Wunder wird es im Nachkriegsjugoslawien tatsächlich keine geben, auch wenn der Kapitalismus sie unablässig verspricht. Bender, der vor dem Bürgerkrieg geflüchtet ist und seitdem in der Fremde lebt, kehrt erstmals in das zerstörte Dorf seiner Kindheit zurück. Sein Vater, der in Kroatien geblieben ist, ruft ihn: Die Mutter ist verschwunden, Bender soll helfen, sie zu finden. Präzise, lakonisch und mit schwarzem Humor beschreibt Goran Fercec die Alltagsroutinen und die vergebliche Suche der beiden Männer. Vater und Sohn sind außerstande, Worte für ihre Traumata und Verluste zu finden, ihre kargen Dialoge scheinen geradewegs aus dem absurden Theater eines Beckett zu stammen. So knapp und so untergründig komisch ist selten von der Sinnlosigkeit des Kriegs erzählt worden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.08.2021Auf der Flucht vor Marmorkuchen
Goran Fercec liefert die Quintessenz seines Romans über ein nachjugoslawisches Einzelschicksal im Titel selbst: "Wunder wird es hier keine geben"
Das Auge liest ja mit. Und das Auge muss sich bis Seite 141 gedulden, bis zur Hälfte dieses Romans, ehe es einen Absatz erspäht, der kein Kapitelende ist. Es soll der einzige bleiben. Immerhin schält sich früh eine Ahnung heraus, dass die Textgestaltung nicht der Zeilen- und Papierersparnis geschuldet ist, sondern verdeutlichen soll: Der Protagonist, ein Mann namens Bender, ist in sich verkapselt, obendrein pathologisch auskunftsscheu und selbstzentriert, so dass er mal hofft, "dass all das hier auch ohne ihn so passieren würde", mal geradezu erstaunt feststellt, dass "die Dinge passieren, auch wenn er ihnen den Rücken zukehrt".
Was lässt sich nun sicher über diesen Bender sagen? Viel ist es nicht. Er ist neununddreißig Jahre alt, und hinter "ihm liegen sieben Jahre von verbrauchten Tagen, an denen er hätte tot sein können, und vor ihm liegt immer weniger Raum für Ausweichmanöver"; er ist aus Jugoslawien in den Westen geflohen, wo seine "Gelenke, geschwächt vom bürgerlichen Leben", nun ein Eigendasein führen, weshalb er seine Knie zwingen muss, "seinen Willen zu respektieren". Unbestimmte Zeit lang hat er gearbeitet, und eine Putzfrau hält seine Wohnung tipptopp in Ordnung. Auf sie will er nicht verzichten, obwohl er ansonsten nichts benötigt, "von all dem, was für ihn zum Greifen nahe ist", im Gegenteil, einem speziellen Backwerk würde er liebend gern entkommen, weshalb er mit dem Gedanken spielt, er "könnte zurückkehren, und sei es nur, um dem Marmorkuchen zu entfliehen".
Eines Tages ruft ihn sein Vater an, um ihm mitzuteilen, dass die Mutter verschwunden ist. Bender reist zurück in sein Dorf. Die Mutter taucht nicht wieder auf, der Vater stirbt nach wenigen Tagen, Bender zündet ihn samt Haus an und beobachtet den aufsteigenden Rauch von einem verlassenen Hotel aus.
Der Roman ist weder reich an Figuren noch an Handlung, wobei die einzelnen Taten meist zweifach geschehen: Wenn Bender eine tote Taube auf dem Balkon vorfindet, muss auch der Vater mit einem toten Hund konfrontiert werden, damit zweifach konstatiert werden kann, eine Wiederauferstehung finde nicht statt, "Wunder wird es hier keine geben".
Stellen dieser Art gibt es zuhauf. Es spricht einiges dafür, dass Goran Fercec damit eine Universalität des Leidens andeuten will. Dabei sitzt er dem Trugschluss auf, ein Text erlange umfassendere Gültigkeit, je unkonkreter er gestaltet ist.
