Von Hidden Champions zu sichtbaren Weltmarktführern: Zum ersten Mal erzählen hochrangige Geschäftsführer des deutschen gehobenen Mittelstands über ihre Strategien und ihre industriellen Investitionen in Frankreich. Ein umfangreicher und unverzichtbarer Erfahrungsbericht von erstklassigen Leadern.
Wie schaffen es diese Unternehmen, im zunehmend aggressiven internationalen Wettbewerb weiter in Frankreich und in Deutschland zu produzieren? Was treibt diese Mittelständler nach Frankreich? Welche Ziele verfolgen sie? Worauf müssen sie im Zeitalter der Digitalisierung besonders achten? Inwieweit tragen mittelständische Unternehmen zu einer Vertiefung der deutsch-französischen wirtschaftlichen Kooperation bei?
Wie schaffen es diese Unternehmen, im zunehmend aggressiven internationalen Wettbewerb weiter in Frankreich und in Deutschland zu produzieren? Was treibt diese Mittelständler nach Frankreich? Welche Ziele verfolgen sie? Worauf müssen sie im Zeitalter der Digitalisierung besonders achten? Inwieweit tragen mittelständische Unternehmen zu einer Vertiefung der deutsch-französischen wirtschaftlichen Kooperation bei?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.05.2019Von Frankreich profitieren
Erfahrungen deutscher Mittelständler
Frankreich hat in der deutschen Wirtschaft nicht den besten Ruf. Klischeevorstellungen über staatliche Steuerung der Unternehmenswelt, rebellische Gewerkschaften, hohe Sozialabgaben und Steuern sowie das geringe Ansehen privater Unternehmen in der Öffentlichkeit beherrschen teilweise das Bild. Doch dieses Image ist in keiner Weise vollständig. Es lohnt sich, auf jene zu hören, die das Land von innen heraus seit langem erleben: "Der deutsche Mittelstand in Frankreich" ist eine aufschlussreiche Zusammenstellung von Erfahrungsberichten der Unternehmensberater Dorothée Kohler und Jean-Daniel Weisz. Finanziert wurde es von der staatlichen französischen Investitionsbank BPI. Standortwerbung ist ein Motiv dieses Buches. Das entwertet aber nicht die Beschreibungen der dreizehn Unternehmenslenker, die keinen Grund haben, sich gängeln oder zensieren zu lassen.
Das erste Verdienst des in Interviewform aufgebauten Buches ist, dass es schwer erhältliche Informationen liefert. Der Mittelstand bleibt gerne hinter den Kulissen. "Bisher leben wir selbstgenügsam nach dem Sprichwort: ,Um glücklich zu leben, handeln wir im Verborgenen'", sagt Jean-Claude Reverdell, der Geschäftsführer von SEW-Usocome, der französischen Tochtergesellschaft der Süddeutschen Elektromotoren-Werke. Für die Autoren aber öffnen sie ihre Türen. Denn im verschärften Wettbewerb um Fachkräfte und Kunden müssen sie sichtbar werden. Gerade auf dem dünnbesiedelten Land wollen sie sich attraktiv machen.
"Man muss Frankreich allgemein entmystifizieren", sagt beispielsweise Marc-Alexander Burmeister von B. Braun. Der Mythos bestehe darin, dass Frankreich sehr anders sei als Deutschland. Dabei berichtet das im Gesundheitsbereich tätige Unternehmen, dass sein Geschäft in Frankreich dem in Deutschland stark ähnele: gleiche Patienten, gleiche Krankheiten, gleiche Produkte. Auch im Arbeitsrecht und im Dialog mit den Gewerkschaften seien die Prinzipien gleich. "Am Anfang haben Sie das Gefühl, alles ist anders, doch inzwischen sehen wir, dass die Unterschiede vielleicht fünf Prozent ausmachen", sagt Burmeister. Die Englischkenntnisse der Mitarbeiter hätten sich stark verbessert. Was die Regulierung angeht, setzt Burmeister auf das Versprechen der Regierung, die Übererfüllung von Normen nicht länger zu verlangen.
Weitere Kernaussagen der Manager lauten: "Der französische Markt ist äußerst kreativ." (Christophe Charoy, Multivac) oder "Unsere Mitarbeiter in Frankreich sind Avantgardisten." (Adolf Walth, Messer Group). "Wenn man ihnen Raum lässt, entwickeln sie sehr viel. Man sollte nur aufpassen, dass es links und rechts nicht zu weit auseinanderläuft, aber es entstehen viele Ideen, der Boden ist sehr fruchtbar", sagt Walth. Gelobt wird die Verfügbarkeit von Ingenieuren und Software-Entwicklern, zudem eine stabile öffentliche Infrastruktur, gute Hochschulen und eine steuerlich großzügige Förderung von Forschung und Entwicklung. Die deutschen Mittelständler sind daher nicht nur in Frankreich, um den französischen Markt zu bedienen. Viele exportieren jene Produkte, die sie dort erfunden und entwickelt haben. Den Zugang zu Märkten mit spezifisch französischer Verbindung, wie Nordafrika, nutzen manche als weiteren Trumpf.
