Ihre Patienten sind ohne Ausnahme unbekleidet, treten nach ihr und bringen Astrid Brandl regelmäßig in »beschissene« Situationen. Doch es muss schon mehr passieren, damit die Tierärztin aus den Gummistiefeln kippt. Zwischen Milchkuh und Miezekatze erlebt sie tierische Geschichten - da kann es schon mal passieren, dass man bei einer Grippe aus Verzweiflung die Schweinemedizin schluckt ...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.09.2013Frau Doktor und das liebe Vieh
„A Frau. In Gotts Nam, des aa no.“ Astrid Brandl ist Rindertierärztin – ihre Erlebnisse sind bisweilen schmerzhaft, häufig aber auch skurril.
Die 36-Jährige, die selbst einen Hof mit 80 Kühen bewirtschaftet, hat ein Buch über ihre Arbeit geschrieben
VON HANS KRATZER
München – Astrid Brandl, 36, ist bestimmt nicht wehleidig, aber seit drei Wochen humpelt sie, das Knie ist dick geschwollen. Eine Kuh habe sie heftig getreten, erzählt die aus der Nähe von Trostberg stammende Tierärztin erstaunlich unaufgeregt. Das Malheur geschah, nachdem sie auf einen Bauernhof gerufen worden war. „Die Kuh hatte so heftige Kolikschmerzen, dass es sie hin- und herwarf, sie musste sofort operiert werden.“ Die Veterinärin betäubte das Tier und schnitt ihm den Bauch auf, dann ein kurzer Moment der Unachtsamkeit: „Da hat sie mir eine duscht, dass ich bis in die Streubox geflogen bin.“
Nun dämmerte im Stall die Apokalypse: In der Box die bewusstlose Tierärztin, daneben die Kuh mit dem offenen Bauch und mittendrin der schockierte Bauer, der wenigstens noch den Notarzt alarmierte. Diesem wiederum schwante wegen der blutüberströmten Frau das Schlimmste, aber an ihr klebte ja nur das Blut der Kuh. Außer dem Sanka und dem Rettungshubschrauber waren nun auch der Besamer und der Milchfahrer eingetroffen, alle waren sehr aufgeregt, aber erst musste die Kuh versorgt werden. Der Notarzt bedeckte den offenen Bauch schließlich mit einem sterilen Verband und resümierte aus seiner Warte als Humanmediziner: „Das war das erste richtige Rindviech, das ich behandelt habe.“ Astrid Brandl wurde unterdessen ins Krankenhaus verlagert, wo sie die dramatischen Ereignisse schnell verdaute. „Es war mein erster schwerer Unfall in zehn Jahren als Tierärztin“, sagt sie, „obwohl ich aufgepasst hatte.“ Aber eine Kuh mit rasenden Schmerzen ist halt unberechenbar.
Der berufliche Wirkungskreis von Astrid Brandl beschränkt sich überwiegend auf den Chiemgau, ihr Alltag ist aller Gefahren zum Trotz überschaubar, aber er ist, wie die obige Geschichte zeigt, kein bisserl langweilig. Und weil sie eine begnadete Erzählerin ist, kann jetzt auch die Öffentlichkeit an ihrem bewegten Tierarztleben teilhaben und sich bei aller Dramatik an ihren Geschichten köstlich amüsieren. Denn der bäuerliche Alltag und die Interaktion zwischen Landwirt und Arzt sind selten so unterhaltsam und kurzweilig aufgeschrieben worden wie in Astrid Brandls soeben erschienenem Erstlingsbuch „Eine Kuh macht muh – viele Kühe machen Mühe“.
