Und nichts an mir ist freundlich ist ein unerhörtes Debüt: ein Text wie ein Wutanfall, eruptiv, kompromißlos, ungerecht und von unbändiger Energie.
Eine junge Frau, die Ich-Erzählerin, wird hin- und hergetrieben zwischen Anpassungsbedürfnis, Aufbegehren und Verstummen, sie weint, schreit, ruft und flüstert, klagt sich an, klagt die Welt an, die Familie. Der Vater: "ein Abwesenheitsmensch mit Geschenken"; die Mutter: "habe mich innerlich nie an ihr festhalten können, weil da das Bügeleisen war und die Haarbürste und die Tritte am Treppengeländer"; das Leben: "ein großer Pfusch". Dem Kind hatten die wilde Wiese neben dem Haus und Worte "wie Tabletten geschluckt" als Zuflucht gedient. Und jetzt: die Wiese "ratzekahl abgemäht, nämlich elektrisch", der Garten "durch väterliche Hände unfruchtbar gemacht", das Ich rastlos unterwegs auf Friedhöfen, Autobahngrünstreifen, Brachen. Doch in der Schreibarbeit wird "aus der Wut, dem Haß, dem Jähzorn eine Kraft", die die Worte aus ihren kümmerlichen Zier- und Nutzbeeten befreit und sie aussetzt: in einem Garten, in dem eine existentielle Sprache wächst und also eine poetische.Dies ist kein besonders lesenswertes Buch, aber wenn Sie einen Garten haben oder wenn Sie auch einen suchen, dann sollten Sie es unbedingt lesen und sich bei der Autorin melden. Bitte laden Sie sie in Ihren Garten ein und lassen Sie sie mit den Apfelbäumen allein.
Eine junge Frau, die Ich-Erzählerin, wird hin- und hergetrieben zwischen Anpassungsbedürfnis, Aufbegehren und Verstummen, sie weint, schreit, ruft und flüstert, klagt sich an, klagt die Welt an, die Familie. Der Vater: "ein Abwesenheitsmensch mit Geschenken"; die Mutter: "habe mich innerlich nie an ihr festhalten können, weil da das Bügeleisen war und die Haarbürste und die Tritte am Treppengeländer"; das Leben: "ein großer Pfusch". Dem Kind hatten die wilde Wiese neben dem Haus und Worte "wie Tabletten geschluckt" als Zuflucht gedient. Und jetzt: die Wiese "ratzekahl abgemäht, nämlich elektrisch", der Garten "durch väterliche Hände unfruchtbar gemacht", das Ich rastlos unterwegs auf Friedhöfen, Autobahngrünstreifen, Brachen. Doch in der Schreibarbeit wird "aus der Wut, dem Haß, dem Jähzorn eine Kraft", die die Worte aus ihren kümmerlichen Zier- und Nutzbeeten befreit und sie aussetzt: in einem Garten, in dem eine existentielle Sprache wächst und also eine poetische.Dies ist kein besonders lesenswertes Buch, aber wenn Sie einen Garten haben oder wenn Sie auch einen suchen, dann sollten Sie es unbedingt lesen und sich bei der Autorin melden. Bitte laden Sie sie in Ihren Garten ein und lassen Sie sie mit den Apfelbäumen allein.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.04.2007Diese Abneigung gegen alle vorgeschriebenen Orte
Litanei der Nichteingliederung: Ariane Breidensteins Monolog „Und nichts an mir ist freundlich”
Der Suhrkamp Verlag hat eine Frühjahrsoffensive gestartet. Vier Autoren werden unter einer gemeinsamen Standarte auf das Feld der jungen deutschen Literatur gestellt. Auf diesem, das soll gezeigt werden, kann sich der Verlag behaupten, und zwar mit einer Truppe von anspruchsvollen, der reinen Gefälligkeit unverdächtigen Schriftstellern. Die Vier – sie heißen Ariane Breidenstein, Paul Brodowsky Thomas Melle und Kevin Vennemann und sind nicht älter als 33 Jahre alt – machen gemeinsame Lesungen und haben eine gemeinsame Internetseite. Dort wird auch eine Foto-Aktion dokumentiert, die das Verlagsmarketing auf der Leipziger Buchmesse organisiert hat: Unzählige gewöhnliche Messenbesucher halten eine Spruchkarte mit dem Motto dieser Suhrkamp-Unternehmung in der Hand: „Und nichts an mir ist freundlich”, und sie schauen damit in die Kamera. Das ist putzig, denn vielen dieser Menschen gelingt es nicht, die freundliche Seite ihrer Persönlichkeit auf den Schnappschüssen zu verbergen.
