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Kriege, Konflikte, Terrorismus, Cyberangriffe, zunehmende Bedrohungen - die Welt wird immer unsicherer. Doch eine Debatte darüber, was das für unsere Sicherheitsbehörden bedeutet, hat bis heute nicht stattgefunden. Gerhard Schindler, von 2011 bis 2016 Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), fordert eine breite öffentliche Diskussion darüber, was die Sicherheitsdienste dürfen sollen. In seiner aktiven Zeit hat erlebt, wie durch unzählige Verwaltungsvorschriften aus dem Geheimdienst eine Verwaltungsbehörde gemacht wurde, statt die Kompetenzen und Aufgaben des Dienstes den…mehr

Produktbeschreibung
Kriege, Konflikte, Terrorismus, Cyberangriffe, zunehmende Bedrohungen - die Welt wird immer unsicherer. Doch eine Debatte darüber, was das für unsere Sicherheitsbehörden bedeutet, hat bis heute nicht stattgefunden.
Gerhard Schindler, von 2011 bis 2016 Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), fordert eine breite öffentliche Diskussion darüber, was die Sicherheitsdienste dürfen sollen. In seiner aktiven Zeit hat erlebt, wie durch unzählige Verwaltungsvorschriften aus dem Geheimdienst eine Verwaltungsbehörde gemacht wurde, statt die Kompetenzen und Aufgaben des Dienstes den Herausforderungen der Zeit anzupassen. Denn bürokratische Vorgaben sind eine verzagte und die falsche Antwort der Politik auf die drängende Frage: Wie viel Freiheit und wie viel Sicherheit wollen wir?
Autorenporträt
Gerhard Schindler ist Volljurist und hat für den Bundgrenzschutz, das Bundeministerium des Inneren und den Verfassungsschutz gearbeitet, bevor er Ministerialdirektor für Öffentliche Sicherheit wurde. Somit war er für die Fachaufsicht über das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig. Von Januar 2012 bis Juni 2016 war Schindler Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Als erster BND-Chef lud er in einer Transparenzoffensive regelmäßig Journalisten zum Gespräch ein und ließ die Decknamen von BND-Standorten wie: ¿Fernmeldeweitverkehrsstelle der Bundeswehr¿ oder ¿Ionosphäreninstitut¿ gegen Klarnamen austauschen. Gerhard Schindler ist Mitglied der FDP und gilt als Fachmann für kriminelle und terroristische Netzwerke, IT-Sicherheit und Computerkriminalität.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Helmut Müller-Enbergs hätte sich vom Ex-BND-Präsidenten Gerhard Schindler mehr Weitblick über deutsche Grenzen hinaus gewünscht. Die Sicherheitsarchitektur der USA etwa hätte laut Rezensent weitere Anregungen für strukturelle Veränderungen im BND geben können, wie sie dem Autor vorschweben. Dass sich der Autor einerseits vor seinen "Dienst" stellt, andererseits aber Reformen fordert, etwa beim Terrorabwehrzentrum oder bei der föderativen Ausrichtung, erscheint Müller-Enberg reizvoll, weil das Buch auf die Art den Charakter einer Streitschrift bekommt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.02.2021

Der Souverän und die Schwarm-Intelligence
Ein ehemaliger Präsident des BND legt Überlegungen zur deutschen Sicherheitsarchitektur vor

Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes schreiben selten Memoiren. Der erste Präsident, Reinhard Gehlen, tat es mit "Der Dienst", dann legte er mit den Streitschriften "Zeichen der Zeit" und "Verschlußsache" nach. Und der zwölfte Präsident des BND, Gerhard Schindler, hält es ebenso. Nur im Unterschied zu Gehlen erscheint Schindlers zweites Buch "Wer hat Angst vorm BND?" vor seinen "Erinnerungen an den Bundesnachrichtendienst" in den Jahren von 2011 bis 2016.

Auch Gerhard Schindler, der zweite Liberale nach Klaus Kinkel in diesem Amt, erlebte anspruchsvolle Ereignisse. In seine Zeit fallen Chemiewaffeneinsätze in Syrien, der Abschuss eines Verkehrsflugzeuges in der Ukraine, die Migration und die publizistische Aufmerksamkeit für das Engagement der amerikanischen National Security Agency in Deutschland, was parlamentarisch untersucht wurde. Er betont dabei für das Innenleben des BND den "ungeschriebenen Grundsatz": "Nichts glauben!", was mit einer "Kultur des Zweifels" bei den Mitarbeitern korrespondiere, und auch die "Kultur der Kontrolle" werde von diesen keinesfalls als lästig empfunden. Ihn sorge vielmehr der "Abstieg" des Bundesnachrichtendienstes in die Drittklassigkeit, wenn denn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der elektronischen Spionage mit seinen erheblichen Beschränkungen gesetzgeberisch greife. Der Präsident a. D. stellt sich somit demonstrativ vor seinen ehemaligem "Dienst". Mehr noch verlangt er von ihm mehr Mut und konstatiert gesellschaftlich und politisch "ein gestörtes Verhältnis zu unseren Nachrichtendiensten".

