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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.04.2000

40 000 tote Zinnsoldaten
Patrick Rambauds Roman über eine Bataille Napoleons
Jahrelang hegte Balzac den Plan, eine bestimmte napoleonische Schlacht zu beschreiben, also ihren Verlauf in Romanform zu traktieren. 1835 nahm er die Lokalität in Augenschein, mit Überlebenden der Schlacht hatte er auch schon gesprochen – doch es wurde dann doch nichts aus dem Projekt. Nun liefert uns Patrick Rambaud, Jahrgang 1944, sein Substitut für das von Balzac Unterlassene, gewissermaßen verlegen lächelnd ob solcher Anmaßung, aber dann doch flott und umsichtig erzählend: „Am Dienstag, dem 16. Mai 1809, verließ am frühen Vormittag eine von Reitern umringte Kutsche Schönbrunn, um in gemächlichem Tempo das rechte Donauufer entlangzufahren . . .”
Am Ende sitzt man als Leser gewissermaßen verlegen lächelnd da, ob der unbekümmerten Angestaubtheit solchen Erzählens – milde amüsiert und grämlich zugleich: Da hat uns einer charmant und ohne die Stimme zu heben durch das Desaster dieser Schlacht Napoleons (und seiner verbündeten Truppen) gegen den österreichischen Erzherzog Karl (und seine verbündeten Truppen) geführt, und nach dreißig Stunden waren also in der Nähe von Wien, bei Aspern und Eßling, 40 000 Leute gestorben. Mit dieser Schlacht, so der Autor in seinen Nachbemerkungen, begann das Zeitalter der großen Blutbäder, die von nun an die Feldzüge Napoleons begleiteten. In der Tat, das wäre ja ein Grund, sich diese Schlacht mal erzählend und analysierend vorzunehmen: Woher kam denn dieser Wandel von Schlachten zu blanker Metzelei? In welcher Hinsicht war eine solche Schlacht ein Vorläufer der Massen- und Materialschlachten des 20. Jahrhunderts? Und da wir es ja hier nicht mit Geschichtsschreibung bzw. einer militärhistorischen Untersuchung, sondern mit einem Roman zu tun haben: Welche neuen Aufgaben stellt solches Massenmorden und -verrecken ans Erzählen? Wie schrieben Erckmann-Chatrian, wie Tolstoi, wie Balzac darüber – und wie müsste oder könnte man heute über die Metzelei von Aspern und Eßling schreiben?
Derlei Fragen plagen unseren Autor nicht. Mit rasender Harmlosigkeit lässt er uns verschiedene Personen, vom Kaiser bis zum Kürassier Fayolle, durch das Getümmel verfolgen, nimmt sich die Freiheit, den Möchtegern-Napoleon-Attentäter Staps und obendrein noch Henri Beyle (auch als Stendhal bekannt) in die Szene vom Mai 1809 zu versetzen, und endet das Ganze wenigstens auf einer unheimlichen Note, indem er als letztes Wort den Namen des nächsten Schlachtfelds, Wagram, also des nächsten Gemetzels ertönen lässt. Der Kaiser und seine Generäle (obwohl er manchmal einen von ihnen mit einer Reitpeitsche ins Gesicht schlägt – historisch verbürgt) essen in Schönbrunn wieder Hühnerbeine, erdulden den Fäulnisgestank des sterbenden Generals Lannes, und sind ansonsten froh und heiter und machen immer weiter, wie die Wiener, deren Theater schon wenige Tage nach der Bataille wieder brechend voll sind.
Man merkt, unser Autor hat gut recherchiert, ist militärhistorisch bestens informiert, bezeugt expressis verbis sein Bewusstsein der Monstrosität solcher Schlachten. Doch nichts davon schlägt auf seinen Erzählton durch, der weder mitleidlos kalt und genau, noch pathetisch-empört ist – nein, er ist einfach kultiviert, milde (aber schon sehr milde) ironisch, und auf elegante Weise unfreiwillig grotesk, nämlich in der Unangemessenheit des harmlosen Erzähltons zu dem Sujet. Patrick Rambaud wird einfach mit den Massen nicht fertig, die er zu bewegen hat. Er stellt Zinnsoldaten in Genreszenen, stellt sie dann wieder ein bisschen anders, zieht Kanonen hinter ihnen her und brennt ab und zu auf seinem Spielzeugschlachtfeld einen Kirchturm ab oder schmeißt eine Mauer um. An wirklichen Ausrutschern passiert ihm nur, dass er eine große Zahl Soldaten im Gleichschritt über eine Pontonbrücke marschieren lässt, ohne dass etwas passiert: Dabei würden die auf ihrer Behelfsbrücke hüpfen wie auf einem Trampolin und in die Donau stürzen, unter Garantie!
Eigentlich ist das ja das Gute an Geschichtsbüchern und historischen Romanen – aus irgendeinem Grund schläft man nach ihrer Lektüre besser. Das Unglück ist fern und das eigene Bett warm und 40 000 Leichen sind nicht anschaulich zu machen, sie bleiben eine Zahl, bei diesem Autor wenigstens. Wüsste man nicht, dass dies Buch halt doch von 40 000 sich metzelnden Menschen handelt, müsste man es eigentlich fast unterhaltsam nennen. Aber wie so viele von den neuerdings wieder auf den Markt geworfenen historischen Romanen ist es mit einer neuen Unbedenklichkeit geschrieben, und der Autor weiß das auch noch. Das Werk nimmt sich selbst nicht ernst, und das nicht aus Naivität, sondern aus Zynismus, und damit ist es gerichtet: Gewogen und zu leicht befunden.
JÖRG DREWS
PATRICK RAMBAUD: Die Schlacht. Roman. Aus dem Französischen von Ina Kronenberger. Insel Verlag, Frankfurt und Leipzig. 320 Seiten, 48 Mark.
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