»Haben Sie vergessen, dass wir ein souveränes Land sind und Sie nur ein fremder Botschafter und nicht unser Vize-König?«, fragt Jacobo Árbenz, der Präsident Guatemalas, den Entsandten der Vereinigten Staaten. Es ist das Jahr 1954 und die Frage offensichtlich rhetorisch gemeint, die Antwort des amerikanischen Diplomaten: schallendes Gelächter.
Denn kurze Zeit später bringt ein Militärputsch die Árbenz-Regierung zu Fall, mit freundlicher Unterstützung des CIA. Und zwar vermittels einer dreisten Lüge, die als Wahrheit durchgeht: US-Präsident Eisenhower hatte in Umlauf gebracht, Árbenz billige und unterstütze die Ausbreitung des sowjetischen Kommunismus auf dem Kontinent. Eine Lüge, die das Schicksal ganz Lateinamerikas verändern wird.
Diese folgenreiche historische Episode - die uns schmerzlich an unsere Gegenwart erinnert - greift Mario Vargas Llosa auf und erzählt sie lebhaft und packend in ihrer ganzen Vielgestaltigkeit. Wer gründet welche Intrigen? Wer sind die Profiteure? Wer bleibt auf der Strecke?
Harte Jahre ist ein vielstimmiges Romanepos über Macht, Verschwörung und Verrat - über die Fallstricke der Geschichte und die dreisten Machenschaften imperialer Politik. Und ein virtuoser literarischer Hochseilakt.
Denn kurze Zeit später bringt ein Militärputsch die Árbenz-Regierung zu Fall, mit freundlicher Unterstützung des CIA. Und zwar vermittels einer dreisten Lüge, die als Wahrheit durchgeht: US-Präsident Eisenhower hatte in Umlauf gebracht, Árbenz billige und unterstütze die Ausbreitung des sowjetischen Kommunismus auf dem Kontinent. Eine Lüge, die das Schicksal ganz Lateinamerikas verändern wird.
Diese folgenreiche historische Episode - die uns schmerzlich an unsere Gegenwart erinnert - greift Mario Vargas Llosa auf und erzählt sie lebhaft und packend in ihrer ganzen Vielgestaltigkeit. Wer gründet welche Intrigen? Wer sind die Profiteure? Wer bleibt auf der Strecke?
Harte Jahre ist ein vielstimmiges Romanepos über Macht, Verschwörung und Verrat - über die Fallstricke der Geschichte und die dreisten Machenschaften imperialer Politik. Und ein virtuoser literarischer Hochseilakt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.2020Die komplizierte Tragödie Lateinamerikas
Mario Vargas Llosa mag politisch umstritten sein. Als Erzähler aber ist er unangefochten vital und scharfsinnig: "Harte Jahre"
Auf den ersten Seiten seines neuen Romans "Harte Jahre", der gerade auf Deutsch erschienen ist, erzählt der peruanische Schriftsteller und Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa von Bananen. Er erzählt davon, wie der US-amerikanische Konzern United Fruit Company, heute Chiquita Brand, nach dem Zweiten Weltkrieg und mit Hilfe von Edward Louis Bernays - eines Neffen Sigmund Freuds und eines der Pioniere der Psychologie der Massen, der in den Vereinigten Staaten als "Vater der Öffentlichkeitsarbeit" berühmt wurde - sich ein weltweites Bananenmonopol und unerhörte politische Macht sicherte, riesige Gebiete in Mittelamerika und der Karibik unter seine Kontrolle brachte und die Politik dieser Länder, der sogenannten "Bananenrepubliken", bestimmte.
Das ist eine fesselnde und entsetzliche Geschichte. In "Harte Jahre" ist sie aber nur die Einleitung zum eigentlichen Thema des Romans: der schamlosen Zerlegung der demokratisch gewählten, progressiven Regierung von Jacobo Árbenz Guzmán in Guatemala in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Nachdem Árbenz begonnen hatte, eine Agrarreform durchzuführen, inszenierte das Unternehmen gemeinsam mit der US-Regierung eine Propagandakampagne, bei der der Präsident - der davon träumte, sein Land "so demokratisch wie die U.S.A." zu machen - fälschlicherweise als Kommunist dargestellt wurde. Die Strategie gelang: 1954 setzte die CIA Árbenz' Regierung ab und tauschte sie gegen eine wirtschaftsfreundliche Militärdiktatur aus.
