Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 22. April 2011
- Hersteller: Universal Music,
- Gesamtlaufzeit: 43 Min.
- EAN: 0011661066526
- Artikelnr.: 33195881
CD | |||
1 | Paper Airplane | 00:03:37 | |
2 | Dust Bowl Children | 00:03:07 | |
3 | Lie Awake | 00:03:56 | |
4 | Lay My Burden Down | 00:03:52 | |
5 | My Love Follows You Where You Go | 00:04:04 | |
6 | Dimming Of The Day | 00:05:20 | |
7 | On The Outside Looking In | 00:03:36 | |
8 | Miles To Go | 00:02:54 | |
9 | Sinking Stone | 00:04:43 | |
10 | Bonita And Bill Butler | 00:04:03 | |
11 | My Opening Farewell | 00:04:09 |
Frankfurter Allgemeine ZeitungAschenputtels lieber Himmel
Nur Quincy Jones und Georg Solti haben noch mehr Grammys als sie: Alison Krauss hat auch sonst alles, was eine Königin braucht - liebliche Wärme, zarte Präzision, ein großes, mitfühlend' Herz.
Ein Engel sei sie halt, sagt ein Bekannter, den man bedrängt, er solle einem erklären, wieso diese Person so feine Musik macht. Dann kratzt er, ein Musikliebhaber, den man mit Country Music sonst jagen kann, sich am Ohr, verwirft die Metapher und entschuldigt sich fürs Klischee. Man mag ihm die Verlegenheit nachfühlen. Alison Krauss, um die es geht, teilt sie vielleicht sogar. Auf vielen ihrer Plattencover schaut sie jedenfalls weder herausfordernd noch werbend in die Kamera, sondern lieber gleich woandershin (auf dem neuesten, am kommenden Freitag erscheinenden Album "Paper Airplane", blickt sie, wie schon auf dem letzten Gemeinschaftswerk mit ihrer langjährigen Band Union Station, "Lonely Runs Both Ways" von 2004, aschenputtelesk zu Boden: Ob die böse Stiefmutter wohl findet, dass jetzt alles ordentlich gefegt ist?).
Das wirkt beinah, als schäme sie sich ein wenig für ihre Begabung, ihr souveränes Handwerk und die uneitle Hingabe, mit der sie sich immer wieder neu in jedes einzelne Lied wickelt wie eine bescheidene, aber knallrote Kirsche ins Teigmäntelchen.
Im Gespräch verdreht sie lustig die Augen, wenn sie von den erstklassigen Musikern (T-Bone Burnett, Dan Tyminski, Ron Block), ausgesuchten Songwritern (Jackson Browne bis Todd Rundgren) und unverwechselbaren Stimmen (Robert Plant, Gillian Welch, John Waite, First Baptist Church Choir of White House, Tennessee) schwärmt, mit denen sie hat arbeiten dürfen. In ruhiger Demut redet sie dann darüber, dass ihr Stimmvolumen leider nicht die vier computergepitchten Oktaven umfasst, an denen man heutzutage olympiareife Diven erkennt - als wäre der Umstand, dass man mit normalen Stimmbändern zuwege bringt, was Alison Krauss kann, ein Problem anstatt wichtigste Voraussetzung der beseelten Innigkeit, mit der sie ihren Melodien dient, ohne Fiorituren, Tirili und sonstige Fisimatenten, weil sie, im Gegensatz zu manch modischer Chanteuse, begriffen hat, dass Musik nun mal ganz andere Talente und menschliche Züge fordert als Sport.
