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Max Tivolis Leben verläuft buchstäblich rückwärts: als alter Mann geboren, stirbt er als Kind. Im Mittelpunkt seines Daseins steht Alice, die Max sein Leben lang liebt, doch als sie jung ist, ist er alt, und als sie älter wird, ist er ein Kind ... Packend, mit großem Einfühlungsvermögen und genauer Beobachtungsgabe schildert der Autor die Tragik einer sich verfehlenden Liebe.

Produktbeschreibung
Max Tivolis Leben verläuft buchstäblich rückwärts: als alter Mann geboren, stirbt er als Kind. Im Mittelpunkt seines Daseins steht Alice, die Max sein Leben lang liebt, doch als sie jung ist, ist er alt, und als sie älter wird, ist er ein Kind ... Packend, mit großem Einfühlungsvermögen und genauer Beobachtungsgabe schildert der Autor die Tragik einer sich verfehlenden Liebe.

Autorenporträt
Andrew Sean Greer, geboren 1970 in Washington D.C., lebt nach Jahren in New York heute in San Francisco. Er veröffentlichte Erzählungen in Zeitschriften wie der "Paris Review" und "Esquire". Richard Ford zeichnete 1996 eine seiner Geschichten mit dem "Ploughshares's Cohen Award for the Best Short Story" aus.

Uda Strätling lebt in Hamburg und hat u.a. Emily Dickinson, Henry David Thoreau, Sam Shepard, David Bowman, John Edgar Wideman und Andrew Sean Greer übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2005

Was aber, wenn die Zeit rückwärts liefe?
Von der Qual, das zu sein, wofür man gehalten wird: Andrew Sean Greer erzählt das Leben eines liebenden Monsters

Wenn es in der amerikanischen Literatur je eine Krise des Erzählens gegeben haben sollte, dann ist sie längst und entschieden vorbei. Daß Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides mit großer Souveränität und fabelhaftem Erfolg an literarische Traditionen angeknüpft haben, die lange abgerissen schienen, ist häufig genug bemerkt worden, aber sie sind keine Ausnahmen mehr. Schier ununterbrochen kommen andere Autoren hinzu, die mit enormer Lust am Fabulieren und ohne jede Angst vor den großen Geschichten draufloserzählen, von ihren Familien zumeist: Dave Eggers etwa, im vergangenen Jahr Jonathan Lethem in seinem großen Roman "Die Festung der Einsamkeit", Jonathan Safran Foer.

Nun darf man getrost auch Andrew Sean Greer in diese beeindruckende Reihe stellen. Der erste Roman des Fünfunddreißigjährigen, "Die Nacht des Lichts", ein fein konstruiertes, aber von seiner Sprachverliebtheit schier erdrücktes Buch, hat in Deutschland kaum Aufmerksamkeit gefunden. Sein zweites aber, das in Amerika euphorisch gelobt wurde und nun gleich in zweiundzwanzig Sprachen erscheint, dürfte zu den schönsten Werken dieses Frühjahrs zählen.

"Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli" ist vieles zugleich. Ein Roman über die letzte Jahrhundertwende, der aus akribischer Recherche und tausenderlei Details ein lebhaftes Bild des Kaliforniens um 1900 zeichnet; eine Liebeserklärung an San Francisco, Greers Heimat und die seines merkwürdigen Helden; eine Meditation über das Altern und das Sterben, über Sein und Schein und über das Verstreichen von Zeit. Vor allem aber ist es ein Bericht über ein Monstrum. Über ein Wesen wie aus einem Albtraum, das in früheren, grausameren Zeiten gleich nach der Niederkunft in einem Brunnen ertränkt worden wäre. Max Tivolis Geburtsort jedoch, das San Francisco des Jahres 1871, hat das Barbarische der Goldrausch-Ära längst abgelegt. Der Vater des Sonderlings ist ein kultivierter, aus Dänemark stammender Kaufmann, seine Mutter kleidet sich nach der neuesten Pariser Mode, und so wird ihr mißratener Sprößling nicht in Lappen gewickelt und mit Steinen beschwert, sondern in Seide gehüllt, in eine Krippe gelegt und in einem wohlhabenden Haus vor der Welt versteckt. Für das, was er ist, gibt es kein rechtes Wort: ein Greisenknabe, ein Altgeborener, einer, dessen Zeit rückwärts läuft. Er kommt in der Gestalt eines Siebzigjährigen zur Welt, verhutzelt, mit riesiger Nase, weißem Haar, die Haut von Altersflecken übersät, und wird im Laufe der Jahre immer jünger, eine Weile sogar hübscher, dann zusehends bubenhafter, um schließlich als Säugling zu sterben.

