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Eine Familie kommt aus ihrem alten Land nach Deutschland. Dort passiert Unvorstellbares und Unverständliches - zumindest für die Tochter der Einwanderer. Sie, die Ich-Erzählerin, wächst auf im neuen Land, doch die Geschichten über das alte lassen sie nicht los. Sie wird erwachsen in dem Gefühl, immer eine Fremde zu bleiben, niemals dazuzugehören. Später wird aus ihr eine Theaterautorin; erfolglos, arbeitslos, aber voller Hoffnung.In diesen atmosphärisch feinen Erzählungen, die zusammen einen kleinen, dichten Roman der Fremdheit und der Sehnsucht ergeben, begegnet die Erzählerin dem neuen…mehr

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Produktbeschreibung
Eine Familie kommt aus ihrem alten Land nach Deutschland. Dort passiert Unvorstellbares und Unverständliches - zumindest für die Tochter der Einwanderer. Sie, die Ich-Erzählerin, wächst auf im neuen Land, doch die Geschichten über das alte lassen sie nicht los. Sie wird erwachsen in dem Gefühl, immer eine Fremde zu bleiben, niemals dazuzugehören. Später wird aus ihr eine Theaterautorin; erfolglos, arbeitslos, aber voller Hoffnung.In diesen atmosphärisch feinen Erzählungen, die zusammen einen kleinen, dichten Roman der Fremdheit und der Sehnsucht ergeben, begegnet die Erzählerin dem neuen Leben, der neuen Sprache, den neuen Menschen: Martha, die vielleicht töten muss, um zu besitzen. Marcel, den alle Mädchen küssen wollen. Samiha und Olcay aus dem türkischen Viertel, die eine unerklärliche Todesangst vor dem Fahrstuhl in ihrem Hochhaus haben. Sie trifft den Chef ihrer Mutter, der mehr will als nur eine gute Angestellte, den sadistischen Mann vom Arbeitsamt und Frank, das Männermodel, das seine Haare hochtoupiert trägt.Als Kind schämt sie sich noch für ihre Eltern und dafür, dass man bereits am »Hallo« ihres Vaters erkennt, dass er kein Deutscher ist. Später, als junge Frau, bringt ihr die Sprache ihres alten Landes, im falschen Moment und vor den falschen Leuten gesprochen, geprellte Rippen und eine aufgeplatzte Lippe ein. Denn neben der neuen, rätselhaften Freundlichkeit, bleiernen Höflichkeit und warmen Distanziertheit, mit der das fremde Mädchen, das später eine fremde Frau ist, sich konfrontiert sieht, muss sie auch immer wieder Schläge einstecken - aus bekannten Mündern und von unbekannten Fäusten. Doch sie schlägt zurück: nicht nur mit ihren Lügen, sondern auch mit ihren Träumen.Anna Prizkau erzählt in Fast ein neues Leben vom neuen Land, das Deutschland ist, von den Fremden und den Verlorenen, auch denen, die hier geboren wurden.
Autorenporträt
Anna Prizkau, 1986 in Moskau geboren, kam in den 90er-Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland. Sie hat in Hamburg und Berlin studiert und ist seit 2016 Redakteurin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Prizkau lebt in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Rezensentin Andrea Gerk taucht mit Anna Prizkaus Erzählungen um ein Mädchen zwischen zwei Leben ein in die von Verlust und Ausgrenzung gepeinigte migrantische Seele. Sowohl explizite Verletzungen als auch subtile psychologische Versehrungen kommen im Buch vor, erklärt Gerk. Was es für Kinder bedeutet, angestarrt und gefürchtet zu werden, vermitteln die zusammenhängenden Episoden laut Gerk in nüchterner Tonlage, distanziert und eigenwillig.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2020

Keine Zeit für Unglück
… aber einen festen Willen zur Anpassung: Das Erzähldebüt der Berliner Journalistin Anna Prizkau
In der ersten und übrigens allerbesten Geschichte in Anna Prizkaus Debüt „Fast ein neues Leben“ findet sich die Ich-Erzählerin in einer kubanischen Hotelanlage wieder. Sie ist mit ihrem Vater verreist, mit dem zu reden sie sich schon lange abgewöhnt hat. So sitzen beide in der Anlage und trinken abwechselnd Kaffee und Cocktails, in gegenseitigem Einverständnis, aber doch fremd. Der Ich-Erzählerin fällt Neues an ihrem Vater auf: Er ist ein noch schöner Mann und er spricht schönes Englisch.
Der Urlaub verläuft zunächst recht ereignislos, dann lernt die Erzählerin den Sexarbeiter Antoni kennen, der aber schnell das Interesse an ihr verliert und sich anderen Frauen im hoteleigenen Restaurant zuwendet. Der Vater hingegen flirtet mehr oder weniger diskret mit einer Kanadierin. Für ihn ist der Urlaub eine Auszeit, vielleicht die erste, seit die Familie ihr Heimatland vor sieben Jahren verlassen hat, um nach Deutschland zu kommen. Eine Auszeit kann der Vater übrigens gut gebrauchen, denn seine Frau leidet am neuen Land, ist seit Jahren suizidal und wird von ihm gepflegt. Die Liebe zwischen den Eheleuten wurde durch gegenseitige Fürsorge ersetzt.
