Schließt die Augen und zerbrecht das Glas Es ist Nacht, ein junger Mann sitzt am Tisch und schreibt. Er hat Angst. Davor, sich entscheiden zu müssen. Für eine Frau, einen Freundeskreis, einen Urlaubsort im Jahr. Er hat Angst, dass ihm das Gefühl abhandenkommt. Dass er erwachsen wird. Doch ein Bekannter hat ihm ein Angebot gemacht: Sieben Mal um sieben Uhr soll er einer der sieben Todsünden begegnen. Er muss gierig, hochmütig und wollüstig sein, sich von einem Hochhaus stürzen, den Glauben und jedes Maß verlieren. Sieben Nächte ist ein Streifzug durch die Stadt, eine Reifeprüfung, die vor zu viel Reife schützen soll, ein letztes Aufbäumen im Windschatten der Jugend. Simon Strauß erzählt von einem jungen Mann an der Schwelle, der alles aufbringt, um sich Gewohnheit und Tristesse zu verwehren. Er muss gierig, hochmütig und faul sein, neiden und wüten, Völlerei und Wollust treiben. Sich dem Leben preisgeben, um sich die Empfindung zu erhalten. Im Schutze der Nacht entwickelt er aus der Erfahrung der sieben Todsünden die Konturen einer besseren Welt, eines intensiveren Lebens. »Simon Strauß erzählt von einem, der auszog, um die ewige Jugend zu suchen - und schreibt ein Buch, das so klug und berührend ist, dass man ihm auf der Stelle folgen will.« Theresia Enzensberger »Was für ein leidenschaftliches, angstfreies, traditionstrunkenes, zukunftsgieriges Kampfbuch gegen die Abgeklärtheit. Gegen die Müdigkeit der In-Spuren-Geher. Der Lebenswiederholer. Ein Pamphlet für die Offenheit der Herzen!« Volker Weidermann
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.2017Simon Strauß, Redakteur im Feuilleton dieser Zeitung, hat ein Buch über die Krankheit der Jugend geschrieben: die Angst vor dem Älterwerden, der Zweifel beim Blick in die Zukunft. "Sieben Nächte" heißt es und sehnt sich nach Momenten der Prüfung, nach Ausbruch, Utopie und geheimer Gemeinschaft. Den äußeren Rahmen bilden die sieben Todsünden und ihre Erfüllung im Heute. In Wahrheit geht es um die Selbstbetrachtung einer Generation, die jeden Mut zum Widerstand verloren hat. Der nichts stärker fehlt als die Lust am Träumen. Ein Buch gegen den zynischen Weltblick der großen Brüder. Für mehr Verletzlichkeit. Mehr Leidenschaft. Kein Roman, sondern eine Mischung aus Essay und Erzählung. Ein Manifest für ein wilderes Leben. Geschrieben in der Hoffnung, dass doch noch was kommt.
F.A.Z.
Simon Strauß: "Sieben Nächte". Blumenbar Verlag, Berlin 2017. 144 S., geb., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
F.A.Z.
Simon Strauß: "Sieben Nächte". Blumenbar Verlag, Berlin 2017. 144 S., geb., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ja, Simon Strauß ist tatsächlich der Sohn von Botho Strauß, informiert Rezensent Christoph Schröder, der einige Parallelen zum Werk des Vaters findet. Sowohl der Sound als auch die gesamte Ideenwelt in diesem Debüt tragen eindeutig dessen Gepräge, stellt Schröder fest. Strauß gibt sich keine Mühe, sich von seinem jungen Ich-Erzähler in "Sieben Nächte" zu distanzieren, lesen wir, dies hat für den Rezensenten sowohl Vor- als auch Nachteile. Nachteil ist: Der Vorwurf des unsteten, meist belehrenden, intellektualistischen Tons dieses nicht gerade Sympathien erzeugenden Erzählers kann nicht mit der Entschuldigung "Rollenprosa" vom Tisch gefegt werden, meint Schröder. Andererseits werde durch die scheinbare Nähe zwischen Autor und Protagonist eine Authentizität erzeugt, die die Idee einer elitären, "intellektuellkonservativen Gegenbewegung" gegen die Müdigkeit, die Inhaltslosigkeit, den Konformismus der Generation Y plausibel macht, so der abwägende Rezensent, der das auf keinen Fall als rechtskonservativ bewerten möchte. Sein abschließendes Urteil lautet: Ein interessanter Ansatz, dem zu seiner Ausformung jedoch (noch) das sprachliche Rüstzeug fehlt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.07.2017Der Klaps des Windgottes
„Sieben Nächte“, sieben Todsünden: Simon Strauß erzählt vom Ausbruch aus dem sicheren,
konventionellen Dasein. Vorerst aber bleibt es beim Sound der Beschwörung
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Das Gefühl, im falschen Leben zu sein oder, noch schlimmer, nach und nach in das falsche Leben hineinzuwachsen und sich selbst dabei zusehen zu müssen, beherrscht dieses Buch. Es steht auf der Kippe, auf jeder einzelnen Seite. „Sieben Nächte“ ist ein Debüt, das nach Zukunft süchtig ist und dabei vehement die Vergangenheit bemüht. Ein Traktat, das sich an den Gegenwartsphänomenen abarbeitet, um Verachtung und Trauer zu produzieren.
