Spricht man von Mosaikkunst, denkt man meist an Fußböden der griechisch-römischen Antike oder an sakrale Räume des Byzantinischen Reiches. Dass ausgerechnet die anti-religiöse Sowjetunion diese Kunstform zur Blüte führte, ist hierzulande hingegen wenig bekannt. Heute sind die oft monumentalen Fassadenmosaiken in den Nachfolgestaaten der UdSSR zu Schaufenstern einer vergangenen Welt geworden: Kosmonauten, Pioniere und Kolchosbauern illustrieren das Universum staatlich kontrollierten sowjetischen Lebens. Vor allem an den Rändern des früheren Riesenreiches zeigen sich aber auch kreativ verschlüsselte Zeichen des Widerstandes gegen den Moskauer Zentralismus. Um zu erkennen, dass Kunst in der Sowjetunion mehr war als gleichförmiger »Sozialistischer Realismus«, ist allerdings Eile geboten. Denn auch wenn der Homo sovieticus nach wie vor auf zahlreichen Hausfassaden, Brunnen oder Busstationen hoffnungsfroh in die Zukunft blickt, leiden viele der Kunstwerke unter Vandalismus, Verfall undAbriss. Das Buch zeigt eine das breite Spektrum an Gestaltungen und Motiven abdeckende Auswahl von Mosaiken aus Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgistan, Moldawien, Tadschikistan, Turkenistan, Usbekistan, Weißrussland und der Ukraine, um dieses singuläre kultur- und kunsthistorische Erbe des 20. Jahrhunderts vor dem Vergessen zu bewahren.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2020Splitter der Utopie
Zukunftsvision mit Ewigkeitshoffnung: Ein Bildband über Mosaike in Ländern der ehemaligen Sowjetunion
Von Kerstin Holm
Dass die Sowjetunion einen neuen, fortschrittsfrohen Menschen heranziehen wollte und das in gewissem Maß auch geschafft hat, vergegenwärtigen die großformatigen Mosaiken, die man bis heute an öffentlichen Gebäuden im postsowjetischen Raum von Kiew bis Almaty, von Tbilissi bis Taschkent und Duschanbe bewundern kann. Diese didaktische Kunst am Bau, die statt der im Sozialismus nahezu inexistenten Werbung den Heroismus der Arbeit, den Wert von Bildung und die Errungenschaften sowjetischer Technologie verherrlicht, erlebte in den dreißiger Jahren ihre erste Blüte in Russland, zumal in Moskaus Metrostationen, und breitete sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die anderen Republiken aus. Die Rostocker Pädagogikdozentin Katja Koch und der aus Armenien stammende Kunstdozent Aram Galstyan haben Mosaike, die unter der Sowjetmacht während der sechziger bis achtziger Jahre in den nichtrussischen Republiken entstanden sind, in einer schönen und instruktiven Publikation zusammengetragen. Das Buch bringt die Ernte ausgedehnter Reisen durch die Ukraine und Weißrussland, den Transkaukasus und Zentralasien ein. Die aus farbigen Stein- oder Keramikfragmenten zusammengesetzten Bildwerke reanimieren eine Technik, die in der römischen Antike wurzelt und in Byzanz eine sakrale Aura erwarb, um nun damit die Verheißungen des Sowjetsozialismus anschaulich zu machen. Das wird insbesondere am beliebten Sujet sowjetischer Kosmonauten deutlich, die wie lächelnde Engelwesen des technischen Zeitalters ein Kino in Bischkek, einen Verlag in Jerewan, ein Wohnhaus in Duschanbe, eine Metrostation in Minsk schmücken. Bändigung der Natur durch Wissenschaft war der neue Glaube. Ihn verkündet die halbplastische, eine steinerne Flamme vor sich hertragende Prometheusfigur am Kulturhaus der westukrainischen Industriestadt Burschtyn, aber auch der weißgewandete Gelehrte am Kiewer Krebsinstitut, der erzengelgleich einen Drachen erlegt, sowie der Feuerwehrmann an der Feuerwache von Tbilissi, der wie Superman schlangenförmige, vielköpfige Flammen mit bloßen Händen bezwingt. Darstellungen fleißiger Schüler an einem Kindergarten in Almaty sowie junger Techniker an einem Filmtheater und einer Druckerei in Duschanbe weisen den Weg aus der Rückständigkeit. Die Mosaikkünstler griffen, etwa bei Sportdarstellungen, gern auf eine antikisierende Formsprache zurück, daneben aber immer auch auf die regionale Folklore. Das verankerte die Monumentalpropaganda lokal, machte zugleich aber die nationalen Identitäten sichtbar, an denen das Völkermosaik der Sowjetunion am Ende zerbrach.
