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Der Reformer erinnert sichHans Modrow galt als Erneuerer und Hoffnungsträger. Nach der Deutschen Einheit saß er für die PDS als Abgeordneter im Bundestag und im Europaparlament. Die Journalistin Gabriele Oertel hat lange Interviews mit dem 82-Jährigen geführt, der es auch nach über sechs Jahrzehnten Politik nicht lassen kann, sich einzumischen. Und den mit Blick auf die Wendezeit vor allem bewegt, "dass wir zwanzig Jahre danach immer noch Schwierigkeiten haben, diese Zeit mit der Reife zu betrachten, die sie uns eigentlich abfordert".

Produktbeschreibung
Der Reformer erinnert sichHans Modrow galt als Erneuerer und Hoffnungsträger. Nach der Deutschen Einheit saß er für die PDS als Abgeordneter im Bundestag und im Europaparlament. Die Journalistin Gabriele Oertel hat lange Interviews mit dem 82-Jährigen geführt, der es auch nach über sechs Jahrzehnten Politik nicht lassen kann, sich einzumischen. Und den mit Blick auf die Wendezeit vor allem bewegt, "dass wir zwanzig Jahre danach immer noch Schwierigkeiten haben, diese Zeit mit der Reife zu betrachten, die sie uns eigentlich abfordert".
Autorenporträt
Gabriele Oertel, Journalistin, wurde 1953 geboren. Sie war als Redakteurin bei verschiedenen Zeitungen tätig, bevor sie als ADN-Korrespondentin nach Bonn ging. Heute ist sie stellvertretende Chefredakteurin beim "Neuen Deutschland".

Hans Modrow, Politiker, wurde 1928 in der polnischen Woiwodschaft Westpommern bei Pölitz geboren. Er war der vorletzte Ministerpräsident der DDR und ist heute Vorsitzender des Ältestenrates der Partei DIE LINKE.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.2010

Ein Modrow-Cocktail
Der vorletzte Ministerpräsident der DDR denkt immer nur an sich

Hans Modrow geht es gut. Er macht sich nur Sorgen um seinen Nachruhm. Und da ihm partout niemand Kränze flicht, macht er es selbst. "Sagen, was ist" heißt jetzt ein Buch, das aus Interviews besteht. Manche, wie die mit den Töchtern und Mitarbeitern aus Modrows Dresdener Zeit, werden zusammengefasst, andere liest man in Frage-Antwort-Form, etwa mit Valentin Falin, Manfred Stolpe und Egon Bahr. Der SPD-Veteran hat im Buch sogar das letzte Wort. Seine Aussagen tragen den Titel: "Das Gegenteil einer Wetterfahne". Soll heißen: Stetigkeit ist eine Zier.

"Sagen, was ist" wird dem frühen Sozialdemokraten Ferdinand Lasalle zugeschrieben; es dem 82 Jahre alten Modrow in den Mund zu legen, wirkt angestrengt. Denn dieser ist nicht gerade ein Mann der Lauterkeit und Klarheit, er setzt mehr auf Anprangerung und üble Nachrede. Im Januar 2009 beschuldigte er zusammen mit Sahra Wagenknecht den Berliner Linkspartei-Vorsitzenden Klaus Lederer, dieser pflege "eine unerträgliche Nähe zu aktiven Unterstützern des gegenwärtigen Krieges". Lederer hatte für das Existenzrecht Israels plädiert. In seinem neuesten Buch beklagt Modrow, kurz nach Veröffentlichung des Entwurfs für ein Parteiprogramm hätten einige Linke-Politiker mit "lukrativen Karrieren" den Text scharf kritisiert - als seien die Ämter und Mandate der Verteidiger des Entwurfs, allen voran Frau Wagenknecht, die von der Galionsfigur der Kommunistischen Plattform der PDS in der Linkspartei zur stellvertretenden Parteivorsitzenden aufstieg, nicht mindestens so "lukrativ".