Die Tierärztin schildert darin selbst erlebte Episoden, die man sich in ihrer Skurrilität gar nicht ausdenken kann. Sie zeigt dem Leser mit einem Augenzwinkern Facetten bäuerlicher Lebensentwürfe, etwa den eines Geschwisterpaares, an dessen Mittagstisch sich auch die lieben Haustiere bedienen dürfen: „Eine Katze machte direkt am Suppentopf Männchen, hielt sich mit den Vorderpfoten am Rand des Topfes fest und schlabberte die Suppe einfach direkt aus der Quelle.“ Packend sind auch die Abstecher in die tierische Anatomie, die streckenweise die Nerven reizen, weil Astrid Brandl eben detailgenau schildert, wie das so ist, wenn eine Nachgeburt festhängt und die Tierärztin „wie ein einarmiger Schwimmer“ in die Kuh hineinkrault oder wenn sie händisch stinkendes Sekret aus den Analdrüsen einer trächtigen Kuh ausdrückt. Auch wenn das unappetitlich klingen mag, so folgt dem Blick hinter die Stalltür dennoch fast immer eine Prise Situationskomik. Denn nicht zuletzt geht es Brandl um den Beweis, dass Rindertierarzt durchaus ein Frauenberuf ist, mag er auch körperlich anstrengend sein. Sie ist überzeugt davon, dass Frauen Kühe besser verstehen. „Man muss sich eben zu helfen wissen, um die Vorurteile abzubauen“, sagt sie. Nach wie vor werden die Viechdoktorinnen auf Bauernhöfen oft skeptisch beäugt: „A Frau. In Gotts Nam, des aa no.“
Vor drei Jahren ist Astrid Brandl als Autorin entdeckt worden. Josef Winkler, der verantwortliche Redakteur der bayerischen Kult-Zeitschrift MUH überredete sie, eine Kolumne zu schreiben. Er kannte sie von jung auf und wusste, wie „gwappelt“ sie schon immer über die Geschehnisse im Kuhstall erzählen konnte. Astrid Brandl ist selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen, wo sie quasi mit dem Kaibeziang sozialisiert wurde. Dieses legendäre Wort beschreibt den Geburtsvorgang, wenn das ungeborene Kalb ungünstig liegt und mit Muskelkraft, Stricken und unter Einsatz einer Portion Gleitschleims aus der Kuh gezogen werden muss.
Neben ihrer Tierarzt-Tätigkeit bewirtschaftet Frau Brandl auch noch den Hof ihrer Eltern, wo sie immerhin 80 Kühe versorgt. Obwohl ihre Tage damit voll ausgefüllt sind, hat sie nächtens die Zeit gefunden, um das Buch fertigzustellen. Mit ihrer MUH -Kolumne hat sie sich eine große Fangemeinde erschrieben, wodurch der Piper-Verlag auf sie aufmerksam wurde. Und deshalb liegen nun 25 neue Geschichten aus den anonymisierten Kuhställen des Chiemgaus vor. Und gerade weil sie mit ihrer Tragik und ihrer Komik oft den Grat zwischen Leben und Tod ausloten, ist es auch ein philosophisches Buch geworden, das im kleinen Viecherkosmos die großen Fragen unserer Existenz berührt.
Dazu zählen natürlich auch die Nöte einsamer Jungbauern, die keine Frau finden und der Tierärztin unbeholfene Avancen machen, die sie souverän zu kontern weiß. Schwieriger wird es, wenn die Mütter eine Schwiegertochter ködern wollen. Da kommt es sogar vor, dass ihr eine Bäuerin einen 20-Euro-Schein zusteckt. „Da, des nimmst mit! Du gfällst mir!“ Auch mit der Russenmafia hatte Astrid Brandl schon Kontakt. Damals, als nach Mitternacht eine Stimme am Telefon tönte: „Insere Hund is iberfahren!“ Sie eilte zur Praxis, wo zwei Männer mit breiten Schultern auf sie warteten und einen kleinen Hund beweinten. Der war sichtlich tot. „War Anschlag“, erzählten sie ihr, auf Rache sinnend. „Könne wir nix zu Polizei gehen“, machten sie ihr klar, das solle sie erledigen. „Ich blickte in Abgründe“, erinnert sich Frau Brandl, die das unheimliche Duo dann irgendwie ins Freie lotste und schnell die Türe zusperrte.
Wer die Geschichten liest, kapiert schnell, dass brenzlige Situationen das tägliche Brot eines Tierarzt sind. Einmal hatte Astrid Brandl eine Katze eingeschläfert, ein Routinevorgang, bis die Besitzerin eine Stunde später aufgelöst anrief, die Katze lebe noch. Welch ein Horror für eine junge Tierärztin, die in einem solchen Moment vergisst, dass Katzengedärme auch nach dem Tode noch schwer rumoren.
Astrid Brandl, Eine Kuh macht muh – viele Kühe machen Mühe. Geschichten einer furchtlosen Landtierärztin. Piper Verlag, 220 Seiten, 9,99 Euro
Die Autorin beschreibt mit einem
Augenzwinkern sämtliche
Facetten bäuerlichen Lebens
Sie begegnet auch Jungbauern,
die keine Frau finden und
der Tierärztin Avancen machen
Nicht immer verläuft das Zusammentreffen mit einer kranken Kuh so friedlich wie auf unserem Foto. Astrid Brandl hat einen
anstrengenden Beruf, was sie nicht davon abhält, ihm auch viele heitere Seiten abzugewinnen.
