Eines der größten Geheimnisse der postklassischen Maya-Königreiche ist ihr plötzlicher Untergang im südlichen Tiefland, während im Norden die Maya Imperien eines anderen, neuen Typus schufen. Der vorliegende Band stellt diese Periode des mayanischen Nachklassikums bis zu ihrem endgültigen Zusammenbruch durch die spanische Eroberung eindringlich vor Augen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.1999Treppenwitz der Pyramide: Was die Maya in ihrer Spätphase machten
Macht ist vergänglich. Die Sowjetunion brach ebenso wie einst das römische Imperium auseinander, andere Beispiele gibt es in Fülle. In Mittelamerika sind im neunten Jahrhundert die Zentren der Maya in deren südlichem Siedlungsgebiet zerfallen - aus noch ungeklärten Ursachen. Doch die Kultur dieses Volkes ging damit nicht unter. Vielmehr erhob sie sich in neuer Großartigkeit weiter im Norden. Dort wuchsen aus kleinen Stätten eindrucksvolle Zentren wie Chichén Itzá heran, in denen die Menschen weiterhin an die alten Götter glaubten, auch wenn sich sonst einiges änderte. In der nachklassischen Mayazeit gewann der Handel gegenüber der Astronomie, der Mathematik und der Geschichtsschreibung an Bedeutung, und fremde Völker wie die Nahua aus dem Hochland Zentralmexikos hinterließen ihre Spuren.
Für die Kontinuität stand unter anderem El Castillo. Diese Hauptpyramide Chichén Itzás hat neun Sockel, die die neun Schichten des Mayahimmels verkörpern. An jeder der vier Seiten führt eine Treppe mit einundneunzig Stufen nach oben, was zusammen mit der Stufe der Tempelbasis den 365 Tagen des Jahres entspricht. Und jedes Jahr zur Tagundnachtgleiche im Frühling und im Herbst beleuchtet die untergehende Sonne die Balustrade der Nordtreppe derart, daß man glaubt, im Spiel von Licht und Schatten den Körper einer hinabgleitenden Schlange zu sehen. Die gefiederte Schlange repräsentierte den höchsten Himmelsgott, und der scheinbar hinabgleitende Schatten symbolisierte das Niedersteigen des himmlischen Drachens zur Welt der Menschen.
Neu war für die Maya der Nachklassik die Manifestation der gefiederten Schlange als Kukulcán, die in dieser Form dem Quetzalcoatl der Nahua entspricht. Neu war auch, daß man nun Wallfahrten zu Pilgerstätten unternahm - etwa zum Heiligen Cenote von Chichén Itzá oder zum Heiligtum der Göttin Ixchel auf der Insel Cozumel. Skulpturen zeigten Menschen mit ethnisch fremdartigen Zügen. In der Bautechnik wurden Säulen, wie man sie aus Tula in Zentralmexiko kannte, zu einem wesentlichen Element. Überhaupt waren die Maya dem Fremden gegenüber offener. Die Macht wurde dezentralisiert, gleichwohl spielten nun Kriege eine größere Rolle. Kunde davon gibt zum Beispiel eine rechteckige Plattform ("tzompantli") in Chichén Itzá, die - wie die Reliefdarstellungen auf unserer Abbildung zeigen - der Unterbau für ein Schädelgerüst war, auf das die Köpfe der den Göttern dargebrachten Menschenopfer gesteckt wurden.
In dem Band "Maya - Die nachklassische Periode" lassen fünf namhafte Mayanisten, Archäologen und Historiker die Kultur dieses mittelamerikanischen Volkes nach dem Zusammenbruch der Machtzentren im sogenannten Tiefland bis zur Ankunft der Spanier lebendig werden. Insbesondere der Wandel gegenüber der klassischen Periode wird dargestellt. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Gebiet der Architektur. Aber auch Skulpturen, Wandmalereien, Codices und die Welt der Götter sind berücksichtigt. In gleicher Ausführung liegt seit einigen Monaten ein erster Band über die klassische Periode der Maya vor (F.A.Z. vom 15. Oktober 1998). GÜNTER PAUL
Antonio Benavides Castillo, Leticia Staines Cicero, Mercedes de la Garza, Eduardo Matos Moctezuma, Enrique Nalda: "Maya - Die nachklassische Periode". Aus dem Spanischen von Ingrid Hacker-Klier. Hirmer Verlag, München 1998. 234 S., zahlr. Abb., geb., 148,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Macht ist vergänglich. Die Sowjetunion brach ebenso wie einst das römische Imperium auseinander, andere Beispiele gibt es in Fülle. In Mittelamerika sind im neunten Jahrhundert die Zentren der Maya in deren südlichem Siedlungsgebiet zerfallen - aus noch ungeklärten Ursachen. Doch die Kultur dieses Volkes ging damit nicht unter. Vielmehr erhob sie sich in neuer Großartigkeit weiter im Norden. Dort wuchsen aus kleinen Stätten eindrucksvolle Zentren wie Chichén Itzá heran, in denen die Menschen weiterhin an die alten Götter glaubten, auch wenn sich sonst einiges änderte. In der nachklassischen Mayazeit gewann der Handel gegenüber der Astronomie, der Mathematik und der Geschichtsschreibung an Bedeutung, und fremde Völker wie die Nahua aus dem Hochland Zentralmexikos hinterließen ihre Spuren.
