Der Offizier als ein zentraler Typus deutscher Kulturgeschichte - eine neue Sichtweise. Nahezu zwei kriegerische Jahrhunderte lang war er Täter und Opfer zugleich. 14 AutorInnen untersuchen kritisch seinen Werte- und Tugendkanon. Konstitutiv ist der Wille - zum Kampf, zum Sterben, zum Töten und zum gesellschaftlichen Aufstieg.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.03.2000Epaulettenschwindel
Über deutsche Offiziere in alten Zeiten, aus wohl bekannten Quellen geschöpft
Ursula Breymayer, Bernd Ulrich, Karin Wieland (Herausgeber): Willensmenschen. Über deutsche Offiziere. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1999. Abbildungen, 28,90 Mark.
An der Eingangstür zur 1. Inspektion der Offiziersschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck klebt dieser Spruch: "Ich will." Der Wille scheint bei der Erziehung des Bundeswehr-Offiziernachwuchses eine einsehbare Rolle zu spielen. Wer hat sich diesen Spruch ausgedacht? Kommandeur, Inspektionschefs, Lehrstabsoffiziere und Hörsaalleiter? Die Offiziersschüler etwa? Wahrscheinlich ist es so gewesen: Alle haben darüber diskutiert und abgestimmt. Am Ende hat der Kommandeur befohlen. Hinter dem "Ich-will-Logo" verbergen sich vierzehn "Ich-will-Sätze", von "Ich will Offizier sein" bis "Ich will die Tradition meines Berufes mit Stolz bejahen".
Ohne Wille geht also nichts? Jedermanns- und Allerweltserkenntnis? Wie soll menschliches Leben ohne den Willen gehen? Auch dem pflanzlichen und tierischen Leben scheint so etwas wie ein Wille einzuwohnen. Wie soll der Kranke ohne Willen gesund werden? Wie soll der Schriftsteller seinen Roman schreiben, ohne dass ihn der Wille triebe? Wie soll der Kampfflieger sein Flugzeug ins Ziel steuern, wenn ihn der Wille nicht beflügelte? Wie soll ein Handwerksmeister den Betrieb führen ohne Willenskraft? Wie soll ein Staffelchef die Truppe führen ohne den dafür notwendigen Willen? ". . . denn diese ist, wie einerseits durch und durch Vorstellung, so andererseits durch und durch Wille." Also sprach Schopenhauer.
"Wille" hat sich in unzähligen Verknüpfungen in die Sprache geschlichen: eigenwillig, widerwillig, freiwillig; willfährig, willentlich, willkürlich. "Wille" ist sprichwörtlich geworden: "Dein Wille geschehe". "Der gute Wille". "Der eiserne Wille". "Der letzte Wille". "Triumph des Willens". "Wille zur Macht". "Kinder mit'm Willen kriegen was auf die Brillen". "Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg".
"Wille" einfach so? Anstrengung muss sich lohnen. Würde man nicht auf Entschädigung rechnen können, es sähe mit der Willenskraft übel aus: Dem tüchtigen Krieger wird Ruhm und Ehre versprochen, dem Verweigerer Schmach und Schande. Sind wir nicht alle "Willensmenschen"? Die "Freiburger Zeitung" nannte unseren "Eisernen Kanzler" am 25. Juli 1913 den "Willensmenschen Bismarck".
Nun haben drei Herausgeber fünfzehn Autoren zur Mitarbeit gebeten. "Willensmenschen" titeln sie ihr Buch. "Über deutsche Offiziere" schreiben sie im Untertitel. In ihrem Vorwort heißt es: "Der Wille ist das handlungsleitende und erlebnissteigernde Streben des Offiziers. Herkunft und Lebenslauf werden ebenso wie die Identitäten der elitären Uniformträger vom Willen bestimmt. Noch in den Physiognomien des Typs und den Gesten seines Auftretens scheint das Bild des Willensmenschens hindurch. Die Deutschen können wohl ohne ihre Offiziere nicht verstanden werden."
Das Foto der Umschlagseite zeigt ein Gruppenbild mit Offizieren: Angehörige des 1. Badischen Leib Grenadier Regiments Nr. 109 vor dem Ersten Weltkrieg. Spricht diesen Männern der Wille aus dem Gesicht? Sieht hier der "Willensmensch" zur Uniform heraus? Welche Gesten, welche Gesichter qualifizieren den deutschen Offizier zum "Willensmenschen"? Keiner der Herren vom 1. Badischen Leib Grenadier Regiment Nr. 109 steht stramm, alle präsentieren sich dem Fotografen mehr oder weniger locker; freundliche und ernste Gesichter sehen den Taschenbuchleser an. Sehen so "Willensmenschen" aus? Wie sehen "Willensmenschen" überhaupt aus?
