Bastian Schweinsteiger, der Held des WM-Finales 2014 in Rio, ist auch der Held des neuen Romans von Martin Suter. Der Autor erzählt uns Wahres und fast Wahres aus dem Leben des Mannes, der alles erreicht hat, was man als Fußballer erreichen kann. Und der dennoch weiß, was Scheitern bedeutet, und die Schattenseiten des Erfolgs kennt. Die bewegende Story einer Weltkarriere. Und ein berührender Liebesroman.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2022Doppelpass in die Langeweile
Diskretion ist auch keine Lösung: Martin Suter scheitert mit seiner Biographie über den Fußballspieler Bastian Schweinsteiger.
In der achtundachtzigsten Minute erzielte Didier Drogba im Finale der Champions League 2012 den Ausgleich, "mit einem Kopfballaufsetzer". So schreibt es Martin Suter in seiner Biographie über Bastian Schweinsteiger. Mit einem Aufsetzer? Drogba, der wie kein anderer Fußballer Kraft und Eleganz miteinander verband, hatte den Ball aus etwa sechs Metern mit spektakulärer Wucht und Präzision direkt in den rechten Winkel geköpft. Ein Traumtor, sieht man von Bayernfans einmal ab. Obwohl Manuel Neuer richtig stand, hatte er keine Abwehrchance. Das Drama nahm seinen bekannten Lauf, am Ende unterlagen die Bayern Chelsea im Elfmeterschießen, Schweinsteiger verschoss den entscheidenden Elfmeter.
Man könnte den Fehler Suters für eine Kleinigkeit halten. Aber das ist er nicht, denn er zeigt, dass der Autor an Fußball nicht tiefer interessiert ist. Dass er keine persönlichen Erinnerungen an Spielzüge aus großen Begegnungen hat, die sich Aficionados ins Gedächtnis eingebrannt haben, etwa weil sie spürten: Drogbas Tor war so schön, dass es allein den nach allen Statistiken unverdienten Sieg Chelseas rechtfertigen konnte. Was Suter über Fußball schreibt, ist dagegen angelesen, das merkt man an der eigentümlichen Leblosigkeit der Spielberichte, die sich in der Biographie eines Fußballers nun einmal nicht ganz vermeiden lassen. Auch das, was Schweinsteigers Spielstil und dessen Weiterentwicklung ausmachte, wird nur schablonenhaft referiert.
Der Protagonist wiederum hat von sich selbst mit etwas billiger Koketterie gesagt, er lese lieber tausend Fußballspiele als ein Buch. Kurzum: Ein Autor, der nicht viel von Fußball versteht, wird von einem Fußballspieler, der ungern liest, mit der Beschreibung seines Lebenswegs beauftragt. Das Kalkül dieses Doppelpasses folgte einer Marketing-Logik: Sportstar und Bestseller-Autor steigern sich wechselseitig in ihrer Bedeutung.
Die Biographie ist als "Roman" ausgewiesen. Nun dürften weniger literaturtheoretische, sondern vor allem juristische Überlegungen von Autor und Verlag zur Wahl dieses Genre-Etiketts geführt haben. Wo sich jemand unvorteilhaft dargestellt fühlen könnte, etwa ehemalige Berater oder Freundinnen Schweinsteigers, kann der prophylaktische Verweis auf die Fiktionalität teuren Ärger ersparen. Wobei der Gentleman-Autor Suter ohnehin in jeder Hinsicht so diskret bleibt, dass diese Sorge eher theoretischer Natur ist. Zugleich laufen die etwas gestelzt formulierten und vermutlich von einem inneren Unbehagen zeugenden Auskünfte in Suters Vorwort darauf hinaus, dass er einerseits in Anspruch nimmt, mit Angaben zu Orten, Zeiten und Namen präzise zu sein, aber für Dialoge, innere Monologe und atmosphärische Schilderungen dichterische Freiheit beansprucht. Auf eine solche Mischung greifen jedoch auch Verfasser anderer Bücher über Sportstars zurück, ohne diese gleich als Roman auszuweisen.
