Lola Lachmann wohnt mit ihrer Mutter auf der 'Erbse', einem Hausboot unten am Fluss. Seitdem sich ihr Vater in Luft aufgelösthat, lebt Lola in einer Fantasiewelt, weigert sich zu wachsen und wäscht sich nicht mehr den Hals, um die Erinnerung an Papas Abschiedskuss zu bewahren. Ihr sonderbares Verhalten macht sie zur Einzelgängerin. Zum Glück gibt es noch den alten Fischer Solmsen und seine märchenhaften Geschichten. Eines Tages jedoch droht Lolas Traumwelt aus den Fugen zugeraten: Ihre Mutter hat einen neuen Freund! Kurt ist Tierarzt und eigentlich gar nicht so übel, aber Lola versucht mit allen Mitteln, den Eindringling zu vertreiben.
Ein bemerkenswertes Kinderbuch-Debut
Früher war Lola wirklich eine Prinzessin auf der Erbse, lebte mit Mama und Papa in ungetrübter Idylle auf dem blumenumrankten Hausboot Erbse. Früher, als die Welt noch in Ordnung war, vor drei Jahren. Seitdem ist Lolas Vater spurlos verschwunden, hat sich von einem Tag auf den anderen in Luft aufgelöst. Lola weiß nicht, weshalb und wohin. Aber sie weiß, dass sie ihn vermisst. Von Tag zu Tag. Und: dass sie auf ihn warten wird, von Jahr zu Jahr. Als ließe sich die Zeit anhalten, beschließt sie, nicht mehr zu wachsen. Und wäscht sich den Hals nicht mehr an der Stelle, wo Papa sie zum letzten Mal geküsst hat. Statt dessen spricht sie mit ihm, wenn sie Sorgen hat. Zum Beispiel, als Mama Besuch von Kurt bekommt. Da fährt Lola ihre Stacheln aus. Wenn schon nicht ihre Mutter, wird wenigstens sie ihrem Vater die Treue halten: eine verratene Prinzessin, die sich lieber in ihren Träumen verschanzt als die Wahrheit herauszufinden.
Dieses bemerkenswerte Debut schildert sieben Tage im Leben eines kleinen Mädchens, erzählt eine Familien-Freundschafts-Geschichte, in der die Protagonistin Stück für Stück ihrer Vergangenheit auf die Spur kommt. Ein typisches Problembuch also, in dem die Erwachsenen versagen, aber schließlich, märchengleich, doch alles gut ausgeht? Annette Mierswa wählt einen anderen Weg. Schon der erste Satz gibt die Richtung vor: „Lola war nicht gerade ein gewöhnliches Mädchen.” Konsequent aus Kindersicht erzählt sie mal lakonisch, mal poetisch, lässt auch Raum für (Alp)Träume und stellt Lola ungewöhnliche Menschen zur Seite: Solms, der wunderliche alte Fischer, der mit seinen Geschichten die Welt erklären kann; Frau Lachmann, Lolas Mutter, die eine kleine Wäscherei betreibt, aber ihrer Tochter in Sachen Wirklichkeit den Schonwaschgang verpasst; Kurt mit dem verrückten Donnervogel-Auto und dem großen Herzen; oder Lolas Klassenkamerad Rebin, der Pelle heißen muss, weil es ihn, den in Deutschland geborenen Flüchtlings-Sohn, offiziell nicht geben darf. Sie alle sind da, als die Wahrheit über den ersehnten Vater ans Licht kommt. Er ist alles andere als ein König, seiner Herzdame aus Kuba zu Liebe hat er die Leinen gelöst, Schiff ahoi, und verschwand über den Ozean. Am Ende wird Lola das akzeptieren, ihren Hals wieder waschen, wachsen und Freunde finden. Nicht als Prinzessin, sondern als aufgeweckte Königinnentochter auf der Erbse wird sie ihr Leben wieder aufnehmen.
Das alles erzählt die Illustratorin Stefanie Harjes in kraftvollen Schwarz-Weiß-Illustrationen weiter, schafft zuerst Hausbootidylle und verwandelt dann Lola zum Kaktuskind, das, gefangen wie Dornröschen hinter der Hecke, die Stacheln ausfährt. Und wenn Lolas vier Schutzengel sich streiten, wer das Sagen hat, flattert ein schwarzer Raben-engel durch das graue Bild und verkündet Unheil. Bis zuletzt eine Nussschale mit Lola, Rebin, Solms, Mama und Kurt an Bord beflügelt davon fährt, die Aussicht auf Glück bleibt bestehen. (ab 8 Jahre) CHRISTINE KNÖDLER
Annette Mierswa: Lola auf der Erbse. Mit Bildern von Stefanie Harjes. Tulipan Verlag 2008. 197 Seiten, 14,90 Euro.
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