Kein Zweifel, die Ich-Figur von Ariane Breidensteins mottogebendem Buch „Und nichts an mir ist freundlich” fände diese Aktion ganz furchtbar. „Das Fatale ist ja”, sagt sie einmal, „dass die Menschen keine Gesichter mehr haben. Man kann ihnen ja kaum in die Augen schauen ohne zu kotzen.”
Dieses Buch, ein handlungsfreier Monolog einer jungen Frau, angemessenerweise ohne Gattungsbezeichnung publiziert, führt gleich ab der ersten Seite vor, dass wir es mit Literatur zu tun haben, die gerade nicht gruppenfähig ist. Und zwar nicht bloß in dem Sinne, dass jede veranstaltete literarische oder künstlerische Kollektivbildung etwas Falsches hat, wenn der individuelle Künstler in den Blick kommt. Vielmehr ist Breidensteins Text eine selbstfixierte Litanei der Nichteingliederung, welche Antrieb und Ausfluss des Schreibens zugleich ist. In den eingängigeren Passagen dieser beinahe absatzlosen Prosa klingt das so: „Also ich mit meiner Angst, in der Stadt, allein, ich könnte z.B. nicht auf Toilette gehen in einem Café in dem ich nicht Gast bin, aber Gast kann und will ich nicht sein, mit meiner Angst, der Abneigung gegen alle vorgeschriebenen Orte. Ich meine, gehen Sie durch die Stadt. Man schreibt Ihnen vor, wie Sie zu gehen, zu stehen, zu sitzen haben. Die Parks, bis auf wenige Ecken, sind auch schon infiltriert. Was sich da alles rumtreibt, Leute die gesehen werden wollen, Leute die nicht gesehen werden wollen, wie ich.”
In Form und Inhalt ist dieses Debüt meilenweit vom Pop, meilenweit auch von dem Beziehungspingpong und der Dialogfreudigkeit der jüngeren Schreibschulenliteratur entfernt. Der Leser wird an einer mühevollen Lektion beteiligt, des Inhalts, dass eine radikale Distanzierung von der Familie und von der Welt als ganzer nicht ohne Aufgabe der Selbstschonung zu haben ist. Dieser Frau tut die Erinnerung an ihre Eltern weh, an die immer laute und am Ende krebskranke Mutter („sie ist ja dann glücklicherweise doch noch gestorben”) und an den Vater, der immer in ihren geliebten Kindheitsgarten mit kleinbürgerlichen Bepflanzungen eingegriffen hat. Und so tut sie auch sich selber weh: Jener Garten ist der unerreichbare Sehnsuchtsort, den sie gegen die garstigen Ansprüche des Erwachsenseins besessen wiederherzustellen sucht, obgleich sie selbst weiß, dass das nicht geht.
Lungenprobleme, Essstörungen
Zu diesem Zweck sucht unsere Heldin, die keine ist, die Enklaven inmitten der Zivilisation auf, also nicht die „Natur”, sondern die von Grün bewucherten Brachen in der Nähe von Bahngleisen, Fabriken und Autobahnen. Hier sucht sie den inhaltsfreien Stillstand, um die rationalen Anforderungen eines Lebens auszuschalten, „das eine einzige versagte und versagende Kindheit ist”. Und so kann sie auch die Dichterin Emily Dickinson nicht bedauern, sondern nur beneiden um ihre lebenslange Beschränkung auf Haus und Garten.