"Paper Airplane" spielt, wie man das von den Platten, die sie mit Union Station aufnimmt, gewohnt ist, in allen Farben, die diese Stimme kennt. "I've put it all behind me", haucht ein elegischer Auftakt leicht geschwindelt; es geht ja erst los. "Anticipated pleasure or unexpected pain" werden begrüßt wie alte Bekannte, und "pain" findet sich ausgelegt als trauriger Ton, den man zwar nicht einfach ausstößt wie jeden andern, andererseits aber auch keinen Sekundenbruchteil zu lang halten darf, weil sonst unziemliches Gejammer draus wird. Wenn sie ein paar Nummern später "more smiles than a merry-go-round" verschenkt, dann geht das Wörtchen "smiles" hier auf wie die lebendige Sonne, der ganze Song bewegt sich von diesem Moment an wie eine rasch ausschreitende Passagierin unter vanillefarbenem Sonnenschirm, die in einem großen Western, sagen wir: von John Ford, dringend das letzte Dampfross aus Dodge City erwischen muss.
Jungmädchensporen einer Virtuosin
Zwei weitere Stücke später ist das Forsche und Gutgelaunte wieder verschwunden, stattdessen erfreut eine Abgeklärtheit, deren Klangporträt sich tapfer emanzipiert nach vorn kämpft: "Another memory is another slamming door, it's getting too dark now to seeee . . ."
Sie liebt, sagt sie, die Texte, die sie aussucht, und braucht sie. Obwohl sie sich ihre Jungmädchensporen ehedem vor allem als Geigenvirtuosin verdient hat, würde sie trotz immer wieder eintrudelnder einschlägiger Angebote niemals eine Platte einzig mit Instrumentalmusik aufnehmen wollen. Nein, jede noch so simple, einschmeichelnde, verführerische oder traurige Weise muss, findet sie, sich nicht bloß nach etwas anhören, sondern auch tatsächlich etwas sagen.
In ihrem Vokalstil schlägt sich das nieder als Deutlichkeit in lieblicher Wärme, als zarte Präzision, von der man manchmal glauben könnte, hier werde im unüblichsten Ernst recitando gesungen statt nach Melodie - nur dass das, bei aller entschiedenen Bevorzugung der syllabischen vor den melismatischen Gesangsanmutungen durch diese Künstlerin (Ausnahmen modulieren die Regel), eben doch nicht stimmt. Sie spricht nie einfach, wenn sie sich im Song bewegt, sondern klingt, klagt, rühmt, freut sich. Selbst unscheinbarste, dem Verlöschen nahe Silben sind bei ihr (auch wenn sie fast verschluckt werden, weil etwa das Wort, zu dem sie gehören, ein heiliges oder schmerzliches ist) immer noch Noten, das heißt: Perlen auf einem Seidenfaden, Tautropfen im intelligiblen Netz der Komposition.
Wenige andere singen so; man findet sie wohl eher im Jazz und anliegenden Gegenden. Gedacht werden darf dabei etwa an die tiefe Ehrerbietigkeit, die Youn Sun Nah einem Edelstandard wie "My Favourite Things" von Rodgers und Hammerstein interpretierend erweist, oder an die außerirdisch schöne Transparenz der Phrasierung von Nicolette auf "Now Is Early" von 1992 ("people would see with clarity . . . and there'd be no suffering"), an Frauen also, die mit ihrer Kunst in den berückendsten Momenten ohne große Gesten Trost und Freundlichkeit spenden, wie man jemandem eine Zigarette mit einem Streichholz anzündet (statt mit einem klobigen Feuerzeug aus Grobgold, was auch schön sein kann, aber eher "Soul" oder "R & B" heißt).
Begegnet man der tatsächlichen Person Alison Krauss, kriegt man schnell mit: Sie ist fast so zauberhaft, wie sie gut ist, weiß selbstverständlich beides und hält sich damit dennoch bedeckt - wohl weil es auch ohne Eigenlob schwer genug auszuhalten sein dürfte, wenn man von Berufs wegen andauernd Frauen, Männer und wahrscheinlich auch die aufgeweckteren unter den Hunden, Katzen und Pferden dieser Erde betört, zu Tränen rührt oder ganz wuschig macht.
