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Produktdetails
  • Verlag: Penguin Random House
  • Seitenzahl: 341
  • Englisch
  • Abmessung: 245mm
  • Gewicht: 696g
  • ISBN-13: 9781400052196
  • ISBN-10: 140005219X
  • Artikelnr.: 20792282
Autorenporträt
Richard Conniff - Studium in Yale - ist Wissenschaftsjournalist mit mehrfachen Auszeichnungen. Der veröffentlicht u. a. für "National Geographic", "Time", "Atlantic Monthly" und "Smithsonian". Der Autor lebt mit seiner Familie in Old Lyme, Connecticut.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.10.2006

Dieser Affe ist ein Mörder
Zwei sehr verschiedene Bücher über die Gemeinsamkeiten von Mensch und Schimpanse
Seit einiger Zeit kommt wieder eine Wissenschaft zu Ehren, die ihre beste Zeit hinter sich zu haben und mit ihren unexakten Low-Tech-Methoden, der teilnehmenden Beobachtung vor allem, zur Herablassung einzuladen schien: die Verhaltensforschung. Mit besonderem Interesse richtet sich der Blick auf „unsere nächsten Verwandten”.
„Der Affe in uns. Warum wir sind, wie wir sind” nennt der niederländisch-amerikanische Primatenforscher Frans de Waal sein Buch – ein Titel, der den Argwohn weckt, hier würde das Offenkundige mit dem Fragwürdigen zu einem wenig ergiebigen Mus verrührt. Ganz unbegründet ist dieser Verdacht nicht; aber de Waal kennt seine Affen und liebt sie wahrhaftig, und davon wird das Buch am Ende gerettet. Obwohl er auch Beobachtungen an frei lebenden Schimpansen anführt, konzentriert er selbst sich doch vollständig auf die Affen im Zoo. Der Zoo ist für de Waal ebenso weit vom Tiergefängnis entfernt wie von der Arche Noah, eine Einrichtung, die es dem Menschen ermöglicht, mit dem Tier, dem Menschenaffen jedenfalls, Bekanntschaft und selbst Freundschaft zu schließen. Ohne dieses Höchstpersönliche hat keine Erkenntnis statt.
Frans de Waal kann, wie alle guten Verhaltensforscher, gut erzählen; er hat Humor, er weiß, wie man eigene und fremde Erlebnisse in eine Anekdote verwandelt, und er hält seinen Schimpansen und Bonobos die Treue. Viele soziale Tiere begrüßen einander; Schimpansen aber verabschieden sich auch. Man bedenke, was damit vorausgesetzt ist. Kann bei Affen von einer Moral die Rede sein? Dies nimmt de Waal so zwanglos als gegeben hin, dass er es nicht explizit sagen muss. Wer sich von diesem Buch Aufschluss darüber erhofft, wie scheinbar spezifisch menschliche Affekte – Scham, Dankbarkeit – entstanden sein mögen, wird eher enttäuscht sein: bei den Schimpansen finden sich diese Dinge bereits fast im selben fertigen Zustand vor wie bei uns.
De Waal berichtet von der Schimpansenfrau Kuif, die keine Milch hatte und der darum, zu ihrem großen Kummer, die Kinder wegstarben. Er holt einen Schimpansensäugling, der von seiner Mutter verlassen worden ist, und zeigt ihr, wie man ihn mit der Flasche stillt. Dann übergibt er ihr das Kind als ihr eigenes. Kuif traut sich dieses große Geschenk erst gar nicht anzunehmen, dann ist sie überglücklich. De Waal wandert nach Amerika aus; dreißig Jahre später stattet er dem Zoo von Arnheim, wo Kuif zu Hause ist, einen Besuch ab. Kuif erkennt ihn. „Kein anderer Affe der Welt reagiert auf mich, als wäre ich ein lange verloren geglaubtes Familienmitglied, will meine Hände halten und wimmert, wenn ich zu gehen versuche.”
Umgekehrt gibt es bei den Schimpansen auch das Böse. Nicht nur das so genannte Böse, wie Konrad Lorenz den Aggressionstrieb nannte, sondern die echte, auf Gewalt sinnende und die Gelegenheit abwartende Niedertracht. Der alte Yeroen ist der Hagen von Tronje im Arnheimer Affenhaus. Ein gestürztes Alpha-Tier, schmiedet er nun taktische Allianzen mit aufstrebenden jungen Schimpansenmännern. Erst überfällt er in einem günstigen Augenblick zusammen mit Nikkie den Anführer Luit und bringt ihm tödliche Verletzungen bei, dann sorgt er dafür, dass Nikkie bei einer Panik-Attacke im Wassergraben ertrinkt.
