Produktdetails
- Edition Trickster
- Verlag: Peter Hammer Verlag
- Seitenzahl: 167
- Deutsch
- Abmessung: 205mm
- Gewicht: 248g
- ISBN-13: 9783872949035
- ISBN-10: 3872949039
- Artikelnr.: 10413127
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.06.2002Kultur gegen Mensch
Vom Unbehagen in der eigenen Provinz: Eine amerikanische Einführung in den Kulturbegriff
In seiner amerikanischen Fassung ist „Asking and Listening – Ethnography as Personal Adaptation” von Paul Bohannan und Dirk van der Elst ein Einstiegsbuch für Studenten der Kulturanthropologie, die später auf Feldforschungsreise gehen sollen und sich durch Lektüre und mentale Lockerung auf diese Erfahrung vorbereiten. In der deutschen Fassung wird daraus überraschenderweise ein Einführungsbuch für alle in den Kulturbegriff – und diese Kalkulation des Übersetzers Werner Petermann geht ohne große Abstriche auf, denn das ständige Unbehagen am Kulturbegriff hat sich hinterrücks oft genug als ein Unbehagen an der Kultur selbst entpuppt.
Man fährt am besten mit dem Kulturbegriff, wenn man ihn – wie seit Franz Boas in der amerikanischen Anthropologie üblich – weniger zur Befriedigung von Ganzheitsvorstellungen als zur wissenschaftlichen Steigerung von Kontingenzerwartungen einsetzt. Dementsprechend bleibt auch Bohannans Botschaft die doppelte Verwunderung über Flexibilität und Starrsinn: Menschen brauchen Kultur, um sich ihrer natürlichen und fremden Umwelt anpassen zu können, diese Anpassung erzeugt Gewohnheiten und Einschränkungen, die sich bei Umweltveränderungen als Rigidität, Gewalt und Ethnozentrismus äußern, und dann kann sich Kultur gegen ihre Träger wenden und sie unter Umständen zugrunde richten.
Fremd in allen Varianten
Nur der Vergleich mit fremden Kulturen ermöglicht einen Blick für die Einschränkungen, denen man unterliegt und deren Kontingenz man mit Menschlichkeit überhaupt zu identifizieren gewohnt ist. „Tatsächlich ist uns , Menschliches‘ in allen möglichen Varianten fremd – jedem von uns, täglich.” Denn „Menschen lernen gleichzeitig, wie man ein vollwertiges menschliches Wesen und wie man provinziell wird.”
Dieser Einsicht entsprechend, richteten sich Paul Bohannans Feldforschungen gleichermaßen auf die Riten westafrikanischer Tiv und auf die Folgen amerikanischer Ehescheidungen. Und das von ihm mit Dirk van der Elst herauspräparierte Leitmotiv der Kulturanthropologie ist daher kaum die Gewinnung eines Allgemeinmenschlichen, das man bereits besitzt und philosophisch kultivieren möchte. Es ist eher die unbequeme Erkenntnis der diversen provinziellen „Unmenschlichkeiten” jeder Kultur, deren Illusionen partiell vergehen, wenn man gezwungen wird, sich einer fremden Kultur anzuvertrauen oder die selbstzerstörerische Gewalt der eigenen Kultur zu erfahren.
„Kultur gegen Mensch”, der Slogan von Jules Henry, wird bei Bohannan und van der Elst zur schlüssigen Formel des 21. Jahrhunderts, aber auch der Kulturanthropologie selbst – ohne die auch ihre befreiende Erfahrung nicht eintreten kann: die Freude und Verwunderung, wie mannigfach zivilisiert die ganze Welt immer schon gewesen und geblieben ist.
ERHARD SCHÜTTPELZ
PAUL BOHANNAN / DIRK VAN DER ELST: Fast nichts Menschliches ist mir fremd. Wie wir von anderen Kulturen lernen können. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2002. 167 Seiten, 17,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Vom Unbehagen in der eigenen Provinz: Eine amerikanische Einführung in den Kulturbegriff
In seiner amerikanischen Fassung ist „Asking and Listening – Ethnography as Personal Adaptation” von Paul Bohannan und Dirk van der Elst ein Einstiegsbuch für Studenten der Kulturanthropologie, die später auf Feldforschungsreise gehen sollen und sich durch Lektüre und mentale Lockerung auf diese Erfahrung vorbereiten. In der deutschen Fassung wird daraus überraschenderweise ein Einführungsbuch für alle in den Kulturbegriff – und diese Kalkulation des Übersetzers Werner Petermann geht ohne große Abstriche auf, denn das ständige Unbehagen am Kulturbegriff hat sich hinterrücks oft genug als ein Unbehagen an der Kultur selbst entpuppt.
