Der neue Junge setzt im Freibad die genialste Arschbombe aller Zeiten ins Becken, verschwindetdanach aber spurlos. Eine Eule heilt die Ängste eines Busfahrers. In Albuquerque wartet ein alterTrainer auf eine neue Hüfte. Amateurfunker Muffe wird erschlagen. Und während Budde in derKühlhalle der Fleischfabrik arbeitet, schneit es draußen.Alle Figuren teilen das gleiche vage Gefühl: Sie haben eine Vorahnung, dass sich etwas verändernwird. Und auch wenn die meisten von ihnen einfache Leute sind, Busfahrer, Bauarbeiter, Maler,Pfleger, haben sie doch alle eine Idee davon, was es bedeutet, wirklich intensiv zu leben - und dasses dazu notwendig sein kann, aus seinem ganz normalen Leben auszusteigen. Und so treffen sieEntscheidungen, die sie für immer beeinflussen werden.Florian Wacker erzählt klassische Kurzgeschichten, in der Tradition amerikanischer Ikonen wieWilliam Faulkner oder Richard Yates. Auf eine direkte Art verleiht Wacker seinen Figuren eineveritable Stimme, die traurig, ernst, politisch und witzig sein kann. Das hat man so länger nichtgelesen - und es lohnt sich sehr.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2015Schinkenknacker im Nieselregen
Ballons in Rosarot, gedruckt auf Leinen in Apricot: Florian Wackers Erzählband "Albuquerque" kommt auffällig verspielt daher. Dabei soll hier aus dem Leben "einfacher Leute" berichtet werden, die "doch", so der Klappentext, eine Idee davon hätten, "was es bedeutet, wirklich intensiv zu leben". Warum der Gegensatz, warum sollten die Straßenarbeiter, Anstreicher, Pfleger und Krankenschwestern, um die es hier geht, davon keine Ahnung haben? Wacker, Jahrgang 1980, hat das Schreiben am Leipziger Literaturinstitut erlernt; er weiß also, wie man Plots konstruiert, Perspektiven gestaltet und Pointen setzt. Entsprechend hat der Band durchaus seine erzählerischen Momente: die verflochtene Multiperspektivität in "Transit", die sensible Figurenanalyse in "Kluge Köpfe", das Spiel mit kalten und warmen Atmosphären in "Terrakotta". Was an diesem Buch stört, ist die Erzählhaltung, das allzu sichere Bescheidwissen des Erzählers über seine Figuren in ihrem Denken und Fühlen, ihren Ängsten und Lüsten: Was lässt etwa den Busfahrer Frank die tägliche Mühsal seines Angestelltenlebens ertragen? Seine "Höllenangst vor Hartz". Woran denkt Frank, wenn er mit seinem "Neoplan" an der roten Ampel steht? An das "Abgrillen" neulich mit den Kollegen, an die "letzten Schinkenknacker" im Nieselregen. Was liebt er ganz besonders an seiner Frau Doris? Den "Schatten in ihrem Dekolleté". Und worin besteht für ihn das Glück? In einer Kaffeepause auf dem Parkplatz eines Baumarkts. In milieukennerischen Figurenzeichnungen wie diesen artikuliert sich eine Haltung, die an gewisse Spielarten einer sozial engagierten Literatur erinnert, von der man hoffte, sie habe sich mittlerweile erübrigt: eine Haltung wohlmeinend-einfühlender Herablassung.
sina
Florian Wacker: "Albuquerque". Erzählungen. Mairisch Verlag, Hamburg 2014. 160 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ballons in Rosarot, gedruckt auf Leinen in Apricot: Florian Wackers Erzählband "Albuquerque" kommt auffällig verspielt daher. Dabei soll hier aus dem Leben "einfacher Leute" berichtet werden, die "doch", so der Klappentext, eine Idee davon hätten, "was es bedeutet, wirklich intensiv zu leben". Warum der Gegensatz, warum sollten die Straßenarbeiter, Anstreicher, Pfleger und Krankenschwestern, um die es hier geht, davon keine Ahnung haben? Wacker, Jahrgang 1980, hat das Schreiben am Leipziger Literaturinstitut erlernt; er weiß also, wie man Plots konstruiert, Perspektiven gestaltet und Pointen setzt. Entsprechend hat der Band durchaus seine erzählerischen Momente: die verflochtene Multiperspektivität in "Transit", die sensible Figurenanalyse in "Kluge Köpfe", das Spiel mit kalten und warmen Atmosphären in "Terrakotta". Was an diesem Buch stört, ist die Erzählhaltung, das allzu sichere Bescheidwissen des Erzählers über seine Figuren in ihrem Denken und Fühlen, ihren Ängsten und Lüsten: Was lässt etwa den Busfahrer Frank die tägliche Mühsal seines Angestelltenlebens ertragen? Seine "Höllenangst vor Hartz". Woran denkt Frank, wenn er mit seinem "Neoplan" an der roten Ampel steht? An das "Abgrillen" neulich mit den Kollegen, an die "letzten Schinkenknacker" im Nieselregen. Was liebt er ganz besonders an seiner Frau Doris? Den "Schatten in ihrem Dekolleté". Und worin besteht für ihn das Glück? In einer Kaffeepause auf dem Parkplatz eines Baumarkts. In milieukennerischen Figurenzeichnungen wie diesen artikuliert sich eine Haltung, die an gewisse Spielarten einer sozial engagierten Literatur erinnert, von der man hoffte, sie habe sich mittlerweile erübrigt: eine Haltung wohlmeinend-einfühlender Herablassung.
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Florian Wacker: "Albuquerque". Erzählungen. Mairisch Verlag, Hamburg 2014. 160 S., geb., 16,90 [Euro].
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