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Ein einfühlsamer, bewegender Roman, erzählt aus Sicht des »Dichterkindes« Ruth Rilke
1957, ein Spätsommertag im Künstlerdorf Fischerhude bei Bremen: Im früheren Atelierhaus der Bildhauerin Clara Westhoff wird renoviert. Tochter Ruth ist nach vierzig Jahren mit ihrer Familie und dem Nachlass des weltberühmten Vaters Rainer Maria Rilke heimgekehrt. Draußen im Garten, am Ufer der Wümme, wo unter alten Weidenbäumen Eisvögel brüten, holen Ruth Erinnerungen ein, an die Kindheit und das bewegte Leben mit ihren Künstlereltern. Ein ergreifender Roman, der faszinierende Einblicke in das…mehr

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Produktbeschreibung
Ein einfühlsamer, bewegender Roman, erzählt aus Sicht des »Dichterkindes« Ruth Rilke

1957, ein Spätsommertag im Künstlerdorf Fischerhude bei Bremen: Im früheren Atelierhaus der Bildhauerin Clara Westhoff wird renoviert. Tochter Ruth ist nach vierzig Jahren mit ihrer Familie und dem Nachlass des weltberühmten Vaters Rainer Maria Rilke heimgekehrt. Draußen im Garten, am Ufer der Wümme, wo unter alten Weidenbäumen Eisvögel brüten, holen Ruth Erinnerungen ein, an die Kindheit und das bewegte Leben mit ihren Künstlereltern. Ein ergreifender Roman, der faszinierende Einblicke in das außergewöhnliche Verhältnis zwischen Rilke und seiner »kleinen großen Ruth« bietet. Mit vielen Originalzitaten.

»Es ist wichtig, zu zeigen, wie sehr Ruth es als ihre Lebensaufgabe gesehen und verinnerlicht hatte, diesen Nachlass zu behüten und zu schützen. Das zu lesen hat mich sehr berührt.« Bettina Sieber-Rilke

»... mutig und verständig und inständig in ihrem frühen Alleinsein ...« Rainer Maria Rilke über seine sechsjährige Tochter.

... ein weißes hohes Haus mit Strohdach in einem Garten mit sehr hohen Bäumen. Und von den Wiesen kommt der Wind herein und bringt Weite und Duft und macht den Garten größer als er ist. Da wächst Ruth.« Rainer Maria Rilke
Autorenporträt
Erika Schellenberger ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und als Landeskoordinatorin 'Literatur und Schule' im Büro Kulturelle Bildung des Hessischen Kultusministeriums tätig. Als Vorstandsvorsitzende und Jurymitglied des Literaturvereins "Zwei Raben" organisiert sie Autorenstipendien im ländlichen Raum und kuratiert Literarische Ausstellungen. Sie lebt in Marburg an der Lahn.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2023

Clara W. mit dem Rilkchen unter dem Arm

Kopfschütteln und leise Wehmut: Im Roman "Alles behalten, für immer. Ruth Rilke" erzählt Erika Schellenberger von der Tochter Rainer Maria Rilkes, die von ihren Eltern abgeschoben wurde und sich viele Jahre später plötzlich um den Nachlass ihres Vaters kümmern sollte.

Heißen soll unsere Tochter mit dem biblischen Namen Ruth, Ruth Rilke, ohne Zufügung irgendeines anderen Namens", schrieb Rainer Maria Rilke am 12. Dezember 1901, dem Tag der Geburt seiner Tochter, überschwänglich an seine Mutter. Der Dichter - dessen Taufnamen übrigens René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke lauteten, was er aber zu Rainer Maria Rilke abkürzte - lebte zu dieser Zeit mit seiner Frau Clara Westhoff auf dem Land bei Bremen.

Rilke hatte die stille Bildhauerin im Sommer 1900 im benachbarten Worpswede kennengelernt, auf dem "Barkenhoff", Heinrich Vogelers in ein Jugendstil-Gesamtkunstwerk umgebautes Anwesen. Beide ließen sich mitreißen von der Begeisterung, die unter den Gästen und Künstlerkollegen herrschte: für das Licht, die Landschaft und die einfache, naturverbundene Lebensweise ihrer Bewohner. Ein neues, ganzheitliches Konzept zum Leben und Arbeiten schien dort umsetzbar zu sein. Bald hatten Rilke und Westhoff ihren gemeinsamen Traum entwickelt.

"Im kleinen Häuschen würde Licht sein, eine sanfte, verhüllte Lampe, und ich würde an meinem Kocher stehen und Ihnen ein Abendbrot bereiten: ein schönes Gemüse, oder Grütze, - und auf einem Glasteller würde schwerer Honig glänzen, und kalte, elfenbeinfarbene Butter würde auf der Buntheit eines russischen Tischtuchs ruhig auffallen", mit solchen Skizzen häuslicher Idylle hatte Rilke um Westhoff geworben, und sie gewonnen. Heirat, Hauskauf, Kind folgten rasch.

