Die Ästhetik der biomorphen Automaten des 18. Jahrhunderts und die Funktionalität der humanoiden Roboter des 20. Jahrhunderts verbinden ausgeprägtere Gemeinsamkeiten als man zunächst vermutet. Auch aktuelle Prothesentechnik dient nicht mehr nur als Substitution etwa von verlorenen Gliedmaßen, sondern verspricht zunehmend biologische Körperfunktionen zu erweitern, während die Realisation der Cyborg-Phantasien aus der Science-Fiction bisher nicht erfolgreich war. Alle diese Gestalten hybrider Körper-Maschinen und Maschinen-Körper bilden den Gegenstand dieser Studie und verweisen auf kulturelle Sinnbildungsleistungen. Sie sind Ausdruck von Hoffnungen, Notlagen, Zukunftsphantasien und dem Wunsch des Menschen, seine biologischen Grenzen zu überschreiten. Bianca Westermann zeichnet aus einer kultur- und medienwissenschaftlichen Perspektive Verknüpfungen und zentrale Linien des rhizomatischen Diskursgeflechts dieser Hybride zwischen Körpern und Maschinen nach. Als ein durchgängiges Motiv dieser Diskurse lässt sich der Erhalt von Bedeutungsoffenheit und Ambivalenzen feststellen.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungWir Cyborgs im Maschinenpark
Die Datenbrille, die Google entwickelt und mit einem Demonstrationsvideo im Netz präsentiert, kommt kaum überraschend: Online-Applikationen ins Gesichtsfeld einzuspielen liegt auf dem Weg zu deren immer bruchloserer Einbindung in den Vollzug alltäglicher Praktiken. Das Gefummel an irgendwelchen Displays sollte schließlich einmal aufhören. Andererseits wird die Brillenversion da wohl nur ein Zwischenschritt sein.
Wohin die Entwicklung vielleicht geht, hat Michio Kaku in einigen der nächsten Zukunft gewidmeten Abschnitten seines im Herbst auch auf Deutsch erscheinenden Buchs "Physics of the Future" skizziert. Zu einer Online-Anbindung, die noch enger an den Körper anschließt, nämlich durch die Integration der Applikationen in Kontaktlinsen. Ein Schritt, der für Kaku auf der Linie der allgemeineren Tendenz liegt, Online-Aktivitäten jederzeit ohne Dazwischentreten träger Vehikel aktivieren zu können. In letzter Instanz so, wie es einige prototypische Anwendungen mittlerweile schon vorführen: durch Schnittstellen zum Gehirn, die eine direkte Steuerung durch neuronale Aktivität erlauben.
Dieses Motiv der Wirkung durch bloße Gedanken, das Kaku als Fluchtpunkt sieht, mag man als voreilige Zukunftsmusik empfinden - oder auch nicht. Immerhin wären solche Schnittstellen aber um einiges dezenter als die mit Sprache angesteuerten Brillen, die den Ausstoß an selbstbezüglichem Gerede in aller Öffentlichkeit noch einmal steigern werden. Den Weg von der Brille zur Linse und zu einer ihrerseits mit Online-Ankoppelungen durchsetzten Umwelt könnte man auch für die Annäherung an eine alltagsnormale Existenz als Cyborg ansehen, eines Lebens also mit weitgehend körperlich implementierten technischen Erweiterungen des Weltumgangs. Wobei sich diese Erweiterungen nun als Online-Anbindungen herausstellen, aber andere Varianten von Prothetik damit natürlich nicht ausgeschlossen sind.
Welche Spielart von Cyborgs wir damit verwirklichen, ist angesichts der seit den sechziger Jahren munter wuchernden Bestimmungen des alten "cybernetic organism" nicht leicht auszumachen. Ein schon in die Jahre gekommenes Handbuch kannte bereits Neo-, Proto-, Multi-, Ultra-, Semi-, Hyper-, Retro-, Omni-, Pseudo-, Mega- und Meta-Cyborgs. Diese Liste zitiert Bianca Westermann im letzten Abschnitt ihres exzellenten Buchs über biomorphe Automaten und technische Körpererweiterungen ("Anthropomorphe Maschinen". Grenzgänge zwischen Biologie und Technik seit dem 18. Jahrhundert. Wilhelm Fink Verlag, München 2012. 300 S., Abb., geb., 39,90 [Euro]). Er gibt in knapper Form einen Überblick über die zwischen Forschungslabors und Science-Fiction-Welten pendelnde Geschichte der Cyborgs, in der die jeweils neuen technologischen Möglichkeiten - reale und prognostizierte - verarbeitet wurden und werden.
