Dies ist die dramatische Überlebensgeschichte des Hertzka Haft: Der Sohn einer jüdischen Familie wuchs in Polen auf, erlebte als 14-Jähriger den Einmarsch der Deutschen, unter deren Besatzerregime er ums nackte Dasein und um seine jugendlichen Träume kämpfte. Schließlich ins KZ Auschwitz eingeliefert, bildete ihn ein SS-Mann zum Boxer aus, der auf Leben und Tod Schaukämpfe vor den Wachmannschaften absolvieren musste. Haft überlebte unter unvorstellbaren Umständen, schmuggelte in München Zigaretten für US-amerikanische Offiziere, wurde später Profiboxer in den USA, wo er u.a. gegen den legendären Rocky Marciano kämpfte. Erst kürzlich, in hohem Alter, offenbarte sich Haft seinem Sohn. In manchmal verstörender Offenheit schilderte er seine fürchterlichen KZ-Erlebnisse - Brutalität, Erniedrigung, Verrohung -, die ihn für sein restliches Leben traumatisierten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2009Schrei nach Liebe: Held voller Widersprüche
Alan Scott Haft über seinen Vater, den Boxer Hertzko Haft
Wie der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki hat der Boxer Hertzko Haft eine Lebensgeschichte zu erzählen, die filmreif ist. Auch er wächst in Polen als Kind jüdischer Eltern auf, überlebt das Getto und den Holocaust. Ihn rettet letztlich nicht der Intellekt eines Reich-Ranickis, sondern die Kraft, die aus den Armen kommt, und der Wille, unter allen Umständen überleben zu wollen. Was Haft durchmacht, ist eine Begegnung mit dem Bösen in seiner extremsten Form. Anders als Reich-Ranicki gewährt ihm in der größten Not niemand Unterschlupf - er schlägt sich durch. Deformiert und traumatisiert, wird Haft am Ende des Dritten Reichs selbst zum Mörder. Aber wer will sich schon zum Richter über diesen Mann erheben, der im KZ Leichen Mitgefangener verbrennen, den Anblick von Kannibalismus in der Baracke ertragen musste? Schon gar nicht der Sohn, der die Erinnerungen seines Vaters aufzeichnete und damit letztlich seinen Frieden mit dem Vater machte.
Es fällt schwer, die Überlebensgeschichte in die Kategorie "Sportbuch" einzuordnen, wie es der Verlag tut. Es ist ein erschütterndes, schockierendes, verstörendes Zeugnis aus barbarischer Zeit. Haft hat nie das Boxen gelernt, doch im Vernichtungslager Auschwitz macht ihn ein SS-Offizier zum Faustkämpfer, weil dieser Gefallen an den Muskeln und der Raffinesse des Todeskandidaten findet. Um das Wachpersonal bei Laune zu halten, werden Boxkämpfe organisiert. Die Lagerkapelle spielt dazu. Von den Verlierern verliert sich die Spur; nur für den Gewinner gibt es ein Morgen. Der robuste Haft gewinnt alle Kämpfe. Später, nach seiner Flucht in den Wirren des deutschen Rückzugs vor den russischen Truppen, der Schiffsüberfahrt zu einem Onkel in Amerika, schlagen Promoter Kapital aus dem Mann mit der KZ-Vergangenheit. Im Gepäck hatte der junge Mann jenen Pokal, den ihm der amerikanische Brigadegeneral Lucius Clay im Januar 1946 überreichte. Verliehen dem besten Schwergewichtsboxer eines Turniers für jüdische Faustkämpfer in München. Entgegen einem im Nazireich gern bedienten Stereotyp gab es eine Reihe von jüdischen Spitzensportlern, darunter auch Boxweltmeister. Ende der zwanziger Jahre hätten - wenn sie gewollt hätten - nahezu ein Drittel aller amerikanischen Profiboxer mit dem Davidstern auf der Hose in den Ring klettern können. Haft, in den Staaten mit dem besser vermarktbaren Vornamen "Harry" bedacht, bekam den Kampfnamen "das jüdische Biest" verpasst. Die Karriere begann vielversprechend, doch sie führte nicht in lichte Höhen. Die Kombination von viel Kraft, unbändigem Willen, wenig Technik und Taktik setzte Grenzen.
