Die Geschichte einer intensiven Liebe: Connell und Marianne wachsen in derselben Kleinstadt im Westen Irlands auf, aber das ist auch schon alles, was sie gemein haben. In der Schule ist Connell beliebt, der Star der Fußballmannschaft, Marianne die komische Außenseiterin. Doch als die beiden miteinander reden, geschieht etwas mit ihnen, das ihr Leben verändert. Und auch später, an der Universität in Dublin, werden sie, obwohl sie versuchen, einander fern zu bleiben, immer wieder magnetisch, unwiderstehlich voneinander angezogen. Eine Geschichte über Faszination und Freundschaft, über Sex und Macht.
Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension
Auch der zweite Roman von Sally Rooney, in dem es um die Liebe zweier College-Studenten geht, über Klassengrenzen hinweg, und ein Leben im intellektuellen Rausch, hat Rezensentin Miryam Schellbach begeistert: Die Verliebten sind über die Verhältnisse zwar vollkommen aufgeklärt, wie sie mit hochgeistigen Dialogen auch immer wieder kundtun, dem Aufeinanderprallen ihrer beiden Welten aber dennoch schonungslos ausgeliefert, erzählt die amüsierte Kritikerin. Für sie gelingt es Rooney in Perfektion, Literatur zu schreiben, die den Nerv der Zeit trifft: "Serialität, Dialogbasiertheit, ein ironischer Aufruf von Bekanntem" und schematische Figuren sorgen für eine leichte Lektüre, die dennoch insgeheim eine solche zeitdiagnostische Schärfe transportiert, dass sie im Gedächtnis bleibt, lobt Schellbach.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.2020Gelassene Nerds
Warum Sally Rooneys Roman "Normale Menschen" noch viel besser ist als die gleichnamige Serie
Als ich vor zwei Jahren zu meinem 30. Geburtstag einlud, stellte ich der E-Mail ein Zitat aus "Gespräche mit Freunden", Sally Rooneys Debüt von 2017, voran: "Ich werde mich weiterbilden, dachte ich. Ich werde irgendwann so klug sein, dass mich niemand mehr versteht." Damals wusste ich nicht, dass ich mit dem ironisch und zugleich emphatisch geäußerten Satz in guter Gesellschaft war. Die riesige Fangemeinde von Sally Rooney, dem gerade 29-jährigen irischen Shootingstar, wirft bei Twitter und Instagram mit Sätzen aus ihren Romanen um sich, als gäbe es für jede Lebenssituation einen passenden Rooney-Satz und für jede Krise eine treffende Anekdote aus ihrem Werk. Zuletzt waren unter dem Hashtag #connellschain, also Connells Kette, solche Tweets zu lesen: "ich versuche gerade, meinen Mann davon zu überzeugen, dass eine solche Kette auch bei ihm gut aussähe".
Besitzer der verführerischen Kette ist Connell, neben Marianne die zentrale Figur in "Normale Menschen", Sally Rooneys zweitem Roman. Wie schon im Debüt geht es um das Erwachsenwerden junger Iren der Generation Z, also derjenigen, für die das Smartphone nie etwas war, das sie erst kennenlernen mussten. Und wieder wachsen beide Protagonisten im ländlich geprägten Westen Irlands auf und werden vom Umzug nach Dublin und dem Studienbeginn am renommierten Trinity College in einen Zustand beinah manisch gelebter Intellektualität versetzt. Eine typische Szene im von stark zugespitzten Dialogen getragenen Rooney-Kosmos sieht so aus: Marianne und Connell sind ineinander verliebt, heimlich und verdruckst. Postpubertär wortkarg haben sie keine Sprache für ihre Zuneigung und beeindrucken einander stattdessen mit Lektüreempfehlungen. "Er sagte ihr, sie solle versuchen, das ,Kommunistische Manifest' zu lesen, er glaubte, es würde ihr gefallen, und er bot ihr an, den Titel aufzuschreiben, damit sie ihn nicht vergaß. Ich weiß, wie das ,Kommunistische Manifest' heißt, sagte sie."