Klar ist, dass kein Mittelständler alleine aus Kostenüberlegungen nach Frankreich geht. Die Autoren stoßen in ihren Interviews auf eine "gestiegene Attraktivität Frankreichs in Hinblick auf das Verhältnis von Qualität, Kosten und Termintreue". Spezifische Branchenbedingungen kommen hinzu: Frankreich treibt gerade die Modernisierung seiner Fabriken voran, was der Produktion von Ausrüstungsgütern Chancen gibt. Der Werkzeugmaschinenbau oder die Logistik-Systementwickler profitieren vom Bemühen um mehr Automatisierung. Die Qualität des Gesundheitssystems und die noch günstige demographische Entwicklung sind weitere Anziehungspunkte. In der Lebensmittelindustrie wartet ebenfalls beträchtliches Marktpotential, das eine Palette von Unternehmen nutzen kann.
Die französischen Niederlassungen sind in den Augen manches deutschen Mittelständlers auch ein Anlass zum Umdenken und zur Innovation. Denn kulturelle Unterschiede bleiben, wie "das unbedingte Bedürfnis, zu improvisieren (vor allem in Bezug auf die Tagesordnung bei Sitzungen), Position zu einem Thema zu beziehen, für das man nicht kompetent ist, bereits gefasste Beschlüsse infrage zu stellen, abgestimmte vertragliche Bedingungen zu verändern und so weiter". Doch diese Andersartigkeit kann auch belebend sein. Die Franzosen bringen eine andere Diskussionskultur ein. Ihre Botschaften überbringen sie oft zwischen den Zeilen und damit weniger direkt als die Deutschen. In Frankreich wird in der Kommunikation stärker auf das Verständnis der Beweggründe des Handelnden geachtet.
Gemeinsam schätzen die Manager zudem die von Präsident Emmanuel Macron eingeleiteten Reformen, darunter die Initiativen zugunsten der Industrie, "auch wenn man sich eine größere Nähe der Volksvertreter zur Welt der Industrie und vor allem einen anderen Blick der französischen Gesellschaft auf die Industrie wünscht". Der Unternehmensberater und Ex-Chef der Mea AG, Patrice Pélissier, macht allerdings die Einschränkung, dass die Auswirkungen der "Gelbwesten"-Bewegung begrenzt bleiben müssten. In diesem Fall biete Frankreich heute eine größere Stabilität und Berechenbarkeit als andere Länder, die kürzlich noch "en vogue" waren. Für Pélissier vermittelten die Fernsehbilder über die "Gelbwesten" das falsche Bild. Es hätten nicht Hunderttausende gewalttätige Demonstranten die Straßen erobert. Pélissier habe mit dem sozialen Dialog in Frankreich ausgezeichnete Erfahrungen gemacht - "vielleicht mit Ausnahme der einen Nacht, in der man mich eingesperrt hat". Doch das lag auch an einem "inkompetenten Geschäftsführer" vor Ort, den der Umgang mit den Gewerkschaften überfordert habe.
CHRISTIAN SCHUBERT
Dorothée Kohler und Jean-Daniel Weisz: Der deutsche Mittelstand in Frankreich. Wenn Wirtschaft Politik macht. Springer Gabler, Wiesbaden, 2019, 230 Seiten
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erfahrungen deutscher Mittelständler
Frankreich hat in der deutschen Wirtschaft nicht den besten Ruf. Klischeevorstellungen über staatliche Steuerung der Unternehmenswelt, rebellische Gewerkschaften, hohe Sozialabgaben und Steuern sowie das geringe Ansehen privater Unternehmen in der Öffentlichkeit beherrschen teilweise das Bild. Doch dieses Image ist in keiner Weise vollständig. Es lohnt sich, auf jene zu hören, die das Land von innen heraus seit langem erleben: "Der deutsche Mittelstand in Frankreich" ist eine aufschlussreiche Zusammenstellung von Erfahrungsberichten der Unternehmensberater Dorothée Kohler und Jean-Daniel Weisz. Finanziert wurde es von der staatlichen französischen Investitionsbank BPI. Standortwerbung ist ein Motiv dieses Buches. Das entwertet aber nicht die Beschreibungen der dreizehn Unternehmenslenker, die keinen Grund haben, sich gängeln oder zensieren zu lassen.
Das erste Verdienst des in Interviewform aufgebauten Buches ist, dass es schwer erhältliche Informationen liefert. Der Mittelstand bleibt gerne hinter den Kulissen. "Bisher leben wir selbstgenügsam nach dem Sprichwort: ,Um glücklich zu leben, handeln wir im Verborgenen'", sagt Jean-Claude Reverdell, der Geschäftsführer von SEW-Usocome, der französischen Tochtergesellschaft der Süddeutschen Elektromotoren-Werke. Für die Autoren aber öffnen sie ihre Türen. Denn im verschärften Wettbewerb um Fachkräfte und Kunden müssen sie sichtbar werden. Gerade auf dem dünnbesiedelten Land wollen sie sich attraktiv machen.