Bender ist als Figur mit etlichen Leerstellen konzipiert. Er meint beweisen zu müssen, kein "Migrant mit einer diagnostizierten Posttraumatischen Belastungsstörung" zu sein, für die Beweisführung fehlt aber jede Referenzgruppe, da im Grunde alle Figuren wie er sind: namenlos, schweigend und latent gewaltbereit. Die Geschichte wird aus Benders Sicht erzählt, aber nicht in Ich-Perspektive. Widersprüchliche Aussagen wirken ungewollt. Wenn aus einem "Feuerzeug" ein "Zündholz" wird, mag das banal sein. Wenn die Flucht mal vor sieben, mal vor neun, vor fünfzehn oder vor zwanzig Jahren stattgefunden hat, sieht die Sache schon anders aus, denn dann geht es um die Frage, was Bender erlebt hat.
In Kroatien lässt er sich schildern, wo die Grenzlinie verlief, und sein Vater berichtet ihm von Gräueltaten, als wüsste er rein gar nichts vom Krieg. Im Text gibt es keine Angabe, wovor Bender geflohen ist. Als während des Flugs Turbulenzen auftreten, benennt er als Ursache dafür "geodätische Unregelmäßigkeiten des Bodens, Meeresnähe sowie gehäufte Veränderungen in den Luftströmungen über diesem Teil Europas", die zudem "gehäuft auftretende Bürgerunruhen, massive Intoleranz im Bezug auf Religion, Ethnie und Nation sowie eine erhöhte Tendenz zum Suizid" nach sich ziehen. Sexuelle Orientierung nennt er nicht, obwohl er schwul ist.
Im Westen kämpft Bender gegen "Resignation, die sich wiederum aus seinem Unterlegenheitsgefühl ableitet". Auf welchen Erfahrungen dieses Gefühl des Protagonisten fußt, ob es sich der etwaigen "Posttraumatischen Belastungsstörung" hinzugesellt oder der Grund für seine Abschottung als Person ist, bleibt indes ein Geheimnis im Roman.
Benders Assoziationen sind durch die Bank "westlich". Beim Anblick der Spaghetti, die er auf den geschlossenen Klodeckel erbricht, denkt er an James Rosenquists "I love you with my ford", bei seinem Spiegelbild an Jean-Luc Godard und bei einem Brummen in der Luft an ein Didgeridoo. Wo und wann dieser so dezidiert westliche kulturelle Bezugsrahmen entstanden ist - auch das will der Autor Goran Fercec nicht preisgeben.
Mit "Wunder wird es hier keine geben" hat er 2011 sein Debüt als Romancier vorgelegt. Zuvor hatte er Dramen und Essays verfasst. Interessant ist ein Blick in das Werk von Sasa Stanisic, der ebenfalls 1978 geboren wurde, als Sohn einer Bosniakin und eines Serben, und der sich vergleichbarer sprachlicher Mittel wie kurzer Sätze, Wiederholung und den Verzicht auf Anführungszeichen bei der direkten Rede bedient. Trotzdem ist sein Ton kraftvoller. Bei Fercec stellen ellenlange Aufzählungen von Stücken in Schuppen und Keller eine Herausforderung dar, zur Kapitulation zwingen Doppelungen wie "Bender sagt, er glaube ihm nicht. Ich glaube dir nicht, sagt Bender" oder allzu schlichte Strukturen wie "Bender schlägt die Zeitschrift zu. Bender legt die Zeitschrift weg. Bender legt den Kopf zurück und schließt die Augen".
"Nie sollst du mich befragen, noch Wissens Sorge tragen, woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam' und Art!" Goran Fercec hat das Auskunftsverbot aus "Lohengrin" konsequent umgesetzt. Am Ende bleibt alles blass: der einzelne Mensch, der Krieg und existenzielles Leid. Jenseits der Buchdeckel lässt sich aber fragen, ob hier nicht ex negativo ein flammendes Plädoyer vorliege, ein wenig lebendige, interessierte Neugier zu pflegen und zu praktizieren. CHRISTIANE PÖHLMANN.
Goran Fercec: "Wunder wird es hier keine geben". Roman.