Selbstverständlich werden die Herren vom Regiment den Willen zur Karriere gehabt haben. Selbstverständlich werden sie Befehl und Gehorsam mit ihrem Willen durchgesetzt haben. Selbstverständlich werden sie den eigenen Willen dem vorgesetzten Willen untergeordnet haben. Sie werden das Offiziersleben genossen haben: Auf die Frage "Haben Sie gedient?" konnten sie stolz Antwort geben. In großer und feiner Gesellschaft waren sie unentbehrlich. Wer Offizier gewesen war, hatte als Zivilist beruflichen Erfolg und Schlag bei den Frauen. Wem das Schicksal des Kaisers Kleider verwehrte, der hatte entsprechende Schlagseite.
Von Preußens Gloria bis Hitlers Wehrmacht, von Widerstand bis Willfährigkeit, von Jugendbewegung bis Führergefolgschaft, von Hetero- bis Homosexualität klappern die fünfzehn Beiträger alte Zeiten ab. Sie schöpfen aus wohl bekannten Quellen. Neues fördern sie nicht zu Tage. Originell-Eigenes bringen sie nicht zu Papier. Die Herausgeber haben nicht aufgepasst: Karin Wieland schildert in ihrem Beitrag über die Offizierstochter Marlene Dietrich dieselbe Szene wie Angelika Tramitz in ihren "Anmerkungen zur Sexualität des Offiziers": Zwei Offiziere begegnen sich in einem Bordell. Ihre Ehre retten sie dadurch, dass sie gleichzeitig die Monokel fallen lassen. Dann hatten sie "nichts gesehen". Ebenso überflüssig doppelt abgehandelt wird der Dichter Walter Flex. Dass dem millionenfach gelesenen Walter-Flex-Kriegsbuch, dem verlogen-romantischen "Der Wanderer zwischen beiden Welten", Erich Maria Remarques Welterfolg "Im Westen nichts Neues" gegenüberstand und es relativierte, wird mit keinem Wort erwähnt.
Das Thema "Willensmensch", das der Buchtitel laut und deutlich ausspricht, wird in keinem der fünfzehn Beiträge untersucht; es taucht nur verstreut als Stichwort und nicht begründete Behauptung wie das schlechte Gewissen auf, das der Titel des Buches den Autoren zu machen scheint. Oder haben sie etwa gar nichts vom Titel gewusst? Der Leser kann diesen Etikettenschwindel nur zur Kenntnis nehmen und den Kopf schütteln. Doppelter Etikettenschwindel: Wer darauf hofft, er könne hier etwas über den "Willensmenschen Bundeswehr-Offizier" lernen, wird noch einmal enttäuscht. Von der Bundeswehr ist zweimal ausführlicher die Rede. Detlev Bald erzählt in "Alte Kameraden" aus den Vor- und Urzeiten: Aufbau der neuen Streitkräfte durch ehemalige Wehrmachtsoffiziere, unter ihnen auch solche von der SS. Das ist inzwischen fünfzig Jahre alter, kalter Kaffee. Werner Bührer berichtet in "Offiziere im Wirtschaftswunderland" aus Zeiten, an die ein heute dreißigjähriger Bundeswehroffizier sich deswegen nicht erinnern kann, weil er noch nicht geboren war.
Ist den Autoren entgangen, dass die Bundeswehr fast ein halbes Jahrhundert alt ist und in einer Tradition steht, die mehr mit Nato-Mitgliedschaft und Bündnis-Integration zu tun hat als mit Wehrmacht und Reichswehr? Bundeswehr-Offiziere werden seit Jahrzehnten "In einem anderen Land" ausgebildet. Ausländische Offiziere nehmen an Lehrgängen der Führungsakademie teil. Bundeswehr-Offiziere sind Vorgesetzte von Ausländern wie Ausländer deren Vorgesetzte sind. Seit Jahrzehnten befinden sich die deutschen Streitkräfte in einem Prozess, der ihre nationale Rolle langsam und sicher auf Null "befördert". Hier haben Bundeswehr-Offiziere mitgedacht, mitgeplant und mitorganisiert.
All das hat sich zwangsläufig auf Selbstverständnis und Persönlichkeitsbild des deutschen Offiziers ausgewirkt. Davon ist bei diesem deutschen "Willensmenschen" keine Rede. "Das leidenschaftliche Interesse des modernen Offiziers gilt weniger dem Selbstopfer als dem Töten anderer." So redet Hans Richard Brittnacher in seinem Beitrag "Priester und Paria". Urworte? Forschung? Erkenntnis? Da er seine Behauptung weder in Anführungszeichen setzt noch als Zitat kennzeichnet, muss der Leser annehmen, sie sei des Autors eigene Geistesfrucht: Der hat hoch gegriffen, nichts hat er in der Hand.
"So wie es augenblicklich aussieht, wird die ,Lizenz zum Töten' mit neuen Waffen (und zum Getötetwerden durch was auch immer) an Spezialtruppen delegiert, an militärisch höchst professionelle, elitäre Kampfgruppen, über deren Motivation und Selbstverständnis wir wenig wissen. Diskussionen über Sinn und Unsinn der ,Inneren Führung' werden in ihnen aber vermutlich nicht geführt." So spekuliert und orakelt Bernd Ulrich in seinem Beitrag "Der deutsche Offizier stirbt" über die gegenwärtige Bundeswehr- und Offizierslage.
Das teure Taschenbuch verfehlt sein Thema. Trotzdem: Die Lektüre lohnt sich; nicht nur wegen der Beiträge zu Dichtern und Denkern, die den Offizier ins Schauspiel und in den Roman gebracht haben. Ein Beitrag muss wegen seines unaufgeregten Tons, seiner differenzierten Kenntis und sachlichen Argumentation herausgehoben werden: Werner T. Angress, "Der jüdische Offizier in der neueren deutschen Geschichte, 1813 - 1918".
Wille und Anstrengung, die den Leser - auch er ein Willensmensch - durch die Buchseiten treiben, werden am Ende entschädigt durch die Provokation der Lektüre. Sie selbst entpuppt sich als der Wille, den "Willensmenschen" näher zu kommen, sie richtig kennen zu lernen und besser zu verstehen, um genauer Auskunft geben zu können. Kein Lehrbuch; aber mit dem Logo-Spruch "Ich will meinen Standort finden und bestimmen" im Hinterkopf doch eine empfehlenswerte Lektüre für junge Offiziersanwärter wie die von der Offiziersschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck.
JOCHEN MISSFELDT
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Über deutsche Offiziere in alten Zeiten, aus wohl bekannten Quellen geschöpft
Ursula Breymayer, Bernd Ulrich, Karin Wieland (Herausgeber): Willensmenschen. Über deutsche Offiziere. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1999. Abbildungen, 28,90 Mark.
An der Eingangstür zur 1. Inspektion der Offiziersschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck klebt dieser Spruch: "Ich will." Der Wille scheint bei der Erziehung des Bundeswehr-Offiziernachwuchses eine einsehbare Rolle zu spielen. Wer hat sich diesen Spruch ausgedacht? Kommandeur, Inspektionschefs, Lehrstabsoffiziere und Hörsaalleiter? Die Offiziersschüler etwa? Wahrscheinlich ist es so gewesen: Alle haben darüber diskutiert und abgestimmt. Am Ende hat der Kommandeur befohlen. Hinter dem "Ich-will-Logo" verbergen sich vierzehn "Ich-will-Sätze", von "Ich will Offizier sein" bis "Ich will die Tradition meines Berufes mit Stolz bejahen".
Ohne Wille geht also nichts? Jedermanns- und Allerweltserkenntnis? Wie soll menschliches Leben ohne den Willen gehen? Auch dem pflanzlichen und tierischen Leben scheint so etwas wie ein Wille einzuwohnen. Wie soll der Kranke ohne Willen gesund werden? Wie soll der Schriftsteller seinen Roman schreiben, ohne dass ihn der Wille triebe? Wie soll der Kampfflieger sein Flugzeug ins Ziel steuern, wenn ihn der Wille nicht beflügelte? Wie soll ein Handwerksmeister den Betrieb führen ohne Willenskraft? Wie soll ein Staffelchef die Truppe führen ohne den dafür notwendigen Willen? ". . . denn diese ist, wie einerseits durch und durch Vorstellung, so andererseits durch und durch Wille." Also sprach Schopenhauer.
"Wille" hat sich in unzähligen Verknüpfungen in die Sprache geschlichen: eigenwillig, widerwillig, freiwillig; willfährig, willentlich, willkürlich. "Wille" ist sprichwörtlich geworden: "Dein Wille geschehe". "Der gute Wille". "Der eiserne Wille". "Der letzte Wille". "Triumph des Willens". "Wille zur Macht". "Kinder mit'm Willen kriegen was auf die Brillen". "Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg".