Doch genauso schnell platzte der Traum, kaum wurde er gelebt, auch schon wieder. Von der Rolle als Ehemann einer Kleinfamilie erdrückt, von der Hofarbeit und Geldsorgen geplagt, zog es Rainer Maria Rilke nur wenige Monate nach Ruths Geburt nach Paris; er wollte dort über Rodin schreiben. Clara Westhoff, allein gelassen und völlig überfordert, entschied sich nicht viel später - inzwischen war der Hof verpfändet worden -, ebenfalls nach Paris zu gehen. Auch sie wollte sich, nun wieder alleinstehend, ganz ihrem Werk widmen. Das Kind wurde bei den Großeltern mütterlicherseits in Oberneuland abgegeben. Fortan zogen Claras Eltern, eine Kaufmannsfamilie, Ruth groß. Vater und Mutter besuchten das Mädchen ab und an, ließen es jedoch auch immer wieder zurück; anscheinend ohne schlechtes Gewissen: "Mutig und verständig in ihrem frühen Alleinsein" sei Ruth, fand Clara Westhoff. Rilke war es ohnehin schnell gelungen, den ehemals großen Traum von der Idylle mit Frau, Haus, Kind in ein weiteres glänzendes Steinchen im Mosaik seines Lebens zu verwandeln: "Wir haben eine große Ouvertüre gelebt, eine Ouvertüre des Lebens. Wir werden sie nie vergessen.", schrieb er Clara bereits 1902.

Wie sich all das für die Tochter verhielt, die nach der "großen Ouvertüre" ja immer noch da war, wie ihr Leben im Schatten der ungewöhnlichen Eltern verlief, darüber ist bisher nicht viel nachgedacht worden. Selbst nie künstlerisch tätig geworden, blieb sie auch als Rilkes Nachlassverwalterin möglichst abseits der Öffentlichkeit. Rilke-Leser kennen ihren Namen am ehesten noch als "Ruth Siebke-Rilke", Herausgeberin des väterlichen Werkes.

Nun hat die Literaturwissenschaftlerin Erika Schellenberger einen Roman über sie geschrieben, "Alles behalten für immer. Ruth Rilke", für den sie wegen der kargen Quellen über Jahre hinweg recherchiert hat, Material sichtete, Archive besuchte und vor allem mit Familienangehörigen sprach, insbesondere mit der Tochter Ruth Rilkes, Uta Addicks. Entstanden ist ein lesenswertes, wie leicht hingetupft wirkendes Buch, einfühlsam und voller Witz, das zugleich vor Fakten und Details nur so strotzt.

Der Roman spielt an einem einzigen Septembertag des Jahres 1957. Ruth Fritzsche, wie sie nach der zweiten Heirat nun heißt, ist nach vierzig Jahren erstmals an ihren Kindheitsort zurückgekommen. Sie möchte nach dem Tod ihrer Mutter deren Atelierhaus in Fischerhude umbauen, um Platz für das sich stetig vergrößernde Archiv zu schaffen.

An diesem Septembertag passiert äußerlich nicht viel: Ein Journalist taucht auf, der sie erst stört, dann aber einen ganz netten Gesprächspartner abgibt. Vor allem aber erleben wir Ruth, wie sie sich umsieht, durch die Natur wandert, an der Wümme entlanggeht, an früher denkt: "Über 50 Jahre her all dat, Worpswede, Fischerhude. Aber die Leute interessierten sich: Mackensen, Hans am Ende, Heinrich Vogeler, Otto und Paula Modersohn, die Malerei hatte Bestand." In den noch im Umbau begriffenen neuen Archivräumen stehen bereits die angelieferten Archivkisten, und sie geht herum, nimmt hier und da etwas heraus. Da ist zum Beispiel der Gedichtzyklus "Von der Pilgerschaft", entstanden bereits ein Jahr vor ihrer Geburt, in dem es heißt: "In diesem Dorfe steht das letzte Haus der Welt. / die Straße, die das kleine Dorf nicht hält, / geht langsam weiter in die Nacht hinaus. // Das kleine Dorf ist nur ein Übergang". Auf traurige Art und Weise kommen sie ihr "geradezu prophetisch" vor.

Ruth lese "immer biografisch" heißt es im Roman, und es ist tatsächlich anrührend, mitzuerleben, wie die Tochter auch als Erwachsene noch nach Spuren sucht, die sie, vielleicht, im Werk des abwesenden Vaters hinterlassen hat. "Fortgehen", sinniert sie "fortgehen wird sein Lebensthema. Kein Kind der Welt mag so etwas. Vater und Mutter sollten einen vor der Einsamkeit beschützen."

Schellenberger stößt ihre Leser, ohne es je auszusprechen, immer wieder auf das Paradoxon, welches dieses Leben bestimmte: Dass Ruth Rilke, die ihren Vater zu Lebzeiten so selten sah, nach seinem frühen Tod ihn als seine Nachlassverwalterin nun auf eine Art und Weise kennenlernte, die privater war als sie es sich je gewünscht hatte - man denke nur an seine Briefe an diverse Geliebte, allen voran an Lou Andreas Salomé.

