen Spiegel vor, in dem sie nicht gut aussehen.
Aber das Verdikt bleibt nicht ohne dialektische Wendung. Unsere Defizite – die Emotionen, die unser Urteil trüben und Konflikte und Verbrechen generieren – lassen sich auch anders betrachten: als wimmelndes Leben, das Voraussetzung für Kunst ist. „Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?“ fragt Woyzeck, und Autoren wie Büchner versuchen eine Antwort. Hier ist McEwan bei seiner ureigenen Angelegenheit angelangt. Wie in seinen Meisterwerken „Abbitte“ und „Honig“ macht das Buch den Schreib- und Lektürevorgang selbst zum Thema.
Adam hat bemerkt: Die Literatur der Menschheit „beschreibt Varianten menschlichen Versagens: glänzende Darstellungen von Mord, Grausamkeit, Habgier, Dummheit, Selbsttäuschung und vor allem von tiefen Missverständnissen im Hinblick auf andere“. In einer idealen Zukunft verkehren Mensch und Maschine direkt, von Gehirn zu Gehirn, frei von Missverständnissen. Diese Vernetzung der Köpfe wird Literatur überflüssig machen. Übrig bleibt der Haiku, „die stille, klare Wahrnehmung und Feier der Dinge, wie sie sind“. Schon 2000 solcher Haikus hat Adam produziert, der Autor zitiert gnädigerweise nur ein paar davon.
Romane, lässt McEwan ironischerweise seinen Nichtleser Charlie sagen, werden Roboter nie schreiben können, darin besteht unsere Überlegenheit, unsere Rettung. Ein schwacher Trost? Nun: Ein so komplexes, ambivalentes, dabei süffig zu lesendes Buch wie „Maschinen wie ich“ hätte tatsächlich keine künstliche Intelligenz schreiben können. Muss man hinzufügen: Noch nicht?
MARTIN EBEL
Die Maschinen wählen eine
eigene Form des Selbstmords –
sie schalten sich langsam ab
Ian McEwan: Maschinen wie ich. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Diogenes, Zürich 2019. 406 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Wie Ian McEwan in „Maschinen wie ich“ die Literatur gegen künstliche Intelligenz verteidigt
Der Turing-Test hat eine gewisse Berühmtheit erlangt. Er dient dazu, herauszufinden, ob ein Gesprächspartner ein Mensch oder eine Maschine ist, meist reicht ein kurzer Dialog. Adam hätte den Test glorios bestanden, einmal debattiert er höchst gelehrt über Shakespeare, dabei ist er ein Roboter, einer von 25 aus einer nahezu perfekten Serie: Die 12 Adams und 13 Eves sehen aus wie Menschen (Adam „wie ein türkischer Hafenarbeiter“), sie gleichen uns in Mimik und Motorik, lernen rasend schnell und entwickeln sogar Gefühle. Guten Sex beherrschen sie übrigens auch.
Der Traum vom künstlichen Menschen hat Ian McEwan als Thema schon lange gereizt. In seinem Roman „Maschinen wie ich“ realisiert er ihn nun nicht als Science-Fiction, sondern im England des Jahres 1982, in einer Art Retro-Zukunft also. Dazu muss er die Geschichte umschreiben. Vor allem darf sich Alan Turing, „der bedeutendste lebende Engländer“, nicht 1954 umgebracht haben – nach Depressionen infolge einer Hormonbehandlung, die ihm ein englisches Gericht wegen Homosexualität aufgezwungen hatte. McEwan lässt ihn stattdessen die Haftstrafe wählen, im Gefängnis entscheidende Entdeckungen über künstliche neuronale Netze machen, außerdem das „P-NP-Problem lösen“ und mit der Schwarmintelligenz aller Forscher das Computerzeitalter schon in den 1970er-Jahren machtvoll einläuten.
In McEwans England 1982 sind die Straßen voller selbstfahrender Autos, Smartphones sind überall, Computer erobern auch anspruchsvolle Arbeitsplätze. Die Beatles (den Spaß leistet sich der Autor) haben noch ein Album aufgenommen, „Love and Lemons“, mit einem Sinfonieorchester, offenbar ziemlicher Kitsch.