Marianne Sheridan wächst in einer weißen Villa auf, ihre Mutter ist Anwältin, vornehmlich abwesend. Alleinige Vertraute ist die Reinigungskraft des Hauses, eine lebenskluge Gestalt voll Zuneigung und kompensatorischer Mütterlichkeit. Einziges Manko ist, dass ebendiese Putzfrau die Mutter von Connell Waldron, Mariannes Mitschüler, ist. Das nicht sehr subtile, aber wirkungsvolle Motiv ist also die Liebe über Klassengrenzen hinweg. In der Schule, wo es bodenständig zugeht, erregt Mariannes Wohlstandsaura Misstrauen. Da gilt als beliebt, wer die meisten Biere trinkt oder Nacktfotos aufs Handy geschickt bekommt. Damit das Football-Talent Connell in der Ansehenshierarchie nicht abrutscht, versteckt er die Affäre. Die beiden schlafen heimlich im Kinderzimmer der Anwaltsvilla miteinander, während Connells Mutter dort den Küchenboden schrubbt.
Es ist Sally Rooneys großes Talent, dass diese fehlende Subtilität des Plots überhaupt nicht auf einen Genre-Liebesroman hinausläuft. Connells und Mariannes vierjährige On-Off-Beziehung eröffnet einen Schauplatz für die gesteigerte Intensität milieuübergreifender Liebe, die Fallstricke des sozialen Habitus, für sexuelle Vitalität und romantisches Missverständnis, wie man es aus der Ästhetik des britischen Gesellschaftsromans des 19. Jahrhunderts kennt. Das Spiel mit dieser Tradition wird in der Geschichte immer wieder explizit. Einmal liest Connell Jane Austens "Emma", den Urtext des Sittenromans. An der Stelle, an der es so aussieht, als würde Mr. Knightley Harriet, also die falsche, heiraten, muss Connell das Buch weglegen, "emotional seltsam aufgewühlt".
Historische Kulisse des Romans sind die Folgejahre der Bankenkrise, die Irland 2008 im europäischen Vergleich besonders schwer getroffen hat und die Connell und Marianne als resignierte Teenager zurücklässt. Korrupte Väter von Mitschülern, die in der Finanzindustrie arbeiten, die Tristesse leerstehender Wohnsiedlungen im Zentrum ihrer Kleinstadt und die Überzeugung, niemals einen lukrativen Beruf zu finden, sind die Koordinaten dieser Post-Crash-Jugend. Dann aber erhalten sie als Jahrgangsbeste eine Zulassung zum Studium am Trinity College, dessen Säulenheilige Samuel Beckett und Edmund Burke sind. Hier spielt der größte Teil des Romans. Wie zu erwarten verkehrt sich die Beliebtheitshierarchie im neuen Umfeld. Marianne beherrscht die Umgangsformen der Reichen mühelos. Connell hingegen scheint immer die falsche Kleidung zu tragen, "Versandhaus-Chic" nennt das einmal jemand hinter seinem Rücken. Seine Mitstudenten parlieren selbstsicher über die Romane des englischen Barocks, ohne sie gelesen zu haben, streiten über die ideale Form eines Champagnerglases und verbringen die Sommer in den Landhäusern ihrer Eltern.
Dabei ist der Lifestyle-Marxismus, den Marianne und Connell untereinander kultivieren, absolut humorvoll. In großen Gesten sinnieren sie über das Matriarchat, über die Vorzüge von Polyamorie und "über den präzisen historischen Moment, in dem sie gerade leben, die Schwierigkeit, einen solchen Moment zu betrachten, während er gerade abläuft". Einen eindeutigen "antikapitalistischen Impetus", so wie das linke "Jacobin"Magazin kürzlich vermutete, hat die Geschichte aber nicht. Es ist vielmehr das einer solchen Liebe zwingend inhärente Mischverhältnis aus absoluter Aufgeklärtheit und bedingungslosem Ausgeliefertsein, das plastisch beschrieben wird. Eben weil die Liebe in Rooneys Geschichten immer nur kurzzeitige Refugien dafür schafft, sich in ein gesellschaftliches Vakuum zu begeben, bevor die Transaktionskosten dafür zu hoch werden. Ein Beispiel: Jedes Jahr vergibt die Universität Vollstipendien. Connell und Marianne bewerben sich beide erfolgreich darum. Für Connell bedeutet das die Sicherung seines Lebensunterhalts. Der finanziell sorglosen Marianne ging es bei der Bewerbung darum, "ihren überlegenen Intellekt öffentlich durch die Überweisung großer Geldsummen anerkannt zu sehen". Verdient haben sie es beide. Doch vergiftet die existentielle Notwendigkeit für den einen die bloß symbolische Bedeutung für die andere.
