Produktdetails
- Verlag: Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG)
- ISBN-13: 9783896784193
- ISBN-10: 3896784196
- Artikelnr.: 20758062
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2002So hätten wir es gern häufiger
Ein mustergültiges Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa
Dieses Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa möchte bescheiden nicht mehr als "einen Überblick" geben. Während der erste Band die Geschichte der Juden in den einzelnen europäischen Ländern von der Antike bis zur Gegenwart behandelt, thematisiert der zweite Band die europäische Dimension der jüdischen Geschichte transnational. Bis auf wenige sind die Artikel (einundzwanzig im ersten, vierunddreißig im zweiten Band) ohne Anmerkungen geschrieben. Am Ende der Bände ist jeweils eine Auswahlbibliographie zusammengestellt, elf Seiten für Band eins, neun Seiten für Band zwei (vielleicht etwas wenig für die vielen in diesem Band angeschnittenen Themen; im Text wird auf Bücher und "klassische Studien" verwiesen, die nicht in die Bibliographie aufgenommen worden sind). Die Länge der Artikel entspricht dem, worüber sie handeln; ist wenig zu sagen, ist der Artikel kurz (Finnland zwei Seiten), ist viel zu sagen, ist der Artikel länger (Italien fünfundzwanzig Seiten).
Bei einem Handbuch mit vielen Autoren ist es immer leicht, Kritik zu üben und Fehler zu finden, doch dieses Handbuch ist gut zu lesen und in seinem Aufbau einleuchtend. Der erste Band behandelt die Geschichte der Juden zwischen Spanien und Rußland, zwischen Griechenland und Irland und enthält die Sektionen Mitteleuropa, Osteuropa, Südeuropa, Westeuropa und Nordeuropa. Die Artikel und die Sektionen sind jeweils chronologisch aufgebaut (zum Beispiel unter Mitteleuropa: Das Heilige Römische Reich bis 1648; Preußen und Norddeutschland 1648-1871; Bayern und Süddeutschland 1648-1871; Deutschland ab 1871). Im zweiten Band sind die Artikel teils chronologisch (etwa der zur Geschichte der jüdischen Literatur), teils systematisch (so der zur jüdischen Mystik). Dieser zweite Band macht das geschichtliche Handbuch erst richtig interessant, weil in ihm Bereiche thematisiert werden, die man in "gewöhnlichen" Geschichtsüberblicken nicht findet.
In der ersten Sektion werden "Binnenstrukturen" behandelt (Siedlungsformen, Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsstrukturen, Frauen, Familien, Migrationen). Dann folgt die "Religion" (Halacha, Messiasbewegungen, Mystik, Reform, Orthodoxie). Auf die "kulturelle Entwicklung" (Literatur, Kunst, Architektur, Musik, Volkskunde) folgt die "geistige Entwicklung" (Religionsphilosophie, Jüdische Aufklärung, Schulwesen, jüdische Presse, Wissenschaft des Judentums). Hier muß nun doch etwas gelobt und getadelt werden: In dem Artikel über die Religionsphilosophie wird Maimonides zwar genannt, aber über sein großes Schaffen und seine bis heute andauernde Wirkung in Europa wird nicht geschrieben (Hitler hat im Personenregister mehr Einträge als Maimonides). Die "Spanier" Josef Albo und Jehuda Halevi werden gar nicht erst erwähnt, das heißt: die (Religions-)Philosophie des Mittelalters wird zu wenig behandelt.
Erfreulich ist, daß der "Jüdischen Aufklärung (Haskala)" ein eigener Artikel gewidmet ist und sie als eigenständige Bewegung ernst genommen wird. Fünf Artikel behandeln "Die Juden und die christliche Gesellschaft" (Recht, Konversion, Emanzipation, Judenordnungen, Akkulturation); in der Sektion "Judenfeindschaft" (vier Artikel) geht es um Antijudaismus und Antisemitismus. Die Beiträge der letzten Sektion ("Nationalismus, Kosmopolitismus, Internationalismus") widmen sich den Aspekten Nationalstaat, Demokratie, Arbeiterbewegung, Zionismus.