Der Ich-Erzähler ist ein junger Mann Ende 20, dem es nie schwergefallen ist, die Schwierigkeiten einer unauffällig funktionierenden Existenz zu bewältigen: Ehrgeizig in der Schule, angepasst im Studium. Durch die Institutionen ist er nur so geflutscht; von Opposition und Widerspruch hat er lediglich geträumt. Irgendwann, so hat er sich gesagt, wird dafür auch in der Realität Raum sein. Aber wann?
„Sieben Nächte“ ist die erste Buchveröffentlichung von Simon Strauß, Jahrgang 1988. Simon Strauß, das ist in diesem Fall nicht unwichtig, ist nicht nur Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sondern auch der Sohn von Botho Strauß. Und so wohlfeil die Suche nach Analogien im literarischen Schreiben von Vater und Sohn auch erscheinen mag – im Fall von Strauß und Strauß ist sie angebracht. Denn Simon Strauß bewegt sich sowohl stilistisch als auch gedanklich eindeutig im Bannkreis seines Vaters.
Das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung. Es ist die möglicherweise einzige ironische Volte dieses Buchs, dass in einer Szene der Wunsch aufkommt, man möge in den Bibliotheken heimlich den eigenen Namen in die Bücher der Väter schreiben, um Kraft aus dem Erbe zu schöpfen.
Simon Strauß’ Erstling ist ein Hybrid, in dem sich unterschiedliche Gattungen verbinden: Essay und Reflexion, scharfe Polemik und erzählerische Passagen. Was sie eint, ist der durchgehend hohe Ton. Den gibt bereits das Gottfried-Benn-Gedicht „Nur zwei Dinge“ vor, das Strauß seinem Text vorangestellt hat: „Durch so viel Formen geschritten, / durch Ich und Wir und Du, /doch alles blieb erlitten/ durch die ewige Frage: wozu?“.
Da sitzt also der junge Mann in seiner Wohnung und hat Angst vor der Zukunft, weil sie ihm vorgezeichnet und profan erscheint. Die Existenz läuft unwiderruflich zu auf ein konventionelles Dasein im breiten Strom der Masse. Ein Albtraum also. Aber ein entfernter Bekannter, nein, „einer, den ich kaum kannte“, hat mit dem Erzähler einen Pakt geschlossen. An sieben beliebigen Abenden werde er, der Bekannte, sich um sieben Uhr abends melden, um den Erzähler auf einen Streifzug durch die Stadt zu schicken. Dabei, so die Vorgabe, solle der junge Mann aus der Rolle fallen und jeweils eine der sieben Todsünden begehen. Das ist keine besonders originelle Konstruktion, aber sie wird auch nur als Gerüst benötigt. Die Todsünden, die der Ich-Erzähler dann allerdings begeht, werden von ihm selbst im geheimnisvoll aufgeladenen Ton zu verruchten Abenteuern stilisiert, bleiben aber in Wahrheit recht läppisch. Hochmut? Man stürzt sich an einem Seil ein Hochhaus hinunter. Völlerei? Man verzehrt Trüffelsalami, Eastcoast Entrecote an Pfifferlingen und spült das Ganze mit Saint-Émilion herunter.