In dieser erwartbaren, im Übrigen ansonsten unaufgeregten Tonlage überraschen dann jedoch seine Überlegungen zur deutschen Sicherheitsarchitektur, die es zu verbessern und Zuständigkeiten "begrenzt" neu zu verteilen gelte. Das grundgesetzlich zementierte föderale System zeige "Schwächen", und "jede angestrebte Optimierung" stoße auf Widerstand. Spätestens an dieser Stelle wird Schindler dem Anspruch an eine "Streitschrift" gerecht. Er hält das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum, in dem über drei Dutzend Behörden zusammenwirken, für reformbedürftig, da es angesichts der beachtlichen Anzahl an Gefährdern zu Pannen kommen müsse. Das GTAZ erinnere ihn an Schwarmintelligenz: "Das Prinzip der Schwarmintelligenz ist Vögeln und Fisch eigen, Menschen beherrschen es nicht." Er wünscht sich vielmehr "klare Verantwortlichkeiten".

Schindler will sich bei seinen Vorschlägen nicht an dem Modell der Geheimen Staatspolizei oder dem des Ministeriums für Staatssicherheit orientieren. Vielmehr lässt er keinen Zweifel daran, dass auch weiterhin Polizei und Nachrichtendienst strikt zu trennen sind oder er es ablehnt, wie in der DDR geschehen, dass das MfS erst gar keinem föderalen Prinzip unterworfen war, bei dem die Länderparlamente in der DDR bis ins Jahr 1952 (dann gab es Bezirke) hätten intervenieren können. Vielmehr will er sich der Forderung nach "Auflösung der Landesämter" für Verfassungsschutz und der "Übertragung sämtlicher Aufgaben" an das Bundesamt nicht anschließen, wesentlich, weil das "keinerlei Aussicht auf Erfolg hat". Gleichwohl sei der Verfassungsschutzverbund "nicht gut aufgestellt", weshalb er "Optionsmodelle" als Mittelweg anregt. Die Entmachtung der Landesparlamente von der nachrichtendienstlichen Sicherheit im eigenen Einflussbereich klingt liberal: Sie sollen diese Aufgabe "freiwillig an den Bund abgeben". Heißt: Mithin soll demnach Ministerpräsident Markus Söder den Präsidenten des BfV bitten dürfen, Auskunft zur inneren Sicherheit im Freistaat zu erhalten; der Bayerische Landtag als Souverän hat folglich fortan weder Einfluss noch Kontrolle über das Geschehen in und rund um München. Umgekehrt ist der Präsident des BfV ihm gegenüber zur Rechenschaft nicht verpflichtet. Diese Option transzendiert den Föderalismus. Der Charme der anderen Option, die Auswertung "zentral beim Bundesamt" zu bündeln und neben der eigenen Informationsbeschaffung diese auch den Ländern zuzugestehen, zwänge Söder ebenfalls, zum Hörer zu greifen, um Näheres zu erfahren.

Innovativ ist Schindler schon: So könnten seiner Ansicht nach Bundespolizei und Bundeskriminalamt zusammengelegt, die Terrorismusbekämpfung im In- und Ausland beim Bundesamt für Verfassungsschutz angesiedelt und der BND davon gänzlich entlastet werden wie auch von seiner technischen Aufklärung, die geeignet sei, mit analogen Einrichtungen eine Art NSA wie in Amerika zu schaffen. Und der BND solle dem Bundesministerium der Verteidigung unterstellt werden. Schließlich noch bedürfe es - neben dem Parlamentarischen Kontrollgremium - eigens eines Ansprechpartners für die Belange der Nachrichtendienste.

In der Summe sieht Gerhard Schindler in seinem lesenswerten und tatsächlich als Streitschrift anzusehenden Einwurf den zentralen Hebel zur Optimierung der Sicherheitsarchitektur Deutschlands in strukturellen Änderungen. Er konzentriert Logik und Argumente vornehmlich im deutschen Kontext, ohne Erfahrungen in anderen Ländern einzublenden. Das hätte sich jedoch gerade mit Blick auf die Vereinigten Staaten gelohnt, wo es 17 Nachrichtendienste gibt, deren Output für Europa und auch Deutschland nicht unbedeutend ist. Anderenfalls tangieren seine Überlegungen Fragen des föderalen Systems, des Souveräns und letzthin auch der Trennung von Polizei und Nachrichtendienst.

Es mag Menschen Schwarmintelligenz nicht eigen sein, aber Deutschland hat angesichts von Monarchie und Diktaturen auf den Souverän gesetzt - und auf Schwarm-Intelligence. Dabei ist nicht erheblich, ob jemand Angst vorm BND haben sollte, wie der Buchtitel suggeriert, sondern vielmehr, ob dort und andernorts Menschen arbeiten und leiten, die ihren Job können. Diese sollten den von Gerhard Schindler eingeforderten Mut haben, mit Intelligence Bedrohungslagen einen Schritt vorauszuhaben. Und nun wird das erste Buch Schindlers erwartet.

HELMUT MÜLLER-ENBERGS

Gerhard Schindler: Wer hat Angst vorm BND? Warum wir mehr Mut beim Kampf gegen die Bedrohungen unseres Landes brauchen. Eine Streitschrift.

Econ Verlag, Berlin 2020. 253 S., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"lesenswert und tatsächlich als Streitschrift anzusehen" Helmut Müller-Enbergs Frankfurter Allgemeine Zeitung 20210202