„Da dies schon der zweite durch Yeroen mitverursachte Todesfall war, muss ich zugeben, dass ich Schwierigkeiten habe, diesen alten Ränkeschmied zu beobachten, ohne einen Mörder zu sehen.” Das ist die Figur, die Kafka vor Augen gestanden hat, als er den „Bericht für eine Akademie” verfasste: der Affe, der aus drängender Not die Grenze zum Menschen überschreitet.
Um solcher Passagen willen, die in unaufdringlicher Weise einen gemeinsamen warmen Mantel um Mensch und Tier werfen, lohnt sich die Lektüre. Demgegenüber haben die Einsichten, die de Waal von hier auf das menschliche Sozialverhalten ausdehnen will, weit geringeres Gewicht. Mit dem Lernen aus der Verhaltensforschung steht es offenbar ganz ähnlich wie mit dem Lernen aus der Geschichte: Jeder lernt bevorzugt das, was er sowieso schon zu wissen glaubt.
Wenn de Waal berichtet, wie klare Rangordnungen in der Horde das allgemeine Stressniveau senken und einflicht: „Wir sehnen uns nach hierarchischer Transparenz”, dann ahnt man den Grund, weshalb die Primatenforschung gegenwärtig im Aufwind segelt: Es ist eine müde, ängstliche, in der Grundhaltung konservative Zeit, die daran Gefallen findet; sie wünscht eine Hierarchie, die menschliches Antlitz trüge, weil alle ihre Unausweichlichkeit begreifen. Und dieses menschliche Antlitz will sie vom Tier entlehnen. Steht einander bei – die Schimpansen tun es auch! Derartige postmetaphysische Versuche zur Begründung der Ethik haben etwas rührend Hilfloses. Der so handfeste wie feinfühlige de Waal mag solcher Regression persönlich ferne stehen; an seinem Ruhm ist sie gleichwohl beteiligt. Mehr als Indiz für die allgemeine geistige Lage denn als selbständiges Werk sollte man Richard Conniffs Buch „Was für ein Affentheater. Wie tierische Verhaltensmuster unseren Büroalltag bestimmen” zur Kenntnis nehmen. Der Titel sagt schon alles Nötige; und der Band wäre gewiss ohne substantiellen Verlust auch mit einem Drittel seiner 300 Seiten ausgekommen.
Außer einer Reihe mäßig unterhaltsamer Geschichtlein aus amerikanischen Chefetagen bringt er vor allem einen stark verdünnten und durch die permanente Geste des Schmunzelns über das Tierisch-Allzumenschliche ungenießbaren Aufguss der fragwürdigeren Aspekte von de Waals Buch. „Und was glauben Sie, wo diese uralten Verhaltensmuster bleiben, wenn Sie ins Büro gehen!?” Ruhig darf man den neuen stellvertretenden Personalchef auch mit einem Schleimaal vergleichen, der sich durch geeignete Körperöffnungen Zugang in den Körper seines Wirts verschafft; dafür gibt es ein eigenes kleines Merk-es-dir-Kästlein, farbig unterlegt. Das ist der Stil.
Die Gebetsmühle als Aufklärung
Man kann das Ganze auf sich beruhen lassen, wie alle solche Ratgeberliteratur, bei der nichts so sehr erstaunt, wie dass ein paar ganz unbestimmte, gebetsmühlenhaft wiederholte Sätze wirklich als Aufklärung empfunden und dankend entgegengenommen werden. Immerhin hat man, wenn man beide Bücher hintereinander liest, einmal einen konkreten Beleg dafür in der Hand, wie Kulturgeschichte funktioniert: Wie das Unwidersprechliche einer individuellen Erfahrung und das bedingt Richtige der Thesen, die dieses Individuum daraus ableitet, mit zunehmender Breite seiner Wirkung erst falsch und dann nichtssagend wird.
BURKHARD MÜLLER
FRANS DE WAAL: Der Affe in uns. Warum wir sind, wie wir sind. Aus dem Amerikanischen von Hartmut Schickert. Hanser Verlag, München 2006, 366 Seiten, 24,90 Euro.
RICHARD CONNIFF: Was für ein Affentheater. Wie tierische Verhaltensmuster unseren Büroalltag bestimmen. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. Campus Verlag, Frankfurt / New York 2006. 328 Seiten, 19,90 Euro.
Haben Affen eine Moral? Sollen wir denen glauben, die uns zurufen: „Steht einander bei – die Schimpansen tun es auch!”?
Foto: PURELINE
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