Aus dem Fortgang des monomanischen Textes, dessen Gestaltung sich recht deutlich in eine bestimmte Suhrkamp-Tradition stellen will (Beckett, Bernhard, Bachmann) schält sich dann langsam eine Person heraus: eine aufgelaufene Lehramtskandidatin, die aus dem Bergischen Land nach Berlin gezogen ist, Spuren intensiver Lektüren und Assoziationen aus der postmodernen Theorie mit sich herumträgt sowie Lungenprobleme und Essstörungen hat. Der ersten Frage, mit der man da bei Lesungen rechnen muss, nämlich der nach Parallelen zur Biographie der Autorin, begegnet diese zwar nicht mit einer Antwort, aber doch mit immanenten Reflexionen über das Verhältnis von Leben und Schreiben: Der abgebildete Formulierungsprozess soll eine Therapie der Selbstbewältigung sein, die „Schreibarbeit” eine „Schutzschicht” bilden – und doch droht sie, eingestandenermaßen, zu nichts als einer eskapistischen „Entleerung” zu werden, von welcher an mehreren Stellen die Rede ist.
Dieses Buch ist kein Vergnügen. Es ist, allem heißen Zorn zum Trotz, die gefriergetrocknete Instantform eines gescheiterten Bildungsromans. Am Ende weiß der Leser nicht recht, ob er angesichts der zur Schau gestellten Verstörung Respekt oder Bedauern empfinden soll. Und er weiß auch nicht, welches der beiden Gefühle eher ein mitmenschliches und welches eher ein ästhetisches ist. Wenn es die Absicht dieses Buches war, diese Unsicherheit zu erzeugen, dann kann man es als gelungen bezeichnen. JOHAN SCHLOEMANN
ARIANE BREIDENSTEIN: Und nichts an mir ist freundlich. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 140 Seiten, 14,80 Euro.
„Es gibt, wenn man aufmerksam ist”, sagt Ariane Breidensteins Protagonistin, „sehr viele Grundstücke, die von Bauzäunen locker umgeben sind oder Bretterverschlägen oder Maschendraht, städtische und private, . . . auf denen man sich rumtreiben kann, ohne dass einen jemand stört.” Foto: Stefan Noebel-Heise/transit
Ariane Breidenstein, Jahrgang 1974, hat ihr Debüt vorgelegt. Foto: Suhrkamp
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Litanei der Nichteingliederung: Ariane Breidensteins Monolog „Und nichts an mir ist freundlich”
Der Suhrkamp Verlag hat eine Frühjahrsoffensive gestartet. Vier Autoren werden unter einer gemeinsamen Standarte auf das Feld der jungen deutschen Literatur gestellt. Auf diesem, das soll gezeigt werden, kann sich der Verlag behaupten, und zwar mit einer Truppe von anspruchsvollen, der reinen Gefälligkeit unverdächtigen Schriftstellern. Die Vier – sie heißen Ariane Breidenstein, Paul Brodowsky Thomas Melle und Kevin Vennemann und sind nicht älter als 33 Jahre alt – machen gemeinsame Lesungen und haben eine gemeinsame Internetseite. Dort wird auch eine Foto-Aktion dokumentiert, die das Verlagsmarketing auf der Leipziger Buchmesse organisiert hat: Unzählige gewöhnliche Messenbesucher halten eine Spruchkarte mit dem Motto dieser Suhrkamp-Unternehmung in der Hand: „Und nichts an mir ist freundlich”, und sie schauen damit in die Kamera. Das ist putzig, denn vielen dieser Menschen gelingt es nicht, die freundliche Seite ihrer Persönlichkeit auf den Schnappschüssen zu verbergen.
Kein Zweifel, die Ich-Figur von Ariane Breidensteins mottogebendem Buch „Und nichts an mir ist freundlich” fände diese Aktion ganz furchtbar. „Das Fatale ist ja”, sagt sie einmal, „dass die Menschen keine Gesichter mehr haben. Man kann ihnen ja kaum in die Augen schauen ohne zu kotzen.”
