Wen interessiert schon ein Toter in einer Stadt voller Leichen? Der neue Thriller von Louise Welsh spielt virtuos mit unseren Ängsten und führt uns mitten ins Herz einer sterbenden Stadt. Oberflächlich betrachtet hatten die drei Amokläufe in London in diesem heißen Sommer nichts mit den späteren Ereignissen zu tun, aber für Stevie Flint waren sie wie ein Menetekel für das, was noch kommen sollte.Als ihr Freund sie versetzt und sie ihre Sachen aus seiner Wohnung holen will, findet sie ihn tot in seinem Bett. Kurz danach wird sie krank. Hohes Fieber, Erbrechen, Schüttelfrost. Als sie nach Tagen wieder mühsam auf die Beine kommt, hört sie, dass sich in London ein tödliches Virus verbreitet: Am »Schwitzfieber« sterben die Leute in wenigen Tagen, die Krankenhäuser und Leichenhallen sind bereits überfüllt.Stevie Flint kümmert das nicht, sie hat eine eigene Mission. Auch wenn es in einer Stadt voller Toter nicht nach einem Mord aussieht: Sie ist überzeugt, dass der Tod ihres Freundes Dr. Simon Sharkey weder auf das Virus noch auf Selbstmord zurückzuführen ist und macht sich auf die Suche nach seinem Mörder. Diese wird für sie zu einem Wettlauf gegen den Tod, der mitten ins Herz einer sterbenden Stadt führt. Ein Thriller, der uns an die Zerbrechlichkeit unserer Zivilisation erinnert.
buecher-magazin.deAmokläufe erschüttern London und ein verheerendes, tödliches Fieber breitet sich aus. Stevie Flint, Moderatorin bei einem Shopping-Sender, hat die Infektion hinter, doch das Schlimmste noch vor sich. Kurz vor ihrer Erkrankung hatte sie festgestellt, warum ihr Geliebter sie versetzt hat. Das Grauen kam auf leisen Sohlen: Aus dem Augenwinkel heraus, durch den Blick in die zurückweichende Tür eines Spiegelschränkchens hatte sie gesehen, dass Simons ungemachtes Bett gar nicht leer war. Auch ihr Geruchssinn meldete sich; in der Wohnung roch es nicht nach Müll, sondern nach Tod. Erzählerisch ist das noch besser gemacht als die Duschszene aus Hitchcocks "Psycho", denn es kommt ohne kreischende Geigen aus. Dann aber scheint sich die Handlung dem Skript eines konventionellen Whodunits zu unterwerfen. Simon war in ein dubioses Forschungsprojekt verstrickt. Stevie überlebt mehrere Mordversuche. Die große Weltuntergangsgeschichte scheint an den Rand einer persönlicheren gedrängt. Doch dies ist nur der erste Band einer Trilogie, ein Buch, in dem man Wichtiges zunächst nur aus dem Augenwinkel sieht. Man sollte es also langsam lesen, aufmerksam und genüsslich, ganz im Sinne seines Originaltitels. Den hat Louise Welsh dem Song "Fever" entlehnt: "A Lovely Way to Burn".
© BÜCHERmagazin, Ulrich Baron (ub)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.02.2016Welten am Rande der Welt
Vier Thriller in Kürze: Louise Welsh, Ule Hansen, William Giraldi, J.S. Carol
Die gängigen Baupläne und leicht ermüdenden Routinen eines Kriminalromans sind Louise Welsh fremd. In "V5N6. Tödliches Fieber" (Kunstmann, 352 S., br., 19,95 [Euro]) werfen schon die ersten Seiten, die ganz lapidar von drei Amokläufen berichten, einen rätselhaften Schatten auf alles Folgende, der sich bis zum Ende nicht aufgelöst haben wird. Und mindestens ebenso wichtig wie die Suche nach dem Täter, der den Freund von Stevie Flint ermordet hat, ist der Ausnahmezustand, in den ein Virus London versetzt hat. Das "Schwitzfieber", wie die Leute es nennen, sorgt für latente Panik, Hamsterkäufe, Ansätze zu Bürgerwehrbildung und starke Militär- und Polizeipräsenz.