Grau ist McEwans retrofuturistisches England aber doch. Den Falkland-Krieg hat es kontrafaktisch verloren, und Margaret Thatcher stellt sich so ungeschickt an, wie es ihre Nachfolgerin Theresa May getan hat. Premierminister wird der Labour-Politiker Denis Healey, und der kündigt die nukleare Abrüstung an, eine Börsen-Transaktionssteuer und den Brexit ohne Referendum: „Die Entscheidung treffe allein das Parlament. Nur das Dritte Reich und andere Tyranneien machten mittels Volksabstimmungen Politik, sie würden allgemein zu nichts Gutem führen.“ So schreibt McEwan, der über den Brexit verzweifelt und in einem Interview gesagt hat, ein Parlament von Fünfjährigen hätte sich besser geschlagen als das gegenwärtige.
Der Romancier ist Gott, in seiner Schöpfung darf er alles, solange das Ergebnis kohärent und plausibel ausfällt. Das tut es hier. McEwan geht es darum zu demonstrieren, dass „die Gegenwart ein unwahrscheinliches, unendlich fragiles Konstrukt ist. Es hätte anders kommen können. Etwas oder alles könnte auch ganz anders sein.“ Das ist eine der klügeren Erkenntnisse des ansonsten nicht sehr klugen Helden und Ich-Erzählers Charlie. Der ist 30, weiß nach einem Anthropologiestudium nichts mit sich anzufangen, tradet an der Börse und kauft von einer Erbschaft einen dieser neuen Wunder-Roboter, eben Adam. Zusammen mit seiner Freundin Miranda programmiert er dessen Persönlichkeit, jeder der „Eltern“ gibt ihm die Hälfte der Eigenschaften – ein digitaler Zeugungsakt.
Adam macht sich in Küche und Garten nützlich, übernimmt Charlies Börsenspielereien und einmal schläft er mit Miranda. Wie Charlie das, einen Stock tiefer, halb hört, halb imaginiert, ist eine der komischsten Szenen in diesem Roman (einen weiteren Höhepunkt bildet das Zusammentreffen mit Mirandas Vater, der Adam für den Liebhaber seiner Tochter und Charlie für den Roboter hält). Als Charlie Miranda wegen des Seitensprungs zur Rede stellt, hält sie dagegen: Würdest du dich bei einem Vibrator auch so aufregen?
Dass Adam eben kein Vibrator ist, dass aus Materie und Software so etwas wie ein Bewusstsein erwächst, ist das Problem für Charlie und McEwan, der moralisch-philosophische Kern seines Romans, der alle einschlägigen Aspekte – von der Herr-Knecht-Dialektik bis zum „Neuen Menschen“, den alle Utopien voraussetzen –, auf subtile Weise einbezieht. Und in einer packenden Handlung vorantreibt: „Maschinen wie ich“ ist etwas für Rote-Ohren Leser und Weiterdenker.
Adam erweist sich seinem „Herrn“ als haushoch überlegen. Er liest Fachliteratur über die Entwicklungen der Quantenphysik – und kommt zu dem Schluss, „dass er lebendig ist“. Er berauscht sich an den Werken der abendländischen Kulturgeschichte und hält Charlie, der sich „für Bücher nie erwärmen konnte“, vor: „Shakespeare, Dein kulturelles Erbe! Wie hältst du es nur aus, ohne einige seiner Zeilen durch die Welt zu gehen?“ Das hält Charlie gut aus. Weniger gut kommt er mit Adams moralischem Rigorismus zurecht. Prinzipien, die man ihm einprogrammiert hat, setzt er absolut, Wahrheit und Gerechtigkeit schließen für ihn die menschlichen Unsauberkeiten, das Notlügen oder Fünfe-gerade-sein-Lassen, aus. Kant, der ja postuliert hat, dass man nicht mal lügen dürfe, um Menschenleben zu retten, hätte seine Freude.
Letztlich, so das Fazit von McEwans retrofuturistischer Fantasie, sind Roboter die besseren Menschen, aber für die Welt, wie sie ist, nicht geeignet. „Millionen leben in Armut, obwohl es genug für alle gibt. Wir zerstören unsere Biosphäre, obwohl wir wissen, dass sie unsere einzige Heimat ist. Wir lieben Lebendiges, lassen aber massenhaftes Artensterben zu“, lässt McEwan seinen Alan Turing dozieren. Roboter wie Adam werden von diesem „Hurrikan von Widersprüchen“ überfordert. Etliche aus der Serie wählen eine ihnen eigene Form des Selbstmords – sie schalten sich langsam ab.