Jeder der Autoren dieses Handbuches vertritt seine eigene Meinung, das Werk ist nicht irgendeiner weltanschaulichen, religiösen oder politischen Absicht verpflichtet. Die Artikel - viele von ihnen sind für dieses Buch ins Deutsche übersetzt worden - sind weder apologetisch noch anklagend, sie sind rein deskriptiv. Der Versuch, einen "Überblick" über die Geschichte der Juden in Europa zu geben, ist gelungen.
In dem Beitrag über die "Wissenschaft des Judentums" wird der programmatische Aufsatz von Immanuel Wolf zitiert ("Über den Begriff einer Wissenschaft des Judentums"), der 1822 in der ersten Nummer der "Zeitschrift für die Wissenschaft des Judentums" erschienen war. In ihm heißt es, in dieser Wissenschaft müsse das Wort Judentum in seiner "umfassendsten Bedeutung" verstanden werden, "als Inbegriff der gesamten Verhältnisse, Eigentümlichkeiten und Leistungen der Juden, in Beziehung auf Religion, Philosophie, Geschichte, Rechtswesen, Literatur überhaupt, Bürgerleben und alle menschlichen Angelegenheiten". Genau so verfährt das neue Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa und wird darum dem Programm der "Wissenschaft des Judentums" in allen Punkten gerecht.
FRIEDRICH NIEWÖHNER
"Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa". Herausgegeben von Elke-Vera Kotowski, Julius H. Schoeps, Hiltrud Wallenborn. Band 1: Länder und Regionen. Band 2: Religion, Kultur, Alltag. Primus Verlag, Darmstadt 2001. 511 u. 507 S., geb., im Schuber 92,-.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein mustergültiges Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa
Dieses Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa möchte bescheiden nicht mehr als "einen Überblick" geben. Während der erste Band die Geschichte der Juden in den einzelnen europäischen Ländern von der Antike bis zur Gegenwart behandelt, thematisiert der zweite Band die europäische Dimension der jüdischen Geschichte transnational. Bis auf wenige sind die Artikel (einundzwanzig im ersten, vierunddreißig im zweiten Band) ohne Anmerkungen geschrieben. Am Ende der Bände ist jeweils eine Auswahlbibliographie zusammengestellt, elf Seiten für Band eins, neun Seiten für Band zwei (vielleicht etwas wenig für die vielen in diesem Band angeschnittenen Themen; im Text wird auf Bücher und "klassische Studien" verwiesen, die nicht in die Bibliographie aufgenommen worden sind). Die Länge der Artikel entspricht dem, worüber sie handeln; ist wenig zu sagen, ist der Artikel kurz (Finnland zwei Seiten), ist viel zu sagen, ist der Artikel länger (Italien fünfundzwanzig Seiten).
Bei einem Handbuch mit vielen Autoren ist es immer leicht, Kritik zu üben und Fehler zu finden, doch dieses Handbuch ist gut zu lesen und in seinem Aufbau einleuchtend. Der erste Band behandelt die Geschichte der Juden zwischen Spanien und Rußland, zwischen Griechenland und Irland und enthält die Sektionen Mitteleuropa, Osteuropa, Südeuropa, Westeuropa und Nordeuropa. Die Artikel und die Sektionen sind jeweils chronologisch aufgebaut (zum Beispiel unter Mitteleuropa: Das Heilige Römische Reich bis 1648; Preußen und Norddeutschland 1648-1871; Bayern und Süddeutschland 1648-1871; Deutschland ab 1871). Im zweiten Band sind die Artikel teils chronologisch (etwa der zur Geschichte der jüdischen Literatur), teils systematisch (so der zur jüdischen Mystik). Dieser zweite Band macht das geschichtliche Handbuch erst richtig interessant, weil in ihm Bereiche thematisiert werden, die man in "gewöhnlichen" Geschichtsüberblicken nicht findet.
In der ersten Sektion werden "Binnenstrukturen" behandelt (Siedlungsformen, Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsstrukturen, Frauen, Familien, Migrationen). Dann folgt die "Religion" (Halacha, Messiasbewegungen, Mystik, Reform, Orthodoxie). Auf die "kulturelle Entwicklung" (Literatur, Kunst, Architektur, Musik, Volkskunde) folgt die "geistige Entwicklung" (Religionsphilosophie, Jüdische Aufklärung, Schulwesen, jüdische Presse, Wissenschaft des Judentums). Hier muß nun doch etwas gelobt und getadelt werden: In dem Artikel über die Religionsphilosophie wird Maimonides zwar genannt, aber über sein großes Schaffen und seine bis heute andauernde Wirkung in Europa wird nicht geschrieben (Hitler hat im Personenregister mehr Einträge als Maimonides). Die "Spanier" Josef Albo und Jehuda Halevi werden gar nicht erst erwähnt, das heißt: die (Religions-)Philosophie des Mittelalters wird zu wenig behandelt.