Louise Welsh, die auch in der drohenden Katastrophe ihr Sprachwitz nicht verlässt, kann das sehr plastisch und leicht boshaft beschreiben, wenn hier und dort die Regeln der Zivilisation zerbrechen wie ein mürber Gipsverband. Erst durch diese besonderen Umstände wird Stevie, die gelernte Journalistin, die ihr Geld bei einem Einkaufssender verdient, zur Heldin. Gegen das Virus offenbar immun, will sie mit einer Mischung aus Wut und Hartnäckigkeit auch dann noch den Mörder ihres Simon finden, als sie begreift, wie wenig sie von ihm wusste und dass jedes neue Wissen ihr eigenes Leben gefährdet. Wie gut, wenn man nach dem Showdown und einem zunächst etwas müde wirkenden Ausklang erfährt, dass "V5N6" der Auftakt zu einer Trilogie ist.
Den Amerikaner Eric T. Hansen kannte man, wenn man ihn kannte, bisher eher als Satiriker, nun hat er mit seiner Partnerin Astrid Ule unter dem Kunstnamen Ule Hansen einen Thriller geschrieben, der definitiv nicht lustig sein möchte. Ob die Welt allerdings noch einen weiteren Serienkiller-Roman braucht, ist sehr die Frage. "Neuntöter" (Heyne, 496 S., br., 16,99 [Euro]) spielt in Berlin, eine psychisch wenig stabile junge Frau mit bisweilen grenzwertigem Sozialverhalten, die in der Abteilung für operative Fallanalyse arbeitet und zudem mit dem Trauma einer nicht lange zurückliegenden Vergewaltigung kämpft, soll das Killerprofil erstellen. Angesichts bizarrer Opferchoreographien mit viel Panzertape ein undankbarer Job.
Man merkt dem Buch dabei sofort viel zu deutlich an, dass es dem an Abseitigkeiten reichen Serienkiller-Kabinett krampfhaft noch ein paar besonders originelle Facetten hinzufügen möchte. Das führt unweigerlich dazu, dass "Neuntöter", womit natürlich auch auf den Vogel verwiesen wird, der seine Beute gern auf Dornen aufspießt, hoffnungslos überkonstruiert wirkt. Wäre der Roman "das Thrillerereignis 2016", als welches es der Verlag verkauft, dann lägen lange, dürre Monate vor uns. Wenn man sich etwas wünschen dürfte, dann vor allem, dass die Serie der Serienkillerbücher endlich reißt.
Bei William Giraldi fehlt es zwar auch nicht an Todesopfern, aber hier ist kein Fall aufzuklären, hier weht der eisige Wind Alaskas, hier bewegen sich Menschen in einer Natur, die ihnen unmissverständlich klarmacht, dass sie sich besser woanders angesiedelt hätten; hier holen hungrige Wölfe Kinder aus heruntergekommenen Siedlungen, hier ist der Mensch dem Menschen ein Wolf. "Wolfsnächte" (Hoffmann und Campe, 224 S., geb., 20 [Euro]) ist weit mehr als eine Geschichte von Mord und Totschlag, das Buch handelt von Grausamkeit und Aberglauben, von Liebe und Geheimnissen, und es schildert diese Welt am Rande der Welt in einer Sprache, deren Klarheit, Härte und Einfachheit fast schon eine frostige Schönheit hat.