"Mosaiki. Bruchstücke einer Utopie: Mosaiken im postsowjetischen Raum". Lukas Verlag, Berlin 2019. 288 Seiten, 510 Abbildungen. Gebunden, 39,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zukunftsvision mit Ewigkeitshoffnung: Ein Bildband über Mosaike in Ländern der ehemaligen Sowjetunion
Von Kerstin Holm
Dass die Sowjetunion einen neuen, fortschrittsfrohen Menschen heranziehen wollte und das in gewissem Maß auch geschafft hat, vergegenwärtigen die großformatigen Mosaiken, die man bis heute an öffentlichen Gebäuden im postsowjetischen Raum von Kiew bis Almaty, von Tbilissi bis Taschkent und Duschanbe bewundern kann. Diese didaktische Kunst am Bau, die statt der im Sozialismus nahezu inexistenten Werbung den Heroismus der Arbeit, den Wert von Bildung und die Errungenschaften sowjetischer Technologie verherrlicht, erlebte in den dreißiger Jahren ihre erste Blüte in Russland, zumal in Moskaus Metrostationen, und breitete sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die anderen Republiken aus. Die Rostocker Pädagogikdozentin Katja Koch und der aus Armenien stammende Kunstdozent Aram Galstyan haben Mosaike, die unter der Sowjetmacht während der sechziger bis achtziger Jahre in den nichtrussischen Republiken entstanden sind, in einer schönen und instruktiven Publikation zusammengetragen. Das Buch bringt die Ernte ausgedehnter Reisen durch die Ukraine und Weißrussland, den Transkaukasus und Zentralasien ein. Die aus farbigen Stein- oder Keramikfragmenten zusammengesetzten Bildwerke reanimieren eine Technik, die in der römischen Antike wurzelt und in Byzanz eine sakrale Aura erwarb, um nun damit die Verheißungen des Sowjetsozialismus anschaulich zu machen. Das wird insbesondere am beliebten Sujet sowjetischer Kosmonauten deutlich, die wie lächelnde Engelwesen des technischen Zeitalters ein Kino in Bischkek, einen Verlag in Jerewan, ein Wohnhaus in Duschanbe, eine Metrostation in Minsk schmücken. Bändigung der Natur durch Wissenschaft war der neue Glaube. Ihn verkündet die halbplastische, eine steinerne Flamme vor sich hertragende Prometheusfigur am Kulturhaus der westukrainischen Industriestadt Burschtyn, aber auch der weißgewandete Gelehrte am Kiewer Krebsinstitut, der erzengelgleich einen Drachen erlegt, sowie der Feuerwehrmann an der Feuerwache von Tbilissi, der wie Superman schlangenförmige, vielköpfige Flammen mit bloßen Händen bezwingt. Darstellungen fleißiger Schüler an einem Kindergarten in Almaty sowie junger Techniker an einem Filmtheater und einer Druckerei in Duschanbe weisen den Weg aus der Rückständigkeit. Die Mosaikkünstler griffen, etwa bei Sportdarstellungen, gern auf eine antikisierende Formsprache zurück, daneben aber immer auch auf die regionale Folklore. Das verankerte die Monumentalpropaganda lokal, machte zugleich aber die nationalen Identitäten sichtbar, an denen das Völkermosaik der Sowjetunion am Ende zerbrach.
"Mosaiki. Bruchstücke einer Utopie: Mosaiken im postsowjetischen Raum". Lukas Verlag, Berlin 2019. 288 Seiten, 510 Abbildungen. Gebunden, 39,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main