Dass Suter souverän schreiben kann, ist bekannt. Auch den Lebensweg Schweinsteigers vom sportbegeisterten Kind zum Weltmeister erzählt er sehr gediegen und streng chronologisch in kurzen Sätzen, die Pathos und Kitsch nicht scheuen, hier und da mit einem Schuss milder Ironie durchwirkt. Wie man es von ihm kennt, legt Suter bei der Beschreibung von Natur, Speisen und Interieurs viel Detailliebe an den Tag. Umso mehr fällt auf, wie blass die Figuren ausfallen. In den Fällen, in denen sie aus dem Fernsehen bekannt sind - von Uli Hoeneß bis zu Sarah Brandner -, lassen sich die Leerstellen von den Lesern leicht füllen. Doch Eltern, Bruder, Freunde des Helden bleiben Schemen.
Ein Roman hätte das Buch auch dadurch werden können, dass die geschilderte Geschichte romanhafte Züge trüge. Schade nur für den Leser, das immer unterhaltungssüchtige und mitunter missgünstige Wesen, dass Schweinsteiger in seinem bisherigen Leben mit dem Glück im Bunde gewesen ist. Ein sympathischer selbstbewusster Junge aus Oberbayern, geboren in eine heile Mittelschichtfamilie, mit einem gewaltigen sportlichen Talent gesegnet, nach den Schulleistungen zu schließen nicht übermäßig intelligent, aber charmant und dem schönen Leben im Augenblick zugetan. Auch weil er in seiner Jugend kluge Trainer wie Stephan Beckenbauer hat und irgendwann einen Berater findet, der nicht nur seine finanziellen Angelegenheiten vernünftig regelt, sondern auch sonst für Orientierung sorgt, kann er eine bemerkenswerte Karriere hinlegen, die ihn reich und berühmt macht. Es tut sich kein Abgrund auf. Im Gegenteil, alles läuft aus der Perspektive Martin Suters fast zwangsläufig auf das ganz große Glück hinaus, auf die Liebe zum serbischen Tennisprofi Ana Ivanovic.
Das alles sei Schweinsteiger gegönnt. Aber warum soll man es lesen? Man fühlt sich ein wenig an Hanns-Josef Ortheils Roman "Die große Liebe" erinnert. Mit dem ging der Autor das ausdrücklich als Experiment gekennzeichnete Wagnis ein, von einem Glück mit Happy End zu erzählen, nämlich davon, wie sich ein Journalist unsterblich in eine Meeresbiologin verliebt und sie in ihn. Ohne große äußere Hindernisse und innere Konflikte überwinden zu müssen, kommen sie zusammen und bleiben es auch. Ein ziemlich gut geschriebenes, aber auch sehr, sehr langweiliges Buch.
Im Fall von Suters Biographie kommt noch erschwerend hinzu, dass Fußballinteressierte fast alle wichtigen Episoden und kleinen Pointen schon kennen. Die stärksten Passagen sind denn auch die über Ivanovic; wo die größten Dramen in seinem Leben erst aufgeschlagene Knie und später verschossene Elfmeter sind, erlebt sie als Kind den Krieg und zieht als Jugendliche mit bescheidenen Mitteln ins Ausland, um ihre Tenniskarriere anzuschieben.
Als Sachbuch irrelevant, als Literatur gescheitert. Bleibt eine dritte Möglichkeit der Lektüre, die Schweinsteiger selbst potentiellen Käufern nahelegt - als Ratgeber. Er wolle Familien und Kindern Einblicke in sein Leben geben, um sie zu motivieren, nicht nur als Sportler, lässt der Siebenunddreißigjährige wissen. In diesem Sinn ist wohl auch der anbiedernd-pamphlethafte Titel "Einer von euch" zu verstehen, ein Zitat aus Schweinsteigers Rede nach seinem Abschiedsspiel in München. Doch ehrgeizige Eltern seien gewarnt: Die Botschaft könnte so verstanden werden, dass man sich in der Schule nicht anstrengen muss, wenn das sportliche Talent nur groß genug ist. MATTHIAS ALEXANDER
Martin Suter: "Einer von euch". Bastian Schweinsteiger. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2022. 384 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Diskretion ist auch keine Lösung: Martin Suter scheitert mit seiner Biographie über den Fußballspieler Bastian Schweinsteiger.