Obwohl ihm das neue Leben in Deutschland besser gelingt als seiner Frau, er leichter Menschen trifft, schnell Deutsch lernt und Arbeit findet, ist sein Leben mühsam, obwohl es einmal so leicht ausgesehen hatte: „Er war ein junger Mann mit seiner jungen Frau in einem neuen Land mit neuer Arbeit.“ Als die Ich-Erzählerin daran denkt, und vielleicht spielt hier auch die Zurückweisung durch den jungen Kubaner mit hinein, beginnt sie zu weinen. Der Vater nimmt ihr Kinn in die Hand, sieht ihr in die Augen und sagt: „Wir haben keine Zeit für Unglück.“ Natürlich endet die Geschichte traurig, zwar nicht wildtragisch, eher bedrückt. Aber: Hätte hier irgendjemand auf ein Happy End gehofft? Vater und Tochter fliegen zurück und freuen sich auf das von der Mutter zubereitete Essen, Sauerkraut mit Teigtaschen. Die Welt wird wieder, was sie vor dem Urlaub war: ein Kosmos, in dem die Erzählerin sich zwischen Kleinfamilie, Arbeitsamt, Eiscafé und Korporationshaus bewegt, wobei man sich die Protagonistin als junge Frau vorstellt, die abwechselnd attackiert, bedrängt und bevormundet wird. Als Kind beschließt sie, besser gar nichts mehr von sich preiszugeben und ihre Herkunft zu verstecken.
Die elf Erzählungen, die die 1986 in Moskau geborene Anna Prizkau zu einer Art losem Roman verknüpft hat, spielen alle im ersten Lebensviertel einer jungen Frau, die aus einem nicht näher benannten „alten Land“ als Kind nach Deutschland kam. Auf knapp einhundert Seiten erzählt Prizkau zwar sehr reduziert, aber trotzdem schöpft sie aus der Tiefe: Man muss nicht jeden Tag der Ich-Erzählerin kennen, man muss nicht einmal wissen, wie sie aussieht oder was sie arbeitet, um diese Frau kennenzulernen.
Die Erzählungen sind Episoden, in denen Figuren, Orte, Konstellationen wiederkehren, und in denen sie manchmal noch Kind und manchmal schon Frau ist. Die Fremdheit und die Verlorenheit im neuen Land blitzen hervor wie eine kahle Stelle am Kopf, die man zu kaschieren versucht. Die Ich-Erzählerin hat keine Zeit für Unglück, aber auch einen festen Willen zu Anpassung. Das Leben in der Migration verlangt Angleichung, und die Protagonistin tut viel dafür, immer deutscher zu wirken.
Für Mitleid ist hier wenig Platz, für Selbstmitleid schon gar nicht. Eine Spur von Anteilnahme überkommt die Erzählerin, als ein alter, bequemer Massagesessel in den Keller gebracht wird – was soll man auch anderes tun, als zu verdrängen? Prizkaus Erzählband zieht aber auch größer werdende Kreise um die Kernfamilie, es geht auch um die Erfahrungen der Erzählerin in der Schule, in der Nachbarschaft, während des Studiums und bei den Ämtern. Die Ureinwohner der neuen Heimat bleiben dunstig und ein wenig feindselig, von ihnen ist niemand einfach auf der Suche nach Ruhe und Wohlstand. Die Deutschen sprechen in Bürokratieformeln, wollen Sex, haben unbegreifliche Probleme – und interessieren sich überhaupt nicht für die Ich-Erzählerin. Als die sie, schon erwachsen, ein Theaterstück namens „Drei Cousinen“ schreibt, das das „fremde Leben in einer fremden Sprache in einem fremden Land“ zum Thema hat, erhält sie von den Intendanten nur Absagen: „Hier interessieren die Konflikte Ihrer Protagonisten niemanden. Der Stoff ist OUT.“
Besonders jene Erzählungen, in denen Prizkau die Familie in den Blick nimmt, bleiben im Gedächtnis, und wie in wenigen, sparsamen Sätzen große Dramen zwischen drei Menschen erzählt werden, ist beeindruckend. In der letzten Erzählung steht die Mutter, im Zentrum, von der wir bis dahin wenig wissen. Sie ist gerade einmal Anfang Dreißig und ihr Tagesablauf sieht so aus: Morgens kocht sie, dann telefoniert sie zwei Stunden mit der Schwester und raucht dabei eine Schachtel Vogues, mittags schließt sie sich schließlich im Badezimmer ein und weint fast eine ganze Stunde lang, dann föhnt sie sich die Locken, serviert das Essen und liest Gedichte. Vater und Tochter ignorieren die Tränen der Mutter.
Die Mutter nimmt schließlich eine Arbeit an, und weil sie nun keine Zeit mehr zum Weinen hat, nimmt man an, dass es ihr nun besser geht. Als die Mutter eine Affäre mit ihrem Chef beginnt, ignoriert die Ich-Erzählerin das piepsende Handy der Mutter und die geflüsterten Gespräche, die sie heimlich belauscht. Einmal piepst es schließlich zu oft, die Ich-Erzählerin greift nach dem Motorola und wirft es wütend gegen den Spiegel. Die Szene endet in Geschrei. Am nächsten Morgen schließlich begeht die Mutter einen Selbstmordversuch, der die folgenden Jahre des Familiengeschehens prägen wird; Jahre, während deren Scham, Schweigen und Verdrängen herrschen. Anna Prizkau hat ein unsentimentales, aber auch unironisches Buch geschrieben, das von der Härte, der Stärke und der Schwäche jener erzählt, die nach vorne blicken müssen.
DANA VON SUFFRIN
Anna Prizkau: Fast ein neues Leben. Erzählungen. Matthes & Seitz, Berlin 2020. 111 Seiten, 18 Euro.
Die Mutter nimmt eine
Arbeit an, damit sie keine Zeit
mehr zum Weinen hat
Geboren 1986
in Moskau:
die Autorin Anna Prizkau.
Foto: Julia von Vietinghoff
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