Für die Kontinuität stand unter anderem El Castillo. Diese Hauptpyramide Chichén Itzás hat neun Sockel, die die neun Schichten des Mayahimmels verkörpern. An jeder der vier Seiten führt eine Treppe mit einundneunzig Stufen nach oben, was zusammen mit der Stufe der Tempelbasis den 365 Tagen des Jahres entspricht. Und jedes Jahr zur Tagundnachtgleiche im Frühling und im Herbst beleuchtet die untergehende Sonne die Balustrade der Nordtreppe derart, daß man glaubt, im Spiel von Licht und Schatten den Körper einer hinabgleitenden Schlange zu sehen. Die gefiederte Schlange repräsentierte den höchsten Himmelsgott, und der scheinbar hinabgleitende Schatten symbolisierte das Niedersteigen des himmlischen Drachens zur Welt der Menschen.
Neu war für die Maya der Nachklassik die Manifestation der gefiederten Schlange als Kukulcán, die in dieser Form dem Quetzalcoatl der Nahua entspricht. Neu war auch, daß man nun Wallfahrten zu Pilgerstätten unternahm - etwa zum Heiligen Cenote von Chichén Itzá oder zum Heiligtum der Göttin Ixchel auf der Insel Cozumel. Skulpturen zeigten Menschen mit ethnisch fremdartigen Zügen. In der Bautechnik wurden Säulen, wie man sie aus Tula in Zentralmexiko kannte, zu einem wesentlichen Element. Überhaupt waren die Maya dem Fremden gegenüber offener. Die Macht wurde dezentralisiert, gleichwohl spielten nun Kriege eine größere Rolle. Kunde davon gibt zum Beispiel eine rechteckige Plattform ("tzompantli") in Chichén Itzá, die - wie die Reliefdarstellungen auf unserer Abbildung zeigen - der Unterbau für ein Schädelgerüst war, auf das die Köpfe der den Göttern dargebrachten Menschenopfer gesteckt wurden.
In dem Band "Maya - Die nachklassische Periode" lassen fünf namhafte Mayanisten, Archäologen und Historiker die Kultur dieses mittelamerikanischen Volkes nach dem Zusammenbruch der Machtzentren im sogenannten Tiefland bis zur Ankunft der Spanier lebendig werden. Insbesondere der Wandel gegenüber der klassischen Periode wird dargestellt. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Gebiet der Architektur. Aber auch Skulpturen, Wandmalereien, Codices und die Welt der Götter sind berücksichtigt. In gleicher Ausführung liegt seit einigen Monaten ein erster Band über die klassische Periode der Maya vor (F.A.Z. vom 15. Oktober 1998). GÜNTER PAUL
Antonio Benavides Castillo, Leticia Staines Cicero, Mercedes de la Garza, Eduardo Matos Moctezuma, Enrique Nalda: "Maya - Die nachklassische Periode". Aus dem Spanischen von Ingrid Hacker-Klier. Hirmer Verlag, München 1998. 234 S., zahlr. Abb., geb., 148,- DM.
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"Die vorliegende Darstellung über die nachklassische Zeit hat ausgesprochenen Seltenheitswert. Das Problem der Periodisierung und des Untergangs der klassischen Maya-Kultur wird an zentraler Stelle behandelt. Die Beiträge des vorzüglich illustrierten Bandes vermitteln ein umfassendes Bild von Kultur und Geschichte des Postklassikums der Maya-Völker, das heißt der Schlußphase einer selbstständigen Entwicklung, die insgesamt über 3000 Jahre gedauert hat." (Damals)