Und es empfiehlt sich auch, die Geschichte der Roboter und Automaten dabei im Blick zu behalten, die in Westermanns Buch mit den gedachten und gebauten Androiden des achtzehnten Jahrhunderts beginnt. Denn unser Abgleich mit den Maschinen ist nun einmal der moderne Komparativ geworden.
HELMUT MAYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Datenbrille, die Google entwickelt und mit einem Demonstrationsvideo im Netz präsentiert, kommt kaum überraschend: Online-Applikationen ins Gesichtsfeld einzuspielen liegt auf dem Weg zu deren immer bruchloserer Einbindung in den Vollzug alltäglicher Praktiken. Das Gefummel an irgendwelchen Displays sollte schließlich einmal aufhören. Andererseits wird die Brillenversion da wohl nur ein Zwischenschritt sein.
Wohin die Entwicklung vielleicht geht, hat Michio Kaku in einigen der nächsten Zukunft gewidmeten Abschnitten seines im Herbst auch auf Deutsch erscheinenden Buchs "Physics of the Future" skizziert. Zu einer Online-Anbindung, die noch enger an den Körper anschließt, nämlich durch die Integration der Applikationen in Kontaktlinsen. Ein Schritt, der für Kaku auf der Linie der allgemeineren Tendenz liegt, Online-Aktivitäten jederzeit ohne Dazwischentreten träger Vehikel aktivieren zu können. In letzter Instanz so, wie es einige prototypische Anwendungen mittlerweile schon vorführen: durch Schnittstellen zum Gehirn, die eine direkte Steuerung durch neuronale Aktivität erlauben.
Dieses Motiv der Wirkung durch bloße Gedanken, das Kaku als Fluchtpunkt sieht, mag man als voreilige Zukunftsmusik empfinden - oder auch nicht. Immerhin wären solche Schnittstellen aber um einiges dezenter als die mit Sprache angesteuerten Brillen, die den Ausstoß an selbstbezüglichem Gerede in aller Öffentlichkeit noch einmal steigern werden. Den Weg von der Brille zur Linse und zu einer ihrerseits mit Online-Ankoppelungen durchsetzten Umwelt könnte man auch für die Annäherung an eine alltagsnormale Existenz als Cyborg ansehen, eines Lebens also mit weitgehend körperlich implementierten technischen Erweiterungen des Weltumgangs. Wobei sich diese Erweiterungen nun als Online-Anbindungen herausstellen, aber andere Varianten von Prothetik damit natürlich nicht ausgeschlossen sind.
Welche Spielart von Cyborgs wir damit verwirklichen, ist angesichts der seit den sechziger Jahren munter wuchernden Bestimmungen des alten "cybernetic organism" nicht leicht auszumachen. Ein schon in die Jahre gekommenes Handbuch kannte bereits Neo-, Proto-, Multi-, Ultra-, Semi-, Hyper-, Retro-, Omni-, Pseudo-, Mega- und Meta-Cyborgs. Diese Liste zitiert Bianca Westermann im letzten Abschnitt ihres exzellenten Buchs über biomorphe Automaten und technische Körpererweiterungen ("Anthropomorphe Maschinen". Grenzgänge zwischen Biologie und Technik seit dem 18. Jahrhundert. Wilhelm Fink Verlag, München 2012. 300 S., Abb., geb., 39,90 [Euro]). Er gibt in knapper Form einen Überblick über die zwischen Forschungslabors und Science-Fiction-Welten pendelnde Geschichte der Cyborgs, in der die jeweils neuen technologischen Möglichkeiten - reale und prognostizierte - verarbeitet wurden und werden.
Und es empfiehlt sich auch, die Geschichte der Roboter und Automaten dabei im Blick zu behalten, die in Westermanns Buch mit den gedachten und gebauten Androiden des achtzehnten Jahrhunderts beginnt. Denn unser Abgleich mit den Maschinen ist nun einmal der moderne Komparativ geworden.
HELMUT MAYER
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