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Ab November 1933 verfügte die deutsche Kriminalpolizei im Rahmen der "vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" über die Möglichkeit, Personen aufgrund ihrer Vorstrafen in Konzentrationslager einzuweisen. Insgesamt betraf dies mehrere Zehntausend Menschen, von denen ca. 9000 als "Berufsverbrecher" im KZ Sachsenhausen geführt wurden. Der vorliegende Band befasst sich mit der Verfolgung einer bislang weitgehend unbekannten Haftgruppe. Anhand einzelner Schicksale werden sowohl die kriminalpolizeiliche Praxis als auch die Situation von "Berufsverbrechern" in der Häftlingsgesellschaft behandelt sowie ihr…mehr

Produktbeschreibung
Ab November 1933 verfügte die deutsche Kriminalpolizei im Rahmen der "vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" über die Möglichkeit, Personen aufgrund ihrer Vorstrafen in Konzentrationslager einzuweisen. Insgesamt betraf dies mehrere Zehntausend Menschen, von denen ca. 9000 als "Berufsverbrecher" im KZ Sachsenhausen geführt wurden. Der vorliegende Band befasst sich mit der Verfolgung einer bislang weitgehend unbekannten Haftgruppe. Anhand einzelner Schicksale werden sowohl die kriminalpolizeiliche Praxis als auch die Situation von "Berufsverbrechern" in der Häftlingsgesellschaft behandelt sowie ihr Ausschluss aus der Erinnerungskultur und der materiellen Entschädigung thematisiert.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.2016

Mit dem grünen Winkel
Wilddiebe und "Berufsverbrecher" im Einsatz für die SS

Das 1936 entstandene KZ Sachsenhausen bei Oranienburg, 30 Kilometer nördlich von Berlin, entwickelte sich bis Kriegsbeginn im September 1939 zum größten Konzentrationslager auf deutschem Boden. Mindestens 200 000 Menschen waren dort zwischen 1936 und 1945 von den Nationalsozialisten inhaftiert worden. Trotz vieler Zeugenaussagen, Berichte und Erinnerungen fehlte bislang eine wissenschaftlich fundierte Darstellung. Diese Forschungslücke wurde jetzt geschlossen durch die quellengesättigte Studie von Dagmar Lieske. Der Klappentext liefert eine erste, aber treffende Einordnung: Seit November 1933 verfügte die deutsche Kriminalpolizei im Rahmen der "vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" über die Möglichkeit, vorbestrafte Täter in Konzentrationslager einzuweisen. "Insgesamt betraf dies mehrere Zehntausend Menschen, von denen zirka 9000 als ,Berufsverbrecher' im KZ Sachsenhausen inhaftiert wurden. Der vorliegende Band befasst sich mit der Verfolgung einer bislang weitgehend unbekannten Haftgruppe. Anhand einzelner Schicksale werden sowohl die kriminalpolizeiliche Praxis als auch die Situation der "Berufsverbrecher" im Lager sowie innerhalb der Häftlingsgesellschaft behandelt. Thematisiert wird auch ihr Ausschluss aus der Erinnerungskultur und der materiellen Entschädigung" nach dem Zweiten Weltkrieg.

Am 18. April 1944 notierte ein von der Geheimen Staatspolizei aus politischen Gründen inhaftierter "Schutzhäftling" in seinem heimlich geführten Tagebuch zum Übertritt von "Berufsverbrechern" (BV) in eine SS-Einheit: "Gestern zog ein großer Trupp BV-Leute hier weg. Sie wurden entlassen, um zur Front zu ziehen. Schwerverbrecher und Pack werden jetzt unter Ehrenbezeigungen und Kameradschaftsgesten eingezogen. Es wurden ihnen Geschenke und Blumen überreicht, und vor der Abreise wurden sie vor dem Haupteingang gefilmt. Mörder und zum Tode Verurteilte, gefährliche Feinde der Gemeinschaft - jetzt sind sie Kameraden und sollen für das große Vaterland und die deutsche Ehre kämpfen!"

