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Examines the culture and conduct of six small and medium-sized enterprises (SMEs) in England and West Germany from 1945 to the late-1970s, drawing on numerous archives in Germany and Britain.

Produktbeschreibung
Examines the culture and conduct of six small and medium-sized enterprises (SMEs) in England and West Germany from 1945 to the late-1970s, drawing on numerous archives in Germany and Britain.
Autorenporträt
David Paulson
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.2024

Der Mittelstand
Ein Meisterwerk aus Deutschland?

Im Ausland gibt es zuweilen eine unkritische Bewunderung des deutschen Mittelstandes. Kürzlich nannte ein Angehöriger des britischen Oberhauses ihn den "Goldstandard für eine hochproduktive Wirtschaft". Das vorliegende Buch will diese Bewertung anhand der Geschichte der mittelständischen Industrie Deutschlands und Großbritanniens seit 1945 überprüfen.

Im ersten Teil fasst es den Forschungsstand zusammen. Das Ökosystem des deutschen Mittelstands zeichnet sich durch folgende Faktoren aus: Starke emotionale Bindungen von Familien an ihre Unternehmen sowie entsprechend langfristige Horizonte und Eigentumsverhältnisse, eine tiefe regionale Verwurzelung, die Konzentration auf weltmarktfähige Spezial- und Qualitätsprodukte, relativ konfliktarme Arbeitsbeziehungen und großen politischen Rückhalt. Die Banken, vor allem die regionalen Sparkassen und Genossenschaftsbanken, trugen zur langfristigen Finanzierung bei, während die im fernen London konzentrierten Großbanken oft nur kurzfristige Überziehungskredite bewilligten. Die politische Elite des Königreichs hatte ebenfalls wenig übrig für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) und begegnete ihnen meist mit Indifferenz. Spezielle Förderprogramme wie in Deutschland gab es nur vereinzelt.

Paulsen lobt das deutsche Ausbildungssystem, das die Grundlage für innovative Qualitätsprodukte schuf. Die anspruchsvolle duale Berufsausbildung war früh standardisiert und breitenwirksam, während es in Großbritannien nur vereinzelt ähnliche Ausbildungsgänge gab. Auf allen Ebenen, nicht nur bei Investoren, dominierten kurzfristige Perspektiven. Auch Schulabgänger waren selten an gering bezahlten Lehrstellen interessiert, sondern zogen besser vergütete Anlernjobs vor. An der Spitze des deutschen Ausbildungssystems, so Paulson, stand der Meister, der hoch qualifiziert die untere Managementebene effizient ausfüllte, die Kommunikation nach oben und unten sicherstellte, und meist großen Respekt genoss. Im Gegensatz dazu stand der britische "foreman", der meist nur über praktische Erfahrungen verfügte und einen geringeren sozialen Status besaß.

Im Gegensatz zu Großbritannien befürworteten in Deutschland Unternehmen, Kammern und Politik das System der beruflichen Ausbildung. Es wurde zwar im Detail kritisiert und verändert, nicht jedoch grundsätzlich infrage gestellt. Das Lob des extrem gut ausgebildeten Meisters als Dreh- und Angelpunkt zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch.

Insgesamt ist nicht zu bestreiten, dass diese Faktoren die relative Stärke des deutschen Mittelstandes und die relative Schwäche seines britischen Pendants erklären. In Großbritannien überlebten relativ wenige Familienunternehmen, die zudem international selten herausragten. Insofern ist der bewundernde Blick nach Deutschland verständlich. Leider bleiben die Probleme und Schwachstellen des deutschen Modells in diesem Buch unterbelichtet.

Das ändert sich in seinem zweiten Teil, der Fallstudien zu je drei Unternehmen aus Baden-Württemberg und den Midlands enthält. Der an sich vielversprechende Ansatz, die Mikroebene einzubeziehen, überzeugt in seiner Umsetzung nur teilweise. Die Auswahl der Firmen aus verschiedenen Branchen wirkt willkürlich. Die disparate Quellenlage erschwert direkte Vergleiche. Positiv ist jedoch, dass die Komplexität mittelständischen Wirtschaftens anschaulich hervortritt. Es ließen sich die angesprochenen nationalen Attribute oft, aber auch nicht immer vor Ort auffinden. In beiden Regionen gab es KMU, die lange erfolgreich wirtschafteten, dann aber scheiterten. Mittelstandstypische Probleme, vor allem Rückzugsverweigerungen alternder Patriarchen, gescheiterte Nachfolgen und das Festhalten an überkommenen Technologien blieben keineswegs auf Großbritannien beschränkt. Hohe technische Kompetenz, ein enger Zusammenhalt von Belegschaft und Eigentümern sowie ein ausgeprägter Betriebsstolz waren keine deutschen Spezifika. Zwar spielten die Banken für den deutschen Mittelstand allgemein eine konstruktivere Rolle, aber in Notsituationen drehten auch sie unbarmherzig den Kredithahn zu. Jedoch vergifteten nur in England militante Berufsgewerkschaften das Betriebsklima.

Die idealtypische Kontrastierung stimmt in vielen, aber längst nicht in allen Fällen. Erfolgreiche Mittelständler gab und gibt es in beiden Ländern, wenngleich man sie in Deutschland deutlich öfter findet. Wichtig für die Zukunft ist die Bewahrung und Weiterentwicklung des unternehmerischen Ökosystems, das den deutschen Mittelstand so stark gemacht hat. Er ist weiterhin eine Säule der deutschen Wirtschaft, aber keineswegs ein Säulenheiliger. Neben Erfolgen hat er auch charakteristische Probleme und steht unter enormem Anpassungsdruck. Die Schattenseiten werden in dem Buch leider zu wenig angesprochen. Lob und Anerkennung überwiegen.

Paulsen sieht im deutschen Mittelstand ein attraktives Gegenmodell zum obsessiven "shareholder capitalism" angelsächsischer Spielart. Dem ist zuzustimmen, aber der Übertragung auf Länder mit unterschiedlichen Wirtschaftskulturen wird kaum möglich sein. Das Buch empfiehlt daher keine Imitation des Mittelstandes, sondern eher eine behutsame Inspiration beim wünschenswerten Umbau der britischen Wirtschaft. HARTMUT BERGHOFF

David Paulson, Family firms in postwar Britain and Germany: competing approaches to business, The Boydell Press, Woodbridge UK 2023, 288 Seiten, 29 Euro.

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