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Produktdetails
  • Verlag: DVA
  • Seitenzahl: 381
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 558g
  • ISBN-13: 9783421050991
  • ISBN-10: 3421050996
  • Artikelnr.: 24585244
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.1998

Das große Warten
Wie die Menschheit sich wichtige Daten im vorab selbst bestimmt

"Erwartungsgeschichte" ist der gemeinsame Nenner der dreizehn Beiträge eines neuen historischen Sammelbandes, der von der ersten Jahrtausendwende bis zur Gegenwart Situationen vor Augen stellt, in denen zahlreiche Menschen (vermeintlich) schwerwiegende Umbrüche auf sich zukommen sahen. Der Reiz für den Leser besteht darin, daß er den tatsächlichen Fortgang der Geschichte kennt und daher die Hoffnungen oder Ängste der Zeitgenossen einordnen kann.

Nur zum geringeren Teil kommen Fälle zur Sprache, in denen sich die Erwartung von vornherein mit einem festen Zeitpunkt verband. Daß der Anbruch des Jahres 1000 keineswegs von einer allgemeinen Furcht vor dem Weltuntergang gekennzeichnet war (schon weil sich der praktische Gebrauch der Jahreszählung nach Christi Geburt noch auf eine winzige Minorität beschränkte), zeigt Stephan Freund völlig zu Recht. Erst das von Papst Bonifaz VIII. anberaumte Heilige Jahr 1300, von dem Enno Bünz handelt, scheint wegen der Hoffnungen auf den vollkommenen Ablaß für Rom-Pilger so etwas wie eine bewußt arrangierte Zeitenwende gewesen zu sein.

Aus der belegbaren Geschichte der Spekulation über das in der Bibel vorhergesagte Weltende greift Klaus Krüger von den Pestepidemien inspirierte Einschätzungen spätmittelalterlicher Stadtchronisten auf, für die in der Zukunft nichts gewisser war als ebendieses Weltende, während sich Siegrid Westphal dem mathematisch versierten Lochauer Pfarrer und Luther-Anhänger Michael Stifel zuwendet, der mit seinen Anhängern am 19. Oktober 1533 um 8 Uhr früh vergebens die Wiederkehr Christi erwartete. Eine eigentümliche Parallele bildet die von Thomas M. Bohn beschriebene Endzeitstimmung unter den russischen Altgläubigen des späten siebzehnten Jahrhunderts, die in der Abkehr von liturgischen Traditionen und in den Reformen Zar Peters, des "Antichrists", Vorzeichen des nahen Weltuntergangs erblickten, ja sogar zu Tausenden daraus die Kraft zum Freitod zogen.

Auch die säkular gestimmte Moderne blieb empfänglich für die Magie der runden Zahl bei Zeitabständen, wie Joachim Bauer am Beispiel der ganz diffusen Erwartungen dartut, die das Wartburgfest von 1817 zum dreihundertsten Reformationsjubiläum und zum vierten Jahrestag der Völkerschlacht von Leipzig gleich nach seiner Ankündigung auslöste. Frank Möllers Artikel über die Jahrhundertwende von 1900 in Deutschland gibt einen gewissen Vorgeschmack dessen, was wir wohl in zwei Jahren zu erwarten haben.

Politische Wendungen, deren Termine nicht vorauszuberechnen waren, bestimmen die Beiträge über das zwanzigste Jahrhundert. Gertraude Remer schildert, wie in der steigenden Alltagsnot der Kriegsjahre 1914 bis 1918 der Zeitbegriff "nach dem Krieg" die Wunschvorstellungen beflügelte, wohingegen Jens Fügener in einer sehr dichten Skizze mit dem Titel "Der Russe kommt!" auf die verängstigte Stimmungslage in den amerikanisch und britisch besetzten Gegenden Mitteldeutschlands eingeht, die gemäß den alliierten Vereinbarungen Anfang Juli 1945 der Roten Armee überlassen wurden.

Die zeitweiligen Hoffnungen auf einen inneren Wandel der DDR zum Besseren während der ersten Jahre nach dem Mauerbau beschreibt Tanja Bürgel als Teil der Antwort auf die (vor 1989 kaum je gestellte) Frage, "warum sich die kommunistischen Regimes in Europa über so viele Jahrzehnte halten konnten". Zu den Gründen gehört gewiß auch ihre angeblich wissenschaftlich begründete historische Zuversicht, die fester Bestandteil von Ideologie und Propaganda war. Ihr gilt der abschließende Beitrag von Rainer Gries, der mit zum Teil skurrilen Einzelheiten nachzeichnet, wie die DDR das Jahr 2000 für Projektionen einer rosigen Zukunft in Anspruch nahm.

