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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2004In Staub mit allen Feinden Athens
Petros Markaris schickt Kommissar Charitos aufs neue ins Rennen
Wer von den Olympischen Spielen mit ihren sich häufenden fragwürdigen Entscheidungen allmählich genug hat, aber trotzdem von Athen nicht lassen mag, dem kann mit einem Roman geholfen werden, der sich am besten mit dem Stadtplan in der anderen Hand liest. Denn der Ich-Erzähler, ein schon leidlich betagter Kriminalkommissar namens Kostas Charitos, hat die Marotte, penibel Straßennamen um Straßennamen herzubeten, wenn er im Athener Hitzedschungel zu Fuß oder mit seinem gleichfalls heftig ächzenden Mirafiori unterwegs ist. Im Stau und bei der quälenden Parkplatzsuche bekommt der Leser so ein bezwingendes Gefühl dafür, warum die Ermittlungen des Kommissars sich niemals anders als im Schritttempo vollziehen können.
"Live!", nach "Hellas Channel" und "Nachtfalter" der dritte auf deutsch vorliegende Fall für den Kommissar Charitos, handelt zwar von reichlich dubiosen kriminellen Machenschaften, ist aber kein Kriminalroman im üblichen Sinne. Zwar erschießt sich - die Vorbereitungen für die Olympischen Spiele nehmen aufhaltsam ihren Gang - ein angesehener Bauunternehmer während einer Fernseh-Talkshow vor laufender Kamera. Zwar inszeniert ein anderer vorgeblich Honorabler ebenso mediengerecht seine Selbstverbrennung. Aber die Gründe für solch zunächst vollkommen unerklärliches Tun sind so komplex und verschlungen, daß der Autor Petros Markaris bis in die dreißig Jahre zurückliegende Militärdiktatur ausholen muß und trotzdem seine liebe Not hat, einen schlüssig Schuldigen zu benennen.
An die Logik, wie jemand über einen anderen so viel Macht gewinnen kann, daß der sich genötigt sieht, in aller Öffentlichkeit aus dem Leben zu scheiden und nicht im geheimen - an diese Grundvoraussetzung des Romans darf man keine zu hohen Ansprüche stellen. Doch tut das hier kaum etwas zur Sache. Mindestens so wichtig wie die eher privat unternommenen Nachforschungen des Kommissars, der nach einer lebensbedrohlichen Schußverletzung eigentlich im Genesungsurlaub ist und seinem ungeliebten Stellvertreter das Feld überlassen müßte, sind Markaris nämlich die beobachtungsscharfen Momentaufnahmen aus dem Familienleben von Charitos mit all seinen alltäglichen Fährnissen. Ebenso selbstironisch werden auch die Schrullen des auf das Studium von Wörterbüchern versessenen Ich-Erzählers aufgespießt, der mit seinen Vorlieben und Aversionen exemplarisch aus der Zeit gefallen scheint.
Markaris versteht sich glänzend darauf, seine Figuren so konturenscharf zu charakterisieren, daß Sympathie und Antipathie, mit denen der Leser ihnen auf der Spur ist, ständig im Widerstreit liegen. Allein wie Charitos sich unter den Bevormundungen seiner Frau Adriani fortdauernd wegduckt oder wie der ältere Mann seine jung-beschwingte Helferin Angeliki Kalafati, genannt Koula, aus geziemender Distanz anhimmelt - diese Szenen sind Kabinettstücke meisterlicher Rollenprosa.
"Live!" ist ein listig altmodisches Buch über höchst moderne Vergehen, Subventionsbetrug mit Hilfe von EU-Richtlinien zum Beispiel, und eine Studie über die selten strafbewehrte Neigung des Menschen, den anderen zu übervorteilen, wo und wann es nur geht. Daß Charitos, ein Meister des zögerlichen Voranpreschens, deshalb ganz schwermütig werden könnte, muß man verstehen. Daß er der Resignation aber die Stirn bietet, macht den Mann mit dem schleppenden Schritt zum Titanen. Und so wird er hoffentlich noch lange tolle Hypothesen spinnen, um sie auf der Stelle wieder zu verwerfen.
HANS-DIETER SEIDEL.
