Die Frühe Neuzeit war das Zeitalter des Geheimnisses. Selten zuvor und niemals danach hat es in der europäischen Geschichte eine solche Faszination für Geheimnisse und Geheimhaltung gegeben. Dennoch ist dieser Bereich der Wissenschafts- und Kulturgeschichte bisher nur wenig erforscht. Ausgehend von der jüdischen Geschichte entwirft Daniel Jütte eine Geschichte des Geheimnisses. Er rekonstruiert den Markt für Geheimnisse und zeigt, dass die jüdische Minderheit auf diesem Feld eine überragende Rolle spielte. Die Studie bringt nicht nur neue Erkenntnisse für die jüdische Geschichte, sondern auch für die allgemeine Wissenschafts- und Kulturgeschichte.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Gefesselt und genussvoll hat Urs Hafner Daniel Jüttes Erkundungen über den Handel mit Geheimnissen in der frühen Neuzeit goutiert. Die Dissertation schöpft vor allem aus italienischen und venezianischen Quellen und belegt nicht nur den wirtschaftlichen und sozialen hohen Rang, den das Wissen um Geheimnisse in der Zeit hatte, sondern auch welche herausragende Stellung die Juden im Geheimnishandel innehatten. Dabei betont der Rezensent, dass die nach einem "antisemitischen Stereotyp" klingende These in der frühen Neuzeit durchaus den Realitäten entsprach, was der Autor anhand ausgewählter Biografien zu untermauern weiß. Am konzentriertesten blickt er dabei auf den "Hofingenieur, Mathematiker, Alchemisten, Pulverhersteller, Kryptologen, Magus und Händler von Luxusgütern" Abramo Colorni, einem legendären "professore de'secreti" im 16. Jahrhundert, erfahren wir. Hafner zeigt sich höchst angetan vom Schreibstil und der originellen Argumentation des Autors und findet darin einen spannenden Ansatz zur "Neubewertung des Verhältnisses von christlichen und jüdischen "Wissenskulturen", wie er lobt. Und auch wenn der Rezensent spürt, dass Jütte selbst für den Reiz des Arkanen empfänglich ist, so muss er nirgends das kritische Urteilsvermögen des Historikers vermissen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.2012Vom Magus durfte sich der Fürst einiges erwarten
Forschen nach den okkulten Kräften der Natur: Daniel Jütte untersucht die Ökonomie des Geheimen in der frühen Neuzeit aus einer biographischen Perspektive
Die Austreibung des esoterischen Wissens und der Methoden seiner Gewinnung aus dem Kanon der modernen Wissenschaften war seit dem ersten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts mit dem Vorwurf der Geheimniskrämerei verbunden. Ein Experiment musste wiederholbar und deswegen auch beobachtbar sein. Bis dahin waren die Grenzen zwischen Wissen und Geheimnis anders gezogen. Die Hervorbringung von Wissen war, soweit es sich nicht um die scholastische Reproduktion von schon Gewusstem handelte, immer als Aufdeckung von Geheimnissen beschrieben. Noch die neue Naturerkenntnis, deren Methoden Francis Bacon kanonisiert, fußte darauf, der Natur ihre Geheimnisse zu entreißen. Wie auch immer gewonnen, war dieses Wissen, soweit es sich um technische Kenntnisse handelte oder solche, denen man unterstellte, das finanzielle oder militärische Potential von Herrschern zu mehren, nicht zur allgemeinen Zirkulation gedacht.
Diese Zusammenhänge sind in der Geschichte der Wissenschaften bekannt und weithin unstrittig. Daniel Jütte nimmt sie in seiner ursprünglich als Heidelberger Dissertation verfassten Untersuchung zum Anlass, um der besonderen Rolle der Juden in dieser Ökonomie des Geheimen zwischen 1400 und 1800 nachzugehen. Es ist auffällig, dass Juden auf allen Feldern des arkanen Wissens - von der Alchemie über die Kryptographie bis hin zur Militär- und Waffentechnik - sich in der Formierung und Zirkulation der Wissensbestände besonders hervortaten. Sie handelten mit Rezepturen, schrieben astrologische Abhandlungen, konstruierten Waffen, beschafften seltene Materialien und Stoffe, denen mächtige Wirkungen nachgesagt wurden, und betrieben im fürstlichen Auftrag alchemische Labore. Jütte arrangiert eine Vielzahl von zum großen Teil bereits bekannten Fällen zu einem facettenreichen Bild.
