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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.2000

Leiden eines Knaben

Zurzeit stehen Jungautoren im deutschen Sprachraum hoch im Kurs. Kaum der Schulbank entflohen, werfen sie, frech und unverbraucht, ihren Erstling mit Erfolg auf den Markt. Nun ist der einstige Planungs- und Software-Ingenieur Martin Gülich mit Jahrgang 1963 ja kein Halbwüchsiger mehr. Doch, mag er sich gesagt haben, was diese Jünglinge können, kann ich allemal. Schließlich war auch er mal in der Pubertät und hat sich seine Erinnerungen bewahrt. Wie schwer es allerdings ist, den Gemütszustand eines Dreizehnjährigen noch einmal aufleben zu lassen und dabei auch die Sprache jener frühen Jahre wieder zu finden, das scheint er nicht bedacht zu haben. Martin Gülich schreibt nicht wie ein Dreizehnjähriger, er schreibt so, wie er sich vorstellt, dass Dreizehnjährige von heute schreiben würden. Und merkt dabei nicht, wie sehr er den Jungen der Lächerlichkeit preisgibt.

Gewiss, dieser Jakob Pauli durchlebt und durchleidet alle Nöte, die einen während der Pubertät umzutreiben pflegen. Er fühlt sich unverstanden, zu klein für sein Alter, Stimmbruch und Haarwuchs lassen auf sich warten. Das ist an sich nicht schlecht beobachtet. Doch der Held leidet auch an einer bedenklichen Fixierung. Er darf an nichts anderes denken als die Geschlechtsmerkmale beider Geschlechter. Unentwegt wird da gemessen, verglichen und gefummelt. Seite für Seite, Kapitel für Kapitel: nichts als feuchte Träume und Blicke durchs Schlüsselloch, wenn die ältere Schwester sich vor dem Spiegel zurechtmacht. Romane füllen kann man damit nicht.

Das scheint auch dem Autor aufgegangen zu sein. Deshalb lässt er seinen Helden noch einige fade Schulstunden absolvieren, ein Fußballspiel verlieren oder sich in vagen Sorgen um die Ehe seiner Eltern ergehen. Erst kurz vor Schluss tritt dann jenes Ereignis ein, das wohl den eigentlichen Anlass für dieses Buch darstellt: Hartmut, der allseits Bewunderte und immer Unerreichbare, verunglückt mit seinem Mofa tödlich, und Jakob Pauli fühlt sich schuldig. Einen Moment ist es so, als ob die Geschichte den Atem anhielte. Jakob und die andern aus der Clique ahnen, dass Leben noch etwas anderes für sie bereithält als einen Eisbecher für zwei oder die Begegnung im Kinodunkel. Doch Martin Gülich hält den Ton nicht durch. Kaum ist die Beerdigung vorbei, verfällt er wieder in jene "umstandslose Sprache des Dreizehnjährigen", die der Klappentext preist. Wenn wir am Schluss entlassen werden mit der Aussicht auf den ersehnten ersten Kuss, stellt sich auch die Langeweile wieder ein. Statt von der unfreiwilligen Komik der Pubertätsjahre mitgerissen zu sein, fühlen wir uns nur noch peinlich berührt ob den Leiden eines Knaben, der von seinem Autor bloßgestellt wurde.

KLARA OBERMÜLLER

Martin Gülich: "Vorsaison". Roman. Edition Postskriptum zu Klampen Verlag, Lüneburg 1999. 173 S., geb., 36,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kaum ein gutes Haar lässt Klara Obermüller an diesem Roman. Ihrer Ansicht nach macht der Autor seinen Protagonisten unfreiwillig zu einer lächerlichen Figur, indem er ihn mit genau der Jugendsprache ausstattet, die sich nur ein Erwachsener ausdenken kann. Aber auch inhaltlich gebe das Buch nicht viel her. Ermüdet berichtet die Rezensentin von endlosen "feuchten Träumen". Selbst ein Todesfall, bei dem der Junge Jakob eine Mitschuld verspürt, rette die Geschichte bestenfalls für einen Augenblick. Denn die Sprache, die Obermüller so kritisiert, gewinne wieder die Oberhand. Die Rezensentin legt das Buch "peinlich berührt" zur Seite.

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