Der anregende und durchweg gut lesbare Band gewinnt ein besonderes Profil dadurch, daß seine Autoren allesamt Assistenten oder wissenschaftliche Mitarbeiter am Historischen Institut der Universität Jena sind, die ihre Beiträge zunächst dort in einer Vortragsreihe präsentiert haben. Wie man ihren Kurzbiographien im Anhang entnehmen kann, sind sie teils im Westen, teils im Osten beheimatet. Ihr Zusammenwirken an einem solchen Projekt ist ein ermutigendes Zeichen. RUDOLF SCHIEFFER

Enno Bünz, Rainer Gries, Frank Möller (Hrsg.): "Der Tag X in der Geschichte". Erwartungen und Enttäuschungen seit tausend Jahren. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997. 384 S., 30 Abb., geb., 48,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.02.2004

Gut und günstig
Taschenbücher
RON KOERTGE: Der Tag X. Die Zeit läuft. Aus dem Amerikanischen von Heike Brandt. dtv junior (78193) 2004. 128 Seiten, 5,50 Euro.
Als „zu amerikanisch” hätte man hierzulande diesen Roman noch vor wenigen Jahren eingestuft. Doch seit Erfurt und der wachsenden Gewalt in unseren Schulen können wir nicht mehr so tun, als seien wir hier weit entfernt von Ereignissen und Entwicklungen, wie sie in Der Tag X geschildert werden. Ort der Handlung ist eine amerikanische Highschool. Ron
Koertge lässt fünfzehn Jugendliche in knapper, rhythmisierter Prosa zu Wort kommen. Kein auktorialer Erzähler hilft dem Leser mit verbindenden Worten, Abstand zu gewinnen zu den verstörenden, aggressiven oder auch anrührenden Bekenntnissen, die er da zu lesen bekommt. Fünfzehn Jugendliche unterschiedlichster Herkunft und Gesinnung, gefangen in ihren höchst persönlichen Geschichten, Problemen und Nöten, und einer von ihnen ist Boyd.
„In der Schule gibt’s tausend Regeln. Ich habe nur eine: GEHORCHE KEINER REGEL.” Doch er gehorcht Mike, dem älteren, rechtsradikalen Freund, der ihm Waffen besorgt und mit dem er „Die Liste” entwirft. „Da stehen alle drauf, die mich nicht ernst genommen haben, mich rausgekantet haben, mich angekotzt haben.” Für seinen Plan braucht er Mitkämpfer, und da ist ihm der dicke „Underdog” Lester gerade recht. Boyd hält Lester dessen Peiniger Damon vom Leib, dafür soll Lester die Waffen in seinem Rucksack zur Schule bringen. Scheinbar unaufhaltsam naht „Der Tag X”, und Boyd macht immer öfter Andeutungen, so als hoffe er, dass ihn noch jemand stoppen möge. Doch niemand scheint die Gefahr zu erkennen. Am Ende ist es Lester, der in letzter Minute – mit Hilfe der von den meisten anderen Schülern verachteten Meredith – die Katastrophe verhindert. Aus atemlos ausgestoßenen Monologen setzt sich dieses Psychogramm einer Schulklasse zusammen, deren Thema – den meisten allerdings nicht bewusst – Gewalt ist. Einer von ihnen ist bereit zu handeln, aber zum Glück für alle sind ausgerechnet die beiden „Underdogs” der Klasse mutig genug den Teufelskreis zu durchbrechen. Literarisch brillant, weil reduziert auf ein Minimum an Worten, und dramaturgisch virtuos, ist dies ein Stück Literatur, das noch lange nachwirkt und sich hervorragend zur Diskussion mit Jugendlichen eignet.
(Umfangreiches Unterrichtsmaterial für die Klassen 8–11 lieferbar)
RAINER KUNZE: Wohin der Schlaf sich schlafen legt. Gedichte für Kinder. Mit neuen Bildern von Karl Franta. Fischer Taschenbuch Verlag (80003) 2003. 56 Seiten, 4,90 Euro.
„Freundlicher Gruß / Kindergruß / kommt zu Fuß, / schwebt dir ins Gemüt;
leichtes Ding, / Schmetterling – sucht, was in dir blüht.”
Kurze, sinnliche und fröhliche Gedichte sind hier versammelt und machen Lust, mal wieder Verse zu lesen oder vorzulesen. Schade nur, dass Frantas prächtige Bilder in dieser Ausgabe nur schwarz-weiß gedruckt wurden.
HILDE ELISABETH MENZEL
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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