Luthers Schriften lösten im Italien der frühen Neuzeit eine heftige und brisante Diskussion aus. Jede von der offiziellen katholischen Kirchenlehre abweichende Ansicht wurde als Irrlehre hart bestraft. Wer wegen seines evangelischen Glaubens von der Inquisition verfolgt wurde, entschied sich häufig für einen Widerruf und lebte seinen Glauben fortan im Geheimen. Gegenüber ausländischen Protestanten zeigte sich Venedig ungleich toleranter: Gottesdienste waren in den Vertretungen möglich, offizielle Kontrollen im Umfeld des "Fondaco dei Tedeschi" (dem deutschen Handelshaus) unterblieben.
Der opulent gestaltete Führer stellt jene Orte vor, an denen die neue Botschaft des Evangeliums entstand, welche das Leben von Patriziern und Intellektuellen, Künstlern und einfachen Bürgern veränderte. Er erinnert an die ersten mutigen Schritte zur Freiheit des Denkens - weg von den dogmatischen Vorgaben, die von weltlichen Institutionen wie auch von der Römischen Kirche aufgezwungen wurden.
Der opulent gestaltete Führer stellt jene Orte vor, an denen die neue Botschaft des Evangeliums entstand, welche das Leben von Patriziern und Intellektuellen, Künstlern und einfachen Bürgern veränderte. Er erinnert an die ersten mutigen Schritte zur Freiheit des Denkens - weg von den dogmatischen Vorgaben, die von weltlichen Institutionen wie auch von der Römischen Kirche aufgezwungen wurden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2018Städte, die drucken, sind gefährlich
Mit dem Fall Konstantinopels im Jahr 1453 und der Entdeckung Amerikas 1492 sank Venedigs Stern als Handelsmacht. Dagegen konnte sich im sechzehnten Jahrhundert die heimische Druckindustrie international positionieren. Für den Weltmarkt verlegte man alles - auch Werke, die im Ursprungsland verboten waren. Ein Umschlagplatz für Bücher ist immer auch einer für den Austausch von Ideen. Die Schriften der Reformatoren wurden verlegt und Luthers Thesen in der Stadtrepublik hitzig diskutiert, argwöhnisch überwacht und zensiert von der geistlichen wie der politischen Obrigkeit, weil sie um ihre Deutungshoheit und Macht fürchteten. Diesen wenig bekannten Teil der venezianischen Geschichte erzählt die Autorin in dem reich mit Fotos und Karten illustriertem Band. Da die Literaturwissenschaftlerin als Stadtführerin in der Serenissima unterwegs ist, kennt sie dort jeden Winkel und die Geschichten dazu. Sie dokumentiert all jene Orte, an denen sich die Anhänger Luthers, die Sympathisanten Calvins, alle möglichen Sektierer und die protestantischen Mitglieder ausländischer Gesandtschaften versammelten, allerdings ohne die Schauplätze im Detail vorzustellen. Immerhin sind die privaten Versammlungsräume, Kirchen, Palazzi und andere Orte in einer aktuellen Stadtkarte und in vergrößerten Ausschnitten des berühmten Venedigplans von Jacopo de Barbari aus dem Jahr 1500 markiert. Die Spurensuche im Labyrinth der Gassen und Canali gestaltet sich damit recht komfortabel. Möchte man dann am Ort Genaueres wissen, bleibt ein Kunstreiseführer unverzichtbar. Dafür gibt die Autorin ein anschauliches Bild der reformatorischen Strömungen in Venedig, die quer durch alle Gesellschaftsschichten verliefen, vom Adel bis zum gemeinen Volk, vom Klerus bis in höchste Kreise von Politik und Wirtschaft. Sie nennt die Anhänger und ihre Gegner, auch jene Künstler, die mit der Bewegung sympathisierten. Dass sich ein Einfluss bis in die architektonische Zeichensprache nachweisen lässt, ist allerdings eine steile These. Denn gerade die venezianische Architektur der Hochrenaissance gibt sich, anders als in Florenz und Rom, auffallend undoktrinär. Trotzdem bietet der sorgfältig recherchierte Text eine glänzende Einführung zur Geschichte der reformatorischen Bewegungen in Venedig und auf der Terraferma.
RMB
"Ketzerisches Venedig. Zwischen Reformation und Inquisition" von Cristina Gregorin. Claudius Verlag, München 2018. 130 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 20 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit dem Fall Konstantinopels im Jahr 1453 und der Entdeckung Amerikas 1492 sank Venedigs Stern als Handelsmacht. Dagegen konnte sich im sechzehnten Jahrhundert die heimische Druckindustrie international positionieren. Für den Weltmarkt verlegte man alles - auch Werke, die im Ursprungsland verboten waren. Ein Umschlagplatz für Bücher ist immer auch einer für den Austausch von Ideen. Die Schriften der Reformatoren wurden verlegt und Luthers Thesen in der Stadtrepublik hitzig diskutiert, argwöhnisch überwacht und zensiert von der geistlichen wie der politischen Obrigkeit, weil sie um ihre Deutungshoheit und Macht fürchteten. Diesen wenig bekannten Teil der venezianischen Geschichte erzählt die Autorin in dem reich mit Fotos und Karten illustriertem Band. Da die Literaturwissenschaftlerin als Stadtführerin in der Serenissima unterwegs ist, kennt sie dort jeden Winkel und die Geschichten dazu. Sie dokumentiert all jene Orte, an denen sich die Anhänger Luthers, die Sympathisanten Calvins, alle möglichen Sektierer und die protestantischen Mitglieder ausländischer Gesandtschaften versammelten, allerdings ohne die Schauplätze im Detail vorzustellen. Immerhin sind die privaten Versammlungsräume, Kirchen, Palazzi und andere Orte in einer aktuellen Stadtkarte und in vergrößerten Ausschnitten des berühmten Venedigplans von Jacopo de Barbari aus dem Jahr 1500 markiert. Die Spurensuche im Labyrinth der Gassen und Canali gestaltet sich damit recht komfortabel. Möchte man dann am Ort Genaueres wissen, bleibt ein Kunstreiseführer unverzichtbar. Dafür gibt die Autorin ein anschauliches Bild der reformatorischen Strömungen in Venedig, die quer durch alle Gesellschaftsschichten verliefen, vom Adel bis zum gemeinen Volk, vom Klerus bis in höchste Kreise von Politik und Wirtschaft. Sie nennt die Anhänger und ihre Gegner, auch jene Künstler, die mit der Bewegung sympathisierten. Dass sich ein Einfluss bis in die architektonische Zeichensprache nachweisen lässt, ist allerdings eine steile These. Denn gerade die venezianische Architektur der Hochrenaissance gibt sich, anders als in Florenz und Rom, auffallend undoktrinär. Trotzdem bietet der sorgfältig recherchierte Text eine glänzende Einführung zur Geschichte der reformatorischen Bewegungen in Venedig und auf der Terraferma.
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"Ketzerisches Venedig. Zwischen Reformation und Inquisition" von Cristina Gregorin. Claudius Verlag, München 2018. 130 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 20 Euro.
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