Produktdetails
- Verlag: DVA
- ISBN-13: 9783421057167
- ISBN-10: 3421057168
- Artikelnr.: 24198856
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.09.2002Selten ist sie lieb, aber sie liebt
Die Braut, die sich traut, die Liebhaberin, die nervt: Joachim Zelter entwirft eine postmoderne Variante von Julia und Romeo
Für einen apathischen, zerstreuten Akademiker wie Frederick Goodrich-Clerk ist die Sprache der Liebe allemal interessanter als jede ihrer Sprecherinnen. Diese ist nur eine beliebige Frau, in diesem Falle die sehr evangelische Theologiestudentin Fatie, deren gläubige Liebesinbrunst zunehmend lästig wird, jene dagegen ein würdiger Gegenstand kaltblütiger Reflexionen. Ich hab dich lieb. Willst du mich heiraten? Ja, ich will: Für den Kenner sind die von Roland Barthes sezierten "Fragmente einer Sprache der Liebe" ja nur sinnlose, hundertfach dekodierte Signifikate, hyperbolisches Gefummel, dem sich der Intellektuelle tunlichst mit "Strategien der Absentierung" entzieht.
Einst war der ab- und aufgeklärte Freddy so verliebt, daß er sich als englischer Dandy und "Friedhofssoziologe" ausgab und am eigenen Grab Referate über die Semiotik der Bestattungsriten extemporierte, nur um seiner Fatie zu imponieren. Aber dann lernte er sie als klammerndes Kuschel-Subjekt kennen und beschloß, lieber ein treuherziges Gänschen als seinen Kopf zu verlieren. Die Liebhaberin, doziert der Privatgelehrte ohne Herzensbildung, ist ein gefälliges Wesen, "dem Mann gefügig und verfügbar", jedenfalls passiv, episodisch und eher vergangen. Die Lieb-Haberin dagegen ist weder Gehabte noch Gewesene. Aktiv und stets präsent, versteht sie ihre Liebe als endgültig und epochal, und das nervt: "Selten ist sie lieb, aber sie liebt. Sie will das Seiende haben und das Habende sein. Sie ist eine endlos seiende Haberin."
Als poststrukturalistischer Sprachwissenschaftler weiß er natürlich, daß das "liebzentrische Weltbild" überholt und jedes unhintergehbare Gefühl Selbstbetrug ist. Wenn er Fatie am Ende in einer Art rhetorischer Selbstermannung doch noch heiratet, dann nur, um als "Hochzeitsspieler" den Schwindel des "Versprechens" und alle Paradoxien des Ja-Worts bis zur Neige auszukosten: So verschafft ihm die unbedingte Liebhaberei nicht nur eine neue Identität, sondern verheißt ihm auch die Auferstehung vom Friedhof der Abstraktionen. "Die Lieb-Haberin" ist eine postmoderne Variante von "Romeo und Julia": Um die Macht der Liebe kennenzulernen, muß der gefühlskalte Sprachspieler seinen eigenen Tod fingieren; aber die standhafte, unschuldige Liebe tötet zuletzt auch Zynismus, Skrupel und Zweifel des Theoretikers.
Der gelernte Anglist Joachim Zelter versteht sich als "volkstümlichen Trivialschriftsteller in der Tradition Shakespeares" und Geschichtenerzähler im Sinne Benjamins: Kein logozentrischer Schrift-, sondern ein "phonozentrischer" Sprechsteller, für den die "Wollust des Sich-Selbst-Vernehmens im gesprochenen Wort" Vorrang vor jeder gedruckten Veröffentlichung hat. Seine Lesungen sollen tatsächlich kabarettreife Performances sein, aber die selbst- und sprachverliebte Caprice des Vorlesekünstlers hat auch ihre Tücken. Wie Freddy steht auch sein Alter ego Zelter oft räsonierend neben sich und sich selbst im Wege, verirrt im Spiegelkabinett selbstreflexiver Vexier-, Wort- und Rollenspiele, verheddert in skurrilem Metahumor und weitläufigen "emblematisch-semiotischen" Abschweifungen. "Um überhaupt etwas sagen zu können", seufzt er einmal, "sprach ich in Zitaten von Philosophen und Literaten."