Sie sitzt auf ihrem Hotelsofa, räuspert sich und reißt einen kleinen Witz über die Schwierigkeit, in einem italienischen Hotel in London indisches Essen zu bestellen. Zwischendurch steht sie auf, um das Frauenbildnis an der Wand der Suite mit dem Handy abzufotografieren, weil es, wie ihr natürlich auffallen musste, "sagenhaft schön" ist. Vom Schönen versteht diese ungewöhnliche Grammy-Größe nämlich recht viel. Sie hat kleine Federn im Haar und trägt ein Kleid aus fröhlich buntem Stoff, der sozusagen leise kichert, wenn sie unruhig hin und her rutscht. Weiß der Teufel, das mit dem Engel haut schon hin (wenn auch nur in jenem übertragenen Sinn, in dem beispielsweise Dieter Bohlen ein Dämon ist).
Die Wichtigkeit, die sie den Texten der Songs beimisst, lässt sich nicht nur an jeder Antwort ablesen, die sie zu Fragen nach einzelnen Stücken gibt, sondern auch daran, dass bestimmte sprachlich gefasste thematische Motive sie über Jahre hinweg begleiten - "Paper Airplane", etwa, meint der Interviewer, kommt ihm vor wie die Fortsetzung eines anderen Liedes übers Fliegen, "Never Got off the Ground" von der über zehn Jahre alten Soloplatte. Alison Krauss stimmt zu und erklärt: "Dieses ,Never got off the ground' erinnert mich immer an Sidney Cox" - Sänger, Gitarrist, Banjo- und Dobrospieler in der Bluegrass-Band The Cox Family, von dem einige Songs stammen, die sie aufgenommen hat; diese Band wurde von Alison Krauss gefördert, hat mit ihr musiziert und steht für die gar nicht so kleine Schnittmenge für die Klangfarben und Empfindungsgezeiten von einerseits Country- und Bluegrass-, andererseits Gospel-Musik - "der wäre eigentlich sehr gern Pilot geworden. Manchmal singe ich etwas und stelle mir vor, ich wäre jemand anderer oder gerade damit beschäftigt, über jemanden als eine Art Bild von diesem Menschen zu singen, davon, was jemand träumt, sich wünscht, was verfehlt wurde, verloren ist, als hartnäckige Sehnsucht einfach nicht verschwinden will, über etwas, das die Leute entweder quält oder aber gerade am Leben erhält."
Das ewige Herz des Gesangs: Wie sind sie denn nun, die Menschen? Gut, böse, Engel, Dämonen, FDP-Wählerinnen?
"Robert Lee Castleman zum Beispiel", erzählt sie von dem Mann, der außer dem Titelstück ihrer Soloplatte "Forget About It" auch sonst für einige der funkelndsten Kostbarkeiten in ihrem Repertoire verantwortlich zeichnet, "hat ein rauhes, brummiges, verschlossenes Äußeres. Man denkt, man müsse sich vor ihm in Acht nehmen, und er lässt sich jedenfalls von niemandem mehr bieten, als er unbedingt muss. Aber dieser Mann schreibt die betörendsten, sehnsuchtsvollsten, süßesten, magischsten Sachen der Welt. Man weiß nie vorher, was in den Menschen ist. Da sind riesige Landschaften."
Das geographische Stichwort lässt den Gesprächspartner an den Genrenamen "Country" denken; er räsoniert also ein bisschen darüber, dass nicht nur in den Menschen Landschaften zu finden sind, sondern man sich die Menschen, wenn man sie singen und spielen hört, auch immer an Orte und in Gegenden träumt, die ihrer Seelenmusik entsprechen. "Oh, ja, das weite offene Feld, da sehe ich Dan jedes Mal, wenn ich ihn spielen oder singen höre" - sie meint Dan Tyminski. Dieser Gitarrist, Mandolineur, Sänger und Songautor, dessen lebhafte und kraftvolle Soloplatten "Carry Me Across The Mountain" (2002) und "Wheels" (2008) im CD-Player selbst auf deutschen Baustellenschlaglochkriechspurautobahnen anhaltenden Truckerwahn auslösen können, singt, damit sie sich mal fünf Minuten erholen kann, auf Alben von Alison Krauss mit Union Station oft die heimatkundlichen und (durchaus nicht steinzeit- oder gar neokonservativ) herzenspatriotischen Lieder. Nach "Pastures of Plenty" auf "Lonely Runs Both Ways" hat er mit "Dustbowl Children", einer termingerecht zu den Folgen der Hypotheken- und Finanzkrise aufgenommenen Nummer über die Zustände in den Vereinigten Staaten zur Zeit der großen Depression, auch auf "Paper Airplane" wieder einen unverächtlichen kleinen Hit untergebracht.