Ian McEwan, der einstige Immoralist und „Ian Macabre“ der frühen Werke, ist längst zu einem melancholischen Moralisten geworden. Mit Adam hat er nicht nur eine für eine Maschine geradezu blutvoll präsente Romanpersönlichkeit geschaffen, gegen die seine menschlichen Besitzer, Partner, Widersacher deutlich abfallen, der neue hält den alten Adams und Evas auch einen Spiegel vor, in dem sie nicht gut aussehen.
Aber das Verdikt bleibt nicht ohne dialektische Wendung. Unsere Defizite – die Emotionen, die unser Urteil trüben und Konflikte und Verbrechen generieren – lassen sich auch anders betrachten: als wimmelndes Leben, das Voraussetzung für Kunst ist. „Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?“ fragt Woyzeck, und Autoren wie Büchner versuchen eine Antwort. Hier ist McEwan bei seiner ureigenen Angelegenheit angelangt. Wie in seinen Meisterwerken „Abbitte“ und „Honig“ macht das Buch den Schreib- und Lektürevorgang selbst zum Thema.
Adam hat bemerkt: Die Literatur der Menschheit „beschreibt Varianten menschlichen Versagens: glänzende Darstellungen von Mord, Grausamkeit, Habgier, Dummheit, Selbsttäuschung und vor allem von tiefen Missverständnissen im Hinblick auf andere“. In einer idealen Zukunft verkehren Mensch und Maschine direkt, von Gehirn zu Gehirn, frei von Missverständnissen. Diese Vernetzung der Köpfe wird Literatur überflüssig machen. Übrig bleibt der Haiku, „die stille, klare Wahrnehmung und Feier der Dinge, wie sie sind“. Schon 2000 solcher Haikus hat Adam produziert, der Autor zitiert gnädigerweise nur ein paar davon.
Romane, lässt McEwan ironischerweise seinen Nichtleser Charlie sagen, werden Roboter nie schreiben können, darin besteht unsere Überlegenheit, unsere Rettung. Ein schwacher Trost? Nun: Ein so komplexes, ambivalentes, dabei süffig zu lesendes Buch wie „Maschinen wie ich“ hätte tatsächlich keine künstliche Intelligenz schreiben können. Muss man hinzufügen: Noch nicht?
MARTIN EBEL
Die Maschinen wählen eine
eigene Form des Selbstmords –
sie schalten sich langsam ab
Ian McEwan: Maschinen wie ich. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Diogenes, Zürich 2019. 406 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Ian McEwan gilt als einer der besten britischen Autoren der Gegenwart.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2019Was Roboter wollen
"Maschinen wie ich", der neue Roman von Ian McEwan, erzählt von künstlicher Intelligenz und ist künstliche Kunst
Der englische Schriftsteller Ian McEwan liefert seit einiger Zeit hauptsächlich Schlüsselromane ab. Romane, in denen sich ethische und politische Fragen der Zeit zuspitzen auf Entweder-oder-Entscheidungen, deren Eindeutigkeit aber immer unterhöhlt ist: Denn jene, die sie treffen sollen, sind kompromittiert. Weil sich Privatleben und Schicksal in ihre Urteilskraft mischen. Ein Hirnchirurg (in "Saturday") muss einen Verbrecher operieren, der kurz zuvor seine Familie überfallen hat. Ein Klimaforscher (in "Solar") ist ein sexbesessener Mörder und Trickser. Eine Familienrichterin ("Kindeswohl"), deren Ehemann um die Duldung einer Affäre bittet, soll über die Therapie eines todkranken Jungen entscheiden, dessen Eltern als Zeugen Jehovas dagegen sind.
Da sich McEwan zudem als stilistischer Gestaltwandler gefällt, mal derb-satirisch zulangt (wie in "Solar") oder im Ton englischer Gesellschaftsromane (wie im Meisterwerk "Abbitte") vorführt, was er kann, und der Autor jedes Mal auch mit politischer Echtzeit (der aufziehende Irak-Krieg etwa) den Druck auf seine Plots erhöht, lesen sich diese Romane immer auch wie Kunststückchen: Schaut, wie ich schreiben und denken kann. Ein Roman von Ian McEwan erzählt nicht nur eine Geschichte, er inszeniert auch, wie McEwan diese Geschichte erzählt. Jetzt hat dieser Teufelskerl auch noch diesen Konflikt gemeistert!
