»Mit den Himbeeren stimmte etwas nicht«
»Hysteria« erzählt die Geschichte von Bergheim, der auf einem Biomarkt merkwürdig unnatürliche Himbeeren entdeckt. Auf der Suche nach dem Rätsel ihrer Beschaffenheit und Herkunft gerät er immer tiefer in eine kulinarische Dystopie, in der das Natürliche nur noch als absolutes Kunstprodukt existiert, weil das Künstliche längst alle Natur ersetzt hat. Aber keiner weiß davon. Nur seine Hypersensibilisierung befähigt Bergheim, die unheimliche Veränderung wahrzunehmen und ihr nachzugehen. Alle Fäden laufen im Kulinarischen Institut zusammen, wo er Charlotte wiedertrifft, seine Studienfreundin und ehemalige Geliebte, die nun als Leiterin an der Spitze der Bewegung des »Spurenlosen Lebens« steht. Allein mit Ansgar, dem dritten im Bunde des ehemaligen Uni-Triumvirats, wird es Bergheim gelingen, etwas dagegen zu tun.
»Allerbeste literarische Feinkost - ein kulinarischer Pop-Roman.« Deutschlandfunk Kultur
»Hysteria« erzählt die Geschichte von Bergheim, der auf einem Biomarkt merkwürdig unnatürliche Himbeeren entdeckt. Auf der Suche nach dem Rätsel ihrer Beschaffenheit und Herkunft gerät er immer tiefer in eine kulinarische Dystopie, in der das Natürliche nur noch als absolutes Kunstprodukt existiert, weil das Künstliche längst alle Natur ersetzt hat. Aber keiner weiß davon. Nur seine Hypersensibilisierung befähigt Bergheim, die unheimliche Veränderung wahrzunehmen und ihr nachzugehen. Alle Fäden laufen im Kulinarischen Institut zusammen, wo er Charlotte wiedertrifft, seine Studienfreundin und ehemalige Geliebte, die nun als Leiterin an der Spitze der Bewegung des »Spurenlosen Lebens« steht. Allein mit Ansgar, dem dritten im Bunde des ehemaligen Uni-Triumvirats, wird es Bergheim gelingen, etwas dagegen zu tun.
»Allerbeste literarische Feinkost - ein kulinarischer Pop-Roman.« Deutschlandfunk Kultur
buecher-magazin.de"Mit den Himbeeren stimmte etwas nicht." Nie sind Himbeeren so abstoßend, so furchteinflößend beschrieben worden. Bergheim, ein hypersensibler Einzelgänger, entdeckt sie im Bio-Supermarkt, und sie versetzen ihn in Panik. So sehr, dass er sich verläuft. Im Außenbereich stößt er auf ein Wagyu-Rind, das sich die Haut vom Körper schabt, aber nicht blutet. Stattdessen kommt eine "gräulich glänzende Fleischmasse" zum Vorschein, die "verdorbener Hähnchenbrust in Zellophan" ähnelt. Er beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen und absolviert eine Führung durch die Entwicklungsabteilung der Kooperative "Sommerfrische". Sie wird zu einer Reise durchs uncanny valley - und Bergheims eigene Vergangenheit. Denn die Leiterin der Kooperative ist Bergheims Jugendliebe Charlotte, die ihn gegen Ende ihres gemeinsamen Studiums plötzlich verließ, um sich den radikal-ökologischen "Rosseau-Husaren" anzuschließen. Nickel hetzt seinen stets der Ohnmacht nahen Protagonisten durch den geschmackvoll ausgestatteten Albtraum einer Welt aus Imitat. Dabei spiegelt die Form auf kluge und witzige Weise den Inhalt: Die kunstvoll künstliche Sprache imitiert den Stil der deutschen Schauerromantiker. Dabei verliert sich der Autor trotz der außerordentlichen Eleganz seiner Sätze gelegentlich in Redundanzen.
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.09.2018Das kulinarische Institut hat sich was Leckeres ausgedacht
Theater des Grauens: Eckhart Nickels Roman "Hysteria" überspitzt eine Satire des Bio-Wahns zum ästhetizistischen Horrortrip.