Die Folgen des Putsches reichen bis heute: Ab 1960 herrschte in Guatemala fast vierzig Jahre lang Bürgerkrieg. Dieser kostete 200000 Menschen, unter ihnen unzähligen Indigene, das Leben und führte zu über eine Million Flüchtlingen. Heute ist das Land eines der ärmsten Lateinamerikas. "Harte Jahre" erzählt die Vorgeschichte des Krieges. Doch im Buch geht es nicht nur darum. Der Roman, der in Lateinamerika mit Begeisterung rezipiert wurde und in Guatemala für Unruhe sorgte, gehört zu dem Genre, das Vargas Llosa, immer noch einer der prominentesten Autoren und überhaupt Intellektuellen der spanischsprachigen Welt, wie kaum ein anderer seiner Zeitgenossen beherrscht: die große lateinamerikanische Tragödie.
Mario Vargas Llosa ist der letzte lebende Vertreter einer Generation, die Lateinamerikas Literatur weltbekannt machte. Nachdem Wegbereiter wie der Argentinier Jorge Luis Borges oder Alejo Carpentier aus Kuba die Türen zur literarischen Moderne im Kontinent öffneten, führten damals junge Schriftsteller wie Vargas Llosa, Julio Cortázar aus Argentinien, Carlos Fuentes aus Mexiko und der Kolumbianer Gabriel García Márquez mit experimentellen und hochpolitischen Romanen zum legendären "lateinamerikanischen Boom" der sechziger und siebziger Jahre. Eine Geschichte, die in dem im letzten Jahr erschienenen Buch "Gelbe Schmetterlinge und die Herren Diktatoren" von Michi Strausfeld nachzulesen ist.
Geboren 1936 in Arequipa, Peru, studierte Vargas Llosa in Lima, promovierte in Philosophie und Literatur in Madrid und lebte jahrelang zwischen Paris, London und Barcelona - wo die wichtigsten Romane des "Booms" erschienen sind. Seit Anfang der Neunziger ist Vargas Llosa, der in Madrid lebt, auch spanischer Staatsbürger. 2010 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
Im Laufe der sechziger Jahre schrieb er vier Bücher, die ihn berühmt machten: Die Novellen "Die Stadt und die Hunde" und "Die jungen Hunde" handeln von den Brutalitäten der schulischen Erziehung junger Männer im Peru der Nachkriegszeit. Das erste Buch wurde in der Kadettenschule in Lima, die als Vorlage der Erzählung dient, öffentlich verbrannt. Die wuchtigen Bücher "Das grüne Haus" und "Gespräch in der Kathedrale" zählen wiederum zu den "totalen Romanen", die - wie etwa García Márquez' "Hundert Jahre Einsamkeit" - die verwickelte Realität Lateinamerikas abbilden wollten. In "Das grüne Haus" verwebt Vargas Llosa fünf Erzählstränge, um das Leben in der Wüste und im Dschungel Perus zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu ergründen. Im 700 Seiten langen "Gespräch" versuchen zwei Männer während der peruanischen Diktatur der fünfziger Jahre in der Bar "Die Kathedrale" die Frage zu beantworten: "In welchem Moment ist Peru vor die Hunde gegangen?"
Schon damals etablierte Vargas Llosa die Markenzeichen seines literarischen Stils: das Spiel mit einer Vielzahl von Figuren, die Sprünge zwischen Zeitebenen und Handlungssträngen und die filmische Prägnanz seiner Beschreibungen. So haben seine Geschichten eine paradoxe Wirkung: Ihre Komplexität kann überwältigen; doch sie sind so klug gebaut und präzise geschrieben, dass sie oft so spannend wie Krimis sind. Die mehr als fünfzig Bände, die jenen ersten Werken folgten, zeugen von einem verblüffend breiten Interessenspektrum.
Vargas Llosa hat satirische und erotische Bücher geschrieben; penibel recherchierte historische Romane oder sozialkritische Detektivromane. Darüber hinaus hat er Studien über Victor Hugo und Flaubert veröffentlicht, über die Vordenker des Liberalismus und den zeitgenössischen Kulturbetrieb, die bis heute vielleicht beste Untersuchung der frühen Arbeiten von García Márquez oder eine kleine, schöne Einführung in das Werk des deutschen Malers George Grosz.
Hinter dieser thematischen Vielfalt lässt sich eine Konstante feststellen: Vargas Llosas Neugier gegenüber den Mechanismen und Perversionen der politischen Macht. Das ist das Thema seiner besten Romane - wie "Der Krieg am Ende der Welt" und "Das Fest des Ziegenbocks" (2000), über die Ermordung des dominikanischen Diktators Trujillo 1961 - und nun auch von "Harte Jahre".
Der Sturz von Árbenz durch die CIA führte zum Terror in Guatemala. Aber auch dazu, wie Vargas Llosa schreibt, dass "in ganz Lateinamerika die Stimmung gegen die U.S.A. eskalierte" und "viele, so wie ich selbst, glaubten, Demokratie wäre nicht möglich und wir sollten ein kommunistisches Paradies suchen" - was wiederum linke Guerrillakriege und weitere rechte Militärdiktaturen im ganzen Kontinent anstiftete. "Harte Jahre" ist ein aufschlussreicher, aufwühlender Roman - auch wenn er sich streckenweise wie ein fleißiger Geschichtsband liest. Das Buch versucht, die ewige Frage zu beantworten: in welchem Moment ist Lateinamerika vor die Hunde gegangen?
Nach seiner anfänglichen Zustimmung zur sozialistischen Revolution in Kuba vom Jahr 1959 wurde Vargas Llosa, der sich einen "klassischen Liberalen" nennt, ein energischer Kritiker der repressiven Politik Fidel Castros. 1987 kandidierte Vargas Llosa für die Präsidentschaft Perus, mit seinem Sohn als Sprecher der Partei "Movimiento Libertad". Er forderte eine freie Marktwirtschaft und stärkere Handelsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten. Der Autor verlor 1990 gegen Alberto Fujimori, der zehn Jahre lang Präsident war, den Kongress auflöste - und die von Vargas Llosa vorgeschlagene Marktliberalisierung und Privatisierung staatlicher Unternehmen einführte. Fujimori sitzt heute im Gefängnis wegen Korruption und Verstoß gegen die Menschenrechte. Bei einer späteren Präsidentenwahl trat der Schriftsteller für den Kandidaten Ollanta Humala ein. Dieser gewann - und ist nun auch wegen Korruption angeklagt.
Vargas Llosa bleibt bis heute eine brisante, strittige Persönlichkeit. Seine Kolumnen, in denen er sich über alle möglichen geopolitischen Themen staatsmännisch äußert, werden in der ganzen spanischsprachigen Welt kommentiert. Seit einigen Jahren allerdings genießt der Schriftsteller immer weniger Ansehen, vor allem in der jungen Generation. Nach wie vor ein Kritiker autoritärer Regimes, preist er rechtskonservative Parteien in Lateinamerika und Spanien an, was viele empört. Ihm wird vorgeworfen, Proteste in Kolumbien oder Chile gegen soziale Ungleichheit reflexartig zu missbilligen oder internationale Kritik an Jair Bolsonaros populistischer Regierung in Brasilien zu relativieren. Und als 2019 mehr als hundert Autorinnen und Autoren die auffällige Benachteiligung von Frauen beim wichtigen Romanpreis kritisierten, der Vargas Llosas Namen trägt, schrieb er: "Der Feminismus steht in Gefahr, pervers zu werden." Der letzte Autor des "Booms" - der ja letzten Endes ein Männerverein war - hat übersehen, dass die innovativsten Romane aus Lateinamerika, diejenigen mit dem größten internationalen Zuspruch, heute von Frauen geschrieben werden.
Als großer lateinamerikanischer Welterklärer vermittelt Vargas Llosa oft den Eindruck, in einer anderen Zeit festzustecken, in der die Bedeutung gewisser Kategorien - "Liberalismus", "Gleichberechtigung", ja sogar "Demokratie" - ein für alle Mal festgelegt zu sein schien, die heute aber zu Recht kritisch revidiert wird. Als großer lateinamerikanischer Schriftsteller aber zeugt sein Werk, auch sein jüngster Roman, nach wie vor von einer beeindruckenden Vitalität und Schärfe - und vom Bedürfnis, das komplizierte und teils tragische Schicksal Lateinamerikas zu verstehen.
HERNÁN D. CARO
Mario Vargas Llosa: "Harte Jahre". Roman. Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Suhrkamp Verlag, 411 Seiten, 24 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mario Vargas Llosa mag politisch umstritten sein. Als Erzähler aber ist er unangefochten vital und scharfsinnig: "Harte Jahre"
Auf den ersten Seiten seines neuen Romans "Harte Jahre", der gerade auf Deutsch erschienen ist, erzählt der peruanische Schriftsteller und Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa von Bananen. Er erzählt davon, wie der US-amerikanische Konzern United Fruit Company, heute Chiquita Brand, nach dem Zweiten Weltkrieg und mit Hilfe von Edward Louis Bernays - eines Neffen Sigmund Freuds und eines der Pioniere der Psychologie der Massen, der in den Vereinigten Staaten als "Vater der Öffentlichkeitsarbeit" berühmt wurde - sich ein weltweites Bananenmonopol und unerhörte politische Macht sicherte, riesige Gebiete in Mittelamerika und der Karibik unter seine Kontrolle brachte und die Politik dieser Länder, der sogenannten "Bananenrepubliken", bestimmte.
Das ist eine fesselnde und entsetzliche Geschichte. In "Harte Jahre" ist sie aber nur die Einleitung zum eigentlichen Thema des Romans: der schamlosen Zerlegung der demokratisch gewählten, progressiven Regierung von Jacobo Árbenz Guzmán in Guatemala in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Nachdem Árbenz begonnen hatte, eine Agrarreform durchzuführen, inszenierte das Unternehmen gemeinsam mit der US-Regierung eine Propagandakampagne, bei der der Präsident - der davon träumte, sein Land "so demokratisch wie die U.S.A." zu machen - fälschlicherweise als Kommunist dargestellt wurde. Die Strategie gelang: 1954 setzte die CIA Árbenz' Regierung ab und tauschte sie gegen eine wirtschaftsfreundliche Militärdiktatur aus.
Die Folgen des Putsches reichen bis heute: Ab 1960 herrschte in Guatemala fast vierzig Jahre lang Bürgerkrieg. Dieser kostete 200000 Menschen, unter ihnen unzähligen Indigene, das Leben und führte zu über eine Million Flüchtlingen. Heute ist das Land eines der ärmsten Lateinamerikas. "Harte Jahre" erzählt die Vorgeschichte des Krieges. Doch im Buch geht es nicht nur darum. Der Roman, der in Lateinamerika mit Begeisterung rezipiert wurde und in Guatemala für Unruhe sorgte, gehört zu dem Genre, das Vargas Llosa, immer noch einer der prominentesten Autoren und überhaupt Intellektuellen der spanischsprachigen Welt, wie kaum ein anderer seiner Zeitgenossen beherrscht: die große lateinamerikanische Tragödie.
Mario Vargas Llosa ist der letzte lebende Vertreter einer Generation, die Lateinamerikas Literatur weltbekannt machte. Nachdem Wegbereiter wie der Argentinier Jorge Luis Borges oder Alejo Carpentier aus Kuba die Türen zur literarischen Moderne im Kontinent öffneten, führten damals junge Schriftsteller wie Vargas Llosa, Julio Cortázar aus Argentinien, Carlos Fuentes aus Mexiko und der Kolumbianer Gabriel García Márquez mit experimentellen und hochpolitischen Romanen zum legendären "lateinamerikanischen Boom" der sechziger und siebziger Jahre. Eine Geschichte, die in dem im letzten Jahr erschienenen Buch "Gelbe Schmetterlinge und die Herren Diktatoren" von Michi Strausfeld nachzulesen ist.