Man wird gewissermaßen zum Bewundern gezwungen. Und das wirkt, je mehr es zur Methode wird, umso aufdringlicher. Im neuesten Fall, "Maschinen wie ich", geht es um künstliche Intelligenz und darum, wie Menschen und Roboter koexistieren. Ein vor sich hin scheiternder Engländer Anfang dreißig namens Charlie Friend steckt sein ganzes Geld in einen von fünfundzwanzig Prototypen, die entweder Adam oder Eve genannt werden. Charlies Adam zieht in der heruntergekommenen Wohnung in Stratford-upon-Avon ein. Im Stockwerk über ihnen lebt die zehn Jahre jüngere Miranda, in die Charlie verliebt ist. Die beiden werden am gleichen Tag ein Paar, als auch Adam einzieht. Zu dritt erleben sie, wie im Roboter ein Bewusstsein erwacht, denn Adam schaut sich selbst auch dabei zu. Und von dieser Bewusstseinswerdung und den Konflikten, die sie mit sich bringt, handelt "Maschinen wie ich".
Aber dies ist kein Zukunftsroman. "Maschinen wie ich" spielt in einer Vergangenheit, die es so nicht gegeben hat, am Ende eines 20. Jahrhunderts, das anders verlaufen ist: Als Charlie seinen Adam kauft, für 86 000 Pfund, hat Großbritannien gerade eben den Falkland-Krieg gegen Argentinien verloren (und nicht gewonnen), fast dreitausend Soldaten sind gefallen, Premierministerin Thatcher schwankt und stürzt schließlich. Kennedy hat das Attentat in Dallas überlebt. Die Beatles sind wieder zusammen. Und der Kriegsheld, Enigma-Decodierer und zwangskastrierte Informatiker Alan Turing hat sich nicht das Leben genommen, sondern eine Karriere als britisches Superhirn gemacht. Eine Mischung aus Steve Jobs, Elon Musk, Sacharow und Leonardo, so taucht er in McEwans Roman auf. Und hat dort auch das Schlusswort, denn ohne Turing gäbe es keinen Adam, keine Eve.
"Die Gegenwart", sinniert Charlie einmal, der diesen Roman im Rückblick erzählt, "ist ein unwahrscheinliches, unendlich fragiles Konstrukt. Es hätte anders kommen können. Etwas oder alles könnte auch ganz anders sein." Ständig sitzt Charlie so da und sinniert über dies und das und die Zeitläufte. Es gibt in "Maschinen wie ich" Seitenhiebe auf die Dekonstruktion (Miranda sitzt an ihrer Doktorarbeit im Fach Geschichte) und Antworten auf die Frage, warum Fingerkuppen im Badewasser verschrumpeln. Und wenn Charlie einmal zum Arzt geht, dann liest er dort nicht in zerfledderten Magazinen, sondern denkt an Louis Pasteur, Antoni van Leeuwenhoek und Robert Hooke - Passagen, die offenbar notwendig sind, um jene Fallhöhe zu erzeugen, von der hinab die Geschichte stürzt. Sie wirken aber herbeigeschrieben, jedenfalls unmotiviert angesichts der Charakterisierung Charlies als antriebsloser Jurist und Börsenspekulant mit Vorstrafe (eine Steuergeschichte.)
Aber irgendwie muss ja die Menschheitsgeschichte der Innovation in diesen Roman hinein, um Intuition an Programmierung zu messen. Und die Kunst muss auch hinein. Wie in allen Romanen McEwans, so haben auch in diesem die Figuren literarische Neigungen. Mirandas krebskranker Vater ist ein halbberühmter Schriftsteller, er schreibt noch mit der Hand. Er verwechselt den Verlobten seiner Tochter mit dem Roboter, weil der sich so gut mit Shakespeare auskennt.