Gleichwohl hat diese Prosa ihre Reize. Kokett und britisch unterkühlt, verspielt wie Jean Paul und geistreich wie Oscar Wilde, trippelt Zelter durch Hörsäle, Bibliotheken und Friedhöfe und entscheidet sich, vor die Wahl zwischen "Sinnhafter Fiktion und Wahrheit" (so der Titel seiner ersten literaturwissenschaftlichen Publikation) gestellt, im Zweifelsfall immer für "Die Würde des Lügens" (so der Titel seines vorletzten Romans). Sein tragikomischer Romeo ist im Grunde ein Hamlet, zu tatenarm und gedankenvoll, um lieben zu können. Zelter ist darum noch kein Shakespeare. Aber seit Dietrich Schwanitz, mit dem Zelter nicht nur die Lust an Luhmannschen Paradoxien teilt, hat kein deutscher Anglist die Sprache der Liebe mit mehr Esprit dekonstruiert und weniger Herzblut gerettet.
Joachim Zelter: "Die Lieb-Haberin". Roman. Klöpfer & Meyer Verlag, Tübingen 2002. 150 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Braut, die sich traut, die Liebhaberin, die nervt: Joachim Zelter entwirft eine postmoderne Variante von Julia und Romeo
Für einen apathischen, zerstreuten Akademiker wie Frederick Goodrich-Clerk ist die Sprache der Liebe allemal interessanter als jede ihrer Sprecherinnen. Diese ist nur eine beliebige Frau, in diesem Falle die sehr evangelische Theologiestudentin Fatie, deren gläubige Liebesinbrunst zunehmend lästig wird, jene dagegen ein würdiger Gegenstand kaltblütiger Reflexionen. Ich hab dich lieb. Willst du mich heiraten? Ja, ich will: Für den Kenner sind die von Roland Barthes sezierten "Fragmente einer Sprache der Liebe" ja nur sinnlose, hundertfach dekodierte Signifikate, hyperbolisches Gefummel, dem sich der Intellektuelle tunlichst mit "Strategien der Absentierung" entzieht.
Einst war der ab- und aufgeklärte Freddy so verliebt, daß er sich als englischer Dandy und "Friedhofssoziologe" ausgab und am eigenen Grab Referate über die Semiotik der Bestattungsriten extemporierte, nur um seiner Fatie zu imponieren. Aber dann lernte er sie als klammerndes Kuschel-Subjekt kennen und beschloß, lieber ein treuherziges Gänschen als seinen Kopf zu verlieren. Die Liebhaberin, doziert der Privatgelehrte ohne Herzensbildung, ist ein gefälliges Wesen, "dem Mann gefügig und verfügbar", jedenfalls passiv, episodisch und eher vergangen. Die Lieb-Haberin dagegen ist weder Gehabte noch Gewesene. Aktiv und stets präsent, versteht sie ihre Liebe als endgültig und epochal, und das nervt: "Selten ist sie lieb, aber sie liebt. Sie will das Seiende haben und das Habende sein. Sie ist eine endlos seiende Haberin."
Als poststrukturalistischer Sprachwissenschaftler weiß er natürlich, daß das "liebzentrische Weltbild" überholt und jedes unhintergehbare Gefühl Selbstbetrug ist. Wenn er Fatie am Ende in einer Art rhetorischer Selbstermannung doch noch heiratet, dann nur, um als "Hochzeitsspieler" den Schwindel des "Versprechens" und alle Paradoxien des Ja-Worts bis zur Neige auszukosten: So verschafft ihm die unbedingte Liebhaberei nicht nur eine neue Identität, sondern verheißt ihm auch die Auferstehung vom Friedhof der Abstraktionen. "Die Lieb-Haberin" ist eine postmoderne Variante von "Romeo und Julia": Um die Macht der Liebe kennenzulernen, muß der gefühlskalte Sprachspieler seinen eigenen Tod fingieren; aber die standhafte, unschuldige Liebe tötet zuletzt auch Zynismus, Skrupel und Zweifel des Theoretikers.