Sally Rooneys Aufstieg war rasant. Binnen eines Jahres und während sie noch als Studentin der amerikanischen Literatur an ihrer Abschlussarbeit feilte, wurde sie nicht nur von einer Literaturagentin entdeckt, sondern unterschrieb auch einen Vertrag bei Faber & Faber, nachdem bei einer spektakulären Auktion sieben Verlagshäuser auf ihr Manuskript geboten hatten. Seitdem hat sie zwei Bestseller veröffentlicht, die mit Preisen überhäuft wurden und unter deren prominenten Fürsprechern Barack Obama und Zadie Smith waren. Rooney sagt von sich, dass sie sehr schnell schreibe. Ihren ersten Roman hat sie in drei Monaten beendet, "Normale Menschen" folgte binnen eines Jahres. Angesichts der stringenten Komposition der Geschichte, der erzählerischen Disziplin und der gnadenlosen Schärfe ihrer Sätze klingt das wie ein Wunder. Es ist mehr als nur eine Anekdote, dass Rooney unter den begabtesten Rednerinnen im Debattierclub ihrer Universität war und 2013 die europäische Meisterschaft der Meisterredner mit einer Rede über den Fortschritt gewann. Wie in diesen Wettkämpfen scheint es, als wäre ihren Geschichten eine Uhr eingebaut, die unermüdlich jeden Dialog vorantreibt. Die Gespräche zwischen Marianne und ihren Freundinnen, in denen es um Politik, Literatur und Philosophie und selten um Männer geht, sind so spritzig-nerdhaft und von beredter Schlagfertigkeit, dass man sich wünscht, mitreden zu dürfen.
In den schwachen Momenten des Romans überwiegt die zweite Verwandtschaft mit dem Debattensport. So genial die Rhetorik, so leer ist das Anliegen der politischen Einlassungen. Rooneys Protagonisten handeln nicht politisch. Streit, Dissens und Ideale sind für sie auf bloß ästhetische Weise interessant, als Style oder Thema auf der Party. Das mag man oberflächlich nennen. Auch mag es eitel wirken, wenn es heißt, Marianne komme es vor, "als gebe es keine Grenzen dessen, was ihr Gehirn leisten kann". Die weibliche Muskelschau des Intellekts, die man bei Rooneys Protagonistinnen findet, ist in der Gegenwartsliteratur jedoch eine erfrischende Ausnahme.
Keine der Figuren in "Normale Menschen" ist außerordentlich, keine besonders schön oder elegant, kein Hauch von Unendlichkeit umweht sie. Marianne gilt in der Schule als "nicht besonders attraktiv", Connell erscheint einigen gar "so groß und sanft wie ein Labrador". Es ist bedauerlich, dass die in diesem Sommer angelaufene BBC-Serienadaption von "Normale Menschen" das Ruder rumreißt und das Nerdtum der beiden Charaktere durch den radikalen visuellen Fokus auf die Jugend und Schönheit der Schauspieler verwischt und dann kurzerhand auch noch viele der interessanteren Dialoge herausgeschnitten hat. Dass der Versuch, die profane Gelassenheit mit Äußerlichem zu verbiegen, an Rooney abprallt und ihre Fans provoziert, musste kürzlich ein Schweizer Literaturkritiker erfahren. Der hatte nicht den Text, sondern das Aussehen der Autorin beschrieben, weil er fand, sie erinnere an ein "aufgeschrecktes Reh mit sinnlichen Lippen". Die mediale Resonanz war enorm, unter dem Hashtag #dichterdran drehten deutschsprachige Autorinnen im ironischen Verkehrungsmodus den Spieß um und schrieben über das Aussehen bedeutender Schriftsteller.
Eine Literaturgeschichte des beginnenden 21. Jahrhunderts wird wahrscheinlich nicht mehr darum herumkommen, dieses Internetrauschen, dieses Zitatfolgeleben und die Begleitdiskussionen in den sozialen Netzwerken zu beschreiben, die eine neue Qualität der Rezeption von Gegenwartsliteratur einläuten. Vielleicht wird es dann auch darum gehen, dass der Trend zur Serie die Literaturproduktion nachhaltig erfasst hat. Denn wie keine bisher ist Rooney eine Autorin, der es gelingt, das Prinzip Netflix - Serialität, Dialogbasiertheit, ein ironischer Aufruf von Bekanntem - literarisch zu verarbeiten. Das Tempo ist schnell, die Gespräche sind klug gearbeitet, zynisch und direkt. Die Figuren kommen hoffnungslos schematisch daher, und dennoch will man nach der Lektüre an ihnen festhalten. Das ist das scheinbare Paradox von "Normale Menschen": Die Motive sind durch und durch populär und dennoch von zeitdiagnostischer Schärfe, die Geschichte ist ein Easy-Read, bleibt aber im Gedächtnis, und der stilistischen Nähe zur Serie zum Trotz ist das Buch besser als seine eigene Verfilmung.