Ein Engel? Das wäre eine Banalität
Alison Krauss ist, wie auf alle ihre Leute, auch auf ihn rechtschaffen stolz, spricht überhaupt wie ein (allerdings nicht naiver, sondern reflektierter und kenntnisreicher) Fan von allen, die ihr den Raum schaffen, in dem sie singen kann. Verrät man ihr zum Schluss der Unterhaltung, dass man "The Scarlet Tide", einen Song vom Soundtrack zum Film "Cold Mountain", der seinen Verfassern Elvis Costello und Henry Burnett eine Oscar-Nominierung einbrachte, am liebsten noch auf der eigenen Beerdigung hören würde, damit man beim Sterben wenigstens was hat, worauf man sich freuen kann, dann seufzt sie: "Oh, je, mein lieber Himmel, dieses wundervolle Lied, ich dachte immer, wieso darf ich sowas eigentlich singen, das . . . ist doch . . . viel zu. . . großartig . . ." Na immerhin, dann geht es ihr ja wenigstens selber auch nicht besser mit solchen duftenden Extremsituationen als dem Publikum. Das beruhigt.
Als Engel wäre sie eine Banalität: Klar, die singen so, die fiedeln so, im Himmel geht's nicht anders. Aber Alison Krauss ist kein Engel, sondern ein Mensch. Und dafür, dass ein endliches Geschöpf das auch zustande kriegt, was sonst die Engel tun, hat der liebe Gott, der nun mal einfach am besten weiß, wie Schöpfung geht, wie immer alles Lob verdient, das wir Menschen ihm singen können.
DIETMAR DATH
Alison Krauss,
Paper Airplane
Concord Records 1441528 (Universal)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nur Quincy Jones und Georg Solti haben noch mehr Grammys als sie: Alison Krauss hat auch sonst alles, was eine Königin braucht - liebliche Wärme, zarte Präzision, ein großes, mitfühlend' Herz.
Ein Engel sei sie halt, sagt ein Bekannter, den man bedrängt, er solle einem erklären, wieso diese Person so feine Musik macht. Dann kratzt er, ein Musikliebhaber, den man mit Country Music sonst jagen kann, sich am Ohr, verwirft die Metapher und entschuldigt sich fürs Klischee. Man mag ihm die Verlegenheit nachfühlen. Alison Krauss, um die es geht, teilt sie vielleicht sogar. Auf vielen ihrer Plattencover schaut sie jedenfalls weder herausfordernd noch werbend in die Kamera, sondern lieber gleich woandershin (auf dem neuesten, am kommenden Freitag erscheinenden Album "Paper Airplane", blickt sie, wie schon auf dem letzten Gemeinschaftswerk mit ihrer langjährigen Band Union Station, "Lonely Runs Both Ways" von 2004, aschenputtelesk zu Boden: Ob die böse Stiefmutter wohl findet, dass jetzt alles ordentlich gefegt ist?).
Das wirkt beinah, als schäme sie sich ein wenig für ihre Begabung, ihr souveränes Handwerk und die uneitle Hingabe, mit der sie sich immer wieder neu in jedes einzelne Lied wickelt wie eine bescheidene, aber knallrote Kirsche ins Teigmäntelchen.
