"Ganz nebenbei" ist Woody Allens weitgespannter Rückblick auf das eigene Leben und Werk. Er zeichnet die Stationen seiner Karriere auf der Bühne, vor und hinter der Kamera und als Autor nach und gibt Auskunft über seine Jugend, über Familie und Freunde wie über die Lieben seines Lebens.
Der Sarg war immer halb voll
Von berühmten Freunden, schönen Mittagessen und gemeinen Vorwürfen: Was erzählt Woody Allen in seinen Memoiren "Ganz nebenbei"?
Der Streit um die Veröffentlichung ist vorbei, die Autobiographie von Woody Allen ist erschienen, seit Anfang der Woche in den Vereinigten Staaten und nun auch bei uns ("Ganz nebenbei", Rowohlt Verlag). Vier Übersetzer (Stefanie Jacobs, Hainer Kober, Andrea O'Brian und Jan Schönherr) haben daran gearbeitet, um dieses Tempo und den typischen Woody-Allen-Sound hinzubekommen, der hier allerdings nach einer ausgeleierten Pose klingt, aus der heraus sich Frauen wie "Sahneschnittchen" ausmachen lassen und "langbeinige Schnuckelchen" die Bars und "Miezen im Minirock" die Straßen bevölkern.
Am Anfang liest sich das wie das Voice-over einer Kopie eines der New-York-Filme des Komödianten, der es von Brooklyn nach Manhattan geschafft hat, wie er es sich seit seinem ersten Besuch des Times Square erträumte. Da war er sieben und schon ganz bei sich: "Für manche Leute ist das Glas halb leer, für andere halb voll. Für mich war stets der Sarg halb voll." Doch es gab Lichtblicke. Vor allem im Kino und bei 0den "Champagner-Komödien", die dort spielten, wohin er wollte: "In Penthouses mit Privataufzug, in denen Korken knallten und charmante Männer in geschliffenen Dialogen wunderschöne Frauen umgarnten, die wie dahingegossen auf dem Sofa lagen, in Garderobe wie für eine Hochzeit im Buckingham Palace." Bis es so weit war und er tatsächlich in ein Penthouse mit phantastischem Blick über die Stadt einzog und fünfunddreißig Jahre darin wohnen blieb, obwohl es reinregnete, wie überall in New York, dauerte es noch eine Weile. Im Buch etwa zweihundert Seiten.
Aber wer wird dieses Buch lesen, um etwas über Cousine Rita zu erfahren, mit der Woody Allen, der da noch Allen Konigsberg hieß, als Junge gern ins Kino ging, etwas von Tanten und Onkeln, die zu Familienfeiern antanzten, oder über die gestohlene Schreibmaschine, auf der er als Schüler anfing, sein früh erkanntes Talent fürs Komische auszuleben? Woody Allen ist 84. Da ist die Liste von Nebensächlichkeiten, die das Leben ausmachen, lang. Und so liest sich auch dieses Buch.
Wobei die Familiengeschichten die amüsanteren Teile hergeben, bis sie überlagert werden von Aufzählungen der Mittagessen mit berühmten Leuten oder der Auftritte mit anderen oder denselben berühmten Leuten. Das liest sich in der holprigen Übersetzung dann so: "Im Blue Angel trat ich zusammen mit Nina Simone auf, und dort lernte ich auch Paddy Chayefsky, Frank Loesser, Billy Rose und Harpo Marx kennen. Natürlich kamen sie alle, um in der Lounge Bobby Short zu sehen. Aber ich war durchaus ein Renner und kam dort auch mit Dick Cavett in Kontakt, den der Fernsehsender, bei dem er arbeitete, als Scout zu einem meiner Auftritte geschickt hatte. Er war auf Anhieb begeistert, und wir freundeten uns schnell an, zogen an beiden Küsten zusammen um die Häuser und frönten gemeinsam unserer Leidenschaft für Magie, Groucho, S. J. Perelman, W. C. Fields und die Wantan-Entensuppe bei Sam Wo."
Ebenso zum Gähnen geht es weiter mit den Filmen, jeder wird abgehakt in chronologischer Abfolge von Ereignissen, denen weder ein Sinn noch eine Poetologie abzutrotzen sind. Sinnsuche war bei einem Mann, dem bereits im Alter von fünf Jahren "die Endlichkeit des Seins, der er nie zugestimmt hatte", bewusst wurde, nicht zu erwarten. Ein Ansatz von Reflexion über sein künstlerisches Tun aber vielleicht doch. Warum sonst schreibt einer, der sich am liebsten Witze ausdenkt ("wenn man's kann, ist es nicht schwer") und die Wirklichkeit zur "Erzfeindin" erklärt, eine Autobiographie?