Warum einfach, wenn es kompliziert geht? J.S. Carol ist das Pseudonym des Schotten Steve Jackson, der auch schon als James Carol publiziert hat. Wenn es hilft. Zum Glück ist "Fürchte Dich" (Aufbau, 336 S., br., 9,99 [Euro]) aber ein sehr geradliniger, kompakter Thriller geworden. Ein maskierter, schwerbewaffneter, auch noch mit einem Sprengstoffgürtel behängter Mann kommt zur Lunchzeit in eines jener Restaurants in Los Angeles, in dem man mit einem Tisch zugleich die Bestätigung bekommt, zu den Auserwählten zu gehören. Der Mann nimmt Personal und Gäste als Geiseln, insgesamt fast dreißig Personen, er droht und demütigt nicht nur, er drückt auch ab.
Carol schildert das Drama, das am Ende nicht mehr als drei Stunden gedauert haben wird, sehr versiert aus mehreren Perspektiven: Drinnen sind Jody, die abgezockte Agentin, und ihr Jungstar-Klient Alex, der gerade auf der Toilette war, als der Maskierte kam, draußen der Redakteur eines Fernsehsenders und sein Reporter, die, weil wir nun mal in Hollywood sind, vor nichts zurückscheuen dürfen. Carol hat ein paar smarte kleine Einfälle, Tempo und Timing sind sehr professionell. Da gibt man sich dann auch mit eher flüchtigen Charakterskizzen zufrieden - ein Thriller wie ein klassisches B-Movie. Und die gibt es inzwischen seltener, als man denkt.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vier Thriller in Kürze: Louise Welsh, Ule Hansen, William Giraldi, J.S. Carol
Die gängigen Baupläne und leicht ermüdenden Routinen eines Kriminalromans sind Louise Welsh fremd. In "V5N6. Tödliches Fieber" (Kunstmann, 352 S., br., 19,95 [Euro]) werfen schon die ersten Seiten, die ganz lapidar von drei Amokläufen berichten, einen rätselhaften Schatten auf alles Folgende, der sich bis zum Ende nicht aufgelöst haben wird. Und mindestens ebenso wichtig wie die Suche nach dem Täter, der den Freund von Stevie Flint ermordet hat, ist der Ausnahmezustand, in den ein Virus London versetzt hat. Das "Schwitzfieber", wie die Leute es nennen, sorgt für latente Panik, Hamsterkäufe, Ansätze zu Bürgerwehrbildung und starke Militär- und Polizeipräsenz.
Louise Welsh, die auch in der drohenden Katastrophe ihr Sprachwitz nicht verlässt, kann das sehr plastisch und leicht boshaft beschreiben, wenn hier und dort die Regeln der Zivilisation zerbrechen wie ein mürber Gipsverband. Erst durch diese besonderen Umstände wird Stevie, die gelernte Journalistin, die ihr Geld bei einem Einkaufssender verdient, zur Heldin. Gegen das Virus offenbar immun, will sie mit einer Mischung aus Wut und Hartnäckigkeit auch dann noch den Mörder ihres Simon finden, als sie begreift, wie wenig sie von ihm wusste und dass jedes neue Wissen ihr eigenes Leben gefährdet. Wie gut, wenn man nach dem Showdown und einem zunächst etwas müde wirkenden Ausklang erfährt, dass "V5N6" der Auftakt zu einer Trilogie ist.
Den Amerikaner Eric T. Hansen kannte man, wenn man ihn kannte, bisher eher als Satiriker, nun hat er mit seiner Partnerin Astrid Ule unter dem Kunstnamen Ule Hansen einen Thriller geschrieben, der definitiv nicht lustig sein möchte. Ob die Welt allerdings noch einen weiteren Serienkiller-Roman braucht, ist sehr die Frage. "Neuntöter" (Heyne, 496 S., br., 16,99 [Euro]) spielt in Berlin, eine psychisch wenig stabile junge Frau mit bisweilen grenzwertigem Sozialverhalten, die in der Abteilung für operative Fallanalyse arbeitet und zudem mit dem Trauma einer nicht lange zurückliegenden Vergewaltigung kämpft, soll das Killerprofil erstellen. Angesichts bizarrer Opferchoreographien mit viel Panzertape ein undankbarer Job.