Man fährt am besten mit dem Kulturbegriff, wenn man ihn – wie seit Franz Boas in der amerikanischen Anthropologie üblich – weniger zur Befriedigung von Ganzheitsvorstellungen als zur wissenschaftlichen Steigerung von Kontingenzerwartungen einsetzt. Dementsprechend bleibt auch Bohannans Botschaft die doppelte Verwunderung über Flexibilität und Starrsinn: Menschen brauchen Kultur, um sich ihrer natürlichen und fremden Umwelt anpassen zu können, diese Anpassung erzeugt Gewohnheiten und Einschränkungen, die sich bei Umweltveränderungen als Rigidität, Gewalt und Ethnozentrismus äußern, und dann kann sich Kultur gegen ihre Träger wenden und sie unter Umständen zugrunde richten.
Fremd in allen Varianten
Nur der Vergleich mit fremden Kulturen ermöglicht einen Blick für die Einschränkungen, denen man unterliegt und deren Kontingenz man mit Menschlichkeit überhaupt zu identifizieren gewohnt ist. „Tatsächlich ist uns , Menschliches‘ in allen möglichen Varianten fremd – jedem von uns, täglich.” Denn „Menschen lernen gleichzeitig, wie man ein vollwertiges menschliches Wesen und wie man provinziell wird.”
Dieser Einsicht entsprechend, richteten sich Paul Bohannans Feldforschungen gleichermaßen auf die Riten westafrikanischer Tiv und auf die Folgen amerikanischer Ehescheidungen. Und das von ihm mit Dirk van der Elst herauspräparierte Leitmotiv der Kulturanthropologie ist daher kaum die Gewinnung eines Allgemeinmenschlichen, das man bereits besitzt und philosophisch kultivieren möchte. Es ist eher die unbequeme Erkenntnis der diversen provinziellen „Unmenschlichkeiten” jeder Kultur, deren Illusionen partiell vergehen, wenn man gezwungen wird, sich einer fremden Kultur anzuvertrauen oder die selbstzerstörerische Gewalt der eigenen Kultur zu erfahren.
„Kultur gegen Mensch”, der Slogan von Jules Henry, wird bei Bohannan und van der Elst zur schlüssigen Formel des 21. Jahrhunderts, aber auch der Kulturanthropologie selbst – ohne die auch ihre befreiende Erfahrung nicht eintreten kann: die Freude und Verwunderung, wie mannigfach zivilisiert die ganze Welt immer schon gewesen und geblieben ist.
ERHARD SCHÜTTPELZ
PAUL BOHANNAN / DIRK VAN DER ELST: Fast nichts Menschliches ist mir fremd. Wie wir von anderen Kulturen lernen können. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2002. 167 Seiten, 17,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Erhard Schüttpelz zeigt sich recht angetan von Paul Bohannans und Dirk van der Elsts Einführung in den Kulturbegriff. Nach Ansicht der Autoren brauchen Menschen Kultur, um sich ihrer natürlichen und fremden Umwelt anpassen zu können, berichtet Schüttpelz. Dabei bilden sich Gewohnheiten und Einschränkungen aus, die sich bei Umweltveränderungen als Rigidität, Gewalt und Ethnozentrismus äußern, so dass sich Kultur dann gegen ihre Träger wenden und sie unter Umständen zugrunde richten kann, erklärt weiter der Rezensent. Erst der Vergleich mit fremden Kulturen ermögliche einen Blick für die "Einschränkungen, denen man unterliegt und deren Kontingenz man mit Menschlichkeit überhaupt zu identifizieren gewohnt ist". Entsprechend dieser Einsicht richten die Autoren ihre Feldforschungen laut Rezensent gleichermaßen auf die Riten westafrikanischer Tiv und auf die Folgen amerikanischer Ehescheidungen. Sie kommen so zu der für Schüttpelz "unbequemen Erkenntnis" der diversen provinziellen "Unmenschlichkeiten" jeder Kultur, "deren Illusionen partiell vergehen, wenn man gezwungen wird, sich einer fremden Kultur anzuvertrauen oder die selbstzerstörerische Gewalt der eigenen Kultur zu erfahren".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH