Studienarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Geschichte - Asien, Note: Sehr gut (1,0), Humboldt-Universität zu Berlin (Institut für Geschichtswissenschaften), Veranstaltung: Hauptseminar: Gewalt und Terror in der frühen Sowjetunion 1917-1953, Sprache: Deutsch, Abstract: Wer zum ersten Mal in die Literatur zum Großen Terror in der Sowjetunion 1937/38 hineinliest, mag sich wundern. Die großen Fragen nämlich, die zu erwarten wären, etwa: „Was habe ich mir unter dem Terror vorzustellen?” und dann: „Wie war der Terror möglich?” - diese Fragen geraten häufig aus dem Blickfeld. Stattdessen ist viel vom „Terror von oben” und solchem „von unten” die Rede, davon also, wie groß oder klein der Anteil Stalins am Terror war, ob dieser zentral geplant wurde oder die Menschen spontan übereinander herfielen. Diese Fragen tragen sicherlich zum Verständnis des Terrors bei. Aber sie tragen eben nur dazu bei und können allein nicht den Schlüssel zum Verständnis liefern. Ohnehin ist klar, dass es diesen einen Schlüssel, diese eine Ursache des stalinistischen Terrors, nicht gegeben hat. Dennoch vereinfachende Erklärungen präsentieren zu wollen, bleibt eine verständliche Versuchung angesichts der Komplexität des Gegenstandes. Die zentrale Frage aber bleibt, wie bereits erwähnt: „Wie war der Terror möglich?” Der Weg zu einer Antwort führt über die zweite Frage, die wir oben schon gestellt haben, nämlich: „Wie sah der Terror im Alltag aus?” Als Gegengewicht zu den abstrakteren Fragen politischer Entscheidungen ist diese Frage unerlässlich, bewahrt sie doch vor der Gefahr, angesichts der gewaltigen Dimensionen die Waffen des Historikers zu strecken - vielleicht gäbe es schon mehr Untersuchungen zum Alltag des Terrors, hätte er in kleinerem Maßstab stattgefunden. Die Beschäftigung mit der Gewalt, die die Menschen im Terror auf lokaler Ebene einander antaten, bewahrt außerdem davor, sich die abstraktere Sicht der Moskauer Führung zu eigen zu machen, die die Opfer wenn nicht ausschließlich, so doch überwiegend in Form von Erschießungslisten und Volksfeind-Kontingenten der einzelnen Republiken wahrnahm. Die Frage nach der konkreten Gewalt macht dann auch, so hat Stefan Plaggenborg betont, den eingangs erwähnten Streit um Terror „von oben” oder „von unten” müßig. Ohne Anstachelung oder zumindest Legitimierung von oben kann die Gewalt unten nicht solche Ausmaße annehmen. Und ohne die grundsätzliche Bereitschaft unten, Gewalt auszuüben, können die Impulse von oben keine Wirkung zeigen. Stalin radikalisierte die Auseinandersetzung. Aber der Ursprung der Gewalt war er nicht.