Seit Joris-Karl Huysmans' dekadenter Held Des Esseintes im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert seine Schildkröte mit Edelsteinen besetzte, um das Lebewesen ohne Rücksicht auf dessen Gesundheit künstlich zu verschönern, sind moderne Leser vertraut mit einem Stil-Fanatismus, der größer ist als die Natur. Die literarische Überspitzung mochte schon damals allerdings nur eine Chiffre sein für alles, was der Mensch im Zuge seiner wachsenden technischen Möglichkeiten der Natur angetan hat, um sein eigenes Leben zu verbessern und verschönern.
In Eckhart Nickels Roman "Hysteria" tritt eine Gegenbewegung an, um genau diese Entwicklung wieder rückgängig zu machen: Die sogenannten "Rousseau-Husaren" verfassen ein Manifest des "spurenlosen Lebens", laut dem die Evolution des Menschen ein bedauernswerter Unfall ist und worin die "nutzlose" Spezies sich verpflichtet, allen Raubbau an der Natur zu beenden, wenn möglich Schäden zu beheben und sich fortan nur noch von Pflanzenresten zu ernähren, die keine Verbindung mehr zu ihrem Organismus haben.
Die radikale Sekte hat sich zwar noch nicht flächendeckend durchgesetzt, aber immerhin erste Schritte in ihre Richtung hat auch der Staat in der Welt dieses Romans schon eingeleitet, in dem die "neu an die Macht gekommene Naturpartei" regiert. In dieses zwischen heutiger Realität und Satire changierende Biotop wirft der Autor eine Figur, die nur einen Nachnamen trägt: Bergheim, was vielleicht an Kafkas älteren Junggesellen Blumfeld erinnern mag und ein gewisses wahnhaftes Erleben bereits voraussagt.
Bergheim ist Student und bildet mit seinen Kommilitonen Ansgar und Charlotte ein verschworenes Trio, das mitten zwischen universalistischem Wissensdurst und Statusdenken, antiquiert-dandyhaftem Verhalten und Avantgarde-Träumen noch dabei ist herauszufinden, wie es eigentlich leben will. Man frequentiert eine wunderbare Antiquariatsbuchhandlung, in der zum Tee die Weltkultur serviert wird, besucht gemeinsam eine ebenfalls phantastisch anmutende Naturkundevorlesung, die in die Tiefen der Erdgeschichte führt, während nebenan im Öko-Copyshop die Zukunft durchgespielt wird.
In einem dezidierten Retro-Erzählton und mit ästhetizistischer Akribie kostet Eckhart Nickel die märchenhafte Beschreibung dieser Welt aus, die ihren Höhepunkt im Besuch einer Aroma-Bar findet. Dort begibt man sich zur Musik von Kraftwerk oder Jean-Michel Jarre auf duftgeleitete synästhetische Trips, die Aldous Huxleys "Feelies" noch in den Schatten stellen. Dazu nippt man an alkoholfreien Naturcocktails wie dem blutroten "Stokerama", der auf Roter Bete, Blutorange, Lakritz und schwarzer Johannisbeere basiert - garniert mit einer winzigen Prise "Handmined Crushed Tibetan Pink Sundried Single Rock", vulgo: Salz.
Die studentische Phase von Bergheim und seinen Freunden liegt zu Beginn des Romans allerdings schon in der Vergangenheit. Wir begegnen hier dem Protagonisten Jahre später auf einem Bio-Bauernmarkt, und gleich der erste Satz deutet an, dass inzwischen mit der Schöpfung etwas schiefgegangen ist: "Mit den Himbeeren stimmte etwas nicht." Durch diesen Satz besiegelt das Buch zugleich seinen Drang zum phantastischen Horrortrip: Denn nicht nur mit den merkwürdig fadenscheinigen Himbeeren aus einer Kooperative namens "Sommerfrische" stimmt etwas nicht, auch die Tiere auf dem Markt offenbaren wunde Stellen im Fell, unter denen kein Blut, sondern eine gräulich glänzende Fleischmasse zum Vorschein kommt, die "verdorbener Hähnchenbrust in Zellophan ähnelte".
Beim Versuch, der Ursache auf die Spur zu kommen, landet Bergheim in einem sonderbaren kulinarischen Forschungsinstitut, in dem er überraschenderweise seiner früheren Freundin Charlotte wiederbegegnet, die allerdings zombiehafte Züge trägt, später auch Ansgar und einer weiteren Kommilitonin von früher, die schließlich zur Aufklärung einer über Buchlänge spannend gehaltenen Schreckensvermutung über die künstliche Herstellung der Wirklichkeit im Labor beiträgt. Die innerfiktionale Wirklichkeit des Geschilderten, somit auch die des Schrecklichen, wird allerdings durch mehrfache Andeutung von Wahn- und Traumzuständen auch wieder relativiert.