Weltekel und Selbstekel halten sich die Waage. Da ist die Sehnsucht nach dem Anderssein, dem Andersmachen; nach Ausbruch aus den ewig ironischen Hallräumen, aus der bequemen Abfederung in einem privilegierten Dasein.
Die Generation, für die Strauß’ Erzähler hier zu sprechen anhebt, ist eine, die sich nichts mehr erkämpfen muss, sondern alles in die Wiege gelegt bekam. Eine Generation der Erlebnislosigkeit, die in einem diffusen Gefühl der Leere vor sich hindümpelt. Die entscheidende Frage ist: Wohin soll es stattdessen gehen?
Das zentrale Kapitel, das sie beantwortet, handelt vom Neid. Das „Invidia“-Kapitel ist ein Manifest, das den Zusammenschluss der stillen Versprengten, der Vereinzelten zu einer neuen Elite-Bewegung postuliert. „Niemand wünscht sich einen Krieg“, so schreibt der junge Mann, „aber die Chance des Neuanfangs, der Gründerzeit, der Wunderkinder, von der darf man doch träumen.“ Und, in Anspielung auf die Gruppe 47: „Warum gibt es heute keine Gruppen mehr, die nach Princeton fliegen?“
Es wäre fatal, Simon Strauß ob solcher Figurenreden automatisch in einen rechtskonservativen Kontext zu stellen. Es scheint ihm vielmehr darum zu gehen, die Empfindung und die Formulierung des Ungenügens an der Wirklichkeit der pöbelhaften Rechten zu entreißen und in neue, kulturell determinierte Zusammenhänge zu stellen.
Diese Zusammenhänge reichen über die Grenzen der Nachkriegserfahrungen hinaus: Permanent wird hier der Anschluss gesucht an mythische Zeiten, an die großen Meister des dichterischen Führertums, an Rainer Maria Rilke, an Gottfried Benn, an Stefan George.
Das „Einstweh“, das den Protagonisten gefallen hat, äußert sich in der Hinwendung zu einem Erfahrungshorizont, in dem sich das tiefere Erleben noch physisch ausgedrückt hat.
Sprachlich, und das ist der entschiedene Einwand, den es gegen „Sieben Nächte“ zu formulieren gilt, schlägt sich das in einem mal dunkel raunenden, dann wieder oberlehrerhaft altklugen Duktus nieder, der gerade in der Schilderung von Alltagssituationen unfreiwillige Komik produziert. Während eines Pferderennens beispielsweise, das Habgier-Kapitel, beobachtet der Erzähler die Jockeys auf ihren Pferden: „Ihre Hintern recken sie dabei spitz in den Himmel, fast anzüglich, als ob sie darauf warteten, dass ihnen ein notgeiler Windgott einen kräftigen Klaps versetzt.“
Rollenprosa, so lässt sich einwenden, aber es gibt keinen Augenblick in „Sieben Nächte“, in dem der Autor Distanz zwischen sich und seinen selbstmitleidigen, sich selbst kasteienden, sich selbst überhöhenden Protagonisten und dessen hoch tönenden Sound bringt.
Rausch und Entgrenzung, esoterisch fundiertes Gemeinschaftsdenken, Umsturzfantasien. In einer Zeit, in der manche politische Hilf- und Alternativlosigkeit beobachten und die sie als bleiern empfinden, ist die Stoßrichtung von „Sieben Nächte“ nicht nur legitim, sondern sogar im Sinne einer intellektuellkonservativen Gegenbewegung instruktiv. Allein fehlt es an den sprachlichen Mitteln, um über die bloße Behauptung hinauszureichen.
In keinem Augenblick geht der
Autor auf Distanz zu seinem
selbstmitleidigen Protagonisten
Simon Strauß, Jahrgang 1988, studierte Altertumswissenschaften und Geschichte. Seine Dissertation schrieb er über „Konzeptionen römischer Gesellschaft“ Foto: Martin Walz, Aufbau Verlag
Micheline Presle fiel die Ausschweifung im Episodenfilm „Die sieben Todsünden“ (1962) entschieden leichter als dem jungen Mann der „Sieben Nächte“, der mitten in der Nacht dasitzt und dem Regen zuhört, „wie er aufs Fensterbrett schlägt“.
Foto: ddp images
Simon Strauß: Sieben
Nächte. Roman.