In der achtundachtzigsten Minute erzielte Didier Drogba im Finale der Champions League 2012 den Ausgleich, "mit einem Kopfballaufsetzer". So schreibt es Martin Suter in seiner Biographie über Bastian Schweinsteiger. Mit einem Aufsetzer? Drogba, der wie kein anderer Fußballer Kraft und Eleganz miteinander verband, hatte den Ball aus etwa sechs Metern mit spektakulärer Wucht und Präzision direkt in den rechten Winkel geköpft. Ein Traumtor, sieht man von Bayernfans einmal ab. Obwohl Manuel Neuer richtig stand, hatte er keine Abwehrchance. Das Drama nahm seinen bekannten Lauf, am Ende unterlagen die Bayern Chelsea im Elfmeterschießen, Schweinsteiger verschoss den entscheidenden Elfmeter.
Man könnte den Fehler Suters für eine Kleinigkeit halten. Aber das ist er nicht, denn er zeigt, dass der Autor an Fußball nicht tiefer interessiert ist. Dass er keine persönlichen Erinnerungen an Spielzüge aus großen Begegnungen hat, die sich Aficionados ins Gedächtnis eingebrannt haben, etwa weil sie spürten: Drogbas Tor war so schön, dass es allein den nach allen Statistiken unverdienten Sieg Chelseas rechtfertigen konnte. Was Suter über Fußball schreibt, ist dagegen angelesen, das merkt man an der eigentümlichen Leblosigkeit der Spielberichte, die sich in der Biographie eines Fußballers nun einmal nicht ganz vermeiden lassen. Auch das, was Schweinsteigers Spielstil und dessen Weiterentwicklung ausmachte, wird nur schablonenhaft referiert.
Der Protagonist wiederum hat von sich selbst mit etwas billiger Koketterie gesagt, er lese lieber tausend Fußballspiele als ein Buch. Kurzum: Ein Autor, der nicht viel von Fußball versteht, wird von einem Fußballspieler, der ungern liest, mit der Beschreibung seines Lebenswegs beauftragt. Das Kalkül dieses Doppelpasses folgte einer Marketing-Logik: Sportstar und Bestseller-Autor steigern sich wechselseitig in ihrer Bedeutung.
Die Biographie ist als "Roman" ausgewiesen. Nun dürften weniger literaturtheoretische, sondern vor allem juristische Überlegungen von Autor und Verlag zur Wahl dieses Genre-Etiketts geführt haben. Wo sich jemand unvorteilhaft dargestellt fühlen könnte, etwa ehemalige Berater oder Freundinnen Schweinsteigers, kann der prophylaktische Verweis auf die Fiktionalität teuren Ärger ersparen. Wobei der Gentleman-Autor Suter ohnehin in jeder Hinsicht so diskret bleibt, dass diese Sorge eher theoretischer Natur ist. Zugleich laufen die etwas gestelzt formulierten und vermutlich von einem inneren Unbehagen zeugenden Auskünfte in Suters Vorwort darauf hinaus, dass er einerseits in Anspruch nimmt, mit Angaben zu Orten, Zeiten und Namen präzise zu sein, aber für Dialoge, innere Monologe und atmosphärische Schilderungen dichterische Freiheit beansprucht. Auf eine solche Mischung greifen jedoch auch Verfasser anderer Bücher über Sportstars zurück, ohne diese gleich als Roman auszuweisen.
Dass Suter souverän schreiben kann, ist bekannt. Auch den Lebensweg Schweinsteigers vom sportbegeisterten Kind zum Weltmeister erzählt er sehr gediegen und streng chronologisch in kurzen Sätzen, die Pathos und Kitsch nicht scheuen, hier und da mit einem Schuss milder Ironie durchwirkt. Wie man es von ihm kennt, legt Suter bei der Beschreibung von Natur, Speisen und Interieurs viel Detailliebe an den Tag. Umso mehr fällt auf, wie blass die Figuren ausfallen. In den Fällen, in denen sie aus dem Fernsehen bekannt sind - von Uli Hoeneß bis zu Sarah Brandner -, lassen sich die Leerstellen von den Lesern leicht füllen. Doch Eltern, Bruder, Freunde des Helden bleiben Schemen.