Das Duell gegen Rocky Marciano, den späteren Champion aller Klassen, markierte das Ende der Laufbahn des Preisboxers Harry Haft. Seinem Sohn Alan Scott Haft, Jahrgang 1950, hat der Senior die Story aufgetischt, wonach drei dubiose Gestalten ihn dazu aufgefordert hätten, sich in der ersten Runde hinzulegen, "wenn du leben möchtest". Haft verlor in der dritten Runde durch K.o. und ging nie mehr in den Ring, startete später eine bürgerliche Existenz. Alan Scott Haft lässt eine gewisse Skepsis durchblicken, ob sich die Szene in der Kabine zeitnah vor dem Gong tatsächlich so zugetragen hat. Neutrale Beobachter jedenfalls schrieben damals in den Gazetten von einem überlegenen, sich frühzeitig abzeichnenden Triumph Marcianos. Die Mafia als Verbündeter Marcianos gegen Haft? Dazu bedarf es einer gehörigen Prise Verfolgungswahn. Alle Nachsicht dieser Welt für "das Jüdische Biest" mit der eintätowierten Häftlingsnummer 144738.
Mike Silver, amerikanischer Boxjournalist und Boxhistoriker, schreibt in seinem Nachwort, dass der 22 Jahre alte Holocaust-Überlebende im Frühling 1948 "leicht einen gering bezahlten Hilfsarbeiterjob hätte finden können. Stattdessen schlug er einen Weg ein, den in den Jahren zuvor bereits Tausende anderer armer Einwanderer oder ihre Söhne gegangen waren". Die ersten fünf Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts waren goldene Zeiten für das Boxen. Der Einstieg des Fernsehens markiert zugleich den Niedergang des Boxens. "Es gewann dadurch Millionen neuer Fans, aber gleichzeitig beuteten die habgierigen und kurzsichtigen Boxbosse die Beliebtheit des Sports auf Kosten seiner schwindenden Infrastruktur aus ... Die Nachfrage des ewig hungrigen Fernsehens nach Talenten überstieg bald das Angebot ... Mit dem Niedergang der Basisstruktur im Boxen und dem wachsenden Einfluss des Fernsehens über den Sport stießen die rechtschaffenen Manager auf die Schwierigkeit, Kämpfer für ihre Boxer zu finden. Sie mussten sich entscheiden, ob sie sich entweder auf jemanden mit ,Verbindungen' zum lukrativen Fernsehmarkt und zu den großen Arenen einlassen oder das Risiko eingehen wollten, kaltgestellt zu werden." Silvers Diagnose bringt das Dilemma jenseits und diesseits des Atlantiks auf den Punkt.
In einzelnen Passagen ist dieses Buch dann eben doch noch ein "Sportbuch". Wirkungstreffer erzielt es mit seiner Schilderung dieses Helden voller Widersprüche, der über Leichen ging. Der Verlag wäre gut beraten gewesen, das Nachwort des Autors, der viel durchmachte, vom Vater verprügelt und gepeinigt wurde, als Prolog gewählt zu haben: "Ich habe mich mein ganzes Erwachsenenleben bemüht, die Liebe meines Vaters zu gewinnen. Dass ich dieses Buch geschrieben habe, ist mein letzter Versuch. Nachdem ich aus erster Hand erfahren habe, was mein Vater ertragen musste, verstehe ich, warum er so war, wie er war. Ich liebe und vergebe ihm." In Harry Hafts offiziellem Kampfrekord sind vierzehn Siege und acht Niederlagen verzeichnet. Sein Herz hat nach 81 Jahren, 81 brutalen Runden, aufgegeben. Nach allem, was es in dieser Odyssee des Horrors durchstehen musste, begreift der Leser, warum die Schilderung so ist, wie sie ist.