Der gelernte Anglist Joachim Zelter versteht sich als "volkstümlichen Trivialschriftsteller in der Tradition Shakespeares" und Geschichtenerzähler im Sinne Benjamins: Kein logozentrischer Schrift-, sondern ein "phonozentrischer" Sprechsteller, für den die "Wollust des Sich-Selbst-Vernehmens im gesprochenen Wort" Vorrang vor jeder gedruckten Veröffentlichung hat. Seine Lesungen sollen tatsächlich kabarettreife Performances sein, aber die selbst- und sprachverliebte Caprice des Vorlesekünstlers hat auch ihre Tücken. Wie Freddy steht auch sein Alter ego Zelter oft räsonierend neben sich und sich selbst im Wege, verirrt im Spiegelkabinett selbstreflexiver Vexier-, Wort- und Rollenspiele, verheddert in skurrilem Metahumor und weitläufigen "emblematisch-semiotischen" Abschweifungen. "Um überhaupt etwas sagen zu können", seufzt er einmal, "sprach ich in Zitaten von Philosophen und Literaten."
Gleichwohl hat diese Prosa ihre Reize. Kokett und britisch unterkühlt, verspielt wie Jean Paul und geistreich wie Oscar Wilde, trippelt Zelter durch Hörsäle, Bibliotheken und Friedhöfe und entscheidet sich, vor die Wahl zwischen "Sinnhafter Fiktion und Wahrheit" (so der Titel seiner ersten literaturwissenschaftlichen Publikation) gestellt, im Zweifelsfall immer für "Die Würde des Lügens" (so der Titel seines vorletzten Romans). Sein tragikomischer Romeo ist im Grunde ein Hamlet, zu tatenarm und gedankenvoll, um lieben zu können. Zelter ist darum noch kein Shakespeare. Aber seit Dietrich Schwanitz, mit dem Zelter nicht nur die Lust an Luhmannschen Paradoxien teilt, hat kein deutscher Anglist die Sprache der Liebe mit mehr Esprit dekonstruiert und weniger Herzblut gerettet.
Joachim Zelter: "Die Lieb-Haberin". Roman. Klöpfer & Meyer Verlag, Tübingen 2002. 150 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Seit Dietrich Schwanitz habe kein deutscher Anglist die Sprache der Liebe "mit mehr Esprit dekonstruiert" und "weniger Herzblut gerettet" als Joachim Zelter, gibt Rezensent Martin Halter zu Protokoll. Und noch eine ganze Reihe von Namen werden zum Vergleich ins Spiel gebracht, um die Reize dieser Prosa ("kokett und britisch unterkühlt") zu beschreiben: "verspielt wie Jean Paul und geistreich wie Oscar Wilde" tippele der Autor durch Hörsäle, Bibliotheken und Friedhöfe - Hauptaktionsfelder des Protagonisten, wie wir Halters Schilderungen entnehmen können. Dennoch scheint die Lektüre des Romans nicht wirklich ein Vergnügen zu sein. Der Rezensent wirkt bei dieser Geschichte um einen Mann, der "die Sprache der Liebe interessanter als jede ihrer Sprecherinnen" findet, gelegentlich genervt. Nicht nur, weil sich Zelter mitunter in "skurrilem Metahumor" verheddert, sich im Spiegelkabinett selbstreflexiver Wort- und Rollenspiele verirrt und räsonierend oft selbst im Wege steht. Auch die Inszenierung des Protagonisten als postmoderner Romeo, der seinen eigenen Tod fingiert um die Macht der Liebe kennen zu lernen, haben nicht hundertprozentig zünden können.
© Perlentaucher Medien GmbH
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