"Wille" einfach so? Anstrengung muss sich lohnen. Würde man nicht auf Entschädigung rechnen können, es sähe mit der Willenskraft übel aus: Dem tüchtigen Krieger wird Ruhm und Ehre versprochen, dem Verweigerer Schmach und Schande. Sind wir nicht alle "Willensmenschen"? Die "Freiburger Zeitung" nannte unseren "Eisernen Kanzler" am 25. Juli 1913 den "Willensmenschen Bismarck".
Nun haben drei Herausgeber fünfzehn Autoren zur Mitarbeit gebeten. "Willensmenschen" titeln sie ihr Buch. "Über deutsche Offiziere" schreiben sie im Untertitel. In ihrem Vorwort heißt es: "Der Wille ist das handlungsleitende und erlebnissteigernde Streben des Offiziers. Herkunft und Lebenslauf werden ebenso wie die Identitäten der elitären Uniformträger vom Willen bestimmt. Noch in den Physiognomien des Typs und den Gesten seines Auftretens scheint das Bild des Willensmenschens hindurch. Die Deutschen können wohl ohne ihre Offiziere nicht verstanden werden."
Das Foto der Umschlagseite zeigt ein Gruppenbild mit Offizieren: Angehörige des 1. Badischen Leib Grenadier Regiments Nr. 109 vor dem Ersten Weltkrieg. Spricht diesen Männern der Wille aus dem Gesicht? Sieht hier der "Willensmensch" zur Uniform heraus? Welche Gesten, welche Gesichter qualifizieren den deutschen Offizier zum "Willensmenschen"? Keiner der Herren vom 1. Badischen Leib Grenadier Regiment Nr. 109 steht stramm, alle präsentieren sich dem Fotografen mehr oder weniger locker; freundliche und ernste Gesichter sehen den Taschenbuchleser an. Sehen so "Willensmenschen" aus? Wie sehen "Willensmenschen" überhaupt aus?
Selbstverständlich werden die Herren vom Regiment den Willen zur Karriere gehabt haben. Selbstverständlich werden sie Befehl und Gehorsam mit ihrem Willen durchgesetzt haben. Selbstverständlich werden sie den eigenen Willen dem vorgesetzten Willen untergeordnet haben. Sie werden das Offiziersleben genossen haben: Auf die Frage "Haben Sie gedient?" konnten sie stolz Antwort geben. In großer und feiner Gesellschaft waren sie unentbehrlich. Wer Offizier gewesen war, hatte als Zivilist beruflichen Erfolg und Schlag bei den Frauen. Wem das Schicksal des Kaisers Kleider verwehrte, der hatte entsprechende Schlagseite.
Von Preußens Gloria bis Hitlers Wehrmacht, von Widerstand bis Willfährigkeit, von Jugendbewegung bis Führergefolgschaft, von Hetero- bis Homosexualität klappern die fünfzehn Beiträger alte Zeiten ab. Sie schöpfen aus wohl bekannten Quellen. Neues fördern sie nicht zu Tage. Originell-Eigenes bringen sie nicht zu Papier. Die Herausgeber haben nicht aufgepasst: Karin Wieland schildert in ihrem Beitrag über die Offizierstochter Marlene Dietrich dieselbe Szene wie Angelika Tramitz in ihren "Anmerkungen zur Sexualität des Offiziers": Zwei Offiziere begegnen sich in einem Bordell. Ihre Ehre retten sie dadurch, dass sie gleichzeitig die Monokel fallen lassen. Dann hatten sie "nichts gesehen". Ebenso überflüssig doppelt abgehandelt wird der Dichter Walter Flex. Dass dem millionenfach gelesenen Walter-Flex-Kriegsbuch, dem verlogen-romantischen "Der Wanderer zwischen beiden Welten", Erich Maria Remarques Welterfolg "Im Westen nichts Neues" gegenüberstand und es relativierte, wird mit keinem Wort erwähnt.