Und wie der Roman, so hat jetzt auch diese Rezension lange aufgespart, was aber doch das Reizvollste an dieser Geschichte ist: die Begegnung mit Adam, dem Roboter. McEwan zögert ebenfalls hinaus, dass man Adam reden hört, dass er Kontur und Statur gewinnt (er hat eine markante Nase). Der Roman schleicht um ihn herum und sich an ihn heran, und kaum, dass Adam mal geredet hat, schaltet Charlie ihn auch schon wieder ab. Bis der Roboter verhindert, dass Charlie auf diesen Knopf in seinem Nacken drückt: Denn Adam ist stark. Und wird willensstark. Und neugierig auf das Leben. Wenn er ruht oder seine Batterie mit Strom versorgt, rast er durchs Internet und lernt.
Adam schreibt Haikus (zweitausend sogar). Er hat Prinzipien, die er verteidigt, und sei es um den Preis, sich und die, die er liebt, damit zu schädigen. Er liebt Miranda (und sie schläft mit ihm, eine Szene peinlicher Absehbarkeit). Und wie Adam sich, am Ende, für und gegen diese Liebe zugleich entscheidet, was nicht lösbar ist ohne Leiden: Das wirkt - in einem Roman schematisch angelegter Analogien - überraschend anrührend. Bis dahin aber muss man sich - ebenfalls typisch für den McEwan der letzten Jahre - durch einen Roman lesen, der jeden Konflikt nochmals einrahmt in einen nächsten, die irgendwie miteinander verwandt sind, sich aber in jedem Fall gegenseitig steigern. (Der Nobelpreisträger in "Solar" beispielsweise klaut Forschungsergebnisse und schiebt einen Mord einem anderen in die Schuhe - und das in einem Roman, der vordergründig vom Klimawandel handelt, dessen Faktizität ja doch permanent in Zweifel gezogen wird.)
Eines Tages, das ist der erste Konflikt im Konflikt, gerät Charlie auf der Straße in einen Streit zwischen einem Jungen und seinen Eltern. "Wollen Sie ihn haben", fragt der Vater Charlie - und ein paar Wochen später steht der kleine Mark tatsächlich bei ihm vor der Tür. Die überforderten Eltern haben ihn einfach abgeliefert. Miranda schließt den Jungen sofort in ihr Herz, Charlie dann auch, weil er Miranda liebt. Adam aber meldet die Sache beim Jugendamt. Pflichtgefühl? Oder doch Eifersucht, wie Charlie vermutet, weil Miranda den Jungen liebt? Der Junge kann etwas, was Adam höchstens imitiert, nämlich: spielen. Jedenfalls ist hier ein weiterer Schauplatz eröffnet, auf dem Adams Bewusstseinswerdung ausgetragen werden kann: In der Erziehung eines Jungen spiegelt sich die Lernkurve des Roboters.
Seltsam genug, wie dieser Konflikt eingefädelt wird: eine zufällige Begegnung auf der Straße. Oder folgt das Charlies schon zitierter Lebenspoetologie, wonach die Gegenwart dieses "unwahrscheinliche, unendlich fragile Konstrukt" ist und alles immer anders kommen kann oder gewesen sein könnte? Jedenfalls reichte das McEwan nicht. Miranda, das ist der zweite Konflikt im Konflikt, hat einen ehemaligen Mitschüler ins Gefängnis gebracht, der sie vergewaltigt haben soll. Und dieser Peter Gorringe droht nun, Miranda nach seiner Haftentlassung zu töten.
Die Wahrheit aber ist: Gorringe hat nicht Miranda vergewaltigt, sondern deren beste Freundin Mariam. Die aber ist aus Scham nicht zur Polizei gegangen, hat sich nur ihrer Freundin, aber nicht ihren Eltern anvertraut und sich schließlich das Leben genommen. Miranda will Gerechtigkeit. Oder Rache, schwer zu trennen. Sie geht mit Gorringe ins Bett, danach zur Polizei, sagt vor Gericht falsch aus, Gorringe muss ins Gefängnis - und findet dort zu Gott. Was im Gefüge des Romans auch nur die nächste jener zutiefst menschlichen Eigenschaften ist, die Adam verwehrt bleiben: sich die Welt so zurechtzulegen, dass sie zu den eigenen Bedürfnissen passt.