Man merkt dem Buch dabei sofort viel zu deutlich an, dass es dem an Abseitigkeiten reichen Serienkiller-Kabinett krampfhaft noch ein paar besonders originelle Facetten hinzufügen möchte. Das führt unweigerlich dazu, dass "Neuntöter", womit natürlich auch auf den Vogel verwiesen wird, der seine Beute gern auf Dornen aufspießt, hoffnungslos überkonstruiert wirkt. Wäre der Roman "das Thrillerereignis 2016", als welches es der Verlag verkauft, dann lägen lange, dürre Monate vor uns. Wenn man sich etwas wünschen dürfte, dann vor allem, dass die Serie der Serienkillerbücher endlich reißt.
Bei William Giraldi fehlt es zwar auch nicht an Todesopfern, aber hier ist kein Fall aufzuklären, hier weht der eisige Wind Alaskas, hier bewegen sich Menschen in einer Natur, die ihnen unmissverständlich klarmacht, dass sie sich besser woanders angesiedelt hätten; hier holen hungrige Wölfe Kinder aus heruntergekommenen Siedlungen, hier ist der Mensch dem Menschen ein Wolf. "Wolfsnächte" (Hoffmann und Campe, 224 S., geb., 20 [Euro]) ist weit mehr als eine Geschichte von Mord und Totschlag, das Buch handelt von Grausamkeit und Aberglauben, von Liebe und Geheimnissen, und es schildert diese Welt am Rande der Welt in einer Sprache, deren Klarheit, Härte und Einfachheit fast schon eine frostige Schönheit hat.
Warum einfach, wenn es kompliziert geht? J.S. Carol ist das Pseudonym des Schotten Steve Jackson, der auch schon als James Carol publiziert hat. Wenn es hilft. Zum Glück ist "Fürchte Dich" (Aufbau, 336 S., br., 9,99 [Euro]) aber ein sehr geradliniger, kompakter Thriller geworden. Ein maskierter, schwerbewaffneter, auch noch mit einem Sprengstoffgürtel behängter Mann kommt zur Lunchzeit in eines jener Restaurants in Los Angeles, in dem man mit einem Tisch zugleich die Bestätigung bekommt, zu den Auserwählten zu gehören. Der Mann nimmt Personal und Gäste als Geiseln, insgesamt fast dreißig Personen, er droht und demütigt nicht nur, er drückt auch ab.
Carol schildert das Drama, das am Ende nicht mehr als drei Stunden gedauert haben wird, sehr versiert aus mehreren Perspektiven: Drinnen sind Jody, die abgezockte Agentin, und ihr Jungstar-Klient Alex, der gerade auf der Toilette war, als der Maskierte kam, draußen der Redakteur eines Fernsehsenders und sein Reporter, die, weil wir nun mal in Hollywood sind, vor nichts zurückscheuen dürfen. Carol hat ein paar smarte kleine Einfälle, Tempo und Timing sind sehr professionell. Da gibt man sich dann auch mit eher flüchtigen Charakterskizzen zufrieden - ein Thriller wie ein klassisches B-Movie. Und die gibt es inzwischen seltener, als man denkt.
PETER KÖRTE
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Gut, dass Louise Welsh ihren Krimi um die junge Journalistin und Moderatorin Stevie, die einem tödlichen Virus auf der Spur ist, als Reihe angelegt hat. Denn zum einen findet Rezensent Nicolas Freund diesen gelungenen Genremix aus Krimi, Wissenschaftsthriller und Katastrophendrama, der im apokalyptischen London spielt, überraschend unverbraucht. Auch die taffe Ermittlerin in "hard-boilded"-Tradition gefällt dem Kritiker gut. Die geheimnisvolle Geschichte um eine zusammenbrechende Gesellschaft braucht allerdings trotzdem noch ein paar Romane, um sich ganz entfalten zu können, glaubt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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