In seinem Buch von 2008 stritt Modrow für die - postume - Anerkennung der DDR. Im neuen streitet er für sich selbst, für einen Platz in den Geschichtsbüchern. Gleich auf den ersten Seiten, im Kapitel "Ins neue Deutschland" macht er klar, dass er ganz der Mann des alten, nämlich der DDR, ist: Er habe "die Erfahrung gemacht, dass das mit der viel beschworenen Demokratie in bürgerlichen Parlamenten nicht weit her ist". "Moral und Ethik" haben seiner Ansicht nach in der Marktwirtschaft "keinen Platz". Wer Interesse dafür aufbringt, wie die 1989 entmachteten SED-Eliten heute denken, dem wird die Modrow-Lektüre schöne Früchte eines stalinistischen Antistalinismus schenken: Modrow hält den Verzicht auf den Führungsanspruch einer sozialistischen Partei zum Beispiel für ein "heißes Eisen". Die SED hatte ihren in der DDR-Verfassung festgeschrieben. Aufschlussreich ist der Grund, den er nennt: Der Führungsanspruch bringe mit sich, dass sich viele "auch persönlich hinter diesem Verdikt nach der Devise verstecken können, nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe zu sein". Den Begriff "Gehirnwäsche" lehnt Modrow ab, doch wie umfassend er als junger Gefangener der Roten Armee zum Mann Moskaus und ein Vertreter des Stalinismus als System geworden ist, fasst er so zusammen: "Die Rolle der Sowjetunion hat man zu respektieren, daran habe ich mich immer gehalten." Gorbatschows "Glasnost" lehnt er noch heute ab: "Wenn man plötzlich Erkenntnisse aus der Geschichte, Aussagen und Bewertungen ungeprüft auf den Kopf stellt, halte ich das nach wie vor für problematisch." Seinen Parteifreunden, die in Berlin und Potsdam mitregieren, fehlt seiner Ansicht nach "die notwendige Reife im Umgang mit der jüngeren Geschichte und damit auch der DDR", sie hätten sich, anders als in Nordrhein-Westfalen, "bei der Geschichtsfrage genügend angepasst", um für die SPD in Betracht zu kommen.

Wie sehr die Zeit über ihn, der gegen Ende der DDR mal als "deutscher Gorbatschow" galt, hinweggegangen ist, zeigt sich in unfreiwillig komischen Äußerungen wie: "In der DDR hatten wir eine Eingaben-Demokratie. Heute funktioniert nicht mal das." Was seit 1982 gut funktioniert, ist die Beziehung zu Oskar Lafontaine. Die beiden verbindet das taube Ohr, das sie dem Stalinismus als Denk- und Herrschaftsstruktur entgegenhalten. Wenn "der Sprecher der Historischen Kommission der Linkspartei unlängst wieder erklärte, dass an erster Stelle für die Betrachtung der Geschichte die Frage des Stalinismus steht", ärgert Modrow sich. Und er freut sich, wenn Lafontaine "als ehemaliges SPD-Mitglied mich fragt, was er mit dem Stalinismus am Hut haben soll". An der Stelle hakt die sonst langmütige Interviewerin Gabriele Oertel nach: Es habe nach der öffentlichen Schlachtung des Geschäftsführers Bartsch im Auftrag von Lafontaine doch selbst der Parteivorsitzende Lothar Bisky von Stalinismus gesprochen. Modrow erwidert kühl: "Der Ton gegenüber Dietmar Bartsch gefiel mir auch nicht, aber eine überzogene Mahnung ist keine Parteistrafe." Und die sind im Leben eines Stalinisten nun einmal wirklich lebensgefährlich.

MECHTHILD KÜPPER

Gabriele Oertel: Hans Modrow. Sagen, was ist. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2010. 224 S., 16,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht erwärmen kann sich Mechthild Küpper für diese Sammlung von Interviews mit Hans Modrow, dem vorletzten Ministerpräsidenten der DDR. Aufschlussreich findet sie das Buch höchstens für Leser, die wissen wollen, wie einstige SED-Eliten heute ticken. Insofern hält sie die Interviews mit Modrow durchaus für interessant. Aus ihnen spricht für Küpper die Unbelehrbarkeit eines "stalinistischen Antistalinismus". Scheint ihr Modrows Buch von 2008 in erster Linie ein Plädoyer für die Anerkennung der DDR zu sein, geht es dem ehemaligen DDR-Ministerpräsident ihres Erachtens im neuen Buch primär selbstgerecht um sich selbst, um seinen "Platz in den Geschichtsbüchern". Sympathie kommt bei der Rezensentin dabei nicht auf.

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