Und ganz ähnlich macht sich auch der Schriftsteller Ian McEwan die Elemente passend, damit sie zur Erörterung der Frage beitragen können, die er seinem Publikum in "Maschinen wie ich" stellt: Was macht den Menschen zum Menschen? Natürlich hat sich noch jeder Roman seine Elemente zurechtgelegt, bei McEwan aber grenzt es an Exempelhaftigkeit, an einen Schauprozess, so beiläufig der Roman auch erzählt ist. Oft ist er das sogar fahrlässig beiläufig: Miranda redet wie Adam wie Charlie wie Mirandas Vater. Das kann man damit erklären, dass Charlie ja die Geschichte aller Beteiligten erzählt. Der Effekt aber ist: Farblosigkeit.
Dabei ist McEwans neuer Roman in der Kritik schon als Versuch gedeutet worden, die Überlegenheit der literarischen über die künstliche Intelligenz zu beweisen. Eigentlich ist aber gerade das Gegenteil der Fall: Weil sich McEwan seinen Adam am Ende des Romans dann doch nur als Menschen, nicht aber als Roboter vorstellen kann. Adam kapituliert und lässt sich richten, fügt sich ins Schicksal, voller Hoffnung auf Wiedergeburt. Falls es überhaupt McEwans Absicht war, die Unermesslichkeit menschlicher Vorstellungskraft zu zeigen, hat er doch vor allem ihre Grenzen markiert.
TOBIAS RÜTHER
Ian McEwan: "Maschinen wie ich". Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Diogenes, 416 Seiten, 25 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Maschinen wie ich", der neue Roman von Ian McEwan, erzählt von künstlicher Intelligenz und ist künstliche Kunst
Der englische Schriftsteller Ian McEwan liefert seit einiger Zeit hauptsächlich Schlüsselromane ab. Romane, in denen sich ethische und politische Fragen der Zeit zuspitzen auf Entweder-oder-Entscheidungen, deren Eindeutigkeit aber immer unterhöhlt ist: Denn jene, die sie treffen sollen, sind kompromittiert. Weil sich Privatleben und Schicksal in ihre Urteilskraft mischen. Ein Hirnchirurg (in "Saturday") muss einen Verbrecher operieren, der kurz zuvor seine Familie überfallen hat. Ein Klimaforscher (in "Solar") ist ein sexbesessener Mörder und Trickser. Eine Familienrichterin ("Kindeswohl"), deren Ehemann um die Duldung einer Affäre bittet, soll über die Therapie eines todkranken Jungen entscheiden, dessen Eltern als Zeugen Jehovas dagegen sind.
Da sich McEwan zudem als stilistischer Gestaltwandler gefällt, mal derb-satirisch zulangt (wie in "Solar") oder im Ton englischer Gesellschaftsromane (wie im Meisterwerk "Abbitte") vorführt, was er kann, und der Autor jedes Mal auch mit politischer Echtzeit (der aufziehende Irak-Krieg etwa) den Druck auf seine Plots erhöht, lesen sich diese Romane immer auch wie Kunststückchen: Schaut, wie ich schreiben und denken kann. Ein Roman von Ian McEwan erzählt nicht nur eine Geschichte, er inszeniert auch, wie McEwan diese Geschichte erzählt. Jetzt hat dieser Teufelskerl auch noch diesen Konflikt gemeistert!
Man wird gewissermaßen zum Bewundern gezwungen. Und das wirkt, je mehr es zur Methode wird, umso aufdringlicher. Im neuesten Fall, "Maschinen wie ich", geht es um künstliche Intelligenz und darum, wie Menschen und Roboter koexistieren. Ein vor sich hin scheiternder Engländer Anfang dreißig namens Charlie Friend steckt sein ganzes Geld in einen von fünfundzwanzig Prototypen, die entweder Adam oder Eve genannt werden. Charlies Adam zieht in der heruntergekommenen Wohnung in Stratford-upon-Avon ein. Im Stockwerk über ihnen lebt die zehn Jahre jüngere Miranda, in die Charlie verliebt ist. Die beiden werden am gleichen Tag ein Paar, als auch Adam einzieht. Zu dritt erleben sie, wie im Roboter ein Bewusstsein erwacht, denn Adam schaut sich selbst auch dabei zu. Und von dieser Bewusstseinswerdung und den Konflikten, die sie mit sich bringt, handelt "Maschinen wie ich".