Dieses Buch, ein handlungsfreier Monolog einer jungen Frau, angemessenerweise ohne Gattungsbezeichnung publiziert, führt gleich ab der ersten Seite vor, dass wir es mit Literatur zu tun haben, die gerade nicht gruppenfähig ist. Und zwar nicht bloß in dem Sinne, dass jede veranstaltete literarische oder künstlerische Kollektivbildung etwas Falsches hat, wenn der individuelle Künstler in den Blick kommt. Vielmehr ist Breidensteins Text eine selbstfixierte Litanei der Nichteingliederung, welche Antrieb und Ausfluss des Schreibens zugleich ist. In den eingängigeren Passagen dieser beinahe absatzlosen Prosa klingt das so: „Also ich mit meiner Angst, in der Stadt, allein, ich könnte z.B. nicht auf Toilette gehen in einem Café in dem ich nicht Gast bin, aber Gast kann und will ich nicht sein, mit meiner Angst, der Abneigung gegen alle vorgeschriebenen Orte. Ich meine, gehen Sie durch die Stadt. Man schreibt Ihnen vor, wie Sie zu gehen, zu stehen, zu sitzen haben. Die Parks, bis auf wenige Ecken, sind auch schon infiltriert. Was sich da alles rumtreibt, Leute die gesehen werden wollen, Leute die nicht gesehen werden wollen, wie ich.”
In Form und Inhalt ist dieses Debüt meilenweit vom Pop, meilenweit auch von dem Beziehungspingpong und der Dialogfreudigkeit der jüngeren Schreibschulenliteratur entfernt. Der Leser wird an einer mühevollen Lektion beteiligt, des Inhalts, dass eine radikale Distanzierung von der Familie und von der Welt als ganzer nicht ohne Aufgabe der Selbstschonung zu haben ist. Dieser Frau tut die Erinnerung an ihre Eltern weh, an die immer laute und am Ende krebskranke Mutter („sie ist ja dann glücklicherweise doch noch gestorben”) und an den Vater, der immer in ihren geliebten Kindheitsgarten mit kleinbürgerlichen Bepflanzungen eingegriffen hat. Und so tut sie auch sich selber weh: Jener Garten ist der unerreichbare Sehnsuchtsort, den sie gegen die garstigen Ansprüche des Erwachsenseins besessen wiederherzustellen sucht, obgleich sie selbst weiß, dass das nicht geht.
Lungenprobleme, Essstörungen
Zu diesem Zweck sucht unsere Heldin, die keine ist, die Enklaven inmitten der Zivilisation auf, also nicht die „Natur”, sondern die von Grün bewucherten Brachen in der Nähe von Bahngleisen, Fabriken und Autobahnen. Hier sucht sie den inhaltsfreien Stillstand, um die rationalen Anforderungen eines Lebens auszuschalten, „das eine einzige versagte und versagende Kindheit ist”. Und so kann sie auch die Dichterin Emily Dickinson nicht bedauern, sondern nur beneiden um ihre lebenslange Beschränkung auf Haus und Garten.
Aus dem Fortgang des monomanischen Textes, dessen Gestaltung sich recht deutlich in eine bestimmte Suhrkamp-Tradition stellen will (Beckett, Bernhard, Bachmann) schält sich dann langsam eine Person heraus: eine aufgelaufene Lehramtskandidatin, die aus dem Bergischen Land nach Berlin gezogen ist, Spuren intensiver Lektüren und Assoziationen aus der postmodernen Theorie mit sich herumträgt sowie Lungenprobleme und Essstörungen hat. Der ersten Frage, mit der man da bei Lesungen rechnen muss, nämlich der nach Parallelen zur Biographie der Autorin, begegnet diese zwar nicht mit einer Antwort, aber doch mit immanenten Reflexionen über das Verhältnis von Leben und Schreiben: Der abgebildete Formulierungsprozess soll eine Therapie der Selbstbewältigung sein, die „Schreibarbeit” eine „Schutzschicht” bilden – und doch droht sie, eingestandenermaßen, zu nichts als einer eskapistischen „Entleerung” zu werden, von welcher an mehreren Stellen die Rede ist.