Geboren 1936 in Arequipa, Peru, studierte Vargas Llosa in Lima, promovierte in Philosophie und Literatur in Madrid und lebte jahrelang zwischen Paris, London und Barcelona - wo die wichtigsten Romane des "Booms" erschienen sind. Seit Anfang der Neunziger ist Vargas Llosa, der in Madrid lebt, auch spanischer Staatsbürger. 2010 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
Im Laufe der sechziger Jahre schrieb er vier Bücher, die ihn berühmt machten: Die Novellen "Die Stadt und die Hunde" und "Die jungen Hunde" handeln von den Brutalitäten der schulischen Erziehung junger Männer im Peru der Nachkriegszeit. Das erste Buch wurde in der Kadettenschule in Lima, die als Vorlage der Erzählung dient, öffentlich verbrannt. Die wuchtigen Bücher "Das grüne Haus" und "Gespräch in der Kathedrale" zählen wiederum zu den "totalen Romanen", die - wie etwa García Márquez' "Hundert Jahre Einsamkeit" - die verwickelte Realität Lateinamerikas abbilden wollten. In "Das grüne Haus" verwebt Vargas Llosa fünf Erzählstränge, um das Leben in der Wüste und im Dschungel Perus zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu ergründen. Im 700 Seiten langen "Gespräch" versuchen zwei Männer während der peruanischen Diktatur der fünfziger Jahre in der Bar "Die Kathedrale" die Frage zu beantworten: "In welchem Moment ist Peru vor die Hunde gegangen?"
Schon damals etablierte Vargas Llosa die Markenzeichen seines literarischen Stils: das Spiel mit einer Vielzahl von Figuren, die Sprünge zwischen Zeitebenen und Handlungssträngen und die filmische Prägnanz seiner Beschreibungen. So haben seine Geschichten eine paradoxe Wirkung: Ihre Komplexität kann überwältigen; doch sie sind so klug gebaut und präzise geschrieben, dass sie oft so spannend wie Krimis sind. Die mehr als fünfzig Bände, die jenen ersten Werken folgten, zeugen von einem verblüffend breiten Interessenspektrum.
Vargas Llosa hat satirische und erotische Bücher geschrieben; penibel recherchierte historische Romane oder sozialkritische Detektivromane. Darüber hinaus hat er Studien über Victor Hugo und Flaubert veröffentlicht, über die Vordenker des Liberalismus und den zeitgenössischen Kulturbetrieb, die bis heute vielleicht beste Untersuchung der frühen Arbeiten von García Márquez oder eine kleine, schöne Einführung in das Werk des deutschen Malers George Grosz.
Hinter dieser thematischen Vielfalt lässt sich eine Konstante feststellen: Vargas Llosas Neugier gegenüber den Mechanismen und Perversionen der politischen Macht. Das ist das Thema seiner besten Romane - wie "Der Krieg am Ende der Welt" und "Das Fest des Ziegenbocks" (2000), über die Ermordung des dominikanischen Diktators Trujillo 1961 - und nun auch von "Harte Jahre".
Der Sturz von Árbenz durch die CIA führte zum Terror in Guatemala. Aber auch dazu, wie Vargas Llosa schreibt, dass "in ganz Lateinamerika die Stimmung gegen die U.S.A. eskalierte" und "viele, so wie ich selbst, glaubten, Demokratie wäre nicht möglich und wir sollten ein kommunistisches Paradies suchen" - was wiederum linke Guerrillakriege und weitere rechte Militärdiktaturen im ganzen Kontinent anstiftete. "Harte Jahre" ist ein aufschlussreicher, aufwühlender Roman - auch wenn er sich streckenweise wie ein fleißiger Geschichtsband liest. Das Buch versucht, die ewige Frage zu beantworten: in welchem Moment ist Lateinamerika vor die Hunde gegangen?