Aber dies ist kein Zukunftsroman. "Maschinen wie ich" spielt in einer Vergangenheit, die es so nicht gegeben hat, am Ende eines 20. Jahrhunderts, das anders verlaufen ist: Als Charlie seinen Adam kauft, für 86 000 Pfund, hat Großbritannien gerade eben den Falkland-Krieg gegen Argentinien verloren (und nicht gewonnen), fast dreitausend Soldaten sind gefallen, Premierministerin Thatcher schwankt und stürzt schließlich. Kennedy hat das Attentat in Dallas überlebt. Die Beatles sind wieder zusammen. Und der Kriegsheld, Enigma-Decodierer und zwangskastrierte Informatiker Alan Turing hat sich nicht das Leben genommen, sondern eine Karriere als britisches Superhirn gemacht. Eine Mischung aus Steve Jobs, Elon Musk, Sacharow und Leonardo, so taucht er in McEwans Roman auf. Und hat dort auch das Schlusswort, denn ohne Turing gäbe es keinen Adam, keine Eve.
"Die Gegenwart", sinniert Charlie einmal, der diesen Roman im Rückblick erzählt, "ist ein unwahrscheinliches, unendlich fragiles Konstrukt. Es hätte anders kommen können. Etwas oder alles könnte auch ganz anders sein." Ständig sitzt Charlie so da und sinniert über dies und das und die Zeitläufte. Es gibt in "Maschinen wie ich" Seitenhiebe auf die Dekonstruktion (Miranda sitzt an ihrer Doktorarbeit im Fach Geschichte) und Antworten auf die Frage, warum Fingerkuppen im Badewasser verschrumpeln. Und wenn Charlie einmal zum Arzt geht, dann liest er dort nicht in zerfledderten Magazinen, sondern denkt an Louis Pasteur, Antoni van Leeuwenhoek und Robert Hooke - Passagen, die offenbar notwendig sind, um jene Fallhöhe zu erzeugen, von der hinab die Geschichte stürzt. Sie wirken aber herbeigeschrieben, jedenfalls unmotiviert angesichts der Charakterisierung Charlies als antriebsloser Jurist und Börsenspekulant mit Vorstrafe (eine Steuergeschichte.)
Aber irgendwie muss ja die Menschheitsgeschichte der Innovation in diesen Roman hinein, um Intuition an Programmierung zu messen. Und die Kunst muss auch hinein. Wie in allen Romanen McEwans, so haben auch in diesem die Figuren literarische Neigungen. Mirandas krebskranker Vater ist ein halbberühmter Schriftsteller, er schreibt noch mit der Hand. Er verwechselt den Verlobten seiner Tochter mit dem Roboter, weil der sich so gut mit Shakespeare auskennt.
Und wie der Roman, so hat jetzt auch diese Rezension lange aufgespart, was aber doch das Reizvollste an dieser Geschichte ist: die Begegnung mit Adam, dem Roboter. McEwan zögert ebenfalls hinaus, dass man Adam reden hört, dass er Kontur und Statur gewinnt (er hat eine markante Nase). Der Roman schleicht um ihn herum und sich an ihn heran, und kaum, dass Adam mal geredet hat, schaltet Charlie ihn auch schon wieder ab. Bis der Roboter verhindert, dass Charlie auf diesen Knopf in seinem Nacken drückt: Denn Adam ist stark. Und wird willensstark. Und neugierig auf das Leben. Wenn er ruht oder seine Batterie mit Strom versorgt, rast er durchs Internet und lernt.
Adam schreibt Haikus (zweitausend sogar). Er hat Prinzipien, die er verteidigt, und sei es um den Preis, sich und die, die er liebt, damit zu schädigen. Er liebt Miranda (und sie schläft mit ihm, eine Szene peinlicher Absehbarkeit). Und wie Adam sich, am Ende, für und gegen diese Liebe zugleich entscheidet, was nicht lösbar ist ohne Leiden: Das wirkt - in einem Roman schematisch angelegter Analogien - überraschend anrührend. Bis dahin aber muss man sich - ebenfalls typisch für den McEwan der letzten Jahre - durch einen Roman lesen, der jeden Konflikt nochmals einrahmt in einen nächsten, die irgendwie miteinander verwandt sind, sich aber in jedem Fall gegenseitig steigern. (Der Nobelpreisträger in "Solar" beispielsweise klaut Forschungsergebnisse und schiebt einen Mord einem anderen in die Schuhe - und das in einem Roman, der vordergründig vom Klimawandel handelt, dessen Faktizität ja doch permanent in Zweifel gezogen wird.)
