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© Perlentaucher Medien GmbH
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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Vom garstigen Maler und seiner treuen Gemeinde: Kristof Magnussons hinreißender Roman "Ein Mann der Kunst" wandelt durch Diskurshöllen und Lebensweisen
Fußballturniere, Autorennen oder Tenniswettkämpfe mögen ohne Zuschauer stattfinden können, die Kunst aber geht nicht als Geisterspiel über die Bühne. Sie lebt vom direkten Sehen und Gesehenwerden. Oder um den legendären Berliner Anwalt und passionierten Sammler Peter Raue zu zitieren: einer Ausstellung lediglich online beizuwohnen sei wie "ein Kuss durch ein Taschentuch". Ein nicht geringer Lohn bildender Kunstschaffender ist doch die Warteschlange am Eingang eines Museums oder einer Galerie. Solch eine Gruppe typischer Enthusiastinnen und Enthusiasten hat Kristof Magnusson ins Zentrum seines neuen Romans gestellt.
Der deutschisländische Schriftsteller ist ausgebildeter Kirchenmusiker und bewies bereits in früheren Büchern wie "Zuhause" (2005), "Das war ich nicht" (2010) oder "Arztroman" (2014) ein feines Ohr für Milieus und deren spezifische Idiome, ob es sich um Hipster, Investmentbanker oder Krankenhausmitarbeiter handelte. In "Ein Mann der Kunst" wird nun der Förderverein eines kleinen privaten Frankfurter Museums mit zahllosen Ober-, Unter- und Zwischentönen dargestellt, die sich aus der individuellen Personencharakteristik, der jeweiligen Gruppendynamik und dem großen Ganzen speisen, dem sich diese Aficionados verschrieben haben: der Kunst. Sie sind die klassischen gutbürgerlichen Abonnenten, die ihren Alltag durch kulturelle Ereignisse aufwerten, auf die sie sich gründlich vorbereiten und in die sie viel Zeit und Kapital investieren - einerseits belächelt, andererseits unentbehrlich. Durch einen Zufall erhält das von ihnen unterstützte Museum die Möglichkeit zu einem Neubau, der, wenn alle Geldgeber zustimmen, einem einzigen Künstler gewidmet werden soll.
Dieser international geschätzte Herr namens KD Pratz ist aber ein "schwieriger Charakter" und "radikaler Einsiedler", hat sich schon vor Jahren in einer Burg im Rheingau verschanzt und die Zugbrücke hochgezogen - voller Verachtung für den "Kulturbetrieb mit seinen Förderungen, Segnungen, Preisen, Werkeinführungen und Vernissagen, Previews, Buchpräsentationen, Podiumsdiskussionen und artist's talks."
Als Erzähler und Vermittler fungiert der sympathische, aufgeweckte, schwule Constantin Marx, um die vierzig Jahre alt, Architekt und Sohn der Vorsitzenden des Fördervereins, dem er auch selbst angehört. Der Verein besucht den Malerfürsten, um herauszukriegen, ob er mit seiner "Weltkunst aus der Region" wirklich der Richtige für eine derart hohe Ehrung ist. Aus dieser an Facetten und Komik überreichen Konfrontation zwischen Schein und Sein, Kunst und Künstler, Bild und Bildner bezieht der Roman seine ebenso famos wie vielschichtig kolorierte Dynamik.
Denn während für die Mitglieder des Fördervereins die regelmäßigen Reisen zu Ausstellungen, Kirchen und erhabenen Sehenswürdigkeiten wahre Sternstunden bedeuten, denen sie sich mit Euphorie und trotzdem "kritischem Bewusstsein" hingeben, ist das für den Maler bloß "Kasperltheater für privilegierte Langweiler". Der misanthropische Star bockt, provoziert und schimpft wie ein Thomas Bernhard in Bestform - "Mein Leben ist nicht Ihr Wochenendspaß!" -, weshalb Constantin resümiert: "KD Pratz war, was die Menschen an der Kunst liebten. Und hassten." Der Förderverein ist von seinem "kulturpessimistischen Gewäsch" ohne "menschenfreundliche Alternative" verstört und irgendwann nicht mehr zahlungswillig.
Doch Kristof Magnusson ist als Autor ein fabelhafter Menschenfreund, der mit seinen Figuren ebenso zartfühlend wie demaskierend, ebenso verständnisvoll wie ätzend durch die Diskurshöllen der Kunstbetrachtung und heutigen Lebensweisen lustwandelt. Türen klappern wie im verrücktesten Boulevardtheater, obwohl es schwere Burgtore sind, hinter denen sich KD Pratz, der "detailverliebter als Gerhard Richter ist, archaischer als Anselm Kiefer und expressiver als Georg Baselitz", dem Kunstbetrieb verweigert. Magnusson hat diesen gründlich studiert, führt mit seinem eleganten Witz - zwischen Neil Simon, Loriot und den Simpsons - souverän durch die Hebungen und Senkungen eines deregulierten Marktes, der lieber auf Originalität setzt als auf Qualität.
In genauen Beobachtungen und hinreißend komischen Dialogen zeigt er nicht nur, wie viel Abstand es zwischen Künstlern und Fans gibt, sondern auch, wie viel Nähe. Das westdeutsche Sittenszenario an Main und Rhein mit seiner überregional ausstrahlenden Binnenstruktur bringt ein Referatsleiter aus dem hessischen Finanzministerium, das über den Museumsbau mitentscheidet, auf den Punkt: "Handkäs, aber global."
Ob "Verwaltungsbohei" oder "Bildungsbürgerbespaßung", ob Provinzkuratoren oder Guggenheim-Previews, ob ästhetische Schwarzmalerei oder unerwartete Lichtgestalten, ob tatsächlich Hinschauen oder einfach Abknipsen - Magnusson versteht sich in seinem Buch auf alle Sphären und leuchtet sie in klugen und spannenden Winkelzügen aus. Sämtliche Gewissheiten werden in Frage gestellt und zugleich aufs Charmanteste bestätigt: Da wird der Förderverein auf den großen Innenhof von KD Pratz' Burg gelotst, "in dem nichts außer einer Plastikkiste mit Streusalz stand, die bei dieser Hitze deplatziert erschien. Für einen Moment überlegte ich, ob sie ein Kunstwerk war." Kristof Magnussons Roman jedenfalls ist eines.
IRENE BAZINGER
Kristof Magnusson: "Ein Mann der Kunst". Roman.
Verlag Antje Kunstmann, München 2020. 240 S., geb., 22,- [Euro].
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