Als Roman ist "Hysteria" selbst ein reichlich seltsames Gebilde, dessen größten Teil die beschriebene Rückblende in die Studentenzeit ausmacht, die allerdings nicht im Plusquamperfekt von der Rahmenerzählung abgesetzt ist, sondern ebenso wie diese im epischen Präteritum steht - da kann man gelegentlich schon mal etwas durcheinanderkommen. Vielleicht kann man sich das Wahrnehmen dieses Gebildes so vorstellen wie den Spaziergang auf dem Rand einer auf die Spitze gestellten Horror-Himbeere, bei dem man plötzlich in deren dunklen Innenraum stürzt, um sich dann mühsam wieder zum Rand hochzuarbeiten.
Eckhart Nickel, der mit Christian Kracht einmal so etwas wie die Heidelberger Zelle der Popliteratur gebildet hat, greift insbesondere in der Universitätsepisode des Buchs die seit Krachts "Faserland" vielverhandelten Themen Dandyismus und Ästhetizismus satirisch wieder auf. Das Heidelberger Leben ist auch in diesem Roman wohl nicht ganz spurenlos geblieben, wie sich an Spielereien wie dem Namen Bergheim zeigt, aber auch anhand einer Buchhandlung namens Weiss, die in der Wirklichkeit leider inzwischen nicht mehr existiert, im Roman dafür zu einem märchenhaften Palast aller verschwundenen oder verschwindenden schönen Dinge emporwächst, in dem die Regale noch höher sind, als es die von Friedrich Gundolf je waren.
Den Hang zum spielerisch ausgekosteten Beschreiben von Kunst- und Modegegenständen, den Nickel als Stilkolumnist, auch in dieser Zeitung, seit längerem pflegt, hat er in seinem Romandebüt auf die Spitze getrieben; er hat dem Buch aber durch den Ausgriff in Phantastik und Science-Fiction noch eine ganz andere Wendung gegeben. Wie er darin grassierende Verschwörungstheorien mit aktuellen Problemen der Nahrungsmittelindustrie zusammenbringt und den Leser immer wieder im Unklaren über die Verlässlichkeit des Erzählten lässt, ist durchaus einnehmend, gerade weil es in so übertriebener, das Genre des Ökothrillers auch wieder parodierende Weise geschieht. Sein Titel "Hysteria" mag zudem an ein umstrittenes Lied von Def Leppard erinnern.
Mit ästhetischen Verweisen und Zitaten ist dieses Buch über und über behängt wie ein gigantischer Fake-Weihnachtsbaum, den man staunend betrachtet, bis er schließlich abgefackelt wird. Aber "ausgezeichnete Elektromusik aus allen überlieferten Epochen, dazu Getränke, die man sonst nirgendwo bekam und die einen fast ausnahmslos ohne Alkohol nach vorne brachten", dazu "eine perfekte quadratische Tanzfläche, über die im Karree ein Lichtband lief" - welcher andere Roman bietet einem das schon?
JAN WIELE.
Eckhart Nickel: "Hysteria". Roman.
Piper Verlag, München 2018. 240 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Theater des Grauens: Eckhart Nickels Roman "Hysteria" überspitzt eine Satire des Bio-Wahns zum ästhetizistischen Horrortrip.
Seit Joris-Karl Huysmans' dekadenter Held Des Esseintes im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert seine Schildkröte mit Edelsteinen besetzte, um das Lebewesen ohne Rücksicht auf dessen Gesundheit künstlich zu verschönern, sind moderne Leser vertraut mit einem Stil-Fanatismus, der größer ist als die Natur. Die literarische Überspitzung mochte schon damals allerdings nur eine Chiffre sein für alles, was der Mensch im Zuge seiner wachsenden technischen Möglichkeiten der Natur angetan hat, um sein eigenes Leben zu verbessern und verschönern.
In Eckhart Nickels Roman "Hysteria" tritt eine Gegenbewegung an, um genau diese Entwicklung wieder rückgängig zu machen: Die sogenannten "Rousseau-Husaren" verfassen ein Manifest des "spurenlosen Lebens", laut dem die Evolution des Menschen ein bedauernswerter Unfall ist und worin die "nutzlose" Spezies sich verpflichtet, allen Raubbau an der Natur zu beenden, wenn möglich Schäden zu beheben und sich fortan nur noch von Pflanzenresten zu ernähren, die keine Verbindung mehr zu ihrem Organismus haben.
Die radikale Sekte hat sich zwar noch nicht flächendeckend durchgesetzt, aber immerhin erste Schritte in ihre Richtung hat auch der Staat in der Welt dieses Romans schon eingeleitet, in dem die "neu an die Macht gekommene Naturpartei" regiert. In dieses zwischen heutiger Realität und Satire changierende Biotop wirft der Autor eine Figur, die nur einen Nachnamen trägt: Bergheim, was vielleicht an Kafkas älteren Junggesellen Blumfeld erinnern mag und ein gewisses wahnhaftes Erleben bereits voraussagt.
Bergheim ist Student und bildet mit seinen Kommilitonen Ansgar und Charlotte ein verschworenes Trio, das mitten zwischen universalistischem Wissensdurst und Statusdenken, antiquiert-dandyhaftem Verhalten und Avantgarde-Träumen noch dabei ist herauszufinden, wie es eigentlich leben will. Man frequentiert eine wunderbare Antiquariatsbuchhandlung, in der zum Tee die Weltkultur serviert wird, besucht gemeinsam eine ebenfalls phantastisch anmutende Naturkundevorlesung, die in die Tiefen der Erdgeschichte führt, während nebenan im Öko-Copyshop die Zukunft durchgespielt wird.
In einem dezidierten Retro-Erzählton und mit ästhetizistischer Akribie kostet Eckhart Nickel die märchenhafte Beschreibung dieser Welt aus, die ihren Höhepunkt im Besuch einer Aroma-Bar findet. Dort begibt man sich zur Musik von Kraftwerk oder Jean-Michel Jarre auf duftgeleitete synästhetische Trips, die Aldous Huxleys "Feelies" noch in den Schatten stellen. Dazu nippt man an alkoholfreien Naturcocktails wie dem blutroten "Stokerama", der auf Roter Bete, Blutorange, Lakritz und schwarzer Johannisbeere basiert - garniert mit einer winzigen Prise "Handmined Crushed Tibetan Pink Sundried Single Rock", vulgo: Salz.
Die studentische Phase von Bergheim und seinen Freunden liegt zu Beginn des Romans allerdings schon in der Vergangenheit. Wir begegnen hier dem Protagonisten Jahre später auf einem Bio-Bauernmarkt, und gleich der erste Satz deutet an, dass inzwischen mit der Schöpfung etwas schiefgegangen ist: "Mit den Himbeeren stimmte etwas nicht." Durch diesen Satz besiegelt das Buch zugleich seinen Drang zum phantastischen Horrortrip: Denn nicht nur mit den merkwürdig fadenscheinigen Himbeeren aus einer Kooperative namens "Sommerfrische" stimmt etwas nicht, auch die Tiere auf dem Markt offenbaren wunde Stellen im Fell, unter denen kein Blut, sondern eine gräulich glänzende Fleischmasse zum Vorschein kommt, die "verdorbener Hähnchenbrust in Zellophan ähnelte".
Beim Versuch, der Ursache auf die Spur zu kommen, landet Bergheim in einem sonderbaren kulinarischen Forschungsinstitut, in dem er überraschenderweise seiner früheren Freundin Charlotte wiederbegegnet, die allerdings zombiehafte Züge trägt, später auch Ansgar und einer weiteren Kommilitonin von früher, die schließlich zur Aufklärung einer über Buchlänge spannend gehaltenen Schreckensvermutung über die künstliche Herstellung der Wirklichkeit im Labor beiträgt. Die innerfiktionale Wirklichkeit des Geschilderten, somit auch die des Schrecklichen, wird allerdings durch mehrfache Andeutung von Wahn- und Traumzuständen auch wieder relativiert.