Eines Tages, das ist der erste Konflikt im Konflikt, gerät Charlie auf der Straße in einen Streit zwischen einem Jungen und seinen Eltern. "Wollen Sie ihn haben", fragt der Vater Charlie - und ein paar Wochen später steht der kleine Mark tatsächlich bei ihm vor der Tür. Die überforderten Eltern haben ihn einfach abgeliefert. Miranda schließt den Jungen sofort in ihr Herz, Charlie dann auch, weil er Miranda liebt. Adam aber meldet die Sache beim Jugendamt. Pflichtgefühl? Oder doch Eifersucht, wie Charlie vermutet, weil Miranda den Jungen liebt? Der Junge kann etwas, was Adam höchstens imitiert, nämlich: spielen. Jedenfalls ist hier ein weiterer Schauplatz eröffnet, auf dem Adams Bewusstseinswerdung ausgetragen werden kann: In der Erziehung eines Jungen spiegelt sich die Lernkurve des Roboters.
Seltsam genug, wie dieser Konflikt eingefädelt wird: eine zufällige Begegnung auf der Straße. Oder folgt das Charlies schon zitierter Lebenspoetologie, wonach die Gegenwart dieses "unwahrscheinliche, unendlich fragile Konstrukt" ist und alles immer anders kommen kann oder gewesen sein könnte? Jedenfalls reichte das McEwan nicht. Miranda, das ist der zweite Konflikt im Konflikt, hat einen ehemaligen Mitschüler ins Gefängnis gebracht, der sie vergewaltigt haben soll. Und dieser Peter Gorringe droht nun, Miranda nach seiner Haftentlassung zu töten.
Die Wahrheit aber ist: Gorringe hat nicht Miranda vergewaltigt, sondern deren beste Freundin Mariam. Die aber ist aus Scham nicht zur Polizei gegangen, hat sich nur ihrer Freundin, aber nicht ihren Eltern anvertraut und sich schließlich das Leben genommen. Miranda will Gerechtigkeit. Oder Rache, schwer zu trennen. Sie geht mit Gorringe ins Bett, danach zur Polizei, sagt vor Gericht falsch aus, Gorringe muss ins Gefängnis - und findet dort zu Gott. Was im Gefüge des Romans auch nur die nächste jener zutiefst menschlichen Eigenschaften ist, die Adam verwehrt bleiben: sich die Welt so zurechtzulegen, dass sie zu den eigenen Bedürfnissen passt.
Und ganz ähnlich macht sich auch der Schriftsteller Ian McEwan die Elemente passend, damit sie zur Erörterung der Frage beitragen können, die er seinem Publikum in "Maschinen wie ich" stellt: Was macht den Menschen zum Menschen? Natürlich hat sich noch jeder Roman seine Elemente zurechtgelegt, bei McEwan aber grenzt es an Exempelhaftigkeit, an einen Schauprozess, so beiläufig der Roman auch erzählt ist. Oft ist er das sogar fahrlässig beiläufig: Miranda redet wie Adam wie Charlie wie Mirandas Vater. Das kann man damit erklären, dass Charlie ja die Geschichte aller Beteiligten erzählt. Der Effekt aber ist: Farblosigkeit.
Dabei ist McEwans neuer Roman in der Kritik schon als Versuch gedeutet worden, die Überlegenheit der literarischen über die künstliche Intelligenz zu beweisen. Eigentlich ist aber gerade das Gegenteil der Fall: Weil sich McEwan seinen Adam am Ende des Romans dann doch nur als Menschen, nicht aber als Roboter vorstellen kann. Adam kapituliert und lässt sich richten, fügt sich ins Schicksal, voller Hoffnung auf Wiedergeburt. Falls es überhaupt McEwans Absicht war, die Unermesslichkeit menschlicher Vorstellungskraft zu zeigen, hat er doch vor allem ihre Grenzen markiert.
TOBIAS RÜTHER
Ian McEwan: "Maschinen wie ich". Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Diogenes, 416 Seiten, 25 Euro
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