Möglicherweise jener "Stellen" wegen, um derentwillen viele Leser zu dem Buch greifen werden: um öffentlich zu machen, was er zu den Missbrauchsvorwürfen seiner Tochter Dylan zu sagen hat, zu seiner Beziehung mit Mia Farrow und den anderen Kindern und zu seiner Ehe mit Soon-Yi, den Skandalen der vergangenen achtundzwanzig Jahre also. Auf Seite 251 geht es los, und gut fünfzig Seiten später kann man endlich aus dem riesigen Sack schmutziger Wäsche wieder auftauchen, in den Allen einen kopfüber gesteckt hatte.
Wurden die 450 Seiten geschrieben, um diese gut fünfzig Seiten in der Mitte einzurahmen? Unendlich viele öde Geschichten erzählt, um zu der einen zu kommen, zu der sich Woody Allen bisher kaum öffentlich geäußert hat? Möglicherweise ist das so. Jedenfalls ist diese Geschichte unter all den Nebensächlichkeiten, die dem Titel entsprechend den Großteil des Buchs ausmachen, die Hauptsache. Und sie infiziert alle anderen Teile, mal in Nebensätzen, mal in einem Vorgriff auf kommende Ereignisse, der gleich wieder zurückgenommen wird.
Vor lauter Verliebtheit, so erfahren wir, habe Woody Allen die "Warnsignale" in Mia Farrows Herkunft und Verhalten übersehen. Die Geschichte psychischer Erkrankungen in der Familie Farrow wird ausgebreitet, missbräuchliches Verhalten von Mia Farrow ihren Adoptivkindern (vor allem Soon-Yi) gegenüber behauptet, ihre verstörend enge Beziehung zu Ronan, der damals noch Satchel hieß, damit belegt, sie hätte mit ihrem Sohn noch nackt im Bett gelegen, als dieser elf Jahre alt war, und Richter Wilk, der 1993 die Sorgerechtsklage Allens abwies, wird als unfähig diskreditiert und ihm seinerseits unterstellt, Frauen, mit denen er beruflich zu tun hatte, nachgestellt zu haben.
Es ist eine unangenehme Lektüre, die in der Sache nicht weiterführt, bis zu der Stelle, an der Alan Dershowitz, der berühmte Anwalt, sich erbietet, die ganze Angelegenheit für sieben Millionen Dollar unter den Teppich zu kehren. Wäre das doch geschehen! Aber Woody Allen wollte das nicht, es soll nicht wegen des Geldes gewesen sein. Er sei unschuldig, schreibt er, sein Ruf sei ihm gleichgültig gewesen (offenbar nahm er, ebenso wie Mia Farrow, die seelischen Strapazen aller Beteiligten in Kauf).
Nach diesem dicken Buch ist, was den Missbrauchsvorwurf angeht, alles wie vorher: Er ist nicht zu belegen, doch die Aussage des mutmaßlichen Opfers bleibt bestehen, und ihm gegenüber Woody Allens Vorwurf gegen Mia Farrows "Rachefeldzug wie von Käpt'n Ahab". Die Einzelheiten werden noch einmal erzählt, einschließlich intimer Details vom Beginn der Beziehung zu Soon-Yi.
Dazu kommt offenbar das Bedürfnis Woody Allens, sich in Fragen zu rechtfertigen, die mit diesen Vorwürfen nichts zu tun haben: Er hat gezählt, wie viele Frauenrollen er geschrieben hat (106 Hauptrollen) - und keine der Darstellerinnen habe er je angebaggert! Nicht einmal die Statistinnen, die Doubles. 230 Frauen hätten als Crewmitglieder hinter der Kamera gestanden, und sie hätten dasselbe verdient wie ihre Kollegen. Er habe immer wieder für Bürgerrechtsorganisationen gespendet, aber keine afroamerikanischen Darsteller beschäftigen können, weil sie nicht zu seinen Rollen passten, und so weiter. Es ist zum Heulen. Da schreibt einer, der gar nichts verstanden hat, von den Verhältnissen in der Industrie, in der er arbeitet, und von den gesellschaftlichen Veränderungen, als deren Opfer er sich sieht.
Und unter all dem begräbt Woody Allen selbst sein Werk. Er schreibt, es habe ihm die Hingabe gefehlt, die - neben dem ungleich größeren Talent, wie er anmerkt - seine Zeitgenossen Steven Spielberg und Martin Scorsese groß gemacht habe. Woody Allen wollte lieber zum Abendessen zu Hause sein. Man sollte das - wie alles andere - von einem "zum Filmemacher mutierten Witzbold" nicht für bare Münze nehmen.