Bei der genannten Gruppe handelte es sich um ehemalige Häftlinge, die am 17. April 1944 in die Waffen-SS aufgenommen worden waren. Eine Namensliste vom 19. Mai 1944, die unter der Bezeichnung "SS Sonderkommando Dirlewanger" überliefert ist, verweist auf 292 Häftlinge, darunter 196 "Berufsverbrecher", die wenig später von der SS rekrutiert worden sind. Bereits im Juni 1940 hatte "Reichsführer-SS" Heinrich Himmler (Reichsführer-SS) den mehrfach straffällig gewordenen SS-Führer Oskar Dirlewanger beauftragt, eine Sondereinheit zusammenzustellen, die unter der Bezeichnung "Wilddiebkommando Oranienburg" firmierte, da sie zunächst nur aus vorbestraften Wilddieben bestand. Schon im August 1943 sollen etwa 300 "Berufsverbrecher" das KZ Sachsenhausen in SS-Uniformen verlassen haben, um in der "Sturmbrigade Dirlewanger" zu kämpfen. Sie galten nicht als "vollwertige" Kameraden, sondern wurden von der SS-Führung als "Kanonenfutter" eingesetzt.

Wenn man bedenkt, dass auch disziplinarisch bestrafte ehemalige SS-Männer zur "Bewährung" unter Dirlewanger an der Partisanenbekämpfung in Weißrussland sowie bei der brutalen Niederschlagung des Warschauer Aufstands (1944) beteiligt waren, erscheint es fraglich, ob die Kategorien von "Opfern" und "Tätern" im breiten Spektrum der "Berufsverbrecher" noch zu trennen sind. Im Dezember 1944 soll Dirlewangers Truppe noch etwa 6500 Männer umfasst haben, darunter zirka 30 Prozent ehemalige KZ-Häftlinge unterschiedlicher, auch ausländischer Herkunft.

Bis zur Befreiung im April 1945 lassen sich folgende Häftlingsgruppen im KZ Sachsenhausen feststellen: Schutzhäftlinge (politische und weltanschauliche Gegner, insbesondere Kommunisten und Sozialdemokraten, sowie deutsche und ausländische Juden, Bibelforscher beziehungsweise Zeugen Jehovas); Vorbeugehäftlinge (Asoziale, Berufsverbrecher, Sittlichkeitsverbrecher, Homosexuelle, Sinti und Roma). "Berufsverbrecher" hatten meist ein längeres Vorstrafenregister aus dem Bereich von Eigentums- und Betrugsdelikten. Unter den "Asozialen" befanden sich überwiegend Angehörige der traditionellen sozialen Randgruppen (Obdachlose, Bettler, Zuhälter). Jüdische Häftlinge wurden entweder den "Politischen" oder den "Kriminellen" zugeordnet - je nachdem, welche Vergehen man ihnen zur Last legte. Als Kennzeichen mussten sie ein gelbes Stück Stoff tragen. Nach den Novemberpogromen 1938 wurden annähernd 6000 Juden unter menschenverachtenden Bedingungen eingeliefert.

Dank intensiver Quellenstudien in zahlreichen Archiven konnte Dagmar Lieske die von der SS angestrebte Spaltung und Instrumentalisierung der verschiedenen Häftlingsgruppen im KZ Sachsenhausen überzeugend nachweisen. Ehemals politische "Schutzhäftlinge" (rote Winkel) und vormalige "Berufsverbrecher" (grüne Winkel) betonten noch Jahrzehnte nach ihrer Lagerhaft die - von der SS geschürten - Spannungen zwischen den "Roten" und den "Grünen". Die Tatsache, dass viele Kontrahenten nach 1945 bei Zeugenaussagen vor Gericht immer wieder "ihre" Winkelfarbe erwähnten, demonstriere, wie nachhaltig und identitätsstiftend diese von der SS implementierte Symbolik auf die Individuen gewirkt habe. Den meisten "Kriminellen" ermöglichte der "grüne Winkel" nach der Befreiung jedoch keine positive Identität.

Ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis, der leserfreundliche Anmerkungsapparat am Fuße der Seiten und ein hilfreiches Personenverzeichnis runden die lesenswerte Publikation ab.

HANS-JÜRGEN DÖSCHER

Dagmar Lieske: Unbequeme Opfer? "Berufsverbrecher" als Häftlinge im KZ Sachsenhausen. Forschungsbeiträge und Materialien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Band 16. Metropol Verlag, Berlin 2016. 422 S., 24,- [Euro].

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