Nach seiner anfänglichen Zustimmung zur sozialistischen Revolution in Kuba vom Jahr 1959 wurde Vargas Llosa, der sich einen "klassischen Liberalen" nennt, ein energischer Kritiker der repressiven Politik Fidel Castros. 1987 kandidierte Vargas Llosa für die Präsidentschaft Perus, mit seinem Sohn als Sprecher der Partei "Movimiento Libertad". Er forderte eine freie Marktwirtschaft und stärkere Handelsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten. Der Autor verlor 1990 gegen Alberto Fujimori, der zehn Jahre lang Präsident war, den Kongress auflöste - und die von Vargas Llosa vorgeschlagene Marktliberalisierung und Privatisierung staatlicher Unternehmen einführte. Fujimori sitzt heute im Gefängnis wegen Korruption und Verstoß gegen die Menschenrechte. Bei einer späteren Präsidentenwahl trat der Schriftsteller für den Kandidaten Ollanta Humala ein. Dieser gewann - und ist nun auch wegen Korruption angeklagt.
Vargas Llosa bleibt bis heute eine brisante, strittige Persönlichkeit. Seine Kolumnen, in denen er sich über alle möglichen geopolitischen Themen staatsmännisch äußert, werden in der ganzen spanischsprachigen Welt kommentiert. Seit einigen Jahren allerdings genießt der Schriftsteller immer weniger Ansehen, vor allem in der jungen Generation. Nach wie vor ein Kritiker autoritärer Regimes, preist er rechtskonservative Parteien in Lateinamerika und Spanien an, was viele empört. Ihm wird vorgeworfen, Proteste in Kolumbien oder Chile gegen soziale Ungleichheit reflexartig zu missbilligen oder internationale Kritik an Jair Bolsonaros populistischer Regierung in Brasilien zu relativieren. Und als 2019 mehr als hundert Autorinnen und Autoren die auffällige Benachteiligung von Frauen beim wichtigen Romanpreis kritisierten, der Vargas Llosas Namen trägt, schrieb er: "Der Feminismus steht in Gefahr, pervers zu werden." Der letzte Autor des "Booms" - der ja letzten Endes ein Männerverein war - hat übersehen, dass die innovativsten Romane aus Lateinamerika, diejenigen mit dem größten internationalen Zuspruch, heute von Frauen geschrieben werden.
Als großer lateinamerikanischer Welterklärer vermittelt Vargas Llosa oft den Eindruck, in einer anderen Zeit festzustecken, in der die Bedeutung gewisser Kategorien - "Liberalismus", "Gleichberechtigung", ja sogar "Demokratie" - ein für alle Mal festgelegt zu sein schien, die heute aber zu Recht kritisch revidiert wird. Als großer lateinamerikanischer Schriftsteller aber zeugt sein Werk, auch sein jüngster Roman, nach wie vor von einer beeindruckenden Vitalität und Schärfe - und vom Bedürfnis, das komplizierte und teils tragische Schicksal Lateinamerikas zu verstehen.
HERNÁN D. CARO
Mario Vargas Llosa: "Harte Jahre". Roman. Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Suhrkamp Verlag, 411 Seiten, 24 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
"Harte Jahre" ist kein hundertprozentig gelungener Roman, meint Rezensent Benedikt Herber. Zu viele Personen, zu viele Ereignisse gibt es in dieser Geschichte, die den Niedergang Guatemalas von den 1940ern bis in die -60er Jahre beschreibe. Da geht in der übervollen Geschichte manchmal die Dramatik verloren und die Personen bleiben oft oberflächlich, so der Kritiker, der das Buch aber trotz dieser Mängel "über weite Strecken unterhaltsam und lehrreich" findet. Besonders der "US-Imperialismus", der jedes Aufblühen eines demokratischen Pflänzchens in Guatemala rücksichtslos zertrat, bekommt bei Llosa Vargas sein Fett weg. Aber da spricht eher der enttäuschte Liberale als ein linker Kapitalismuskritiker, meint Herber.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Llosa liefert ... virtuose Aufklärungsarbeit, um solche Zeiten in Zukunft hoffentlich etwas öfter zum Besseren wenden zu können.« Tom Wohlfarth neues deutschland 20210224