MIRYAM SCHELLBACH
Sally Rooney: "Normale Menschen". Roman. Aus dem Englischen von Zoë Beck, Luchterhand Verlag, 320 Seiten, 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum Sally Rooneys Roman "Normale Menschen" noch viel besser ist als die gleichnamige Serie
Als ich vor zwei Jahren zu meinem 30. Geburtstag einlud, stellte ich der E-Mail ein Zitat aus "Gespräche mit Freunden", Sally Rooneys Debüt von 2017, voran: "Ich werde mich weiterbilden, dachte ich. Ich werde irgendwann so klug sein, dass mich niemand mehr versteht." Damals wusste ich nicht, dass ich mit dem ironisch und zugleich emphatisch geäußerten Satz in guter Gesellschaft war. Die riesige Fangemeinde von Sally Rooney, dem gerade 29-jährigen irischen Shootingstar, wirft bei Twitter und Instagram mit Sätzen aus ihren Romanen um sich, als gäbe es für jede Lebenssituation einen passenden Rooney-Satz und für jede Krise eine treffende Anekdote aus ihrem Werk. Zuletzt waren unter dem Hashtag #connellschain, also Connells Kette, solche Tweets zu lesen: "ich versuche gerade, meinen Mann davon zu überzeugen, dass eine solche Kette auch bei ihm gut aussähe".
Besitzer der verführerischen Kette ist Connell, neben Marianne die zentrale Figur in "Normale Menschen", Sally Rooneys zweitem Roman. Wie schon im Debüt geht es um das Erwachsenwerden junger Iren der Generation Z, also derjenigen, für die das Smartphone nie etwas war, das sie erst kennenlernen mussten. Und wieder wachsen beide Protagonisten im ländlich geprägten Westen Irlands auf und werden vom Umzug nach Dublin und dem Studienbeginn am renommierten Trinity College in einen Zustand beinah manisch gelebter Intellektualität versetzt. Eine typische Szene im von stark zugespitzten Dialogen getragenen Rooney-Kosmos sieht so aus: Marianne und Connell sind ineinander verliebt, heimlich und verdruckst. Postpubertär wortkarg haben sie keine Sprache für ihre Zuneigung und beeindrucken einander stattdessen mit Lektüreempfehlungen. "Er sagte ihr, sie solle versuchen, das ,Kommunistische Manifest' zu lesen, er glaubte, es würde ihr gefallen, und er bot ihr an, den Titel aufzuschreiben, damit sie ihn nicht vergaß. Ich weiß, wie das ,Kommunistische Manifest' heißt, sagte sie."
Marianne Sheridan wächst in einer weißen Villa auf, ihre Mutter ist Anwältin, vornehmlich abwesend. Alleinige Vertraute ist die Reinigungskraft des Hauses, eine lebenskluge Gestalt voll Zuneigung und kompensatorischer Mütterlichkeit. Einziges Manko ist, dass ebendiese Putzfrau die Mutter von Connell Waldron, Mariannes Mitschüler, ist. Das nicht sehr subtile, aber wirkungsvolle Motiv ist also die Liebe über Klassengrenzen hinweg. In der Schule, wo es bodenständig zugeht, erregt Mariannes Wohlstandsaura Misstrauen. Da gilt als beliebt, wer die meisten Biere trinkt oder Nacktfotos aufs Handy geschickt bekommt. Damit das Football-Talent Connell in der Ansehenshierarchie nicht abrutscht, versteckt er die Affäre. Die beiden schlafen heimlich im Kinderzimmer der Anwaltsvilla miteinander, während Connells Mutter dort den Küchenboden schrubbt.