FOTO: WAASMANN/PIPER-VERLAG
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„A Frau. In Gotts Nam, des aa no.“ Astrid Brandl ist Rindertierärztin – ihre Erlebnisse sind bisweilen schmerzhaft, häufig aber auch skurril.
Die 36-Jährige, die selbst einen Hof mit 80 Kühen bewirtschaftet, hat ein Buch über ihre Arbeit geschrieben
VON HANS KRATZER
München – Astrid Brandl, 36, ist bestimmt nicht wehleidig, aber seit drei Wochen humpelt sie, das Knie ist dick geschwollen. Eine Kuh habe sie heftig getreten, erzählt die aus der Nähe von Trostberg stammende Tierärztin erstaunlich unaufgeregt. Das Malheur geschah, nachdem sie auf einen Bauernhof gerufen worden war. „Die Kuh hatte so heftige Kolikschmerzen, dass es sie hin- und herwarf, sie musste sofort operiert werden.“ Die Veterinärin betäubte das Tier und schnitt ihm den Bauch auf, dann ein kurzer Moment der Unachtsamkeit: „Da hat sie mir eine duscht, dass ich bis in die Streubox geflogen bin.“
Nun dämmerte im Stall die Apokalypse: In der Box die bewusstlose Tierärztin, daneben die Kuh mit dem offenen Bauch und mittendrin der schockierte Bauer, der wenigstens noch den Notarzt alarmierte. Diesem wiederum schwante wegen der blutüberströmten Frau das Schlimmste, aber an ihr klebte ja nur das Blut der Kuh. Außer dem Sanka und dem Rettungshubschrauber waren nun auch der Besamer und der Milchfahrer eingetroffen, alle waren sehr aufgeregt, aber erst musste die Kuh versorgt werden. Der Notarzt bedeckte den offenen Bauch schließlich mit einem sterilen Verband und resümierte aus seiner Warte als Humanmediziner: „Das war das erste richtige Rindviech, das ich behandelt habe.“ Astrid Brandl wurde unterdessen ins Krankenhaus verlagert, wo sie die dramatischen Ereignisse schnell verdaute. „Es war mein erster schwerer Unfall in zehn Jahren als Tierärztin“, sagt sie, „obwohl ich aufgepasst hatte.“ Aber eine Kuh mit rasenden Schmerzen ist halt unberechenbar.
Der berufliche Wirkungskreis von Astrid Brandl beschränkt sich überwiegend auf den Chiemgau, ihr Alltag ist aller Gefahren zum Trotz überschaubar, aber er ist, wie die obige Geschichte zeigt, kein bisserl langweilig. Und weil sie eine begnadete Erzählerin ist, kann jetzt auch die Öffentlichkeit an ihrem bewegten Tierarztleben teilhaben und sich bei aller Dramatik an ihren Geschichten köstlich amüsieren. Denn der bäuerliche Alltag und die Interaktion zwischen Landwirt und Arzt sind selten so unterhaltsam und kurzweilig aufgeschrieben worden wie in Astrid Brandls soeben erschienenem Erstlingsbuch „Eine Kuh macht muh – viele Kühe machen Mühe“.
Die Tierärztin schildert darin selbst erlebte Episoden, die man sich in ihrer Skurrilität gar nicht ausdenken kann. Sie zeigt dem Leser mit einem Augenzwinkern Facetten bäuerlicher Lebensentwürfe, etwa den eines Geschwisterpaares, an dessen Mittagstisch sich auch die lieben Haustiere bedienen dürfen: „Eine Katze machte direkt am Suppentopf Männchen, hielt sich mit den Vorderpfoten am Rand des Topfes fest und schlabberte die Suppe einfach direkt aus der Quelle.“ Packend sind auch die Abstecher in die tierische Anatomie, die streckenweise die Nerven reizen, weil Astrid Brandl eben detailgenau schildert, wie das so ist, wenn eine Nachgeburt festhängt und die Tierärztin „wie ein einarmiger Schwimmer“ in die Kuh hineinkrault oder wenn sie händisch stinkendes Sekret aus den Analdrüsen einer trächtigen Kuh ausdrückt. Auch wenn das unappetitlich klingen mag, so folgt dem Blick hinter die Stalltür dennoch fast immer eine Prise Situationskomik. Denn nicht zuletzt geht es Brandl um den Beweis, dass Rindertierarzt durchaus ein Frauenberuf ist, mag er auch körperlich anstrengend sein. Sie ist überzeugt davon, dass Frauen Kühe besser verstehen. „Man muss sich eben zu helfen wissen, um die Vorurteile abzubauen“, sagt sie. Nach wie vor werden die Viechdoktorinnen auf Bauernhöfen oft skeptisch beäugt: „A Frau. In Gotts Nam, des aa no.“
Vor drei Jahren ist Astrid Brandl als Autorin entdeckt worden. Josef Winkler, der verantwortliche Redakteur der bayerischen Kult-Zeitschrift MUH überredete sie, eine Kolumne zu schreiben. Er kannte sie von jung auf und wusste, wie „gwappelt“ sie schon immer über die Geschehnisse im Kuhstall erzählen konnte. Astrid Brandl ist selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen, wo sie quasi mit dem Kaibeziang sozialisiert wurde. Dieses legendäre Wort beschreibt den Geburtsvorgang, wenn das ungeborene Kalb ungünstig liegt und mit Muskelkraft, Stricken und unter Einsatz einer Portion Gleitschleims aus der Kuh gezogen werden muss.