Das Thema "Willensmensch", das der Buchtitel laut und deutlich ausspricht, wird in keinem der fünfzehn Beiträge untersucht; es taucht nur verstreut als Stichwort und nicht begründete Behauptung wie das schlechte Gewissen auf, das der Titel des Buches den Autoren zu machen scheint. Oder haben sie etwa gar nichts vom Titel gewusst? Der Leser kann diesen Etikettenschwindel nur zur Kenntnis nehmen und den Kopf schütteln. Doppelter Etikettenschwindel: Wer darauf hofft, er könne hier etwas über den "Willensmenschen Bundeswehr-Offizier" lernen, wird noch einmal enttäuscht. Von der Bundeswehr ist zweimal ausführlicher die Rede. Detlev Bald erzählt in "Alte Kameraden" aus den Vor- und Urzeiten: Aufbau der neuen Streitkräfte durch ehemalige Wehrmachtsoffiziere, unter ihnen auch solche von der SS. Das ist inzwischen fünfzig Jahre alter, kalter Kaffee. Werner Bührer berichtet in "Offiziere im Wirtschaftswunderland" aus Zeiten, an die ein heute dreißigjähriger Bundeswehroffizier sich deswegen nicht erinnern kann, weil er noch nicht geboren war.
Ist den Autoren entgangen, dass die Bundeswehr fast ein halbes Jahrhundert alt ist und in einer Tradition steht, die mehr mit Nato-Mitgliedschaft und Bündnis-Integration zu tun hat als mit Wehrmacht und Reichswehr? Bundeswehr-Offiziere werden seit Jahrzehnten "In einem anderen Land" ausgebildet. Ausländische Offiziere nehmen an Lehrgängen der Führungsakademie teil. Bundeswehr-Offiziere sind Vorgesetzte von Ausländern wie Ausländer deren Vorgesetzte sind. Seit Jahrzehnten befinden sich die deutschen Streitkräfte in einem Prozess, der ihre nationale Rolle langsam und sicher auf Null "befördert". Hier haben Bundeswehr-Offiziere mitgedacht, mitgeplant und mitorganisiert.
All das hat sich zwangsläufig auf Selbstverständnis und Persönlichkeitsbild des deutschen Offiziers ausgewirkt. Davon ist bei diesem deutschen "Willensmenschen" keine Rede. "Das leidenschaftliche Interesse des modernen Offiziers gilt weniger dem Selbstopfer als dem Töten anderer." So redet Hans Richard Brittnacher in seinem Beitrag "Priester und Paria". Urworte? Forschung? Erkenntnis? Da er seine Behauptung weder in Anführungszeichen setzt noch als Zitat kennzeichnet, muss der Leser annehmen, sie sei des Autors eigene Geistesfrucht: Der hat hoch gegriffen, nichts hat er in der Hand.
"So wie es augenblicklich aussieht, wird die ,Lizenz zum Töten' mit neuen Waffen (und zum Getötetwerden durch was auch immer) an Spezialtruppen delegiert, an militärisch höchst professionelle, elitäre Kampfgruppen, über deren Motivation und Selbstverständnis wir wenig wissen. Diskussionen über Sinn und Unsinn der ,Inneren Führung' werden in ihnen aber vermutlich nicht geführt." So spekuliert und orakelt Bernd Ulrich in seinem Beitrag "Der deutsche Offizier stirbt" über die gegenwärtige Bundeswehr- und Offizierslage.
Das teure Taschenbuch verfehlt sein Thema. Trotzdem: Die Lektüre lohnt sich; nicht nur wegen der Beiträge zu Dichtern und Denkern, die den Offizier ins Schauspiel und in den Roman gebracht haben. Ein Beitrag muss wegen seines unaufgeregten Tons, seiner differenzierten Kenntis und sachlichen Argumentation herausgehoben werden: Werner T. Angress, "Der jüdische Offizier in der neueren deutschen Geschichte, 1813 - 1918".
Wille und Anstrengung, die den Leser - auch er ein Willensmensch - durch die Buchseiten treiben, werden am Ende entschädigt durch die Provokation der Lektüre. Sie selbst entpuppt sich als der Wille, den "Willensmenschen" näher zu kommen, sie richtig kennen zu lernen und besser zu verstehen, um genauer Auskunft geben zu können. Kein Lehrbuch; aber mit dem Logo-Spruch "Ich will meinen Standort finden und bestimmen" im Hinterkopf doch eine empfehlenswerte Lektüre für junge Offiziersanwärter wie die von der Offiziersschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck.
JOCHEN MISSFELDT
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Karl-Heinz Janssen ist begeistert von diesem Sammelband über den deutschen Offizier, denn so etwas habe es noch nicht gegeben. Die Aufsätze beleuchten das Phänomen von allen Seiten und besonders die Betrachtung des Offiziers in der Literatur ist eine sehr vergnügliche Lektüre, schwärmt der Rezensent. Er lobt, dass die Autoren keinen Aspekt "ausgespart" und dass sie ihr Thema auf "originelle Weise" dargestellt haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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