Produktdetails
- Verlag: Metzler.
- ISBN-13: 9783476015358
- ISBN-10: 3476015351
- Artikelnr.: 07649487
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.1999Ehrt eure großen Schulmeister
Lob den Lehrern: Die deutschen Kunsthistoriker bekommen ihr Pantheon
Man beginnt die Lektüre solcher Bücher gerne mit einem banalen Spiel. Ob der wohl drin ist? Ja. Und der? Ja. Aber doch nicht etwa auch der? Doch, auch der. Das Buch als Spielverderber.
Ein schlechtes Zeichen für einen Roman. Ein gutes für ein Lexikon. Da die nationale Nachschlagewerksproduktion inzwischen sogar schon bei einem für die "populären Irrtümer" angekommen ist, schien die Zeit für ein Lexikon, das nicht mehr leistet, als einem jahrzehntelangen Mißstand abzuhelfen, ja eine Lücke zu schließen, eigentlich schon abgelaufen. Um so größer ist nun die Überraschung, um so größer auch die Freude. Mit dem "Kunsthistoriker Lexikon", vom Hause Metzler in bewährter Gründlichkeit ediert, steht den anderen historischen Branchen-Kürschners des Verlages nun endlich auch ein zuverlässiges, detailversessenes Nachschlagewerk über die deutsche Kunstwissenschaft zur Seite. Nur wer schon einmal die deprimierende Spurensuche nach Lebensdaten oder bibliographischen Schriften eines in seiner Zeit bemerkenswerten Kunsthistorikers entnervt abgebrochen, wer die fehlenden Fußnoten in Wilhelm Waetzoldts "Deutsche Kunsthistoriker" schmerzlich vermißt hat, wird nachempfinden können, welche Leistung die Herausgeber Peter Betthausen, Peter H. Feist und Christiane Fork unter Mitarbeit von Karin Rührdanz und Jürgen Zimmer hier vollbracht haben.
Die letzten zwanzig Jahre stehen in der deutschen kunstwissenschaftlichen Forschung für eine fundamentale Neubewertung der Frühzeit der eigenen Disziplin. Zahlreiche Einzeluntersuchungen, Fallstudien, Reprints sowie eine Beschäftigung mit der Sammlungsgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts, etwa im Zusammenhang mit der Kollektion Boisserée, haben zu der Erkenntnis geführt, daß bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts nicht ohne Grund die Wissenschaftssprache Deutsch war. Gerade auch in ausländischen Publikationen der letzten Zeit durften die Deutschen immer wieder nachlesen, welch entscheidende Impulse etwa Figuren wie Wolfgang Kallab, Franz Kugler, Gustav Friedrich Waagen, Wilhelm Vöge oder Karl Neumann der Erforschung der italienischen, niederländischen und spanischen Kunstgeschichte gaben. Sie alle werden hier nun erstmals ausführlich vorgestellt.
Es ist wohl in der Tat ein Verdienst Udo Kultermanns, daß er Ende der sechziger Jahre als erster erkannte, daß die Zeit reif sei für eine "Geschichte der Kunstgeschichte". Doch leider verzichtete er zugunsten des groß gespannten Bogens auf die absolute Zuverlässigkeit der kleinen Details. Wilhelm Waetzolds zweibändiges Werk aus den zwanziger Jahren, "Deutsche Kunsthistoriker" wiederum, ein herrlich parlierendes, kenntnisreiches Buch über die leuchtendsten Erscheinungen der Branche, ihre Werke, ihre Lebensumstände, ihr Wesen, ihren Witz, legte die Meßlatte so hoch, daß der Kreis der Auserwählten klein blieb. Mit den zweihundert Forschern, die die Arbeitsgruppe um Peter Betthausen nun vorstellt, ist endlich ein so enges Netz geknüpft, daß keine wesentliche kunstwissenschaftliche Erscheinung dem Lexikon durch die Maschen geht. Wer Großes geleistet hat, hat nur eine Chance, dieser lexigraphisch-nüchternen Bilanzierung zu entgehen: Er muß noch leben. Denn die Kenntnis der Geschichte der Kunstgeschichte lehrt die Herausgeber und Bearbeiter, daß man nie aufhören darf, auf das Alterswerk zu warten.
Die zweihundert Porträts deutschsprachiger Autoren aus den letzten vier Jahrhunderten sind stets nach dem gleichen Schema aufgebaut: Die zwischen zwei und vier Seiten langen Texte (Spitzenreiter ist Panofsky mit sechs Seiten, davon zweieinhalb Seiten Bibliographie) verbinden den Lebenslauf mit inhaltlichen Charakterisierungen der Hauptwerke, zum Abschluß gibt es eine angenehm ausführliche und hilfreiche bibliographische Liste, mit eingearbeiteten Neuerscheinungen bis zum Sommer 1998. Auch finden sich immer Hinweise auf Schüler und Lehrer. Der Ton ist durchweg spröde, Thesen werden nicht gewagt, sondern begründet. So man überhaupt irgend etwas einwenden kann gegen dieses Lexikon, so vielleicht die Tatsache, daß es versäumt wurde, den einzelnen Bibliographien Hinweise auf die wesentlichen Aktenbestände in deutschen Archiven beizugesellen, denn zahlreiche der üppigen, vielversprechenden Nachlässe der vorgestellten Kunsthistoriker harren noch immer ihrer Durchsicht. Aber die Unentbehrlichkeit dieses Standardwerks, seine Zuverlässigkeit und Breite, werden sicherlich dazu führen, daß es bald neue Auflagen gibt, bei denen man dies berücksichtigen könnte.