Es ist Sally Rooneys großes Talent, dass diese fehlende Subtilität des Plots überhaupt nicht auf einen Genre-Liebesroman hinausläuft. Connells und Mariannes vierjährige On-Off-Beziehung eröffnet einen Schauplatz für die gesteigerte Intensität milieuübergreifender Liebe, die Fallstricke des sozialen Habitus, für sexuelle Vitalität und romantisches Missverständnis, wie man es aus der Ästhetik des britischen Gesellschaftsromans des 19. Jahrhunderts kennt. Das Spiel mit dieser Tradition wird in der Geschichte immer wieder explizit. Einmal liest Connell Jane Austens "Emma", den Urtext des Sittenromans. An der Stelle, an der es so aussieht, als würde Mr. Knightley Harriet, also die falsche, heiraten, muss Connell das Buch weglegen, "emotional seltsam aufgewühlt".
Historische Kulisse des Romans sind die Folgejahre der Bankenkrise, die Irland 2008 im europäischen Vergleich besonders schwer getroffen hat und die Connell und Marianne als resignierte Teenager zurücklässt. Korrupte Väter von Mitschülern, die in der Finanzindustrie arbeiten, die Tristesse leerstehender Wohnsiedlungen im Zentrum ihrer Kleinstadt und die Überzeugung, niemals einen lukrativen Beruf zu finden, sind die Koordinaten dieser Post-Crash-Jugend. Dann aber erhalten sie als Jahrgangsbeste eine Zulassung zum Studium am Trinity College, dessen Säulenheilige Samuel Beckett und Edmund Burke sind. Hier spielt der größte Teil des Romans. Wie zu erwarten verkehrt sich die Beliebtheitshierarchie im neuen Umfeld. Marianne beherrscht die Umgangsformen der Reichen mühelos. Connell hingegen scheint immer die falsche Kleidung zu tragen, "Versandhaus-Chic" nennt das einmal jemand hinter seinem Rücken. Seine Mitstudenten parlieren selbstsicher über die Romane des englischen Barocks, ohne sie gelesen zu haben, streiten über die ideale Form eines Champagnerglases und verbringen die Sommer in den Landhäusern ihrer Eltern.
Dabei ist der Lifestyle-Marxismus, den Marianne und Connell untereinander kultivieren, absolut humorvoll. In großen Gesten sinnieren sie über das Matriarchat, über die Vorzüge von Polyamorie und "über den präzisen historischen Moment, in dem sie gerade leben, die Schwierigkeit, einen solchen Moment zu betrachten, während er gerade abläuft". Einen eindeutigen "antikapitalistischen Impetus", so wie das linke "Jacobin"Magazin kürzlich vermutete, hat die Geschichte aber nicht. Es ist vielmehr das einer solchen Liebe zwingend inhärente Mischverhältnis aus absoluter Aufgeklärtheit und bedingungslosem Ausgeliefertsein, das plastisch beschrieben wird. Eben weil die Liebe in Rooneys Geschichten immer nur kurzzeitige Refugien dafür schafft, sich in ein gesellschaftliches Vakuum zu begeben, bevor die Transaktionskosten dafür zu hoch werden. Ein Beispiel: Jedes Jahr vergibt die Universität Vollstipendien. Connell und Marianne bewerben sich beide erfolgreich darum. Für Connell bedeutet das die Sicherung seines Lebensunterhalts. Der finanziell sorglosen Marianne ging es bei der Bewerbung darum, "ihren überlegenen Intellekt öffentlich durch die Überweisung großer Geldsummen anerkannt zu sehen". Verdient haben sie es beide. Doch vergiftet die existentielle Notwendigkeit für den einen die bloß symbolische Bedeutung für die andere.
Sally Rooneys Aufstieg war rasant. Binnen eines Jahres und während sie noch als Studentin der amerikanischen Literatur an ihrer Abschlussarbeit feilte, wurde sie nicht nur von einer Literaturagentin entdeckt, sondern unterschrieb auch einen Vertrag bei Faber & Faber, nachdem bei einer spektakulären Auktion sieben Verlagshäuser auf ihr Manuskript geboten hatten. Seitdem hat sie zwei Bestseller veröffentlicht, die mit Preisen überhäuft wurden und unter deren prominenten Fürsprechern Barack Obama und Zadie Smith waren. Rooney sagt von sich, dass sie sehr schnell schreibe. Ihren ersten Roman hat sie in drei Monaten beendet, "Normale Menschen" folgte binnen eines Jahres. Angesichts der stringenten Komposition der Geschichte, der erzählerischen Disziplin und der gnadenlosen Schärfe ihrer Sätze klingt das wie ein Wunder. Es ist mehr als nur eine Anekdote, dass Rooney unter den begabtesten Rednerinnen im Debattierclub ihrer Universität war und 2013 die europäische Meisterschaft der Meisterredner mit einer Rede über den Fortschritt gewann. Wie in diesen Wettkämpfen scheint es, als wäre ihren Geschichten eine Uhr eingebaut, die unermüdlich jeden Dialog vorantreibt. Die Gespräche zwischen Marianne und ihren Freundinnen, in denen es um Politik, Literatur und Philosophie und selten um Männer geht, sind so spritzig-nerdhaft und von beredter Schlagfertigkeit, dass man sich wünscht, mitreden zu dürfen.