Dieses Buch ist kein Vergnügen. Es ist, allem heißen Zorn zum Trotz, die gefriergetrocknete Instantform eines gescheiterten Bildungsromans. Am Ende weiß der Leser nicht recht, ob er angesichts der zur Schau gestellten Verstörung Respekt oder Bedauern empfinden soll. Und er weiß auch nicht, welches der beiden Gefühle eher ein mitmenschliches und welches eher ein ästhetisches ist. Wenn es die Absicht dieses Buches war, diese Unsicherheit zu erzeugen, dann kann man es als gelungen bezeichnen. JOHAN SCHLOEMANN
ARIANE BREIDENSTEIN: Und nichts an mir ist freundlich. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 140 Seiten, 14,80 Euro.
„Es gibt, wenn man aufmerksam ist”, sagt Ariane Breidensteins Protagonistin, „sehr viele Grundstücke, die von Bauzäunen locker umgeben sind oder Bretterverschlägen oder Maschendraht, städtische und private, . . . auf denen man sich rumtreiben kann, ohne dass einen jemand stört.” Foto: Stefan Noebel-Heise/transit
Ariane Breidenstein, Jahrgang 1974, hat ihr Debüt vorgelegt. Foto: Suhrkamp
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2007Bitte recht unfreundlich
Neue Sachbücher erklären uns Phobien. Die Literatur hat da auch etwas zu bieten: Ariane Breidenstein verarbeitet im Roman ihre verkorkste, angstvolle Jugend.
Der Titel ließ einiges erwarten: "Und nichts an mir ist freundlich", das erzählerische Debüt von Ariane Breidenstein, wurde nicht nur unter Avantgardeverdacht gestellt, sondern verhalf einer (vermeintlichen) ganzen Bewegung zum Etikett - der "neuen Unfreundlichkeit". Womöglich eingeschüchtert von der graubraunen Titelzeichnung, die den von strähnig-langem Haar verdeckten, gesenkten Kopf einer jungen Frau zeigt, die sich offensichtlich erbricht, wurde es auch schon für gefährlich erklärt. Alles zum Kotzen? Das Manifest einer neuen Null-Bock-Generation?
Das Buch ist aber weder unfreundlich noch gefährlich. Und avantgardistisch? Denkt man an die künstlerischen Avantgarden des vergangenen Jahrhunderts, muss man auch von dieser Bezeichnung absehen. Dennoch lohnt es sich, das Buch zu lesen. Um die Ich-Erzählerin Ariane ist es, um es freundlich zu sagen, nicht gut bestellt. In ihrem Kopf wuchert die Angst, die tiefverwurzelte und nie behobene Furcht vor dem Alleinsein und der Nichtbeachtung, die den ohnehin gehetzten Sprachfluss durch dazwischenschießende Erinnerungsfetzen immer wieder durchbricht. Schuld sind die Eltern: der Vater "ein Abwesenheitsmensch mit Geschenken"; an der Mutter hat sie sich nie festhalten können, die Kindheit "vereinnahmt von zugeschlagenen Türen", das Leben ein einziger "großer Pfusch". Aussicht auf Besserung scheint nicht zu bestehen: "Ich bin immer ein Kind geblieben." Mit Ausweich- und Ablenkungsmanövern schlägt sie sich durch: Menschlicher Umgang wird entweder generalstabsmäßig geplant oder völlig gemieden. Läuft es dennoch anders als geplant, dann entlädt sich die Angst in Selbstzerstörung oder Selbstmordvisionen, in Wut, Hass und Jähzorn. Hier steht jemand immerzu am Abgrund, stolpert und strauchelt, wütet und weint, dauernd auf der Flucht vor dem Ich und der Welt - und hält plötzlich inne: "Es ist, auch das musst Du zulassen, rede ich mir zu - mich wieder tröstend in den Arm nehmend -, eine Frage des Hautwiderstandes, nicht der Handlung." Die Kehrseite der seelischen Deformation wird zum Überlebensprogramm: "Lass uns denken." Und was sie denkt, schreibt sie auf.