Blumenbar Verlag, Berlin 2017, 140 Seiten, 16 Euro. E-Book 11,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
„Sieben Nächte“, sieben Todsünden: Simon Strauß erzählt vom Ausbruch aus dem sicheren,
konventionellen Dasein. Vorerst aber bleibt es beim Sound der Beschwörung
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Das Gefühl, im falschen Leben zu sein oder, noch schlimmer, nach und nach in das falsche Leben hineinzuwachsen und sich selbst dabei zusehen zu müssen, beherrscht dieses Buch. Es steht auf der Kippe, auf jeder einzelnen Seite. „Sieben Nächte“ ist ein Debüt, das nach Zukunft süchtig ist und dabei vehement die Vergangenheit bemüht. Ein Traktat, das sich an den Gegenwartsphänomenen abarbeitet, um Verachtung und Trauer zu produzieren.
Der Ich-Erzähler ist ein junger Mann Ende 20, dem es nie schwergefallen ist, die Schwierigkeiten einer unauffällig funktionierenden Existenz zu bewältigen: Ehrgeizig in der Schule, angepasst im Studium. Durch die Institutionen ist er nur so geflutscht; von Opposition und Widerspruch hat er lediglich geträumt. Irgendwann, so hat er sich gesagt, wird dafür auch in der Realität Raum sein. Aber wann?
„Sieben Nächte“ ist die erste Buchveröffentlichung von Simon Strauß, Jahrgang 1988. Simon Strauß, das ist in diesem Fall nicht unwichtig, ist nicht nur Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sondern auch der Sohn von Botho Strauß. Und so wohlfeil die Suche nach Analogien im literarischen Schreiben von Vater und Sohn auch erscheinen mag – im Fall von Strauß und Strauß ist sie angebracht. Denn Simon Strauß bewegt sich sowohl stilistisch als auch gedanklich eindeutig im Bannkreis seines Vaters.
Das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung. Es ist die möglicherweise einzige ironische Volte dieses Buchs, dass in einer Szene der Wunsch aufkommt, man möge in den Bibliotheken heimlich den eigenen Namen in die Bücher der Väter schreiben, um Kraft aus dem Erbe zu schöpfen.
Simon Strauß’ Erstling ist ein Hybrid, in dem sich unterschiedliche Gattungen verbinden: Essay und Reflexion, scharfe Polemik und erzählerische Passagen. Was sie eint, ist der durchgehend hohe Ton. Den gibt bereits das Gottfried-Benn-Gedicht „Nur zwei Dinge“ vor, das Strauß seinem Text vorangestellt hat: „Durch so viel Formen geschritten, / durch Ich und Wir und Du, /doch alles blieb erlitten/ durch die ewige Frage: wozu?“.
Da sitzt also der junge Mann in seiner Wohnung und hat Angst vor der Zukunft, weil sie ihm vorgezeichnet und profan erscheint. Die Existenz läuft unwiderruflich zu auf ein konventionelles Dasein im breiten Strom der Masse. Ein Albtraum also. Aber ein entfernter Bekannter, nein, „einer, den ich kaum kannte“, hat mit dem Erzähler einen Pakt geschlossen. An sieben beliebigen Abenden werde er, der Bekannte, sich um sieben Uhr abends melden, um den Erzähler auf einen Streifzug durch die Stadt zu schicken. Dabei, so die Vorgabe, solle der junge Mann aus der Rolle fallen und jeweils eine der sieben Todsünden begehen. Das ist keine besonders originelle Konstruktion, aber sie wird auch nur als Gerüst benötigt. Die Todsünden, die der Ich-Erzähler dann allerdings begeht, werden von ihm selbst im geheimnisvoll aufgeladenen Ton zu verruchten Abenteuern stilisiert, bleiben aber in Wahrheit recht läppisch. Hochmut? Man stürzt sich an einem Seil ein Hochhaus hinunter. Völlerei? Man verzehrt Trüffelsalami, Eastcoast Entrecote an Pfifferlingen und spült das Ganze mit Saint-Émilion herunter.
Weltekel und Selbstekel halten sich die Waage. Da ist die Sehnsucht nach dem Anderssein, dem Andersmachen; nach Ausbruch aus den ewig ironischen Hallräumen, aus der bequemen Abfederung in einem privilegierten Dasein.