Ein zweiter, fast ebenso umfänglicher Teil der Untersuchung ist dann der Biographie des 1544 als Sohn eines jüdischen Seidenproduzenten in Mantua geborenen Abramo Colorni gewidmet. Er nutzte seine universitäre Ausbildung in verschiedenen Wissenschaften, seine Sprachkenntnisse und seine geschliffenen Umgangsformen, um sich zunächst an verschiedenen italienischen Höfen, dann auch an deutschen Fürstenresidenzen und schließlich in Prag bei Rudolf II. als Magus, Alchemist, Fortifikationsingenieur und Waffentechniker berühmt zu machen. Die Ergebnisse seiner Bemühungen rechtfertigten nicht immer den Ruf und die Versprechungen, so dass gelegentlich nur die überstürzte Flucht blieb. Das Selbstbewusstsein Colornis hat das kaum erreicht. Er verstand sein Tun in der Nachfolge Salomons und inszenierte sich in Schriften und Auftreten als ein professore de' secreti.
Jütte bindet seine biographischen Beobachtungen geschickt in einer Auseinandersetzung mit der Forschung zur Rolle der Juden in der frühneuzeitlichen Wissenschaftsgeschichte zusammen. Man muss den jüdischen Anteil nicht auf einen "Beitrag" reduzieren, weil die Ökonomie des Geheimnisses konstitutiv für die gesamte frühneuzeitliche Wissensproduktion war. Das ist eine deutliche Abgrenzung gegenüber der Forschung, aber gleichzeitig wird das Buch an dieser Stelle tautologisch. Man sieht, was man sieht. Weder wird klar, ob sich Gründe dafür anführen lassen, dass die Juden diese Rolle in der Ökonomie des Wissens spielen konnten, weil sie Juden waren (und was das dann heißen soll), noch wird die Frage nach den möglichen Zusammenhängen zwischen der Beschaffenheit von Wissensbeständen, den medialen und institutionellen Bedingungen ihrer Hervorbringung und Zirkulation sowie ihrer Funktion gestellt.
Wer die Geschichte des jüdischen Lebens in der Vormoderne mit aggregativer Biographik korrigieren will, von dem möchte der Leser wissen, inwiefern die beleuchteten Aspekte einer Biographie etwas mit der sozialen Verfasstheit des jüdischen Lebens im Allgemeinen und im Besonderen zu tun haben. Der Verweis auf die auffallende Affinität jüdischer Religiosität zum Geheimnis genügt da keineswegs. Und wer das Geheimnis in der frühneuzeitlichen Wissensgeschichte beschreiben will, der muss Wissensgeschichte auf der Höhe der Zeit betreiben. Die Geschichte der Juden in der Ökonomie des Geheimen kann also noch geschrieben werden.
RUDOLF SCHLÖGL.
Daniel Jütte: "Das Zeitalter des Geheimnisses". Juden, Christen und die Ökonomie des Geheimen (1400-1800).
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011. 420 S., geb., 54,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Forschen nach den okkulten Kräften der Natur: Daniel Jütte untersucht die Ökonomie des Geheimen in der frühen Neuzeit aus einer biographischen Perspektive
Die Austreibung des esoterischen Wissens und der Methoden seiner Gewinnung aus dem Kanon der modernen Wissenschaften war seit dem ersten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts mit dem Vorwurf der Geheimniskrämerei verbunden. Ein Experiment musste wiederholbar und deswegen auch beobachtbar sein. Bis dahin waren die Grenzen zwischen Wissen und Geheimnis anders gezogen. Die Hervorbringung von Wissen war, soweit es sich nicht um die scholastische Reproduktion von schon Gewusstem handelte, immer als Aufdeckung von Geheimnissen beschrieben. Noch die neue Naturerkenntnis, deren Methoden Francis Bacon kanonisiert, fußte darauf, der Natur ihre Geheimnisse zu entreißen. Wie auch immer gewonnen, war dieses Wissen, soweit es sich um technische Kenntnisse handelte oder solche, denen man unterstellte, das finanzielle oder militärische Potential von Herrschern zu mehren, nicht zur allgemeinen Zirkulation gedacht.