VERENA LUEKEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von berühmten Freunden, schönen Mittagessen und gemeinen Vorwürfen: Was erzählt Woody Allen in seinen Memoiren "Ganz nebenbei"?
Der Streit um die Veröffentlichung ist vorbei, die Autobiographie von Woody Allen ist erschienen, seit Anfang der Woche in den Vereinigten Staaten und nun auch bei uns ("Ganz nebenbei", Rowohlt Verlag). Vier Übersetzer (Stefanie Jacobs, Hainer Kober, Andrea O'Brian und Jan Schönherr) haben daran gearbeitet, um dieses Tempo und den typischen Woody-Allen-Sound hinzubekommen, der hier allerdings nach einer ausgeleierten Pose klingt, aus der heraus sich Frauen wie "Sahneschnittchen" ausmachen lassen und "langbeinige Schnuckelchen" die Bars und "Miezen im Minirock" die Straßen bevölkern.
Am Anfang liest sich das wie das Voice-over einer Kopie eines der New-York-Filme des Komödianten, der es von Brooklyn nach Manhattan geschafft hat, wie er es sich seit seinem ersten Besuch des Times Square erträumte. Da war er sieben und schon ganz bei sich: "Für manche Leute ist das Glas halb leer, für andere halb voll. Für mich war stets der Sarg halb voll." Doch es gab Lichtblicke. Vor allem im Kino und bei 0den "Champagner-Komödien", die dort spielten, wohin er wollte: "In Penthouses mit Privataufzug, in denen Korken knallten und charmante Männer in geschliffenen Dialogen wunderschöne Frauen umgarnten, die wie dahingegossen auf dem Sofa lagen, in Garderobe wie für eine Hochzeit im Buckingham Palace." Bis es so weit war und er tatsächlich in ein Penthouse mit phantastischem Blick über die Stadt einzog und fünfunddreißig Jahre darin wohnen blieb, obwohl es reinregnete, wie überall in New York, dauerte es noch eine Weile. Im Buch etwa zweihundert Seiten.
Aber wer wird dieses Buch lesen, um etwas über Cousine Rita zu erfahren, mit der Woody Allen, der da noch Allen Konigsberg hieß, als Junge gern ins Kino ging, etwas von Tanten und Onkeln, die zu Familienfeiern antanzten, oder über die gestohlene Schreibmaschine, auf der er als Schüler anfing, sein früh erkanntes Talent fürs Komische auszuleben? Woody Allen ist 84. Da ist die Liste von Nebensächlichkeiten, die das Leben ausmachen, lang. Und so liest sich auch dieses Buch.
Wobei die Familiengeschichten die amüsanteren Teile hergeben, bis sie überlagert werden von Aufzählungen der Mittagessen mit berühmten Leuten oder der Auftritte mit anderen oder denselben berühmten Leuten. Das liest sich in der holprigen Übersetzung dann so: "Im Blue Angel trat ich zusammen mit Nina Simone auf, und dort lernte ich auch Paddy Chayefsky, Frank Loesser, Billy Rose und Harpo Marx kennen. Natürlich kamen sie alle, um in der Lounge Bobby Short zu sehen. Aber ich war durchaus ein Renner und kam dort auch mit Dick Cavett in Kontakt, den der Fernsehsender, bei dem er arbeitete, als Scout zu einem meiner Auftritte geschickt hatte. Er war auf Anhieb begeistert, und wir freundeten uns schnell an, zogen an beiden Küsten zusammen um die Häuser und frönten gemeinsam unserer Leidenschaft für Magie, Groucho, S. J. Perelman, W. C. Fields und die Wantan-Entensuppe bei Sam Wo."
Ebenso zum Gähnen geht es weiter mit den Filmen, jeder wird abgehakt in chronologischer Abfolge von Ereignissen, denen weder ein Sinn noch eine Poetologie abzutrotzen sind. Sinnsuche war bei einem Mann, dem bereits im Alter von fünf Jahren "die Endlichkeit des Seins, der er nie zugestimmt hatte", bewusst wurde, nicht zu erwarten. Ein Ansatz von Reflexion über sein künstlerisches Tun aber vielleicht doch. Warum sonst schreibt einer, der sich am liebsten Witze ausdenkt ("wenn man's kann, ist es nicht schwer") und die Wirklichkeit zur "Erzfeindin" erklärt, eine Autobiographie?
