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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.12.1998

Der Mensch denkt, Gott schenkt
Romano Guardini suchte den moraltheologischen Weg zwischen Freiheit und Gehorsam: Bruno Kurth schreibt das Expeditionsprotokoll

Für die Ausarbeitung seiner ethischen Vorlesungen hat Romano Guardini, wie er selbst eingesteht, "kein Buch aufgemacht". Der in den fünfziger Jahren vor Münchner Publikum gehaltene und erst jüngst veröffentlichte Vorlesungszyklus ist deshalb weniger eine Theorie der Moral oder gar ein Kompendium zur Konfliktlösung. Trotzdem lasse er sich als ein eigenständiger christlich-ethischer Ansatz begreifen, der die Herausforderung der Moderne annimmt, erläutert Bruno Kurth. Er sieht in Guardini nicht nur den Religionsphilosophen, Interpreten großer Schriftsteller und Doppelagenten zwischen Kirche und Kultur, sondern einen ethischen Denker.

Die Arbeit der Systematisierung muß Kurth in seiner Studie über den Moraltheologen Guardini allerdings selbst leisten: Guardini gilt ihm wegen seines christozentrischen Personalismus als das katholische alter ego Martin Bubers. Das sittlich Gute werde bei Guardini jedoch nicht nur platonisch-augustinisch verstanden, sondern integriere die Einsicht des Thomas von Aquin, daß das Gute auch immer das Vernünftige sein müsse - das letztlich auf die Heiligkeit Gottes verweise. Einem Fortschrittsoptimismus huldigte Guardini jedoch nicht: Seine Kritik am "Dogma, alle Dinge führten von selbst zum Besten", interpretiert Kurth als eine modifizierte Aufnahme des neuzeitlichen Freiheitsgedankens, dem eine Rehabilitierung des Gehorsams zur Seite trat.

Unaufhaltsam steuert Kurth auf diese Weise auf die Gretchenfrage moraltheologischer Reflexion zu: Wie hältst du's mit der neuzeitlichen Autonomie? Guardini wählte den Mittelweg. Zum einen erfordere das Bezeugen der Offenbarung eine kritische Haltung gegenüber dem modernen Wunsch nach Selbstbestimmung. Schon die phänomenologische Methode, von der er sich inspirieren ließ, lege nahe, daß die verlangte epochè des "subjektiven Zugriffes" letztlich auf ein religiöses Fundament verweise. Zum anderen verteidigt Kurth Guardini gegenüber dem Vorwurf, mit seinem Begriff von Gehorsam - gegen seinen Willen - ein Vordenker des Faschismus gewesen zu sein. Guardini sei ein Mann der Tradition, kein Traditionalist, und habe versucht, die berechtigten Anliegen autonomen Denkens zu integrieren. Gerade mit seiner Interpretation des Gewissens habe er eine die katholische Morallehre belastende Verengung überwunden - wenngleich sein Gedanke, daß jede Glaubensgemeinschaft reifer Persönlichkeiten bedarf, sich erst von einer Überbetonung des Gehorsams emanzipieren mußte.

Dieser Pattstellung von Autonomie und Heteronomie entkam Guardini schließlich mit der Kategorie der Theonomie, die nach Kurth Freiheit und Gehorsam, Gewissen und Autorität als eine "spannungsvolle Einheit" denken läßt. Guardinis wertethischem Denken wird die Autonomie zur Tugend der Selbstannahme; Gott hingegen darf nicht der ganz andere bleiben, der den Vorwurf einer heteronomen Ethikbegründung provoziert. So verlockend der Begriff der Theonomie jedoch sein mag, um das göttliche Gebieten am Sinai und im Gewissen mit dem Selbstbewußtsein des heutigen Menschen zusammenzudenken: Guardinis Theonomiebegriff wirkt deshalb wie ein schlechter Kompromiß, weil er einen überzogenen Autonomiebegriff bekämpft, der zwar Auswüchse der faktischen Entwicklung der Neuzeit treffen mag, vor allem aber apologetische Konstruktion ist. Die Möglichkeiten für eine christliche Rezeption des Autonomiegedankens der Aufklärung sind jedoch, auch über Guardini hinaus, noch längst nicht ausgeschöpft. Daß Kurth, der Guardinis Gedanken mit viel - zuweilen zu viel - Sympathie werkimmanent rekonstruiert, den Ertrag für die Moraltheologie eher in den tugendethischen Anstößen sieht, verwundert deshalb nicht.

Gerade aufgrund des Versuchs, mit dem Theonomiebegriff zwischen autonomem Gewissen und göttlichen Geboten zu vermitteln, erinnern viele Thesen Guardinis an die theologische Diskussion um eine autonome Moral im christlichen Kontext, wie sie vor allem von Alfons Auer und Franz Böckle geführt wurde. Es wäre verfehlt, dies als den Beweis einer überwältigenden Wirkungsgeschichte Guardinis in der Moraltheologie zu deuten; immerhin aber untermauert der Hinweis auf Guardinis frühen Spürsinn für die heute noch drängenden Fragen die Tatsache, daß er einer der großen Theologen dieses Jahrhunderts war. STEFAN ORTH

Bruno Kurth: "Das ethische Denken Romano Guardinis". Gehorsam gegenüber Gott und Freiheit des Geistes. Eine moraltheologische Studie. Schöningh Verlag, Paderborn 1998. 436 S., br., 128,- DM.

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