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Produktdetails
  • Marcel Proust, À la recherche du temps perdu 1
  • Verlag: Delcourt
  • Nachdr.
  • Seitenzahl: 71
  • Erscheinungstermin: 26. November 2001
  • Französisch
  • Abmessung: 314mm x 232mm x 13mm
  • Gewicht: 684g
  • ISBN-13: 9782840552185
  • ISBN-10: 2840552183
  • Artikelnr.: 08044908
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Autorenporträt
Marcel Proust, geb. am 10. Juli 1871 in Auteuil, starb am 18. November 1922 in Paris. Sein siebenbändiges Romanwerk 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit' ist zu einem Mythos der Moderne geworden. Eine Asthmaerkrankung beeinträchtigte schon früh Prousts Gesundheit. Noch während des Studiums und einer kurzen Tätigkeit an der Bibliothek Mazarine widmete er sich seinen schriftstellerischen Arbeiten und einem nur vermeintlich müßigen Salonleben. Es erschienen Beiträge für Zeitschriften und die Übersetzungen zweier Bücher von John Ruskin. Nach dem Tod der über alles geliebten Mutter 1905, der ihn in eine tiefe Krise stürzte, machte Proust die Arbeit an seinem Roman zum einzigen Inhalt seiner Existenz. Sein hermetisch abgeschlossenes, mit Korkplatten ausgelegtes Arbeits- und Schlafzimmer ist legendär. 'In Swanns Welt', der erste Band von Prousts opus magnum, erschien 1913 auf Kosten des Autors im Verlag Grasset. Für den zweiten Band 'Im Schatten junger Mädchenblüte' wurde Proust 1919

mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Die letzten Bände der Suche nach der verlorenen Zeit wurden nach dem Tod des Autors von seinem Bruder herausgegeben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2002

Fetzenflug der Nebensätze
Michael Kleebergs Neuübersetzung von Prousts "Combray"

"Flieg. Fetzen." So endet Arno Schmidts "Leviathan". Und meint damit die Vernichtung aller Zivilisation bis hin zur Zerstörung selbst der Prosa. Flieg, Fetzen, das meint auch Proust - er drückt es nur ein wenig umständlicher aus: "Und genauso wie in jenem Spiel, bei dem die Japaner sich damit amüsieren, in eine wassergefüllte Porzellantasse kleine, formlose Papierschnipsel zu werfen, die sich beim ersten Kontakt mit der Flüssigkeit ausdehnen, Konturen und Farben bekommen" - ein paar Nebensätze seien übersprungen -, "ganz genauso sind in diesem Augenblick alle Blumen unseres Gartens und die des Parks von Monsieur Swann, auch die Seerosen der Vivonne, desgleichen die ganzen Leute aus dem Dorf und ihre kleinen Häuschen und die Kirche und ganz Combray und seine Umgebung, all das, Form und Festigkeit annehmend, Stadt wie Gärten, aus meiner Tasse Tee entstanden." So steht es am Ende des ersten Kapitels der "Suche nach der verlorenen Zeit", und kaum ein anderer Satz der Literatur hat je so exakt vorgesprochen, was dann geschehen wird: die Erweiterung zu Combray, die Entstehung einer fiktiven Kindheit auf statt aus Papierschnipseln. Flieg, Fetzen. Doch die Bruchstücke setzen sich immer wieder zusammen. Proust ist der einzige Mensch, für den der zweite Hauptsatz der Thermodynamik nicht gilt.

Der Höhenflug, den der Roman des zwanzigsten Jahrhunderts mit der "Recherche" antrat, ist unübertroffen geblieben. Das kann man von ihren diversen deutschen Übersetzungen nicht so eindeutig sagen. Walter Benjamins frühe Bemühungen bleiben folgenlos, Eva Rechel-Mertens schenkte uns dann eine erste Version von großer Eleganz, die Luzius Keller in der gerade abgeschlossenen Fassung der Werkausgabe noch zu steigern suchte.

Und nun noch Michael Kleemann, der sich indes bisher nur an einen winzigen, wenn auch den melancholisch-schönsten Part des abertausendseitigen Werks gewagt hat: an "Combray", den ersten Teil des 1913 erschienenen ersten Bandes der "Recherche", also gerade an knapp sechs Prozent des Gesamtumfangs. Doch gleich verspricht sein Verlag uns "den wahren Proust". Als könnte es den im Deutschen geben.