In den schwachen Momenten des Romans überwiegt die zweite Verwandtschaft mit dem Debattensport. So genial die Rhetorik, so leer ist das Anliegen der politischen Einlassungen. Rooneys Protagonisten handeln nicht politisch. Streit, Dissens und Ideale sind für sie auf bloß ästhetische Weise interessant, als Style oder Thema auf der Party. Das mag man oberflächlich nennen. Auch mag es eitel wirken, wenn es heißt, Marianne komme es vor, "als gebe es keine Grenzen dessen, was ihr Gehirn leisten kann". Die weibliche Muskelschau des Intellekts, die man bei Rooneys Protagonistinnen findet, ist in der Gegenwartsliteratur jedoch eine erfrischende Ausnahme.
Keine der Figuren in "Normale Menschen" ist außerordentlich, keine besonders schön oder elegant, kein Hauch von Unendlichkeit umweht sie. Marianne gilt in der Schule als "nicht besonders attraktiv", Connell erscheint einigen gar "so groß und sanft wie ein Labrador". Es ist bedauerlich, dass die in diesem Sommer angelaufene BBC-Serienadaption von "Normale Menschen" das Ruder rumreißt und das Nerdtum der beiden Charaktere durch den radikalen visuellen Fokus auf die Jugend und Schönheit der Schauspieler verwischt und dann kurzerhand auch noch viele der interessanteren Dialoge herausgeschnitten hat. Dass der Versuch, die profane Gelassenheit mit Äußerlichem zu verbiegen, an Rooney abprallt und ihre Fans provoziert, musste kürzlich ein Schweizer Literaturkritiker erfahren. Der hatte nicht den Text, sondern das Aussehen der Autorin beschrieben, weil er fand, sie erinnere an ein "aufgeschrecktes Reh mit sinnlichen Lippen". Die mediale Resonanz war enorm, unter dem Hashtag #dichterdran drehten deutschsprachige Autorinnen im ironischen Verkehrungsmodus den Spieß um und schrieben über das Aussehen bedeutender Schriftsteller.
Eine Literaturgeschichte des beginnenden 21. Jahrhunderts wird wahrscheinlich nicht mehr darum herumkommen, dieses Internetrauschen, dieses Zitatfolgeleben und die Begleitdiskussionen in den sozialen Netzwerken zu beschreiben, die eine neue Qualität der Rezeption von Gegenwartsliteratur einläuten. Vielleicht wird es dann auch darum gehen, dass der Trend zur Serie die Literaturproduktion nachhaltig erfasst hat. Denn wie keine bisher ist Rooney eine Autorin, der es gelingt, das Prinzip Netflix - Serialität, Dialogbasiertheit, ein ironischer Aufruf von Bekanntem - literarisch zu verarbeiten. Das Tempo ist schnell, die Gespräche sind klug gearbeitet, zynisch und direkt. Die Figuren kommen hoffnungslos schematisch daher, und dennoch will man nach der Lektüre an ihnen festhalten. Das ist das scheinbare Paradox von "Normale Menschen": Die Motive sind durch und durch populär und dennoch von zeitdiagnostischer Schärfe, die Geschichte ist ein Easy-Read, bleibt aber im Gedächtnis, und der stilistischen Nähe zur Serie zum Trotz ist das Buch besser als seine eigene Verfilmung.
MIRYAM SCHELLBACH
Sally Rooney: "Normale Menschen". Roman. Aus dem Englischen von Zoë Beck, Luchterhand Verlag, 320 Seiten, 20 Euro
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»Süffig, klug und absolut klischeefrei« Ijoma Mangold / DIE ZEIT