Andrew Sean Greer gibt sich wenig Mühe zu erklären, wie die Entbindung einer solchen medizinischen Rarität möglich wäre, und er überläßt es auch dem Leser, über die Ursachen der Mißbildung zu spekulieren. Vielleicht erklärt ein genetischer Defekt Max Tivolis Krebsgang, vielleicht der Umstand, daß sich just in der Sekunde seiner Zeugung eine gewaltige Explosion über der San Francisco Bay ereignete, die seine innere Uhr verstellt haben könnte. Aber so sehr auch die Anfänge in einem wohlkalkulierten Nebel bleiben, so virtuos und ideensprühend entwickelt der Autor den Lebensweg des heranwachsenden alten Herrn. Keinen Moment lang wirkt das Fabelwesen Max Tivoli wie eine phantastische Figur.

Andrew Sean Greer hat die regressive Biographie seines Helden mit solcher Sicherheit, mit solchem Gespür für alle denkbaren Peinlichkeiten und Gefahren erfunden, als sei ein umgekehrter Verfallsprozeß ein alltäglicher Vorgang. "Meine Muskeln verloren ihren Tonus, meine Schuhe wurden zu groß, und um mich herum, das war das Erstaunlichste, begann die Welt zu wachsen", notiert der rechnerisch fast Sechzigjährige: "Spiegel, Fensterbretter, Schubladen stiegen Monat für Monat unmerklich, bis ich mir eines Tages, als ich nach einem Türknauf griff, ein, zwei Zoll darunter die Fingerknöchel aufschlug. Ich schrumpfte. Ich würde in meinem Körper nie mehr sicher sein, ich würde stolpern, bis ich starb. Ich wurde zum Kind."

Anders als sein literarischer Vorfahr Benjamin Button aber, Held einer 1922 erschienenen Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald, der gleichfalls alt zur Welt kommt und jung stirbt, aber mit dem Weltwissen eines Siebzigjährigen geboren wird, ist Max Tivoli so hilflos, so unschuldig, so lernbegierig wie jedes Kind. Nur sein Körper altert verkehrt herum, innerlich ist er jung und unerfahren, allenfalls ahnend, daß er sehr anders ist als alle anderen Jungen, und so hält er sich folgsam an das, was seine Eltern ihm einschärfen, das Grundgesetz seines Lebens: ",Sei, wofür sie dich halten', flüsterte meine Mutter mir an jenem Abend ein, und in ihren Augenwinkeln schimmerten Tränen. Sei, wofür sie dich halten."

Was als Schutz gedacht war, als bürgerliche Camouflage einer Anomalie, wird rasch zum Fluch, als Max eines Nachts, gefangen im Körper eines Mittfünfzigers, aber mit der leicht entflammbaren Seele eines Siebzehnjährigen, im Garten der halbwüchsigen Nachbarstochter Alice begegnet, und ihr so vollkommen, so rettungslos verfällt, wie es nur einem Spätpubertierenden widerfahren kann. Was dort im Mondlicht beginnt, ist eine der kuriosesten, komischsten und hoffnungslosesten Liebesgeschichten seit langem. Sie beginnt ein wenig schwül in einer schrägen Lolita-Konstruktion, endet in einer eigenwilligen Ödipus-Variante und macht Max Tivoli, den biologischen Rohrkrepierer, die medizinische Mißgeburt, schließlich auch noch zum moralischen Krüppel.