Aus dem Kroatischen von Mascha Dabic. Residenz Verlag, Salzburg 2021. 288 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Goran Fercec liefert die Quintessenz seines Romans über ein nachjugoslawisches Einzelschicksal im Titel selbst: "Wunder wird es hier keine geben"
Das Auge liest ja mit. Und das Auge muss sich bis Seite 141 gedulden, bis zur Hälfte dieses Romans, ehe es einen Absatz erspäht, der kein Kapitelende ist. Es soll der einzige bleiben. Immerhin schält sich früh eine Ahnung heraus, dass die Textgestaltung nicht der Zeilen- und Papierersparnis geschuldet ist, sondern verdeutlichen soll: Der Protagonist, ein Mann namens Bender, ist in sich verkapselt, obendrein pathologisch auskunftsscheu und selbstzentriert, so dass er mal hofft, "dass all das hier auch ohne ihn so passieren würde", mal geradezu erstaunt feststellt, dass "die Dinge passieren, auch wenn er ihnen den Rücken zukehrt".
Was lässt sich nun sicher über diesen Bender sagen? Viel ist es nicht. Er ist neununddreißig Jahre alt, und hinter "ihm liegen sieben Jahre von verbrauchten Tagen, an denen er hätte tot sein können, und vor ihm liegt immer weniger Raum für Ausweichmanöver"; er ist aus Jugoslawien in den Westen geflohen, wo seine "Gelenke, geschwächt vom bürgerlichen Leben", nun ein Eigendasein führen, weshalb er seine Knie zwingen muss, "seinen Willen zu respektieren". Unbestimmte Zeit lang hat er gearbeitet, und eine Putzfrau hält seine Wohnung tipptopp in Ordnung. Auf sie will er nicht verzichten, obwohl er ansonsten nichts benötigt, "von all dem, was für ihn zum Greifen nahe ist", im Gegenteil, einem speziellen Backwerk würde er liebend gern entkommen, weshalb er mit dem Gedanken spielt, er "könnte zurückkehren, und sei es nur, um dem Marmorkuchen zu entfliehen".
Eines Tages ruft ihn sein Vater an, um ihm mitzuteilen, dass die Mutter verschwunden ist. Bender reist zurück in sein Dorf. Die Mutter taucht nicht wieder auf, der Vater stirbt nach wenigen Tagen, Bender zündet ihn samt Haus an und beobachtet den aufsteigenden Rauch von einem verlassenen Hotel aus.
Der Roman ist weder reich an Figuren noch an Handlung, wobei die einzelnen Taten meist zweifach geschehen: Wenn Bender eine tote Taube auf dem Balkon vorfindet, muss auch der Vater mit einem toten Hund konfrontiert werden, damit zweifach konstatiert werden kann, eine Wiederauferstehung finde nicht statt, "Wunder wird es hier keine geben".
Stellen dieser Art gibt es zuhauf. Es spricht einiges dafür, dass Goran Fercec damit eine Universalität des Leidens andeuten will. Dabei sitzt er dem Trugschluss auf, ein Text erlange umfassendere Gültigkeit, je unkonkreter er gestaltet ist.
Bender ist als Figur mit etlichen Leerstellen konzipiert. Er meint beweisen zu müssen, kein "Migrant mit einer diagnostizierten Posttraumatischen Belastungsstörung" zu sein, für die Beweisführung fehlt aber jede Referenzgruppe, da im Grunde alle Figuren wie er sind: namenlos, schweigend und latent gewaltbereit. Die Geschichte wird aus Benders Sicht erzählt, aber nicht in Ich-Perspektive. Widersprüchliche Aussagen wirken ungewollt. Wenn aus einem "Feuerzeug" ein "Zündholz" wird, mag das banal sein. Wenn die Flucht mal vor sieben, mal vor neun, vor fünfzehn oder vor zwanzig Jahren stattgefunden hat, sieht die Sache schon anders aus, denn dann geht es um die Frage, was Bender erlebt hat.