"Man muss Frankreich allgemein entmystifizieren", sagt beispielsweise Marc-Alexander Burmeister von B. Braun. Der Mythos bestehe darin, dass Frankreich sehr anders sei als Deutschland. Dabei berichtet das im Gesundheitsbereich tätige Unternehmen, dass sein Geschäft in Frankreich dem in Deutschland stark ähnele: gleiche Patienten, gleiche Krankheiten, gleiche Produkte. Auch im Arbeitsrecht und im Dialog mit den Gewerkschaften seien die Prinzipien gleich. "Am Anfang haben Sie das Gefühl, alles ist anders, doch inzwischen sehen wir, dass die Unterschiede vielleicht fünf Prozent ausmachen", sagt Burmeister. Die Englischkenntnisse der Mitarbeiter hätten sich stark verbessert. Was die Regulierung angeht, setzt Burmeister auf das Versprechen der Regierung, die Übererfüllung von Normen nicht länger zu verlangen.
Weitere Kernaussagen der Manager lauten: "Der französische Markt ist äußerst kreativ." (Christophe Charoy, Multivac) oder "Unsere Mitarbeiter in Frankreich sind Avantgardisten." (Adolf Walth, Messer Group). "Wenn man ihnen Raum lässt, entwickeln sie sehr viel. Man sollte nur aufpassen, dass es links und rechts nicht zu weit auseinanderläuft, aber es entstehen viele Ideen, der Boden ist sehr fruchtbar", sagt Walth. Gelobt wird die Verfügbarkeit von Ingenieuren und Software-Entwicklern, zudem eine stabile öffentliche Infrastruktur, gute Hochschulen und eine steuerlich großzügige Förderung von Forschung und Entwicklung. Die deutschen Mittelständler sind daher nicht nur in Frankreich, um den französischen Markt zu bedienen. Viele exportieren jene Produkte, die sie dort erfunden und entwickelt haben. Den Zugang zu Märkten mit spezifisch französischer Verbindung, wie Nordafrika, nutzen manche als weiteren Trumpf.
Klar ist, dass kein Mittelständler alleine aus Kostenüberlegungen nach Frankreich geht. Die Autoren stoßen in ihren Interviews auf eine "gestiegene Attraktivität Frankreichs in Hinblick auf das Verhältnis von Qualität, Kosten und Termintreue". Spezifische Branchenbedingungen kommen hinzu: Frankreich treibt gerade die Modernisierung seiner Fabriken voran, was der Produktion von Ausrüstungsgütern Chancen gibt. Der Werkzeugmaschinenbau oder die Logistik-Systementwickler profitieren vom Bemühen um mehr Automatisierung. Die Qualität des Gesundheitssystems und die noch günstige demographische Entwicklung sind weitere Anziehungspunkte. In der Lebensmittelindustrie wartet ebenfalls beträchtliches Marktpotential, das eine Palette von Unternehmen nutzen kann.
Die französischen Niederlassungen sind in den Augen manches deutschen Mittelständlers auch ein Anlass zum Umdenken und zur Innovation. Denn kulturelle Unterschiede bleiben, wie "das unbedingte Bedürfnis, zu improvisieren (vor allem in Bezug auf die Tagesordnung bei Sitzungen), Position zu einem Thema zu beziehen, für das man nicht kompetent ist, bereits gefasste Beschlüsse infrage zu stellen, abgestimmte vertragliche Bedingungen zu verändern und so weiter". Doch diese Andersartigkeit kann auch belebend sein. Die Franzosen bringen eine andere Diskussionskultur ein. Ihre Botschaften überbringen sie oft zwischen den Zeilen und damit weniger direkt als die Deutschen. In Frankreich wird in der Kommunikation stärker auf das Verständnis der Beweggründe des Handelnden geachtet.
Gemeinsam schätzen die Manager zudem die von Präsident Emmanuel Macron eingeleiteten Reformen, darunter die Initiativen zugunsten der Industrie, "auch wenn man sich eine größere Nähe der Volksvertreter zur Welt der Industrie und vor allem einen anderen Blick der französischen Gesellschaft auf die Industrie wünscht". Der Unternehmensberater und Ex-Chef der Mea AG, Patrice Pélissier, macht allerdings die Einschränkung, dass die Auswirkungen der "Gelbwesten"-Bewegung begrenzt bleiben müssten. In diesem Fall biete Frankreich heute eine größere Stabilität und Berechenbarkeit als andere Länder, die kürzlich noch "en vogue" waren. Für Pélissier vermittelten die Fernsehbilder über die "Gelbwesten" das falsche Bild. Es hätten nicht Hunderttausende gewalttätige Demonstranten die Straßen erobert. Pélissier habe mit dem sozialen Dialog in Frankreich ausgezeichnete Erfahrungen gemacht - "vielleicht mit Ausnahme der einen Nacht, in der man mich eingesperrt hat". Doch das lag auch an einem "inkompetenten Geschäftsführer" vor Ort, den der Umgang mit den Gewerkschaften überfordert habe.
CHRISTIAN SCHUBERT
Dorothée Kohler und Jean-Daniel Weisz: Der deutsche Mittelstand in Frankreich. Wenn Wirtschaft Politik macht. Springer Gabler, Wiesbaden, 2019, 230 Seiten
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