Für seine Liebe nämlich, für seine verrückte, maßlose, unmögliche Liebe, verletzt dieser Max Tivoli jede Regel, ignoriert allen Anstand, verhöhnt jede Moral. Ein Leben lang lügt er, getreu dem Grundgesetz seiner Mutter, anfangs, um Alice nicht als Lustgreis zu erscheinen, später, um seine früheren Lügen zu vertuschen. Jeden, der ihm begegnet, täuscht er, seine Familie verleugnet er lächelnd, und am Ende treibt er sogar seinen besten Freund Hughie in den Tod, der sein Geheimnis kennt - nur um seiner angebeteten Alice nahe zu sein, die er immerfort liebt, die er, während in San Francisco die Erde bebt und die Stadt in Trümmer fällt, einmal sogar für ein paar Jahre erobert, und die er dreimal verliert. "Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli" ist die Lebensbeichte dieses liebenden Verbrechers, der sich jeder Grausamkeit und grenzenloser Selbstsucht bezichtigt. "The Confessions of Max Tivoli" heißt der Roman im amerikanischen Original, und dieser Titel trifft das Bekenntnishafte des Buches viel besser als die etwas lahme Variante der im übrigen vorzüglich übersetzten deutschen Ausgabe.

Es ist nun vielleicht der eindrucksvollste Beleg für Andrew Sean Greers erstaunliche Begabung, wie es ihm gelingt, daß wir diesem Max Tivoli alle Schandtaten verzeihen, ihm jede Selbstsucht nachsehen und, mehr noch, mit ihm fiebern, daß seine Tarnung nicht zerstört werde, daß er endlich seine Alice gewinnen möge. Greer erzählt in einem sehr poetischen, erkennbar an Proust orientierten Ton, der bisweilen etwas Altmodisches bekommt, als hätten all die sorgsam gewählten Details, die das San Francisco der Jahrhundertwende wiederauferstehen lassen, auch auf die Sprache durchgeschlagen. Manchmal kommt er dabei dem Kitsch, dem Altklugen gefährlich nahe, das schon in "Die Nacht des Lichts" irritierte. In seinem zweiten Roman aber ist das Lebensweise mancher Sentenzen durchaus als Rollenprosa des sechzigjährigen Knaben zu rechtfertigen, der sein Leben bilanziert, damit ihn Alice vielleicht eines Tages verstehen kann. Und mehr noch, der hohe Ton tritt zurück hinter einer Geschichte, die sich einprägt, die fesselt, die uns berührt und bezaubert, nicht weil sie so haarsträubend unwahrscheinlich ausgedacht ist, sondern vielmehr, weil Andrew Sean Greer in Max Tivoli, dem Außenseiter, dem Geheimnisträger, dem Zeitkrüppel die Einsamkeit eines jeden Menschen aufscheinen läßt.

Andrew Sean Greer: "Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Uda Strätling. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. Geb., 436 S., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Der Protagonist namens Max Tivoli hat eine völlig ausgefallene Krankheit, er altert nämlich rückwärts, d.h. er wird immer jünger, während seine Umgebung normal altert. Das kann einen schon in seltsame Situationen bringen, versichert Gustav Mechlenburg, der Andrew Sean Greers Roman mit einem Schmunzeln gelesen hat. Meistens ist Tivoli entweder zu alt oder zu jung für alles, auch seine Ehe kann er naturgemäß nicht halten oder retten. So sei Tivoli auch ein unheilbar Liebeskranker, der im Sandkasten hockt, mit Förmchen spielt und der Stimme der von ihm geliebten Frau auf der Bank lauscht, die seiner Mutter zu sein scheint, in Wahrheit aber mal seine Frau war, berichtet Mechlenburg amüsiert. Greer habe literarische Anleihen bei Lewis Carrol und Vladimir Nabokov gemacht, verfüge über großes Stilvermögen und eine teilweise bittere Ironie. Wem die Geschichte zu konstruiert erscheint, der könne getrost die großartigen Beschreibungen San Franciscos um die vorletzte Jahrhundertwende und der technischen Neuerungen jener Zeit als Buch im Buch lesen und von dem ganzen Liebesgeraune abstrahieren, empfiehlt der Rezensent.

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