Im Gespräch verdreht sie lustig die Augen, wenn sie von den erstklassigen Musikern (T-Bone Burnett, Dan Tyminski, Ron Block), ausgesuchten Songwritern (Jackson Browne bis Todd Rundgren) und unverwechselbaren Stimmen (Robert Plant, Gillian Welch, John Waite, First Baptist Church Choir of White House, Tennessee) schwärmt, mit denen sie hat arbeiten dürfen. In ruhiger Demut redet sie dann darüber, dass ihr Stimmvolumen leider nicht die vier computergepitchten Oktaven umfasst, an denen man heutzutage olympiareife Diven erkennt - als wäre der Umstand, dass man mit normalen Stimmbändern zuwege bringt, was Alison Krauss kann, ein Problem anstatt wichtigste Voraussetzung der beseelten Innigkeit, mit der sie ihren Melodien dient, ohne Fiorituren, Tirili und sonstige Fisimatenten, weil sie, im Gegensatz zu manch modischer Chanteuse, begriffen hat, dass Musik nun mal ganz andere Talente und menschliche Züge fordert als Sport.
"Paper Airplane" spielt, wie man das von den Platten, die sie mit Union Station aufnimmt, gewohnt ist, in allen Farben, die diese Stimme kennt. "I've put it all behind me", haucht ein elegischer Auftakt leicht geschwindelt; es geht ja erst los. "Anticipated pleasure or unexpected pain" werden begrüßt wie alte Bekannte, und "pain" findet sich ausgelegt als trauriger Ton, den man zwar nicht einfach ausstößt wie jeden andern, andererseits aber auch keinen Sekundenbruchteil zu lang halten darf, weil sonst unziemliches Gejammer draus wird. Wenn sie ein paar Nummern später "more smiles than a merry-go-round" verschenkt, dann geht das Wörtchen "smiles" hier auf wie die lebendige Sonne, der ganze Song bewegt sich von diesem Moment an wie eine rasch ausschreitende Passagierin unter vanillefarbenem Sonnenschirm, die in einem großen Western, sagen wir: von John Ford, dringend das letzte Dampfross aus Dodge City erwischen muss.
Jungmädchensporen einer Virtuosin
Zwei weitere Stücke später ist das Forsche und Gutgelaunte wieder verschwunden, stattdessen erfreut eine Abgeklärtheit, deren Klangporträt sich tapfer emanzipiert nach vorn kämpft: "Another memory is another slamming door, it's getting too dark now to seeee . . ."
Sie liebt, sagt sie, die Texte, die sie aussucht, und braucht sie. Obwohl sie sich ihre Jungmädchensporen ehedem vor allem als Geigenvirtuosin verdient hat, würde sie trotz immer wieder eintrudelnder einschlägiger Angebote niemals eine Platte einzig mit Instrumentalmusik aufnehmen wollen. Nein, jede noch so simple, einschmeichelnde, verführerische oder traurige Weise muss, findet sie, sich nicht bloß nach etwas anhören, sondern auch tatsächlich etwas sagen.
In ihrem Vokalstil schlägt sich das nieder als Deutlichkeit in lieblicher Wärme, als zarte Präzision, von der man manchmal glauben könnte, hier werde im unüblichsten Ernst recitando gesungen statt nach Melodie - nur dass das, bei aller entschiedenen Bevorzugung der syllabischen vor den melismatischen Gesangsanmutungen durch diese Künstlerin (Ausnahmen modulieren die Regel), eben doch nicht stimmt. Sie spricht nie einfach, wenn sie sich im Song bewegt, sondern klingt, klagt, rühmt, freut sich. Selbst unscheinbarste, dem Verlöschen nahe Silben sind bei ihr (auch wenn sie fast verschluckt werden, weil etwa das Wort, zu dem sie gehören, ein heiliges oder schmerzliches ist) immer noch Noten, das heißt: Perlen auf einem Seidenfaden, Tautropfen im intelligiblen Netz der Komposition.