Dass dabei manches kryptisch bleibt, wird man entschuldigen. Gerade die vorsätzlichen Brüche, Sprünge und Leerstellen lassen dann aber doch einen avantgardistischen Impuls spüren: Unverständlichkeit als Darstellungsmittel des zurückgenommenen Anspruchs ganzheitlichen Weltverstehens. Indem Ariane ihren wenig gesellschaftsfähigen Gedanken eine Form gibt - "ich bin gegen das Kinderkriegen und gegen Mehrfamilienhäuser, für eine Polygamie mit Bäumen und dann eine Plane über den Kopf an einem Teich im Regen" -, schafft sie sich eine eigene, sehr eigenwillige Welt, die ihr auch keiner mehr wegnehmen kann, wie der Vater damals, der den elterlichen Garten, das letzte Refugium, zerstörte: abgemäht und zubetoniert.
Der Witz an diesem sperrigen Buch, der es über ein Schreiben als selbsttherapeutischen Zweck hinaushebt, ist also gar nicht die Unfreundlichkeit; es ist die Suche nach dem verlorenen Paradies. Aus der Aussichtslosigkeit des Unterfangens - Ariane findet nur zugepflasterte Gärten, Brachen voller Müll, heruntergekommene Friedhöfe - erwächst die schriftstellerische Fähigkeit der Autorin: Mal lässt sie die Fülle ihres Wortmaterials wuchern, mal, vielleicht ein wenig zu selten, schneidet sie diese zurück und schlägt vorsichtige Schneisen in das Dickicht. Wir sind hier, um im Bild zu bleiben, fern von gepflegten Landschafts- oder Barockgärten, und auch zu Stefan Georges verwildertem, totgesagtem Park ist es weit, der hermetisches Gegenbild und nicht Abbild der Neuzeitlichkeit sein wollte. Ariane Breidenstein führt den Leser durch einen ungesund wuchernden Garten. Sie bleibt aber nicht resignativ vor dem wachsenden Chaos der Welt stehen, deren Abbild sie beschreibt, sondern zeigt Ansätze, wie die zerstörerische Gewalt des Lebens durch Kunst eindämmbar ist. Auf Dauer will man sich darin aber nicht aufhalten. Daher bleibt zu hoffen, dass sie beim nächsten Mal Voltaires Rat berücksichtigt: Ein Garten will kultiviert sein.
FRIEDERIKE REENTS
Ariane Breidenstein: "Und nichts an mir ist freundlich". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 140 S., geb., 14,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neue Sachbücher erklären uns Phobien. Die Literatur hat da auch etwas zu bieten: Ariane Breidenstein verarbeitet im Roman ihre verkorkste, angstvolle Jugend.
Der Titel ließ einiges erwarten: "Und nichts an mir ist freundlich", das erzählerische Debüt von Ariane Breidenstein, wurde nicht nur unter Avantgardeverdacht gestellt, sondern verhalf einer (vermeintlichen) ganzen Bewegung zum Etikett - der "neuen Unfreundlichkeit". Womöglich eingeschüchtert von der graubraunen Titelzeichnung, die den von strähnig-langem Haar verdeckten, gesenkten Kopf einer jungen Frau zeigt, die sich offensichtlich erbricht, wurde es auch schon für gefährlich erklärt. Alles zum Kotzen? Das Manifest einer neuen Null-Bock-Generation?
Das Buch ist aber weder unfreundlich noch gefährlich. Und avantgardistisch? Denkt man an die künstlerischen Avantgarden des vergangenen Jahrhunderts, muss man auch von dieser Bezeichnung absehen. Dennoch lohnt es sich, das Buch zu lesen. Um die Ich-Erzählerin Ariane ist es, um es freundlich zu sagen, nicht gut bestellt. In ihrem Kopf wuchert die Angst, die tiefverwurzelte und nie behobene Furcht vor dem Alleinsein und der Nichtbeachtung, die den ohnehin gehetzten Sprachfluss durch dazwischenschießende Erinnerungsfetzen immer wieder durchbricht. Schuld sind die Eltern: der Vater "ein Abwesenheitsmensch mit Geschenken"; an der Mutter hat sie sich nie festhalten können, die Kindheit "vereinnahmt von zugeschlagenen Türen", das Leben ein einziger "großer Pfusch". Aussicht auf Besserung scheint nicht zu bestehen: "Ich bin immer ein Kind geblieben." Mit Ausweich- und Ablenkungsmanövern schlägt sie sich durch: Menschlicher Umgang wird entweder generalstabsmäßig geplant oder völlig gemieden. Läuft es dennoch anders als geplant, dann entlädt sich die Angst in Selbstzerstörung oder Selbstmordvisionen, in Wut, Hass und Jähzorn. Hier steht jemand immerzu am Abgrund, stolpert und strauchelt, wütet und weint, dauernd auf der Flucht vor dem Ich und der Welt - und hält plötzlich inne: "Es ist, auch das musst Du zulassen, rede ich mir zu - mich wieder tröstend in den Arm nehmend -, eine Frage des Hautwiderstandes, nicht der Handlung." Die Kehrseite der seelischen Deformation wird zum Überlebensprogramm: "Lass uns denken." Und was sie denkt, schreibt sie auf.