Als Roman ist "Hysteria" selbst ein reichlich seltsames Gebilde, dessen größten Teil die beschriebene Rückblende in die Studentenzeit ausmacht, die allerdings nicht im Plusquamperfekt von der Rahmenerzählung abgesetzt ist, sondern ebenso wie diese im epischen Präteritum steht - da kann man gelegentlich schon mal etwas durcheinanderkommen. Vielleicht kann man sich das Wahrnehmen dieses Gebildes so vorstellen wie den Spaziergang auf dem Rand einer auf die Spitze gestellten Horror-Himbeere, bei dem man plötzlich in deren dunklen Innenraum stürzt, um sich dann mühsam wieder zum Rand hochzuarbeiten.
Eckhart Nickel, der mit Christian Kracht einmal so etwas wie die Heidelberger Zelle der Popliteratur gebildet hat, greift insbesondere in der Universitätsepisode des Buchs die seit Krachts "Faserland" vielverhandelten Themen Dandyismus und Ästhetizismus satirisch wieder auf. Das Heidelberger Leben ist auch in diesem Roman wohl nicht ganz spurenlos geblieben, wie sich an Spielereien wie dem Namen Bergheim zeigt, aber auch anhand einer Buchhandlung namens Weiss, die in der Wirklichkeit leider inzwischen nicht mehr existiert, im Roman dafür zu einem märchenhaften Palast aller verschwundenen oder verschwindenden schönen Dinge emporwächst, in dem die Regale noch höher sind, als es die von Friedrich Gundolf je waren.
Den Hang zum spielerisch ausgekosteten Beschreiben von Kunst- und Modegegenständen, den Nickel als Stilkolumnist, auch in dieser Zeitung, seit längerem pflegt, hat er in seinem Romandebüt auf die Spitze getrieben; er hat dem Buch aber durch den Ausgriff in Phantastik und Science-Fiction noch eine ganz andere Wendung gegeben. Wie er darin grassierende Verschwörungstheorien mit aktuellen Problemen der Nahrungsmittelindustrie zusammenbringt und den Leser immer wieder im Unklaren über die Verlässlichkeit des Erzählten lässt, ist durchaus einnehmend, gerade weil es in so übertriebener, das Genre des Ökothrillers auch wieder parodierende Weise geschieht. Sein Titel "Hysteria" mag zudem an ein umstrittenes Lied von Def Leppard erinnern.
Mit ästhetischen Verweisen und Zitaten ist dieses Buch über und über behängt wie ein gigantischer Fake-Weihnachtsbaum, den man staunend betrachtet, bis er schließlich abgefackelt wird. Aber "ausgezeichnete Elektromusik aus allen überlieferten Epochen, dazu Getränke, die man sonst nirgendwo bekam und die einen fast ausnahmslos ohne Alkohol nach vorne brachten", dazu "eine perfekte quadratische Tanzfläche, über die im Karree ein Lichtband lief" - welcher andere Roman bietet einem das schon?
JAN WIELE.
Eckhart Nickel: "Hysteria". Roman.
Piper Verlag, München 2018. 240 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Beste, aktuellste Gesellschaftsdystopie seit J.G. Ballard.", FAS, 25.11.2018
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Sigmund Freud, Ernst Jünger, Edgar Ellen Poe, E.T.A. Hoffmann und Eckhart Nickel - all diese Denker und Autoren verbindet etwas - eine düstre Lust, eine Faszination für das Grauen und die Abgründe unter der glänzenden Oberfläche der Zivilisation, meint Rezensent Steffen Martus. In Nickels Roman "Hysteria", so Martus, wird diese Oberfläche in popliterarischer Manier en detail seziert und beschrieben als eine, die ihre perverse Farbpracht aus der romantischen Illusion einer haltbietenden Natur gewinnt. Doch wer die Oberfläche einmal durchschaut und den Abgrund erblickt hat, der kann nicht mehr wegschauen. So ergeht es Nickels Protagonisten, der im Laufe der kurven- und sprungreichen Handlung eine groteske, eine monströse Verschwörung aufdeckt und dabei mächtig ins Schwindeln gerät, lesen wir. Diese unaufhaltsame Abfahrt ins Tal der Erkenntnis beschreibt Nickel mit aller erzählerischer Finesse, so der beeindruckte Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»(Das ist) allerbeste literarische Feinkost - ein kulinarischer Pop-Roman. Man könnte auch von 'Beluga-Literatur' sprechen.« Deutschlandfunk Kultur 20190109