Die Generation, für die Strauß’ Erzähler hier zu sprechen anhebt, ist eine, die sich nichts mehr erkämpfen muss, sondern alles in die Wiege gelegt bekam. Eine Generation der Erlebnislosigkeit, die in einem diffusen Gefühl der Leere vor sich hindümpelt. Die entscheidende Frage ist: Wohin soll es stattdessen gehen?
Das zentrale Kapitel, das sie beantwortet, handelt vom Neid. Das „Invidia“-Kapitel ist ein Manifest, das den Zusammenschluss der stillen Versprengten, der Vereinzelten zu einer neuen Elite-Bewegung postuliert. „Niemand wünscht sich einen Krieg“, so schreibt der junge Mann, „aber die Chance des Neuanfangs, der Gründerzeit, der Wunderkinder, von der darf man doch träumen.“ Und, in Anspielung auf die Gruppe 47: „Warum gibt es heute keine Gruppen mehr, die nach Princeton fliegen?“
Es wäre fatal, Simon Strauß ob solcher Figurenreden automatisch in einen rechtskonservativen Kontext zu stellen. Es scheint ihm vielmehr darum zu gehen, die Empfindung und die Formulierung des Ungenügens an der Wirklichkeit der pöbelhaften Rechten zu entreißen und in neue, kulturell determinierte Zusammenhänge zu stellen.
Diese Zusammenhänge reichen über die Grenzen der Nachkriegserfahrungen hinaus: Permanent wird hier der Anschluss gesucht an mythische Zeiten, an die großen Meister des dichterischen Führertums, an Rainer Maria Rilke, an Gottfried Benn, an Stefan George.
Das „Einstweh“, das den Protagonisten gefallen hat, äußert sich in der Hinwendung zu einem Erfahrungshorizont, in dem sich das tiefere Erleben noch physisch ausgedrückt hat.
Sprachlich, und das ist der entschiedene Einwand, den es gegen „Sieben Nächte“ zu formulieren gilt, schlägt sich das in einem mal dunkel raunenden, dann wieder oberlehrerhaft altklugen Duktus nieder, der gerade in der Schilderung von Alltagssituationen unfreiwillige Komik produziert. Während eines Pferderennens beispielsweise, das Habgier-Kapitel, beobachtet der Erzähler die Jockeys auf ihren Pferden: „Ihre Hintern recken sie dabei spitz in den Himmel, fast anzüglich, als ob sie darauf warteten, dass ihnen ein notgeiler Windgott einen kräftigen Klaps versetzt.“
Rollenprosa, so lässt sich einwenden, aber es gibt keinen Augenblick in „Sieben Nächte“, in dem der Autor Distanz zwischen sich und seinen selbstmitleidigen, sich selbst kasteienden, sich selbst überhöhenden Protagonisten und dessen hoch tönenden Sound bringt.
Rausch und Entgrenzung, esoterisch fundiertes Gemeinschaftsdenken, Umsturzfantasien. In einer Zeit, in der manche politische Hilf- und Alternativlosigkeit beobachten und die sie als bleiern empfinden, ist die Stoßrichtung von „Sieben Nächte“ nicht nur legitim, sondern sogar im Sinne einer intellektuellkonservativen Gegenbewegung instruktiv. Allein fehlt es an den sprachlichen Mitteln, um über die bloße Behauptung hinauszureichen.
In keinem Augenblick geht der
Autor auf Distanz zu seinem
selbstmitleidigen Protagonisten
Simon Strauß, Jahrgang 1988, studierte Altertumswissenschaften und Geschichte. Seine Dissertation schrieb er über „Konzeptionen römischer Gesellschaft“ Foto: Martin Walz, Aufbau Verlag
Micheline Presle fiel die Ausschweifung im Episodenfilm „Die sieben Todsünden“ (1962) entschieden leichter als dem jungen Mann der „Sieben Nächte“, der mitten in der Nacht dasitzt und dem Regen zuhört, „wie er aufs Fensterbrett schlägt“.
Foto: ddp images
Simon Strauß: Sieben
Nächte. Roman.
Blumenbar Verlag, Berlin 2017, 140 Seiten, 16 Euro. E-Book 11,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
» Schon wenn man dieses Buch in die Hand nimmt, spürt man, dass es für Furore sorgen wird: es ist klein und kompakt und doch seltsam warmblütig, ein Manifest, schnell zu lesen, schwer zu vergessen. « DIE ZEIT 20170713