Dennoch: Schellenbergers Ruth hegt keinen Groll gegen das "Väterchen", genauso wenig wie gegen die Mutter. Dazu ist sie zu praktisch, zu tüchtig und überhaupt von ganz anderer Art als die Eltern. Die Perspektive der Einheimischen - Torfbauern, abgehärtete Menschen in karger Gegend - ist ihr immer näher gewesen als jede Exzentrik und jedes große Ideengebäude. Sie versteht die Verwunderung der Dörfler, wenn sie die große Zeit der Worpsweder Künstlerkolonie imaginiert; zwei Welten prallten da aufeinander: "Die fremden Besucher gingen spazieren im Dorf. Liefen da herum, suchten 'Motive'." Und die Bauern fragten irritiert: "Wat wulln die Lüt?"

Aus dieser Spannung zwischen Ruths Lebenstüchtigkeit und der Weltfremdheit von Ruths Eltern schlägt Schellenberger an vielen Stellen komische und ironische Funken. "Rein optisch" seien ja den alteingesessenen Worpswedern und auch den Künstlerkollegen die frisch verliebten Eltern "eine Herausforderung" gewesen, heißt es da etwa, wenn Ruth sich ihre eigenen Eltern als Verliebte vorstellt: die große, starke, stille Bildhauerin und der zarte, kleine, dünne, so gern diskutierende und deklamierende Mann. Kein Wunder, dass es damals in den Dörfern hieß: "Freitagnachmittag - wer kam da? Du ahnst es schon, Clara W. mit ihrem Rilkchen unter dem Arm."

Auch die "Flitterwochen" stellen sie noch nach Jahrzehnten vor Rätsel: "Ruth war bald in Ohnmacht gefallen, als sie von Uroma Laura die Kosten für die Hochzeitsreise der Eltern erfuhr": Der Spaß hatte damals "das kleine Vermögen von 450 Mark gekostet". Und ob es überhaupt Spaß war, daran zweifelt Ruth auch, denn welche Flitterwöchler fahren schon ausgerechnet zur Kur? Auch wenn das Dresdner Sanatorium "Weißer Hirsch" für Freikörperkultur und lebensreformerische Ideen international bekannt war und prominente Gäste wie etwa Thomas Mann oder Franz Kafka es frequentierten, konnte es doch "nicht besonders romantisch" gewesen sein, fürchtet sie: "Das Ehepaar Rilke-Westhoff buchte getrennte Zimmer und man sah sich nach allerlei Anwendungen erst am späten Nachmittag und war dementsprechend erschöpft, denn Dr. Heinrich Lahmanns Sanatorium arbeitete nach dem Prinzip der Abhärtung: Nacktbaden, Barfußlaufen, Morgengymnastik und viel, sehr viel kaltes Wasser standen auf dem Plan."

Zuletzt bleibt das Bild einer Tochter, die tapfer und tüchtig ist - und deren Glück wohl ausmacht, nicht ständig das Unerreichbare und Unendliche im Blick zu haben. Die sich manchmal eben einfach auf die nächste Mahlzeit freut, "Anna würde draußen in der Laube zum Abendbrot gedeckt haben, warm genug war es ja noch. Und sie müssten sich erklären, waren einfach abgehauen mit dem Boot, dafür gab's gleich Helmuts Räucheraal und Schwarzbrot mit dick Butter. Einen Wachholder hinterher. Gin sagte Willy, was weltgewandt klang, und das gefiel ihr. Für sie wahrscheinlich nur ein Stück Pflaumenstreusel, die Galle würde sonst verrückt spielen."

Das klingt dann sogar ein wenig wie der väterliche Traum von der Idylle auf dem Land. SILKE SCHEUERMANN

Erika Schellenberger: "Alles behalten für immer. Ruth Rilke". Roman.

Verlag ebersbach und simon, Berlin 2023. 224 S., geb., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die hier rezensierende Dichterin Silke Scheuermann ist gerührt von Erika Schellenbergers Roman, der einen Tag im Leben von Ruth Rilke zum Inhalt hat, der gemeinsamen Tochter von Rainer Maria Rilke und Clara Westhoff. So unaufgeregt das Leben der Tochter auch war, die von ihren Eltern früh alleingelassen wurde, um nach Rilkes Tod seinen Nachlass zu verwalten, so einfühlsam und auch witzig stellt die Autorin es dar, schreibt Scheuermann. Basierend auf intensiver Archivrecherche erzählt Schellenberger laut Rezensentin, wie Ruth Rilke 1957 an ihren Kindheitsort Fischerhude zurückkehrt, um das Atelier ihrer Mutter zum Archiv umzubauen. Anrührend findet Scheuermann vor allem die Suche der praktisch veranlagten Protagonistin nach Spuren, die sie mutmaßlich im Werk des kaum gekannten Vaters hinterlassen hat.

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