Erfreulich ist, daß der "Jüdischen Aufklärung (Haskala)" ein eigener Artikel gewidmet ist und sie als eigenständige Bewegung ernst genommen wird. Fünf Artikel behandeln "Die Juden und die christliche Gesellschaft" (Recht, Konversion, Emanzipation, Judenordnungen, Akkulturation); in der Sektion "Judenfeindschaft" (vier Artikel) geht es um Antijudaismus und Antisemitismus. Die Beiträge der letzten Sektion ("Nationalismus, Kosmopolitismus, Internationalismus") widmen sich den Aspekten Nationalstaat, Demokratie, Arbeiterbewegung, Zionismus.
Jeder der Autoren dieses Handbuches vertritt seine eigene Meinung, das Werk ist nicht irgendeiner weltanschaulichen, religiösen oder politischen Absicht verpflichtet. Die Artikel - viele von ihnen sind für dieses Buch ins Deutsche übersetzt worden - sind weder apologetisch noch anklagend, sie sind rein deskriptiv. Der Versuch, einen "Überblick" über die Geschichte der Juden in Europa zu geben, ist gelungen.
In dem Beitrag über die "Wissenschaft des Judentums" wird der programmatische Aufsatz von Immanuel Wolf zitiert ("Über den Begriff einer Wissenschaft des Judentums"), der 1822 in der ersten Nummer der "Zeitschrift für die Wissenschaft des Judentums" erschienen war. In ihm heißt es, in dieser Wissenschaft müsse das Wort Judentum in seiner "umfassendsten Bedeutung" verstanden werden, "als Inbegriff der gesamten Verhältnisse, Eigentümlichkeiten und Leistungen der Juden, in Beziehung auf Religion, Philosophie, Geschichte, Rechtswesen, Literatur überhaupt, Bürgerleben und alle menschlichen Angelegenheiten". Genau so verfährt das neue Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa und wird darum dem Programm der "Wissenschaft des Judentums" in allen Punkten gerecht.
FRIEDRICH NIEWÖHNER
"Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa". Herausgegeben von Elke-Vera Kotowski, Julius H. Schoeps, Hiltrud Wallenborn. Band 1: Länder und Regionen. Band 2: Religion, Kultur, Alltag. Primus Verlag, Darmstadt 2001. 511 u. 507 S., geb., im Schuber 92,-
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Ausgesprochen zufrieden ist Rezensent Friedrich Niewöhner mit den beiden Bänden dieses Handbuches. "Bescheiden" wollten die Herausgeber "nicht mehr als einen Überblick" über die Geschichte der Juden in den einzelnen europäischen Ländern geben, was der Rezensent mustergültig gelungen findet. Punkt für Punkt hakt er seine Prüfliste ab. Verhältnis der Textlänge der jeweiligen Beiträge zur Bedeutung ihres Gegenstandes: angemessen. Die Beiträge selbst: weder apologetisch noch anklagend. Der Aufbau: teils chronologisch, teils systematisch oder nach Ländern geordnet. Die Auswahlbibliografie: in Ordnung, doch für Band zwei vielleicht etwas zu kurz. Denn während im ersten Band die Geschichte der Juden zwischen Spanien und Russland behandelt werde, thematisiere Band zwei Bereiche, die man in gewöhnlichen Geschichtsbüchern nicht finde: jüdische Binnenstrukturen wie Siedlungsformen, Rechts- und Sozialstrukturen, außerdem kulturelle, geistige und politische Entwicklungen. Obwohl der Rezensent hier die Unterbelichtung der mittelalterlichen jüdischen Philosophie bemängelt ("Hitler hat im Personenverzeichnis mehr Einträge als Maimonides"), macht gerade dieser zweite Band das Handbuch für ihn "erst richtig interessant".
© Perlentaucher Medien GmbH"
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