Wenige andere singen so; man findet sie wohl eher im Jazz und anliegenden Gegenden. Gedacht werden darf dabei etwa an die tiefe Ehrerbietigkeit, die Youn Sun Nah einem Edelstandard wie "My Favourite Things" von Rodgers und Hammerstein interpretierend erweist, oder an die außerirdisch schöne Transparenz der Phrasierung von Nicolette auf "Now Is Early" von 1992 ("people would see with clarity . . . and there'd be no suffering"), an Frauen also, die mit ihrer Kunst in den berückendsten Momenten ohne große Gesten Trost und Freundlichkeit spenden, wie man jemandem eine Zigarette mit einem Streichholz anzündet (statt mit einem klobigen Feuerzeug aus Grobgold, was auch schön sein kann, aber eher "Soul" oder "R & B" heißt).
Begegnet man der tatsächlichen Person Alison Krauss, kriegt man schnell mit: Sie ist fast so zauberhaft, wie sie gut ist, weiß selbstverständlich beides und hält sich damit dennoch bedeckt - wohl weil es auch ohne Eigenlob schwer genug auszuhalten sein dürfte, wenn man von Berufs wegen andauernd Frauen, Männer und wahrscheinlich auch die aufgeweckteren unter den Hunden, Katzen und Pferden dieser Erde betört, zu Tränen rührt oder ganz wuschig macht.
Sie sitzt auf ihrem Hotelsofa, räuspert sich und reißt einen kleinen Witz über die Schwierigkeit, in einem italienischen Hotel in London indisches Essen zu bestellen. Zwischendurch steht sie auf, um das Frauenbildnis an der Wand der Suite mit dem Handy abzufotografieren, weil es, wie ihr natürlich auffallen musste, "sagenhaft schön" ist. Vom Schönen versteht diese ungewöhnliche Grammy-Größe nämlich recht viel. Sie hat kleine Federn im Haar und trägt ein Kleid aus fröhlich buntem Stoff, der sozusagen leise kichert, wenn sie unruhig hin und her rutscht. Weiß der Teufel, das mit dem Engel haut schon hin (wenn auch nur in jenem übertragenen Sinn, in dem beispielsweise Dieter Bohlen ein Dämon ist).
Die Wichtigkeit, die sie den Texten der Songs beimisst, lässt sich nicht nur an jeder Antwort ablesen, die sie zu Fragen nach einzelnen Stücken gibt, sondern auch daran, dass bestimmte sprachlich gefasste thematische Motive sie über Jahre hinweg begleiten - "Paper Airplane", etwa, meint der Interviewer, kommt ihm vor wie die Fortsetzung eines anderen Liedes übers Fliegen, "Never Got off the Ground" von der über zehn Jahre alten Soloplatte. Alison Krauss stimmt zu und erklärt: "Dieses ,Never got off the ground' erinnert mich immer an Sidney Cox" - Sänger, Gitarrist, Banjo- und Dobrospieler in der Bluegrass-Band The Cox Family, von dem einige Songs stammen, die sie aufgenommen hat; diese Band wurde von Alison Krauss gefördert, hat mit ihr musiziert und steht für die gar nicht so kleine Schnittmenge für die Klangfarben und Empfindungsgezeiten von einerseits Country- und Bluegrass-, andererseits Gospel-Musik - "der wäre eigentlich sehr gern Pilot geworden. Manchmal singe ich etwas und stelle mir vor, ich wäre jemand anderer oder gerade damit beschäftigt, über jemanden als eine Art Bild von diesem Menschen zu singen, davon, was jemand träumt, sich wünscht, was verfehlt wurde, verloren ist, als hartnäckige Sehnsucht einfach nicht verschwinden will, über etwas, das die Leute entweder quält oder aber gerade am Leben erhält."
Das ewige Herz des Gesangs: Wie sind sie denn nun, die Menschen? Gut, böse, Engel, Dämonen, FDP-Wählerinnen?