Dass dabei manches kryptisch bleibt, wird man entschuldigen. Gerade die vorsätzlichen Brüche, Sprünge und Leerstellen lassen dann aber doch einen avantgardistischen Impuls spüren: Unverständlichkeit als Darstellungsmittel des zurückgenommenen Anspruchs ganzheitlichen Weltverstehens. Indem Ariane ihren wenig gesellschaftsfähigen Gedanken eine Form gibt - "ich bin gegen das Kinderkriegen und gegen Mehrfamilienhäuser, für eine Polygamie mit Bäumen und dann eine Plane über den Kopf an einem Teich im Regen" -, schafft sie sich eine eigene, sehr eigenwillige Welt, die ihr auch keiner mehr wegnehmen kann, wie der Vater damals, der den elterlichen Garten, das letzte Refugium, zerstörte: abgemäht und zubetoniert.
Der Witz an diesem sperrigen Buch, der es über ein Schreiben als selbsttherapeutischen Zweck hinaushebt, ist also gar nicht die Unfreundlichkeit; es ist die Suche nach dem verlorenen Paradies. Aus der Aussichtslosigkeit des Unterfangens - Ariane findet nur zugepflasterte Gärten, Brachen voller Müll, heruntergekommene Friedhöfe - erwächst die schriftstellerische Fähigkeit der Autorin: Mal lässt sie die Fülle ihres Wortmaterials wuchern, mal, vielleicht ein wenig zu selten, schneidet sie diese zurück und schlägt vorsichtige Schneisen in das Dickicht. Wir sind hier, um im Bild zu bleiben, fern von gepflegten Landschafts- oder Barockgärten, und auch zu Stefan Georges verwildertem, totgesagtem Park ist es weit, der hermetisches Gegenbild und nicht Abbild der Neuzeitlichkeit sein wollte. Ariane Breidenstein führt den Leser durch einen ungesund wuchernden Garten. Sie bleibt aber nicht resignativ vor dem wachsenden Chaos der Welt stehen, deren Abbild sie beschreibt, sondern zeigt Ansätze, wie die zerstörerische Gewalt des Lebens durch Kunst eindämmbar ist. Auf Dauer will man sich darin aber nicht aufhalten. Daher bleibt zu hoffen, dass sie beim nächsten Mal Voltaires Rat berücksichtigt: Ein Garten will kultiviert sein.
FRIEDERIKE REENTS
Ariane Breidenstein: "Und nichts an mir ist freundlich". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 140 S., geb., 14,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Als "Litanei der Nichteingliederung" bezeichnet Johan Schloemann dieses Buch von Ariane Breidenstein. Er scheint sich ein wenig uneins, wie er den handlungsfreien Monolog einer jungen Frau - es handelt sich offensichtlich um eine abgebrochene Lehramtsstudentin mit postmodernem Hintergrundwissen und Essstörungen - denn nun finden soll. Die Lektüre des Buchs ist für ihn jedenfalls kein "Vergnügen". Angesichts der schonungslosen, radikalen Distanzierung der jungen Frau von ihrer Familie und ihrer "zur Schau gestellten" Verstörung wisse der Leser am Ende nicht, ob er "Respekt oder Bedauern empfinden soll". Letztlich fällt Schloemanns Besprechung allerdings doch eher kritisch aus, wenn er das Buch "allem heißen Zorn zum Trotz" als " gefriergetrocknete Instantform eines gescheiterten Bildungsromans" beurteilt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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