Neben ihrer Tierarzt-Tätigkeit bewirtschaftet Frau Brandl auch noch den Hof ihrer Eltern, wo sie immerhin 80 Kühe versorgt. Obwohl ihre Tage damit voll ausgefüllt sind, hat sie nächtens die Zeit gefunden, um das Buch fertigzustellen. Mit ihrer MUH -Kolumne hat sie sich eine große Fangemeinde erschrieben, wodurch der Piper-Verlag auf sie aufmerksam wurde. Und deshalb liegen nun 25 neue Geschichten aus den anonymisierten Kuhställen des Chiemgaus vor. Und gerade weil sie mit ihrer Tragik und ihrer Komik oft den Grat zwischen Leben und Tod ausloten, ist es auch ein philosophisches Buch geworden, das im kleinen Viecherkosmos die großen Fragen unserer Existenz berührt.
Dazu zählen natürlich auch die Nöte einsamer Jungbauern, die keine Frau finden und der Tierärztin unbeholfene Avancen machen, die sie souverän zu kontern weiß. Schwieriger wird es, wenn die Mütter eine Schwiegertochter ködern wollen. Da kommt es sogar vor, dass ihr eine Bäuerin einen 20-Euro-Schein zusteckt. „Da, des nimmst mit! Du gfällst mir!“ Auch mit der Russenmafia hatte Astrid Brandl schon Kontakt. Damals, als nach Mitternacht eine Stimme am Telefon tönte: „Insere Hund is iberfahren!“ Sie eilte zur Praxis, wo zwei Männer mit breiten Schultern auf sie warteten und einen kleinen Hund beweinten. Der war sichtlich tot. „War Anschlag“, erzählten sie ihr, auf Rache sinnend. „Könne wir nix zu Polizei gehen“, machten sie ihr klar, das solle sie erledigen. „Ich blickte in Abgründe“, erinnert sich Frau Brandl, die das unheimliche Duo dann irgendwie ins Freie lotste und schnell die Türe zusperrte.
Wer die Geschichten liest, kapiert schnell, dass brenzlige Situationen das tägliche Brot eines Tierarzt sind. Einmal hatte Astrid Brandl eine Katze eingeschläfert, ein Routinevorgang, bis die Besitzerin eine Stunde später aufgelöst anrief, die Katze lebe noch. Welch ein Horror für eine junge Tierärztin, die in einem solchen Moment vergisst, dass Katzengedärme auch nach dem Tode noch schwer rumoren.
Astrid Brandl, Eine Kuh macht muh – viele Kühe machen Mühe. Geschichten einer furchtlosen Landtierärztin. Piper Verlag, 220 Seiten, 9,99 Euro
Die Autorin beschreibt mit einem
Augenzwinkern sämtliche
Facetten bäuerlichen Lebens
Sie begegnet auch Jungbauern,
die keine Frau finden und
der Tierärztin Avancen machen
Nicht immer verläuft das Zusammentreffen mit einer kranken Kuh so friedlich wie auf unserem Foto. Astrid Brandl hat einen
anstrengenden Beruf, was sie nicht davon abhält, ihm auch viele heitere Seiten abzugewinnen.
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»Humorvoll, flüssig geschrieben und bestens unterhaltend. (...) Ein Muss für alle Tierfreunde.« Lahn-Dill-Anzeiger 20140123