HANS-JOACHIM LEYENBERG
Alan Scott Haft: "Eines Tages werde ich alles erzählen." Die Überlebensgeschichte des jüdischen Boxers Hertzko Haft. 192 Seiten, 16,90 Euro, Verlag die Werkstatt, Göttingen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alan Scott Haft über seinen Vater, den Boxer Hertzko Haft
Wie der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki hat der Boxer Hertzko Haft eine Lebensgeschichte zu erzählen, die filmreif ist. Auch er wächst in Polen als Kind jüdischer Eltern auf, überlebt das Getto und den Holocaust. Ihn rettet letztlich nicht der Intellekt eines Reich-Ranickis, sondern die Kraft, die aus den Armen kommt, und der Wille, unter allen Umständen überleben zu wollen. Was Haft durchmacht, ist eine Begegnung mit dem Bösen in seiner extremsten Form. Anders als Reich-Ranicki gewährt ihm in der größten Not niemand Unterschlupf - er schlägt sich durch. Deformiert und traumatisiert, wird Haft am Ende des Dritten Reichs selbst zum Mörder. Aber wer will sich schon zum Richter über diesen Mann erheben, der im KZ Leichen Mitgefangener verbrennen, den Anblick von Kannibalismus in der Baracke ertragen musste? Schon gar nicht der Sohn, der die Erinnerungen seines Vaters aufzeichnete und damit letztlich seinen Frieden mit dem Vater machte.
Es fällt schwer, die Überlebensgeschichte in die Kategorie "Sportbuch" einzuordnen, wie es der Verlag tut. Es ist ein erschütterndes, schockierendes, verstörendes Zeugnis aus barbarischer Zeit. Haft hat nie das Boxen gelernt, doch im Vernichtungslager Auschwitz macht ihn ein SS-Offizier zum Faustkämpfer, weil dieser Gefallen an den Muskeln und der Raffinesse des Todeskandidaten findet. Um das Wachpersonal bei Laune zu halten, werden Boxkämpfe organisiert. Die Lagerkapelle spielt dazu. Von den Verlierern verliert sich die Spur; nur für den Gewinner gibt es ein Morgen. Der robuste Haft gewinnt alle Kämpfe. Später, nach seiner Flucht in den Wirren des deutschen Rückzugs vor den russischen Truppen, der Schiffsüberfahrt zu einem Onkel in Amerika, schlagen Promoter Kapital aus dem Mann mit der KZ-Vergangenheit. Im Gepäck hatte der junge Mann jenen Pokal, den ihm der amerikanische Brigadegeneral Lucius Clay im Januar 1946 überreichte. Verliehen dem besten Schwergewichtsboxer eines Turniers für jüdische Faustkämpfer in München. Entgegen einem im Nazireich gern bedienten Stereotyp gab es eine Reihe von jüdischen Spitzensportlern, darunter auch Boxweltmeister. Ende der zwanziger Jahre hätten - wenn sie gewollt hätten - nahezu ein Drittel aller amerikanischen Profiboxer mit dem Davidstern auf der Hose in den Ring klettern können. Haft, in den Staaten mit dem besser vermarktbaren Vornamen "Harry" bedacht, bekam den Kampfnamen "das jüdische Biest" verpasst. Die Karriere begann vielversprechend, doch sie führte nicht in lichte Höhen. Die Kombination von viel Kraft, unbändigem Willen, wenig Technik und Taktik setzte Grenzen.