Denn wie soll man "après la mort des êtres" übersetzen? Als "nach dem Ableben der Personen", wie Rechel-Mertens es tut, als "nach dem Tod der Menschen", wie Keller will, oder als "nach dem Tod der lebendigen Wesen", wie Kleeberg es in der umständlichsten aller Übertragungen vorschlägt? Sind das "die feinen Verästelungen", denen in der Neufassung gefolgt werden sollte: aus sieben Silben zehn zu machen, aus einem Rhythmus ein Gestammel? Die beiden früheren Versuche lagen fürwahr nicht näher an der Wahrheit, denn es kann keine geben in einer fremden Sprache. Deshalb ist jedes Wettkampfdenken unangebracht. Ob "transvertébration" nun "Skelettverflüssigung" heißt oder doch "Rückgratvertauschung" oder gar "Entrückung" - das interessiert sowenig wie die Namen der jeweiligen Übersetzer.

Es geht um viel mehr: um den Flug der Fetzen, aus denen eine Welt ersteht. Welche Übersetzung schwebt und baut mit? Vielleicht nicht jene, die "dans un tableau de primitif" als "auf primitiven Gemälden" wiedergibt, wie Kleeberg es tut. Was soll die Mehrzahl? Und weiß der Übersetzer nicht, daß "primitiv" im Französischen die niederländische Malerei des fünfzehnten Jahrhunderts bezeichnet? Da liegt Keller mit seinem "spätgotischen Bild" weitaus besser. Wie auch mit seiner zugegebenermaßen treudeutschen "Dampfnudel" für den zarten "chausson", der zwar eher eine "Pastete" sein mag, wie Kleeberg übersetzt, aber mit dieser Bezeichnung geht die metaphorische Bezeichnung verloren. Und dann will Kleeberg wissen, daß "petite fille" eine Enkelin bezeichnet. Aber das tut sie nur, wenn ein Bindestrich die beiden Worte koppelt. So bleibt es eine "kleine Tochter".

Die wahre Probe aber muß bei den Sätzen gemacht werden, die Proust wie kein zweiter zu drechseln verstand. Seine zahllosen Parenthesen, die unabsehbare Fülle an Nebensätzen, und dann bisweilen der Umschwung zu einer lapidaren Aussage - das fängt Kleeberg in der Tat insofern besser ein, als er Proust im Deutschen vertraut wirken läßt. So mögen einige Leser erst Zugang zur "Recherche" finden. Manch gesuchte Annäherung an den französischen Satzbau, die von Rechel-Mertens auf Keller kam, ist bei Kleeberg zugunsten einer in unserer Sprache gängigeren Version gewichen. Dadurch geht aber auch das Gefühl verloren, etwas Einzigartiges zu lesen, denn Proust rückt nun erstaunlich nahe an Thomas Mann.

Dabei ist beider Ziel kaum gegensätzlicher zu denken. Der Schriftsteller der Ideen gegen den der Erinnerung. Proust hat in seinem Ton gerade bei "Combray" immer etwas Träumerisches, doch auch unendlich Subtiles, an dem die Übersetzer verzweifeln müssen, wenn sie es denn bemerken. So jene "allitération perpétuelle", die der Erzähler bei den Schilderungen seiner Spaziergänge an der Vivonne erkennt, von "contenant" und "contenu" (enthaltend und Inhalt), die Glas und Wasser vexierartig ineinander spielen lassen. Was übersetzen Kleemann und Keller? "Behälter" beziehungsweise "Behältnis" und "Inhalt", und dann lassen beide die "unaufhörliche Alliteration" folgen, die aber bei ihnen doch nie angefangen hat. Und Rechel-Mertens, die in einem Geniestreich "enthaltend" und (etwas gewaltsam) "enthalten" übersetzt, vergißt dann einfach die Alliteration, die sie doch schon hatte, und fabuliert etwas von "trügerisch".

Aber vielleicht wird sie damit Proust sogar gerecht, denn dieser Text selbst ist ja eine gigantische Metapher und somit immer trügerisch: "l'édifice immense du souvenir". Da sind sie sich übrigens einmal einig: "Unermeßliches Gebäude der Erinnerung" übersetzt Rechel-Mertens (und Keller hat nichts auszusetzen), "ungeheurer Bau der Erinnerung" Kleeberg. Manches bei Proust ist doch festgeschrieben. Der Rest? Fliegt.

ANDREAS PLATTHAUS

Marcel Proust: "Combray". Aus dem Französischen übersetzt von Michael Kleeberg. Liebeskind Verlag, München 2002. 288 S., geb., 22,- [Euro]

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