Diese Zusammenhänge sind in der Geschichte der Wissenschaften bekannt und weithin unstrittig. Daniel Jütte nimmt sie in seiner ursprünglich als Heidelberger Dissertation verfassten Untersuchung zum Anlass, um der besonderen Rolle der Juden in dieser Ökonomie des Geheimen zwischen 1400 und 1800 nachzugehen. Es ist auffällig, dass Juden auf allen Feldern des arkanen Wissens - von der Alchemie über die Kryptographie bis hin zur Militär- und Waffentechnik - sich in der Formierung und Zirkulation der Wissensbestände besonders hervortaten. Sie handelten mit Rezepturen, schrieben astrologische Abhandlungen, konstruierten Waffen, beschafften seltene Materialien und Stoffe, denen mächtige Wirkungen nachgesagt wurden, und betrieben im fürstlichen Auftrag alchemische Labore. Jütte arrangiert eine Vielzahl von zum großen Teil bereits bekannten Fällen zu einem facettenreichen Bild.
Ein zweiter, fast ebenso umfänglicher Teil der Untersuchung ist dann der Biographie des 1544 als Sohn eines jüdischen Seidenproduzenten in Mantua geborenen Abramo Colorni gewidmet. Er nutzte seine universitäre Ausbildung in verschiedenen Wissenschaften, seine Sprachkenntnisse und seine geschliffenen Umgangsformen, um sich zunächst an verschiedenen italienischen Höfen, dann auch an deutschen Fürstenresidenzen und schließlich in Prag bei Rudolf II. als Magus, Alchemist, Fortifikationsingenieur und Waffentechniker berühmt zu machen. Die Ergebnisse seiner Bemühungen rechtfertigten nicht immer den Ruf und die Versprechungen, so dass gelegentlich nur die überstürzte Flucht blieb. Das Selbstbewusstsein Colornis hat das kaum erreicht. Er verstand sein Tun in der Nachfolge Salomons und inszenierte sich in Schriften und Auftreten als ein professore de' secreti.
Jütte bindet seine biographischen Beobachtungen geschickt in einer Auseinandersetzung mit der Forschung zur Rolle der Juden in der frühneuzeitlichen Wissenschaftsgeschichte zusammen. Man muss den jüdischen Anteil nicht auf einen "Beitrag" reduzieren, weil die Ökonomie des Geheimnisses konstitutiv für die gesamte frühneuzeitliche Wissensproduktion war. Das ist eine deutliche Abgrenzung gegenüber der Forschung, aber gleichzeitig wird das Buch an dieser Stelle tautologisch. Man sieht, was man sieht. Weder wird klar, ob sich Gründe dafür anführen lassen, dass die Juden diese Rolle in der Ökonomie des Wissens spielen konnten, weil sie Juden waren (und was das dann heißen soll), noch wird die Frage nach den möglichen Zusammenhängen zwischen der Beschaffenheit von Wissensbeständen, den medialen und institutionellen Bedingungen ihrer Hervorbringung und Zirkulation sowie ihrer Funktion gestellt.
Wer die Geschichte des jüdischen Lebens in der Vormoderne mit aggregativer Biographik korrigieren will, von dem möchte der Leser wissen, inwiefern die beleuchteten Aspekte einer Biographie etwas mit der sozialen Verfasstheit des jüdischen Lebens im Allgemeinen und im Besonderen zu tun haben. Der Verweis auf die auffallende Affinität jüdischer Religiosität zum Geheimnis genügt da keineswegs. Und wer das Geheimnis in der frühneuzeitlichen Wissensgeschichte beschreiben will, der muss Wissensgeschichte auf der Höhe der Zeit betreiben. Die Geschichte der Juden in der Ökonomie des Geheimen kann also noch geschrieben werden.
RUDOLF SCHLÖGL.
Daniel Jütte: "Das Zeitalter des Geheimnisses". Juden, Christen und die Ökonomie des Geheimen (1400-1800).
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011. 420 S., geb., 54,95 [Euro].
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