In Kroatien lässt er sich schildern, wo die Grenzlinie verlief, und sein Vater berichtet ihm von Gräueltaten, als wüsste er rein gar nichts vom Krieg. Im Text gibt es keine Angabe, wovor Bender geflohen ist. Als während des Flugs Turbulenzen auftreten, benennt er als Ursache dafür "geodätische Unregelmäßigkeiten des Bodens, Meeresnähe sowie gehäufte Veränderungen in den Luftströmungen über diesem Teil Europas", die zudem "gehäuft auftretende Bürgerunruhen, massive Intoleranz im Bezug auf Religion, Ethnie und Nation sowie eine erhöhte Tendenz zum Suizid" nach sich ziehen. Sexuelle Orientierung nennt er nicht, obwohl er schwul ist.
Im Westen kämpft Bender gegen "Resignation, die sich wiederum aus seinem Unterlegenheitsgefühl ableitet". Auf welchen Erfahrungen dieses Gefühl des Protagonisten fußt, ob es sich der etwaigen "Posttraumatischen Belastungsstörung" hinzugesellt oder der Grund für seine Abschottung als Person ist, bleibt indes ein Geheimnis im Roman.
Benders Assoziationen sind durch die Bank "westlich". Beim Anblick der Spaghetti, die er auf den geschlossenen Klodeckel erbricht, denkt er an James Rosenquists "I love you with my ford", bei seinem Spiegelbild an Jean-Luc Godard und bei einem Brummen in der Luft an ein Didgeridoo. Wo und wann dieser so dezidiert westliche kulturelle Bezugsrahmen entstanden ist - auch das will der Autor Goran Fercec nicht preisgeben.
Mit "Wunder wird es hier keine geben" hat er 2011 sein Debüt als Romancier vorgelegt. Zuvor hatte er Dramen und Essays verfasst. Interessant ist ein Blick in das Werk von Sasa Stanisic, der ebenfalls 1978 geboren wurde, als Sohn einer Bosniakin und eines Serben, und der sich vergleichbarer sprachlicher Mittel wie kurzer Sätze, Wiederholung und den Verzicht auf Anführungszeichen bei der direkten Rede bedient. Trotzdem ist sein Ton kraftvoller. Bei Fercec stellen ellenlange Aufzählungen von Stücken in Schuppen und Keller eine Herausforderung dar, zur Kapitulation zwingen Doppelungen wie "Bender sagt, er glaube ihm nicht. Ich glaube dir nicht, sagt Bender" oder allzu schlichte Strukturen wie "Bender schlägt die Zeitschrift zu. Bender legt die Zeitschrift weg. Bender legt den Kopf zurück und schließt die Augen".
"Nie sollst du mich befragen, noch Wissens Sorge tragen, woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam' und Art!" Goran Fercec hat das Auskunftsverbot aus "Lohengrin" konsequent umgesetzt. Am Ende bleibt alles blass: der einzelne Mensch, der Krieg und existenzielles Leid. Jenseits der Buchdeckel lässt sich aber fragen, ob hier nicht ex negativo ein flammendes Plädoyer vorliege, ein wenig lebendige, interessierte Neugier zu pflegen und zu praktizieren. CHRISTIANE PÖHLMANN.
Goran Fercec: "Wunder wird es hier keine geben". Roman.
Aus dem Kroatischen von Mascha Dabic. Residenz Verlag, Salzburg 2021. 288 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Christiane Pöhlmann wird nicht recht warm mit dem neuen Roman von Goran Ferenc. Die figuren- und handlungsarme Geschichte dreht sich um einen 39-jährigen, in den Westen geflohenen Jugoslawen namens Bender, der in sein Heimatdorf zurückkehrt, nachdem sein Vater ihm mitgeteilt hat, dass Mutter verschwunden ist, resümiert die Kritikerin. Auch jener Bender wird nur angedeutet, der Leser erfährt, dass er schwul, resigniert und einsam ist, nicht aber wann und wovor er geflohen ist. Zahlreiche Wiederholungen und Leerstellen machen die Geschichte dennoch nicht universell gültig und aus Ferenc auch keinen Stanisic, schließt die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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