Ein Roman hätte das Buch auch dadurch werden können, dass die geschilderte Geschichte romanhafte Züge trüge. Schade nur für den Leser, das immer unterhaltungssüchtige und mitunter missgünstige Wesen, dass Schweinsteiger in seinem bisherigen Leben mit dem Glück im Bunde gewesen ist. Ein sympathischer selbstbewusster Junge aus Oberbayern, geboren in eine heile Mittelschichtfamilie, mit einem gewaltigen sportlichen Talent gesegnet, nach den Schulleistungen zu schließen nicht übermäßig intelligent, aber charmant und dem schönen Leben im Augenblick zugetan. Auch weil er in seiner Jugend kluge Trainer wie Stephan Beckenbauer hat und irgendwann einen Berater findet, der nicht nur seine finanziellen Angelegenheiten vernünftig regelt, sondern auch sonst für Orientierung sorgt, kann er eine bemerkenswerte Karriere hinlegen, die ihn reich und berühmt macht. Es tut sich kein Abgrund auf. Im Gegenteil, alles läuft aus der Perspektive Martin Suters fast zwangsläufig auf das ganz große Glück hinaus, auf die Liebe zum serbischen Tennisprofi Ana Ivanovic.
Das alles sei Schweinsteiger gegönnt. Aber warum soll man es lesen? Man fühlt sich ein wenig an Hanns-Josef Ortheils Roman "Die große Liebe" erinnert. Mit dem ging der Autor das ausdrücklich als Experiment gekennzeichnete Wagnis ein, von einem Glück mit Happy End zu erzählen, nämlich davon, wie sich ein Journalist unsterblich in eine Meeresbiologin verliebt und sie in ihn. Ohne große äußere Hindernisse und innere Konflikte überwinden zu müssen, kommen sie zusammen und bleiben es auch. Ein ziemlich gut geschriebenes, aber auch sehr, sehr langweiliges Buch.
Im Fall von Suters Biographie kommt noch erschwerend hinzu, dass Fußballinteressierte fast alle wichtigen Episoden und kleinen Pointen schon kennen. Die stärksten Passagen sind denn auch die über Ivanovic; wo die größten Dramen in seinem Leben erst aufgeschlagene Knie und später verschossene Elfmeter sind, erlebt sie als Kind den Krieg und zieht als Jugendliche mit bescheidenen Mitteln ins Ausland, um ihre Tenniskarriere anzuschieben.
Als Sachbuch irrelevant, als Literatur gescheitert. Bleibt eine dritte Möglichkeit der Lektüre, die Schweinsteiger selbst potentiellen Käufern nahelegt - als Ratgeber. Er wolle Familien und Kindern Einblicke in sein Leben geben, um sie zu motivieren, nicht nur als Sportler, lässt der Siebenunddreißigjährige wissen. In diesem Sinn ist wohl auch der anbiedernd-pamphlethafte Titel "Einer von euch" zu verstehen, ein Zitat aus Schweinsteigers Rede nach seinem Abschiedsspiel in München. Doch ehrgeizige Eltern seien gewarnt: Die Botschaft könnte so verstanden werden, dass man sich in der Schule nicht anstrengen muss, wenn das sportliche Talent nur groß genug ist. MATTHIAS ALEXANDER
Martin Suter: "Einer von euch". Bastian Schweinsteiger. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2022. 384 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Interessant an der Biografie des Fußballers Bastian Schweinsteiger ist für Rezensent Andreas Bernard eigentlich das Unerwartete, Unwahrscheinliche. Dass aus einem blondierten Voralpen-Hallodri ein Weltklassefußballer wird, war eben keine ausgemachte Sache. Leider muss Martin Suter in seiner Auftragsarbeit weismachen, dass es sich bei dieser Karriere um einen vorgezeichneten Weg handelt. Das erscheint Bernard für einen Roman ziemlich witzlos. Auch die brave Nacherzählung von idyllischer Kindheit, umjubelten Torerfolgen, standesgemäßer Beziehung und Immobilienkäufen rund um den Globus reißt den Rezensenten nicht gerade vom Hocker. Für Bernard ist diese bestellte Hagiografie nur ein weiterer Beleg für Schweinsteigers "Willen zu Selbstmonumentalisierung".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Martin Suter gilt als Meister einer eleganten Feder, die so fein geschliffen ist, dass man die Stiche oft erst hinterher spürt.«