Petros Markaris: "Live!". Ein Fall für Kostas Charitos. Roman. Aus dem Neugriechischen übersetzt von Michaela Prinzinger. Diogenes Verlag, Zürich 2004. 517 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Petros Markaris schickt Kommissar Charitos aufs neue ins Rennen
Wer von den Olympischen Spielen mit ihren sich häufenden fragwürdigen Entscheidungen allmählich genug hat, aber trotzdem von Athen nicht lassen mag, dem kann mit einem Roman geholfen werden, der sich am besten mit dem Stadtplan in der anderen Hand liest. Denn der Ich-Erzähler, ein schon leidlich betagter Kriminalkommissar namens Kostas Charitos, hat die Marotte, penibel Straßennamen um Straßennamen herzubeten, wenn er im Athener Hitzedschungel zu Fuß oder mit seinem gleichfalls heftig ächzenden Mirafiori unterwegs ist. Im Stau und bei der quälenden Parkplatzsuche bekommt der Leser so ein bezwingendes Gefühl dafür, warum die Ermittlungen des Kommissars sich niemals anders als im Schritttempo vollziehen können.
"Live!", nach "Hellas Channel" und "Nachtfalter" der dritte auf deutsch vorliegende Fall für den Kommissar Charitos, handelt zwar von reichlich dubiosen kriminellen Machenschaften, ist aber kein Kriminalroman im üblichen Sinne. Zwar erschießt sich - die Vorbereitungen für die Olympischen Spiele nehmen aufhaltsam ihren Gang - ein angesehener Bauunternehmer während einer Fernseh-Talkshow vor laufender Kamera. Zwar inszeniert ein anderer vorgeblich Honorabler ebenso mediengerecht seine Selbstverbrennung. Aber die Gründe für solch zunächst vollkommen unerklärliches Tun sind so komplex und verschlungen, daß der Autor Petros Markaris bis in die dreißig Jahre zurückliegende Militärdiktatur ausholen muß und trotzdem seine liebe Not hat, einen schlüssig Schuldigen zu benennen.
An die Logik, wie jemand über einen anderen so viel Macht gewinnen kann, daß der sich genötigt sieht, in aller Öffentlichkeit aus dem Leben zu scheiden und nicht im geheimen - an diese Grundvoraussetzung des Romans darf man keine zu hohen Ansprüche stellen. Doch tut das hier kaum etwas zur Sache. Mindestens so wichtig wie die eher privat unternommenen Nachforschungen des Kommissars, der nach einer lebensbedrohlichen Schußverletzung eigentlich im Genesungsurlaub ist und seinem ungeliebten Stellvertreter das Feld überlassen müßte, sind Markaris nämlich die beobachtungsscharfen Momentaufnahmen aus dem Familienleben von Charitos mit all seinen alltäglichen Fährnissen. Ebenso selbstironisch werden auch die Schrullen des auf das Studium von Wörterbüchern versessenen Ich-Erzählers aufgespießt, der mit seinen Vorlieben und Aversionen exemplarisch aus der Zeit gefallen scheint.
Markaris versteht sich glänzend darauf, seine Figuren so konturenscharf zu charakterisieren, daß Sympathie und Antipathie, mit denen der Leser ihnen auf der Spur ist, ständig im Widerstreit liegen. Allein wie Charitos sich unter den Bevormundungen seiner Frau Adriani fortdauernd wegduckt oder wie der ältere Mann seine jung-beschwingte Helferin Angeliki Kalafati, genannt Koula, aus geziemender Distanz anhimmelt - diese Szenen sind Kabinettstücke meisterlicher Rollenprosa.
"Live!" ist ein listig altmodisches Buch über höchst moderne Vergehen, Subventionsbetrug mit Hilfe von EU-Richtlinien zum Beispiel, und eine Studie über die selten strafbewehrte Neigung des Menschen, den anderen zu übervorteilen, wo und wann es nur geht. Daß Charitos, ein Meister des zögerlichen Voranpreschens, deshalb ganz schwermütig werden könnte, muß man verstehen. Daß er der Resignation aber die Stirn bietet, macht den Mann mit dem schleppenden Schritt zum Titanen. Und so wird er hoffentlich noch lange tolle Hypothesen spinnen, um sie auf der Stelle wieder zu verwerfen.
HANS-DIETER SEIDEL.
Petros Markaris: "Live!". Ein Fall für Kostas Charitos. Roman. Aus dem Neugriechischen übersetzt von Michaela Prinzinger. Diogenes Verlag, Zürich 2004. 517 S., geb., 24,90 [Euro].
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»Markaris' Kommissar Kostas Charitos hat längst Kultstatus.« Welt am Sonntag Welt am Sonntag