FLORIAN ILLIES
Peter Betthausen, Peter H. Feist, Christiane Fork (Hrsg.): "Metzler Kunsthistoriker Lexikon". Verlag J. B. Metzler, Stuttgart 1998. 544 S., geb., 98,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lob den Lehrern: Die deutschen Kunsthistoriker bekommen ihr Pantheon
Man beginnt die Lektüre solcher Bücher gerne mit einem banalen Spiel. Ob der wohl drin ist? Ja. Und der? Ja. Aber doch nicht etwa auch der? Doch, auch der. Das Buch als Spielverderber.
Ein schlechtes Zeichen für einen Roman. Ein gutes für ein Lexikon. Da die nationale Nachschlagewerksproduktion inzwischen sogar schon bei einem für die "populären Irrtümer" angekommen ist, schien die Zeit für ein Lexikon, das nicht mehr leistet, als einem jahrzehntelangen Mißstand abzuhelfen, ja eine Lücke zu schließen, eigentlich schon abgelaufen. Um so größer ist nun die Überraschung, um so größer auch die Freude. Mit dem "Kunsthistoriker Lexikon", vom Hause Metzler in bewährter Gründlichkeit ediert, steht den anderen historischen Branchen-Kürschners des Verlages nun endlich auch ein zuverlässiges, detailversessenes Nachschlagewerk über die deutsche Kunstwissenschaft zur Seite. Nur wer schon einmal die deprimierende Spurensuche nach Lebensdaten oder bibliographischen Schriften eines in seiner Zeit bemerkenswerten Kunsthistorikers entnervt abgebrochen, wer die fehlenden Fußnoten in Wilhelm Waetzoldts "Deutsche Kunsthistoriker" schmerzlich vermißt hat, wird nachempfinden können, welche Leistung die Herausgeber Peter Betthausen, Peter H. Feist und Christiane Fork unter Mitarbeit von Karin Rührdanz und Jürgen Zimmer hier vollbracht haben.
Die letzten zwanzig Jahre stehen in der deutschen kunstwissenschaftlichen Forschung für eine fundamentale Neubewertung der Frühzeit der eigenen Disziplin. Zahlreiche Einzeluntersuchungen, Fallstudien, Reprints sowie eine Beschäftigung mit der Sammlungsgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts, etwa im Zusammenhang mit der Kollektion Boisserée, haben zu der Erkenntnis geführt, daß bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts nicht ohne Grund die Wissenschaftssprache Deutsch war. Gerade auch in ausländischen Publikationen der letzten Zeit durften die Deutschen immer wieder nachlesen, welch entscheidende Impulse etwa Figuren wie Wolfgang Kallab, Franz Kugler, Gustav Friedrich Waagen, Wilhelm Vöge oder Karl Neumann der Erforschung der italienischen, niederländischen und spanischen Kunstgeschichte gaben. Sie alle werden hier nun erstmals ausführlich vorgestellt.
Es ist wohl in der Tat ein Verdienst Udo Kultermanns, daß er Ende der sechziger Jahre als erster erkannte, daß die Zeit reif sei für eine "Geschichte der Kunstgeschichte". Doch leider verzichtete er zugunsten des groß gespannten Bogens auf die absolute Zuverlässigkeit der kleinen Details. Wilhelm Waetzolds zweibändiges Werk aus den zwanziger Jahren, "Deutsche Kunsthistoriker" wiederum, ein herrlich parlierendes, kenntnisreiches Buch über die leuchtendsten Erscheinungen der Branche, ihre Werke, ihre Lebensumstände, ihr Wesen, ihren Witz, legte die Meßlatte so hoch, daß der Kreis der Auserwählten klein blieb. Mit den zweihundert Forschern, die die Arbeitsgruppe um Peter Betthausen nun vorstellt, ist endlich ein so enges Netz geknüpft, daß keine wesentliche kunstwissenschaftliche Erscheinung dem Lexikon durch die Maschen geht. Wer Großes geleistet hat, hat nur eine Chance, dieser lexigraphisch-nüchternen Bilanzierung zu entgehen: Er muß noch leben. Denn die Kenntnis der Geschichte der Kunstgeschichte lehrt die Herausgeber und Bearbeiter, daß man nie aufhören darf, auf das Alterswerk zu warten.
Die zweihundert Porträts deutschsprachiger Autoren aus den letzten vier Jahrhunderten sind stets nach dem gleichen Schema aufgebaut: Die zwischen zwei und vier Seiten langen Texte (Spitzenreiter ist Panofsky mit sechs Seiten, davon zweieinhalb Seiten Bibliographie) verbinden den Lebenslauf mit inhaltlichen Charakterisierungen der Hauptwerke, zum Abschluß gibt es eine angenehm ausführliche und hilfreiche bibliographische Liste, mit eingearbeiteten Neuerscheinungen bis zum Sommer 1998. Auch finden sich immer Hinweise auf Schüler und Lehrer. Der Ton ist durchweg spröde, Thesen werden nicht gewagt, sondern begründet. So man überhaupt irgend etwas einwenden kann gegen dieses Lexikon, so vielleicht die Tatsache, daß es versäumt wurde, den einzelnen Bibliographien Hinweise auf die wesentlichen Aktenbestände in deutschen Archiven beizugesellen, denn zahlreiche der üppigen, vielversprechenden Nachlässe der vorgestellten Kunsthistoriker harren noch immer ihrer Durchsicht. Aber die Unentbehrlichkeit dieses Standardwerks, seine Zuverlässigkeit und Breite, werden sicherlich dazu führen, daß es bald neue Auflagen gibt, bei denen man dies berücksichtigen könnte.
FLORIAN ILLIES
Peter Betthausen, Peter H. Feist, Christiane Fork (Hrsg.): "Metzler Kunsthistoriker Lexikon". Verlag J. B. Metzler, Stuttgart 1998. 544 S., geb., 98,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main