Möglicherweise jener "Stellen" wegen, um derentwillen viele Leser zu dem Buch greifen werden: um öffentlich zu machen, was er zu den Missbrauchsvorwürfen seiner Tochter Dylan zu sagen hat, zu seiner Beziehung mit Mia Farrow und den anderen Kindern und zu seiner Ehe mit Soon-Yi, den Skandalen der vergangenen achtundzwanzig Jahre also. Auf Seite 251 geht es los, und gut fünfzig Seiten später kann man endlich aus dem riesigen Sack schmutziger Wäsche wieder auftauchen, in den Allen einen kopfüber gesteckt hatte.
Wurden die 450 Seiten geschrieben, um diese gut fünfzig Seiten in der Mitte einzurahmen? Unendlich viele öde Geschichten erzählt, um zu der einen zu kommen, zu der sich Woody Allen bisher kaum öffentlich geäußert hat? Möglicherweise ist das so. Jedenfalls ist diese Geschichte unter all den Nebensächlichkeiten, die dem Titel entsprechend den Großteil des Buchs ausmachen, die Hauptsache. Und sie infiziert alle anderen Teile, mal in Nebensätzen, mal in einem Vorgriff auf kommende Ereignisse, der gleich wieder zurückgenommen wird.
Vor lauter Verliebtheit, so erfahren wir, habe Woody Allen die "Warnsignale" in Mia Farrows Herkunft und Verhalten übersehen. Die Geschichte psychischer Erkrankungen in der Familie Farrow wird ausgebreitet, missbräuchliches Verhalten von Mia Farrow ihren Adoptivkindern (vor allem Soon-Yi) gegenüber behauptet, ihre verstörend enge Beziehung zu Ronan, der damals noch Satchel hieß, damit belegt, sie hätte mit ihrem Sohn noch nackt im Bett gelegen, als dieser elf Jahre alt war, und Richter Wilk, der 1993 die Sorgerechtsklage Allens abwies, wird als unfähig diskreditiert und ihm seinerseits unterstellt, Frauen, mit denen er beruflich zu tun hatte, nachgestellt zu haben.
Es ist eine unangenehme Lektüre, die in der Sache nicht weiterführt, bis zu der Stelle, an der Alan Dershowitz, der berühmte Anwalt, sich erbietet, die ganze Angelegenheit für sieben Millionen Dollar unter den Teppich zu kehren. Wäre das doch geschehen! Aber Woody Allen wollte das nicht, es soll nicht wegen des Geldes gewesen sein. Er sei unschuldig, schreibt er, sein Ruf sei ihm gleichgültig gewesen (offenbar nahm er, ebenso wie Mia Farrow, die seelischen Strapazen aller Beteiligten in Kauf).
Nach diesem dicken Buch ist, was den Missbrauchsvorwurf angeht, alles wie vorher: Er ist nicht zu belegen, doch die Aussage des mutmaßlichen Opfers bleibt bestehen, und ihm gegenüber Woody Allens Vorwurf gegen Mia Farrows "Rachefeldzug wie von Käpt'n Ahab". Die Einzelheiten werden noch einmal erzählt, einschließlich intimer Details vom Beginn der Beziehung zu Soon-Yi.
Dazu kommt offenbar das Bedürfnis Woody Allens, sich in Fragen zu rechtfertigen, die mit diesen Vorwürfen nichts zu tun haben: Er hat gezählt, wie viele Frauenrollen er geschrieben hat (106 Hauptrollen) - und keine der Darstellerinnen habe er je angebaggert! Nicht einmal die Statistinnen, die Doubles. 230 Frauen hätten als Crewmitglieder hinter der Kamera gestanden, und sie hätten dasselbe verdient wie ihre Kollegen. Er habe immer wieder für Bürgerrechtsorganisationen gespendet, aber keine afroamerikanischen Darsteller beschäftigen können, weil sie nicht zu seinen Rollen passten, und so weiter. Es ist zum Heulen. Da schreibt einer, der gar nichts verstanden hat, von den Verhältnissen in der Industrie, in der er arbeitet, und von den gesellschaftlichen Veränderungen, als deren Opfer er sich sieht.
Und unter all dem begräbt Woody Allen selbst sein Werk. Er schreibt, es habe ihm die Hingabe gefehlt, die - neben dem ungleich größeren Talent, wie er anmerkt - seine Zeitgenossen Steven Spielberg und Martin Scorsese groß gemacht habe. Woody Allen wollte lieber zum Abendessen zu Hause sein. Man sollte das - wie alles andere - von einem "zum Filmemacher mutierten Witzbold" nicht für bare Münze nehmen.
VERENA LUEKEN
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