Das Duell gegen Rocky Marciano, den späteren Champion aller Klassen, markierte das Ende der Laufbahn des Preisboxers Harry Haft. Seinem Sohn Alan Scott Haft, Jahrgang 1950, hat der Senior die Story aufgetischt, wonach drei dubiose Gestalten ihn dazu aufgefordert hätten, sich in der ersten Runde hinzulegen, "wenn du leben möchtest". Haft verlor in der dritten Runde durch K.o. und ging nie mehr in den Ring, startete später eine bürgerliche Existenz. Alan Scott Haft lässt eine gewisse Skepsis durchblicken, ob sich die Szene in der Kabine zeitnah vor dem Gong tatsächlich so zugetragen hat. Neutrale Beobachter jedenfalls schrieben damals in den Gazetten von einem überlegenen, sich frühzeitig abzeichnenden Triumph Marcianos. Die Mafia als Verbündeter Marcianos gegen Haft? Dazu bedarf es einer gehörigen Prise Verfolgungswahn. Alle Nachsicht dieser Welt für "das Jüdische Biest" mit der eintätowierten Häftlingsnummer 144738.
Mike Silver, amerikanischer Boxjournalist und Boxhistoriker, schreibt in seinem Nachwort, dass der 22 Jahre alte Holocaust-Überlebende im Frühling 1948 "leicht einen gering bezahlten Hilfsarbeiterjob hätte finden können. Stattdessen schlug er einen Weg ein, den in den Jahren zuvor bereits Tausende anderer armer Einwanderer oder ihre Söhne gegangen waren". Die ersten fünf Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts waren goldene Zeiten für das Boxen. Der Einstieg des Fernsehens markiert zugleich den Niedergang des Boxens. "Es gewann dadurch Millionen neuer Fans, aber gleichzeitig beuteten die habgierigen und kurzsichtigen Boxbosse die Beliebtheit des Sports auf Kosten seiner schwindenden Infrastruktur aus ... Die Nachfrage des ewig hungrigen Fernsehens nach Talenten überstieg bald das Angebot ... Mit dem Niedergang der Basisstruktur im Boxen und dem wachsenden Einfluss des Fernsehens über den Sport stießen die rechtschaffenen Manager auf die Schwierigkeit, Kämpfer für ihre Boxer zu finden. Sie mussten sich entscheiden, ob sie sich entweder auf jemanden mit ,Verbindungen' zum lukrativen Fernsehmarkt und zu den großen Arenen einlassen oder das Risiko eingehen wollten, kaltgestellt zu werden." Silvers Diagnose bringt das Dilemma jenseits und diesseits des Atlantiks auf den Punkt.
In einzelnen Passagen ist dieses Buch dann eben doch noch ein "Sportbuch". Wirkungstreffer erzielt es mit seiner Schilderung dieses Helden voller Widersprüche, der über Leichen ging. Der Verlag wäre gut beraten gewesen, das Nachwort des Autors, der viel durchmachte, vom Vater verprügelt und gepeinigt wurde, als Prolog gewählt zu haben: "Ich habe mich mein ganzes Erwachsenenleben bemüht, die Liebe meines Vaters zu gewinnen. Dass ich dieses Buch geschrieben habe, ist mein letzter Versuch. Nachdem ich aus erster Hand erfahren habe, was mein Vater ertragen musste, verstehe ich, warum er so war, wie er war. Ich liebe und vergebe ihm." In Harry Hafts offiziellem Kampfrekord sind vierzehn Siege und acht Niederlagen verzeichnet. Sein Herz hat nach 81 Jahren, 81 brutalen Runden, aufgegeben. Nach allem, was es in dieser Odyssee des Horrors durchstehen musste, begreift der Leser, warum die Schilderung so ist, wie sie ist.
HANS-JOACHIM LEYENBERG
Alan Scott Haft: "Eines Tages werde ich alles erzählen." Die Überlebensgeschichte des jüdischen Boxers Hertzko Haft. 192 Seiten, 16,90 Euro, Verlag die Werkstatt, Göttingen.
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