"Robert Lee Castleman zum Beispiel", erzählt sie von dem Mann, der außer dem Titelstück ihrer Soloplatte "Forget About It" auch sonst für einige der funkelndsten Kostbarkeiten in ihrem Repertoire verantwortlich zeichnet, "hat ein rauhes, brummiges, verschlossenes Äußeres. Man denkt, man müsse sich vor ihm in Acht nehmen, und er lässt sich jedenfalls von niemandem mehr bieten, als er unbedingt muss. Aber dieser Mann schreibt die betörendsten, sehnsuchtsvollsten, süßesten, magischsten Sachen der Welt. Man weiß nie vorher, was in den Menschen ist. Da sind riesige Landschaften."
Das geographische Stichwort lässt den Gesprächspartner an den Genrenamen "Country" denken; er räsoniert also ein bisschen darüber, dass nicht nur in den Menschen Landschaften zu finden sind, sondern man sich die Menschen, wenn man sie singen und spielen hört, auch immer an Orte und in Gegenden träumt, die ihrer Seelenmusik entsprechen. "Oh, ja, das weite offene Feld, da sehe ich Dan jedes Mal, wenn ich ihn spielen oder singen höre" - sie meint Dan Tyminski. Dieser Gitarrist, Mandolineur, Sänger und Songautor, dessen lebhafte und kraftvolle Soloplatten "Carry Me Across The Mountain" (2002) und "Wheels" (2008) im CD-Player selbst auf deutschen Baustellenschlaglochkriechspurautobahnen anhaltenden Truckerwahn auslösen können, singt, damit sie sich mal fünf Minuten erholen kann, auf Alben von Alison Krauss mit Union Station oft die heimatkundlichen und (durchaus nicht steinzeit- oder gar neokonservativ) herzenspatriotischen Lieder. Nach "Pastures of Plenty" auf "Lonely Runs Both Ways" hat er mit "Dustbowl Children", einer termingerecht zu den Folgen der Hypotheken- und Finanzkrise aufgenommenen Nummer über die Zustände in den Vereinigten Staaten zur Zeit der großen Depression, auch auf "Paper Airplane" wieder einen unverächtlichen kleinen Hit untergebracht.
Ein Engel? Das wäre eine Banalität
Alison Krauss ist, wie auf alle ihre Leute, auch auf ihn rechtschaffen stolz, spricht überhaupt wie ein (allerdings nicht naiver, sondern reflektierter und kenntnisreicher) Fan von allen, die ihr den Raum schaffen, in dem sie singen kann. Verrät man ihr zum Schluss der Unterhaltung, dass man "The Scarlet Tide", einen Song vom Soundtrack zum Film "Cold Mountain", der seinen Verfassern Elvis Costello und Henry Burnett eine Oscar-Nominierung einbrachte, am liebsten noch auf der eigenen Beerdigung hören würde, damit man beim Sterben wenigstens was hat, worauf man sich freuen kann, dann seufzt sie: "Oh, je, mein lieber Himmel, dieses wundervolle Lied, ich dachte immer, wieso darf ich sowas eigentlich singen, das . . . ist doch . . . viel zu. . . großartig . . ." Na immerhin, dann geht es ihr ja wenigstens selber auch nicht besser mit solchen duftenden Extremsituationen als dem Publikum. Das beruhigt.
Als Engel wäre sie eine Banalität: Klar, die singen so, die fiedeln so, im Himmel geht's nicht anders. Aber Alison Krauss ist kein Engel, sondern ein Mensch. Und dafür, dass ein endliches Geschöpf das auch zustande kriegt, was sonst die Engel tun, hat der liebe Gott, der nun mal einfach am besten weiß, wie Schöpfung geht, wie immer alles Lob verdient, das wir Menschen ihm singen können.
DIETMAR DATH
Alison Krauss,
Paper Airplane
Concord Records 1441528 (Universal)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main